Doc Holliday Classic – 19 –
Inferno El Paso
Frank Laramy
Stolz reckte er sich auf, den rauchenden Revolver in der Rechten, mit keuchend atmender Brust. Wild war sein Gesicht, alles vereinte sich zu einer großartigen Gebärde des Triumphes. Nur die Augen blickten kalt. Es waren die seelenlosen Augen eines Mörders. Weshalb hatte sich dieser Mann in den unsinnigen Kampf gestürzt? Immer wieder setzte er sein Leben ein, um diesen makabren Wahnsinn zu betreiben. Er hatte die Begriffe verwechselt, er ersetzte das Wort »Töten« durch Sieg. Es erfüllte ihn mit einem seltsamen, an Wahnsinn grenzenden Rausch, wenn ein Mann von seiner Waffe niedergestreckt worden war. Cass Cassedy war der Name jenes Mannes. Aber noch kannte kaum einer in den Staaten diesen Namen. Er kam in die Städte, und wenn er davonritt, ließ er frisch aufgeworfene Grabhügel zurück. Cassedy kleidete sich auffallend, wie ein Mexikaner. Er trug einen weißen Sombrero, enganliegende sandfarbene Hosen und einen kurzen, mexikanischen Bolero, der an seinen Aufschlägen reich mit Silberstickereien verziert war. Um die Hüfte schlang sich ein flammendroter breiter Seidenschal, und darüber trug er zwei Kreuzgurte, die ein kleines Vermögen wert sein mußten. Selbst die hochhackigen mexikanischen Stiefel waren mit Silber beschlagen. Doch der Winniconta-Hengst, der hinter Cassedy stand, war kein kleines Vermögen wert, auch kein großes – er war gar nicht zu bezahlen. Zaumzeug und Sattel waren reich mit Silber beschlagen und lagen wie angegossen auf dem glänzenden Fell des Pferdes. Dann waren noch die Sporen Cass Cassedys der Beschreibung wert. Die Räder waren handtellergroß – aus purem Apachengold; mexikanische Sternradsporen. Und Cass Cassedy war kein Mexikaner.
Zum Unglück seiner Mitmenschen hatte er drüben in Californien, am Tulare Lake, in einer Fischerhütte das Licht der Welt erblickt. Der dann folgende Weg dieses Mannes zur zweifelhaften Höhe war mit den blutigen Steinen des Verbrechers gepflastert. Der tödliche Schuß war in einem Tal der Sierra Diablo gefallen. Der Mann, der verblutend am Boden lag, war ein armseliger, erfolgloser Digger. In seinen Taschen befanden sich zwei magere Beutel mit Goldstaub – die Ausbeute eines ganzen Jahres. Mit diesem Gold hätte man noch nicht einmal die Sporen des Californiers bezahlen können. Ed Slate hieß der Tote.
*
Der Sheriff von El Paso sollte von dem Mord in den Bergen nichts mehr erfahren. Auch er stand bereits an der Kreuzung jenes Weges, der vom Leben in den Tod führte. Sieben Jahre trug er den Stern von El Paso. Das hatte noch kein Gesetzesmann vor ihm geschafft. In der Grenzstadt an den Ufern des Rio Grande del Norte sammelte sich der Abschaum der Menschheit. Sieben Jahre lang hatte der alte Sheriff gegen die Gesetzlosigkeit gekämpft. Es war ein verzweifelter Kampf gewesen, aber an diesem brutheißen Sommertag fand der ungleiche Kampf auf der Mainstreet der Stadt sein Ende. Es begann am Mittag, genau in der Stunde, als drüben in den Bergen der Digger sein Leben verhauchte. John Fallett war mit seinen Männern in der Stadt. Seit zwei Tagen. Aber diese beiden Tage hatten genügt, die Stadt in einen Hexenkessel zu verwandeln. Fallett war ein Rustler, ein gemeiner Viehdieb. Das wußte jeder in El Paso, aber niemand konnte ihm das beweisen.
Rollend hallte an diesem Mittag seine höhnische Lache über die Straße. Plump wandte er sich zu seinen Männern um. »Habt ihr das gehört? Wir sollen noch heute die Stadt verlassen, Boys!« Die »Boys« grinsten breit. Der Sheriff stand auf dem Gehsteig vor dem Saloon. Er hatte die Fäuste in die Hüften gestemmt. »Deine Boys haben mich verstanden«, knirschte Bradley. »Und jetzt verschwindet.« John Fallett rieb sich genießerisch die Hände. Er grinste immer noch. Aber es war ein kaltes lustloses Grinsen. »Oldtimer, du meinst also wirklich, uns aus der Stadt treiben zu können?« »Treiben? Das habe ich nicht nötig«, erwiderte Bradley fest. »Ich bin in El Paso der Sheriff.« Fallett drehte sich wieder nach seinen Männern um, aber diesmal sprach er nicht zu ihnen. Er zwinkerte nur mit den Augen. Die raublustige Meute wußte Bescheid. John wandte sich erneut dem Sheriff zu. »Hast du nicht gesagt, daß du der Sheriff von El Paso gewesen bist?« Jeff Bradley trat bis ans Vorbaugitter heran. »Ich habe gesagt, daß ich es bin!« »Man sollte mit solchen Behauptungen sehr vorsichtig sein. Zumal in deinem Alter, Oldtimer«, erwiderte der Rustler zynisch. »Ich würde an deiner Stelle das Maul nicht so voll nehmen, Bandit«, keuchte Bradley grimmig. »Den Tag werde ich noch erleben, da man dir den Hals zusammenzieht.« Das Gesicht des Rustlers gefror zu einem Gletscher. »Hat er Bandit gesagt?« fragte er über die Schulter seine Männer. »Yeah, das hat er gesagt, Boß«, antwortete einer. »Hat das nicht schon einmal ein Mann von uns behauptet?«
Jetzt antwortete ein anderer Rustler. »Wenn ich mich nicht irre, war das der Sheriff von Harper in Kansas.« John Fallett blickte den Sheriff an. »Was ist eigentlich aus ihm geworden?« fragte er ohne Bradley aus den Augen zu lassen. »Hat man ihn nicht kurz darauf auf dem Boot Hill von Harper begraben?« Fallett schlug die Hände zusammen, als habe er soeben eine Neuigkeit erfahren. »Du hast recht. So war es. Der Ärmste ist kurz darauf gestorben.« »Yeah, Boß, an Bleivergiftung«, stimmte der andere höhnisch zu. Der Sheriff von El Paso hatte verstanden. »Auch das traue ich euch zu, Tramps. Aber mich könnt ihr mit euren Reden nicht beeindrucken. Macht, daß ihr aus der Stadt kommt!« Jetzt erst wurde das Gesicht des Rustlers hart. »Es gibt zwei Möglichkeiten, Sheriff von El Paso: Entweder du hältst den Mund, oder du verschwindest und läßt dich nicht mehr sehen, solange wir in der Stadt sind.« »Ihr werdet reiten, und zwar sofort!« war die entschlossene Antwort des Sheriffs. Er hatte Mut, der Mann, der in dieser gesetzlosen Stadt den Stern trug. Jeff Bradley hatte zuviel Mut. Er zog seinen Colt. Besser gesagt, er versuchte es. Er brachte die Waffe auch noch aus dem Halfter, konnte sie halb heben… Dann war der Sheriff von El Paso tot. Die Kugel aus dem schweren Revolver des Banditen hatte ihn wie ein Blitzschlag getroffen. El Paso hatte keinen Sheriff mehr! El Paso, die Stadt der Gesetzlosen, war dem Treiben der Banditen preisgegeben.
*
Solch einen Abend hatte der Frontier Saloon von El Paso noch nicht erlebt. John Fallett und seine Männer feierten ihren traurigen Sieg. Sie tranken nicht, sie schütteten den Alkohol in sich hinein. Dann nahmen sich die Rustler die fast neue Einrichtung des Saloons vor. Es dauerte kaum eine Minute, da gab es im Frontier Saloon keinen Spiegel mehr. Der Salooner Bill Oakland hatte sich bereits in Sicherheit gebracht. Er stand hinter der spaltbreit geöffneten Tür des Nebenzimmers und fluchte lästerlich. Die Theke, aus Eichenholzbrettern gefertigt, widerstand ganze zwei Minuten dem massiven Angriff der Rustler. Dann brach sie zusammen. Die letzten Gäste flüchteten Hals über Kopf aus dem Saloon. Auch Bill Oakland ging. Er verließ sein Haus durch die Hintertür. Was sollte er allein gegen das Rudel der Viehdiebe ausrichten? Sein Bargeld war nicht im Saloon, es war auf der Bank of Texas – und diese Bank gehörte ihm. Nun, so konnte es in der Stadt, am Rio Grande des Norte nicht weitergehen. Daß der alte Bradley nicht mehr war, konnte man verschmerzen. Er war ein elender Schnüffler und Besserwisser gewesen. Auf keinen Fall durften diese Rowdies die Stadt in die Hand bekommen. Bill Oakland überlegte. Er mußte einen Sheriff finden, einen Gesetzesmann von seinen Gnaden. Da durchfuhr ihn ein Gedanke: Cass Cassedy! Vor zwölf Tagen hatte er den Brief seines früheren Partners erhalten. Seit vielen Jahren hatten sie sich nicht mehr gesehen. Er wollte kommen. Im Gedächtnis Oaklands lebte noch der kleine Falschspieler Cassedy von damals, mit dem er sich durch die Staaten gehungert hatte. Und dieser Cass Cassedy wollte in den nächsten Tagen nach El Paso kommen. Das war der richtige Mann. Ihn kannte keiner, und er sollte der Sheriff der Stadt werden. So hatte es sich der Salooner Bill Oakland ausgedacht. Doch es gab einiges, das
er in diesem Moment noch nicht wußte. Jahre waren vergangen, seitdem er sich von Cass getrennt hatte, Jahre, die aus Cassedy einen völlig anderen Menschen geformt hatten. Sie hatten sich früher in irgendeinem Gefängnis der Staaten kennengelernt, dann waren sie durch einige Staaten gereist, und hatten sich recht erfolgreich als Falschspieler betätigt. Dann war eine Frau zwischen sie getreten, und sie hatten sich getrennt. Oakland hatte sich immer für den Überlegeneren, den Größeren gehalten. Er sollte seine Meinung bald ändern.
*
Crus Wain hieß der Townmayor von El Paso. Ein alter, müder Mann. Er hatte diesen Posten angenommen, weil er noch an die Menschen und an dieses Land glaubte. Aber dieser Tag hatte ihm auch die letzte Hoffnung genommen. Er saß mit einigen anderen Bürgern im Sheriffs Office. Die Gesichter der Männer waren finster und verschlossen. Auf dem Lager unterm Fenster lag der tote Sheriff. Seine Augen waren geschlossen, sie brauchten nicht mehr zu sehen, was über die Stadt El Paso hereinbrechen sollte. Er hatte mutig bis zum letzten Atemzug seinen Dienst versehen. Aber wer sollte den Stern von El Paso in Zukunft tragen? In der Stadt würde sich niemand finden. Der Mann mußte erst noch geboren werden, der sich den silbernen Fünfzack an die Jacke heftete und John Fallett gegenübertrat. Der Townmayor saß zwischen Santor und Gleen am verwaisten Schreibtisch des Sheriffs. Die beiden waren die einflußreichsten Männer der Stadt. Rob Santor war Blacksmith und besaß außerdem den Mietstall. Horace Gleen war Viehhändler. Er hatte unten am Rio Grande del Norte eine große Ranch.
Beide Männer hätten viel darum gegeben, wenn endlich Friede und Ordnung in die Stadt eingekehrt wären. Der Mayor wandte sich an sie. »Was sollen wir tun?« Santor wiegte seinen grauen Kopf. »Die Frage ist schwer zu beantworten.« Horace Gleen schlug mit der Faust auf den Tisch. »Für diesen Schandlohn von vierzig Dollar im Monat wird in El Paso kein Mann mehr den Stern nehmen.« Rob Santor massierte sich mit der flachen Hand den Nacken. »Wir müssen einen Mann nach El Paso rufen, vor dem dieses Gesindel Angst hat.« »Und wer soll das sein?« wollte der Townmayor wissen. Rob Santor erhob sich. Er trug mit wuchtigen Schritten seine schwere Gestalt durch den Raum. Plötzlich blieb er vor einem Mann stehen, der sich Gene Urban nannte. Er war Bill Oaklands Vetter. »Was sucht diese Mißgeburt hier?« bellte Santor. Urban erhob sich sofort. »Sie nehmen sich etwas zuviel heraus, Mister Santor.« »Halten Sie Ihren Mund, und gehen Sie zu Ihrem Freund Bill Oakland.« »Bill ist nicht mein Freund, das weiß jeder in der Stadt.« Santor fuhr wütend mit der Hand durch die Luft. »Verschwinde, Bursche. Hier hast du nichts zu suchen.« Gene Urban erhob sich. Er rieb sich mit der rechten Hand über die tränenden Augen und räusperte sich. »Ich werde gehen, aber eines sage ich euch: diese Stunde sollt ihr noch bereuen.« Dann ging er. Aber draußen auf dem Gehsteig blieb er stehen und lauschte. Gene Urban war ein Werkzeug Oaklands. Der Salooner verwendete seinen geistig etwas minderbemittelten Vetter für jeden Spitzeldienst. Und was Urban noch vor der Tür des Office erlauschen konnte, sollte ausschlaggebend sein für die kommenden schweren Tage in El Paso.
Kaum hatte der rattengesichtige Mann den Raum verlassen, da fuhr Santor fort: »Wir brauchen einen Mann wie Wyatt Earp…« Da lachte der Viehhändler schallend. »Dann bestellt euch doch gleich Doc Holliday. Vielleicht ist er billiger.« Diese beiden Namen hatte Gene Urban vor der Tür verstanden. Dann ging er, um Bill Oakland zu suchen. – Indessen ging das Gespräch im Office weiter. Auch Crus Wain, der Townmayor, hatte sich erhoben. »Was redet ihr da? Holliday ist ein Schießer. Er würde die Lage der Stadt noch verschlimmern.« Rob Santor wandte sich nachdenklich um und meinte: »Vielleicht sollten wir es doch versuchen, Earp in die Stadt zu holen.« Santor machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ihr redet immer von Bezahlung. Earp reitet nicht für Geld. Das wurde mir wenigstens von ihm berichtet.« Der Viehhändler lachte blechern. »Haben Sie gedacht, er würde sich eine solche Sache für eine Scheibe trockenen Brotes an den Hals hängen?« Crus Wain versuchte, der Diskussion ein Ende zu setzen. »Wir können ja einen Versuch machen. Soviel ich gehört habe, ist er Marshal in Wichita. Wir schicken einen Reiter zu ihm und lassen ihn fragen, ob er den Auftrag übernehmen will.« Der Blacksmith winkte ab. »Dann holt lieber Holliday. Der kommt wenigstens, wenn er weiß, daß es irgendwo etwas zu schießen gibt.« Aber dann beschlossen sie doch, einen Boten nach Wichita zu senden. Aber auch an den Namen Doc Hollidays sollten sie noch in den kommenden Tagen denken.
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Es waren genau siebenundzwanzig Yards, die zwischen dem Sheriffs Office und dem Haus Bill Oaklands lagen. Auch dort saßen Männer beisammen und sprachen über Holliday und Wyatt Earp. Der Salooner und Gene Urban. »Was hast du da eben gesagt? Sie wollen Holliday oder Earp holen?« stieß Bill Oakland hervor. »Vielleicht beide«, übertrieb der rattengesichtige Mann. Bill Oakland verkniff die Lippen. »Das allerdings wäre fatal.« Urban nickte. »Mehr als fatal.« »Wer soll nach Wichita reiten?« fragte Bill Oakland. »Ich weiß es nicht.« Der Salooner sprang auf. Sein Gesicht war dunkelrot angelaufen. »Weshalb bezahle ich dich elenden Burschen eigentlich? Nur, damit du kommst und mir Hiobsbotschaften bringst? Ich werde dir eines sagen: Du erhältst jetzt von mir den Auftrag, diesen Boten zu erledigen, du wirst ihn auf der Straße nach Norden abfangen.«
*
Es geschah, als sich der Mond hinter einer Wolkenbank verbarg, als die Nacht schon wieder auf dem Weg zum Morgen war. Urban hatte die Stadt schon in der Abenddämmerung verlassen und sich in einer Hügelkette verschanzt, die den Weg nach Norden säumte. Hier lag er einige Stunden und beobachtete den mondhellen Fahrweg. Es vergingen Stunden.
Urban hatte Mühe, die Augen offenzuhalten. Die Nacht war still, zu still für einen Mann, der müde war. Und dann war es plötzlich soweit. Kurz vor Mitternacht hatte ein Mann die Stadt El Paso verlassen. Er hieß Taroc Keyn. Ein Rancher, der seine Weide am Fuß der Organos Mountains liegen hatte. Keyns Leben war reich an Enttäuschungen gewesen. Er hatte seine beiden Söhne verloren, und dann war seine Frau gestorben. Geblieben war ihm nur noch seine Tochter Ines. Dafür lebte der alte grauhaarige Mann. Dafür hatte er gelebt, denn in El Paso hatte das Inferno begonnen. Müde, weit im Sattel vorgebeugt, ritt er halb schlafend über die Fahrstraße. Wie grausam konnte doch das Schicksal sein: Der Rancher war in der Stadt gewesen, um Vorräte zu bestellen. Und jetzt sollte er das Opfer einer sinnlosen Kugel werden. Gene Urban sah den zusammengesunkenen Reiter kommen. Das Pferd mit dem Mann auf dem Rücken schälte sich aus dem Mondglast und steuerte genau auf die Stelle zu, wo der Verbrecher lag. Urban hatte ein Gewehr in Händen. Es war eine alte Remingtonbüchse. Gene Urban hob das Gewehr und brachte es in Anschlag. Aber er schoß noch nicht. Er war noch nie ein guter Schütze gewesen, und er traute sich jetzt nicht zu, auf diese Distanz eine sichere Kugel anzubringen. Außerdem hatte Gene Urban Angst. Der Rancher kam inzwischen immer näher. Er dachte an seine Tochter Ines, an das blondhaarige, hübsche Mädel, das zu Hause mit dem Essen auf ihn wartete. Und mitten in diese Gedanken hinein fiel der erste Schuß.
Das Pferd des Ranchers bäumte sich wiehernd auf, machte noch einige Sprünge und brach dann röchelnd zusammen. Keyn wurde aus dem Sattel geschleudert und landete hart unter dem stachelbesetzen Stamm einer Sagamore. Aber so hart auch der Fall sein mochte, er hatte sofort seinen Colt in der Hand. Er sah kein Ziel, auf das er hätte feuern können. Vor ihm lagen glanzlose Hügel im matten Schein des Mondes. Der zweite Schuß brüllte durch die Nacht. Diesmal hatte der Rindermann das Mündungsfeuer erkennen können. Es war oben im Einschnitt der Halde gewesen. Die Kugel bohrte sich neben dem Rancher in den Sand. Taroc Keyn feuerte sofort zurück. Drei Schüsse waren es, die er nach oben schickte. Heulend schwirrten die Kugeln über die Halde. Aber auch sie verfehlten ihr Ziel. Und dann kam die Antwort von der Halde. Es war eine grausame, eine tödliche Antwort. Heiß war das Blei. Es bohrte sich in die Achselhöhle des Ranchers und durchschlug seinen Hals. Mit einem gurgelnden Aufschrei wude Taroc Keyn zurückgeschleudert. Der Colt entfiel ihm, und dann preßte er beide Hände gegen seinen blutenden Hals. Es waren nur noch wenige Minuten, die der Rancher zu leben hatte. – Der Bote nach Wichita ritt erst zwei Stunden später an der Mordstelle vorbei. Der Mond war inzwischen untergegangen, das Tal lag in dunkler Einsamkeit. Der Mann ritt an dem toten Rancher und dem Pferd vorüber. Er hatte sie in der Dunkelheit nicht gesehen.
*
Ines Keyn war neunzehn Jahre alt. Sie war nicht unbedingt schön zu nennen, aber doch ging von ihr ein herber Reiz aus, der die Männer fesselte. Sie hatte aschblondes Haar, dunkle Augen und einen gutgezogenen energischen Mund. Als der Rancher in der Nacht nicht nach Hause gekommen war, machte sie sich Sorgen. Am Morgen ließ sie sich vom Bestman ihr Pferd satteln. »Was haben Sie vor?« fragte der Vormann. »Vater ist nicht zurückgekommen«, gab sie zur Antwort und ließ sich in den Sattel helfen. »Ich werde sehen, wo er geblieben ist.« »Vielleicht ist er in der Stadt geblieben«, meinte der grauhaarige Weidereiter. »Das kann ich mir nicht vorstellen. Er ist immer am Abend zurückgekommen.« »Soll ich mit Ihnen reiten, Miß?« Sie winkte ab. »Danke, Sie werden auf der Ranch gebraucht. Ich bin gegen Mittag zurück.« Dann ritt sie aus dem Hof und im gestreckten Galopp den schmalen Weg entlang, der ihre Weide nach Süden hin begrenzte. Es war ein klarer Morgen, der Himmel war wolkenlos und strahlend. Plötzlich tauchte ein Reiter hinter den Büschen auf. Cass Cassedy! Stolz aufgereckt saß er im Sattel. Der silberbeschlagene Sattel glitzerte in der Frühsonne, die goldenen Sporen funkelten. Ines hielt unwillkürlich ihr Pferd an. Sie ließ den Reiter herankommen. Irgendwie war das Mädchen von dem Anblick des Mannes beeindruckt. Und dann der Winneconta-Hengst! Welch ein prachtvolles Tier! Cassedy verhielt drei Yards vor ihr seinen Hengst. Mit vollendeter Grandezza zog er seinen weißen Sombrero. »Buenas dias, Señorita. Ein schöner Morgen
und eine schöne Frau. Es ist fast zuviel für die Einsamkeit der Prärie.« Ines lächelte hilflos. »Guten Morgen«, sagte sie nur. Cass Cassedy verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. Und dieses Grinsen sollte vertrauenerweckend wirken. »Wenn ich mich nicht irre, haben wir den gleichen Weg?« Sie hob die schmalen Schultern. »Ich weiß nicht.« »Sie wollen doch nach El Paso?« Ines nickte nur. »Sehen Sie«, sagte der Verbrecher übertrieben freundlich. »Das ist auch mein Ziel.« Das Mädchen ließ wortlos sein Pferd antraben. Es hörte den Hufschlag des Winneconta-Hengstes hinter sich. Er spürte auch die Blicke des Reiters. Sie brannten auf ihrem Rücken. Wer mochte dieser Mann sein? Bisher hatte sie ihn noch nie im County gesehen. Der Californier hatte seinen Hengst neben das Pferd der Frau gebracht. Es musterte das herbe Gesicht des Mädchens von der Seite. Ines bemerkte den Blick. Ihr wurde immer unbehaglicher zumute. Nur um die herrschende Spannung zu brechen, fragte sie: »Waren Sie bisher noch nicht in El Paso?« »Nein, ich war noch nicht in der Stadt. Aber wenn ich Sie sehe, hätte ich Lust, öfter zu kommen.« Ines Keyn errötete. »Was hat das mit mir zu tun?« Sie näherten sich den Hills, wo in der Nacht die Schüsse gefallen waren. Cassedy ließ seinen Hengst langsamer gehen, das Pferd Ines’ paßte sich unwillkürlich dieser Gangart an. Der Bandit beugte sich im Sattel zu dem Mädchen hinüber und legte die Hand
auf ihren Arm. »Haben Sie schon gefrühstückt?« fragte er in verhaltenem, schleimigem Ton. Dieser Ton, diese Worte warnten das Mädchen. Sie zog ihren Arm zurück und blickte den Mann voll an. »Ich habe gefrühstückst, Mister.« »Das ändert aber nichts an der Tatsache, daß ich hungrig bin.« »Wir sind gleich in der Stadt, da bekommen Sie alles, was Sie wollen«, gab Ines zurück und schüttelte den Arm des Mannes ab. Plötzlich fühlte das Mädchen, daß es sich in einer Gefahr befand. Sie gab ihrem Pferd die Sporen und trabte davon. Cass Cassedy folgte ihr. »Mir kommst du nicht aus den Fingern«, preßte er hervor. »Ich bin schon mit anderen fertig geworden.« Sie war fast hundert Yards vor ihm und umritt den Ausläufer eines Sandhügels. Da stand die Riesenkaktee, die Sagamore am Wegrand. Da lag das Pferd. Und da lag der Tote. Ihr Vater! Ines stieß einen gellenden Schrei aus. Sie hatte den Rancher sofort erkannt. Mit einem Satz war sie aus dem Sattel und kniete neben dem leblosen Körper nieder. Cass Cassedy erreichte sie. Auch er ließ sich aus dem Sattel gleiten. Der Anblick eines Toten war nicht dazu angetan, einen Mann seines Kalibers zu erschüttern. »Wer ist es?« fragte er nur. »Mein Vater«, stieß das Mädchen hervor und klammerte sich an den Körper des Toten. Cass Cassedy versuchte, sein Gesicht in mitleidige Falten zu legen. Ganz gelang
es ihm nicht, aber dem Mädchen fiel das auch nicht weiter auf. Es hörte nur die Worte, die wie Honig von seinen Lippen flossen. »Fassen Sie sich jetzt, Miß. Hier können wir nicht mehr helfen, und Sie müssen versuchen, mit Ihrem schweren Schicksal fertig zu werden. Aber ich schwöre Ihnen angesichts dieses Toten: Ich werde Ihnen beistehen, den Mörder zu finden. Der Zufall hat es gewollt, daß wir uns an diesem Morgen getroffen haben und daß ich Zeuge des tiefen Leids gewesen bin, das Sie getroffen hat.« Diese Worte klangen so schleimig, so übertrieben mitleidvoll, daß Ines zu jeder anderen Stunde darüber gestolpert wäre. Aber jetzt waren sie eine Wohltat für sie. Cass Cassedy half ihr aufzustehen und nahm sie väterlich in die Arme. »Jetzt müssen Sie tapfer sein«, sagte er eindringlich und streichelte den schmalen Kopf des Mädchens. »Ich werde alles für Sie erledigen. Zunächst bringen wir Ihren Vater in die Stadt und werden die Sache dem Sheriff melden.« Aber in El Paso gab es keinen Sheriff mehr. Und der Mann, dem Bill Oakland diese neue Würde zugedacht hatte, lud den toten Rancher auf den Rücken seines Pferdes und ritt mit Ines Keyn nach El Paso.
*
John Fallett, der Rustlerboß, torkelte mit glasigen Augen über die Stepwalks und angelte sich von einem Vorbaupfosten zum anderen. Hinter ihm krochen einige seiner Männer. Der letzte lag vor der Pendeltür des Frontier Saloons und schnarchte. Bill Oakland war in seinem Haus. Auch er hatte in der Nacht kein Auge mehr zugetan. Aber in seinem Saloon war er nicht mehr gewesen. Noch war Oakland nicht lebensmüde. Er kannte das Leben – und die Banditen,
denn er war selbst einer gewesen. Er war es sogar heute noch. Nur sah er nicht so aus. Urban saß neben ihm am Fenster, als Cassedy mit dem Mädchen und dem Toten in die Stadt einritt. Der Salooner sprang auf. »Da kommt er!« rief er aus. Zunächst hatte er Cass erkannt. Dann bemerkte er den Toten. »Damned, was hat er nur jetzt wieder für einen Blödsinn angestellt?« »Diesen Blödsinn habe ich angestellt, Mister Oakland«, plusterte sich Urban auf. »Der Mann geht auf mein Konto. Ich habe ihn in der Nacht erledigt, wie Sie es verlangt hatten.« Der Salooner preßte sein Gesicht an die Scheiben und blickte hinaus. Und dann erkannte er den Toten. Grollend wandte er sich zu Urban um. »Es ist doch wohl nicht dein Ernst, Urban? Du willst doch nicht sagen, daß du diesen Mann getötest hast?« Gene Urban reckte sich auf. »Genau den. Denn er war es, der die Botschaft nach Wichita bringen sollte.« Die Augen des Salooners wurden starr. »Was hast du da eben gesagt? Du hast Keyn erschossen?« Urban wich einen Schritt zurück. »Yeah, das habe ich«, stammelte er ängstlich. »Ich sollte es doch.« Oakland hob die Faust und schmetterte sie in das verzerrte Rattengesicht. »Da hast du deinen Lohn, verdammter Narr!« fauchte der Mann. »Keyn wäre niemals nach Wichita geritten. Er ist kein Knecht. Und ausgerechnet ihn mußt du Trottel umlegen.« Urban wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht. »Aber Boß, wie sollte ich den Mann in der Dunkelheit erkennen?« »Es war mondhell. Du kannst doch nicht jeden abknallen, der auf der Straße nach Wichita reitet.« Der Salooner ging wütend mit stampfenden Schritten im Raum auf und ab. Seine Lippen waren verkniffen.
»Was machen wir jetzt nur?« knurrte er. »Der Mann hat die Stadt verlassen und wird Earp holen. Der alte Jäger wird nicht nein sagen, wenn er Beute wittert.« Gene Urban rieb sich die tränenden Augen. »Dann werde ich eben reiten und Wyatt Earp abfangen.« Bill Oakland blickte das kleine, schmalbrüstige Männchen für eine Weile amüsiert und stumm an. Dann lachte er schallend. »Was hast du erbärmlicher Zwerg da eben gesagt? Du willst allen Ernstes Wyatt Earp abfangen?« Urban hob hilflos die Schultern. »Mir wird ja nichts anderes übrigbleiben.« Das Lachen fiel aus dem Gesicht Oaklands wie ein brüchiger Stein. »Du bist ein Trottel, Gene Urban. Das habe ich schon immer gewußt. Aber jetzt eine andere Frage: Hat dich irgend jemand gesehen. Bist du einem Mann begegnet?« Urban schüttelte den Kopf. »Es hat mich niemand gesehen.« Der Salooner atmete erleichtert auf. »Du bleibst hier im Hause und verschwindest erst dann, wenn ich dir Bescheid sage.« Der Tote lag über dem Sattel des Winneconta-Hengstes. Seine Arme hingen schlaff herunter. Das Haar klebte wirr an der Stirn. Einige Männer hatten sich um das Pferd und den Toten geschart. Sie blickten stumm auf diese grausige Szene. Niemand sagte ein Wort. Aber allen war klar, daß für El Paso wieder einmal eine rauhe Zeit begonnen hatte. Cass Cassedy half dem Mädchen aus dem Sattel. Das Gesicht Ines’ war bleich. Sie war in den wenigen Stunden des Morgens um viele Jahre gealtert. »Wo wollen Sie hin?« fragte sie nur. »Sie müssen etwas zu sich nehmen«, erwiderte er. »Ich brauche nichts.« »Sie werden einen Kaffee und einen Brandy trinken. Dann geht es Ihnen wieder
besser.« Ines Keyn warf noch einen Blick auf ihren toten Vater, dann folgte sie dem Banditen. Beide betraten das Lokal, und kaum eine halbe Minute später schlug Bill Oakland die Flügeltüren auseinander. Cassedy stand noch an der Theke und bestellte. Er wandte sich um, sah Bill und zwinkerte ihm zu. Der Salooner kam mit großen Schritten heran. »Hallo, Cass!« rief er seinem früheren Komplicen zu. »Wen hast du denn in die Stadt gebracht?« Der Bandit verzog das Gesicht. »Fatale Sache. Sieht aus wie ein Mord.« »Ich kenne den Mann. Er war ein Rancher aus dem County.« Cass Cassedy warf einen Blick zu Ines hinüber. Das Mädchen saß am Tisch und hatte den Kopf in beide Hände gesenkt. »Das ist seine Tochter«, sagte Cassedy leise. Der Salooner nickte. »Ich weiß. Ich kenne sie.« »Nettes Mädchen«, meinte Cass. »Laß die Finger davon«, erwiderte Oakland warnend. »Wenn du bleiben willst, habe ich etwas anderes mit dir vor.« Der Californier maß seinen früheren Partner mit einem Blick, der dem Salooner alles hätte sagen müssen. »Du hast also etwas mit mir vor?« Es klang spöttisch und herablassend. »Yeah, ich habe etwas vor.« Oakland hatte den Spott, die Herablassung nicht erfaßt, die aus den Worten seines Partners klangen. Er hatte auch das wertvolle Pferd nicht beachtet, die Kleidung Cassedys. Für ihn war Cass geblieben, was er war: ein kleiner Falschspieler, ein Bandit. Aber er hatte den Mann vor sich, der ihm weit überlegen war. Gelassen hörte er den folgenden Worten des Salooners zu.
»Ich habe etwas Großes vor, Cass. Etwas ganz Großes. Du wirst lachen, was ich mit dir vorhabe.« »Noch lache ich nicht«, erwiderte Cass Cassedy. »Ich mache dich zum Sheriff von El Paso!« Da allerdings lachte der Bandit. »Hattest du Sheriff gesagt?« stieß er hervor. »Yeah, das hatte ich.« »Du bist wahnsinnig geworden.« »Das bin ich eben nicht, Cass. Ich weiß, was ich sage.« Cassedy grinste abfällig. »Und was wird der jetzige Sheriff von El Paso dazu sagen?« Bill Oakland grinste zurück. »Nichts«, war seine ganze Antwort. »Hattest du ›nichts‹ gesagt?« fragte Cass. Dann schob er sich den Stetson ins Genick. »Nenn mir den Sheriff, der sich fraglos den Stern von der Brust nehmen läßt.« Bill Oakland kicherte. »Der kann nicht mehr fragen.« »Er ist tot?« »Yeah, seit gestern.« »Und wer hat ihn ins Jenseits befördert?« »Ich weiß nicht, ob du seinen Namen kennst. Es war John Fallett.« »Fallett?« unterbrach ihn Cass überrascht. »Du meinst doch nicht etwa den Rustler?« »Genau den meine ich.« Cassedy stieß einen gellenden Pfiff aus.
Die wenigen Gäste im Lokal wurden aufmerksam. Auch Ines Keyn hob den Kopf und blickte zur Theke hinüber. Der Salooner griff über die Bar und faßte Cass vorn am reich bestickten Bolero. »Du Idiot«, zischte er. »Führ dich doch hier nicht so auf.« Die Augen Cass Cassedys bekamen einen gefährlichen Glanz. »Vielleicht war ich einmal ein Idiot, Bill. Aber ich bin es nicht mehr, daran wirst du dich gewöhnen müssen. Es gibt Zeiten, die sich ändern, es gibt aber auch Männer, die sich ändern können.« Jetzt erst merkte Oakland, daß der kleine Spieler von damals sich verändert hatte. Er blickte in das harte, gnadenlose Gesicht seines früheren Partners. Der Californier erinnerte sich an das Mädchen. Er gab Oakland einen Wink. »Gib ihr Kaffee und Brandy, vielleicht ißt sie auch etwas.« Der Salooner ging zur Küchentür und gab einige Anweisungen. Dann kam er wieder zurück an die Theke. »Was ist nun, Cass, machst du mit?« »Wobei soll ich mitmachen?« »Ich habe es dir doch gesagt. Willst du den Sheriffposten von El Paso übernehmen?« Der Californier lachte leise. »Hast du ihn zu vergeben?« Der andere winkte ab. »Das ist Blödsinn. Aber ich gebe dir einen Tip, wie du ihn hundertprozentig bekommen kannst.« »Rede!« »Du mußt John Fallett erledigen.« Vielleicht wäre Cassedy niemals auf dieses Angebot eingegangen, wenn er mit dem Rustler nicht eine alte Rechnung auszugleichen hatte. Es war einige Jahre her, als sich die beiden Männer oben in Nevada gesehen hatten. Am Spieltisch! John Fallett hatte verloren. Aber er war kein guter Verlierer. Hinter ihm standen seine Männer. Cassedy mußte damals die Stadt verlassen, fluchtartig, und seine Dollars blieben zurück. Das hatte er dem Rustler Fallett nie vergessen. Jetzt
sollte die Stunde der Abrechnung kommen! »All right, ich übernehme die Sache«, sagte er leise. »Wo ist der Bursche?« »Wenn ich mich nicht irre, schlafen sie in McRains Mietstall ihren Rausch aus.« »Sie werden die Stadt also nicht verlassen?« »Das glaube ich kaum«, erwiderte der Salooner. »Nachdem sie den Sheriff getötet haben, werden sie bleiben und uns ausnehmen wie ein geschlachtetes Rind.« »Wie steht es mit Falletts Männern?« Bill Oakland hob die Schultern. »Rauhe Burschen, aber ohne ihn sind sie nichts mehr.« Cassedy nickte nur und wandte dem Salooner den Rücken zu. Mit federnden Schritten durchquerte er den Raum und trat an den Tisch der Rancherstochter. »Miß, darf ich mich einen Moment zu Ihnen setzen?« Das Mädchen nickte den Californier aus geröteten Augen an. »Bitte«, sagte es leise. Der Bandit ließ sich nieder. Er gab Oakland einen Wink. Der Salooner hatte verstanden. Er brachte eine Flasche und Gläser. Cassedy schenkte ein. Ines lehnte ab. »Ich habe schon genug getrunken. Ich kann nicht mehr. Außerdem muß ich mich um meinen Vater kümmern.« Der Californier legte seine nervige Hand auf den Arm des Mädchens. »Das ist keine Frauenarbeit. Ich werde es erledigen.« »Aber es ist doch mein Vater.« »Machen Sie sich keine Sorgen. Ich werde alles tun, was notwendig ist«, beruhigte der Bandit sie scheinheilig. »Sie müssen sich jetzt schonen. Am besten nehmen Sie sich ein Zimmer im Saloon und ruhen sich erst einmal aus.«
»Aber ich muß doch zum Sheriff.« Der Californier schüttelte bedauernd den Kopf. »In El Paso gibt es keinen Sheriff mehr.« »Was sagen Sie da? Wo ist denn Jeff Bradley? Vor zwei Tagen noch war er auf unserer Ranch.« »Bradley ist tot.« Ines Keyn wurde bleich. »Tot?« hauchte sie nur. »Yeah, Rustler haben ihn erschossen.« Das Mädchen blickte mit starren Augen durch die trüben Fensterscheiben. »Also geht es wieder einmal los«, murmelte es tonlos. »Es sieht so aus«, meinte Cassedy. »Aber ich habe Ihnen noch etwas zu sagen. Ich glaube, den Mörder Ihres Vaters zu kennen. Wissen Sie noch, daß ich geschworen habe, seinen Mörder zu suchen und an den Galgen zu bringen?« Ines Keyn hatte den letzten Satz gar nicht in sich aufgenommen. Sie war aufgesprungen und blickte den Banditen mit weiten Augen an. »Ist das Ihr Ernst?« Cass Cassedy wiegte wissend den Kopf. »Ich glaube, sein Name ist John Fallett, ein Rustler, der seit Tagen mit seinen Männern die Stadt unsicher macht.« »Gibt es denn in El Paso keine mutigen Männer mehr? Lassen die Bürger sich alles gefallen? Hier wird ein Sheriff erschossen und mein Vater, und niemand rührt eine Hand.« Cassedy erhob sich in seiner ganzen imponierenden Größe. »Ich werde meine Hände rühren, Miß. Ich wollte nicht in El Paso bleiben. Aber nachdem ich Sie kennengelernt und das Unglück, das Sie betroffen hat, miterlebt habe, werde ich bleiben und Ordnung schaffen – selbst wenn ich den Stern des toten Sheriffs nehmen sollte.« In den Augen des Mädchens lag eine gewisse Anerkennung für den Mut und die Entschlossenheit des Fremden. »Ich danke Ihnen«, sagte sie nur. Dann erhob
auch sie sich. »Werden Sie für meinen Vater sorgen?« »Ich verspreche es Ihnen. Lassen Sie sich vom Salooner ein Zimmer geben.« Bill Oakland hatte das Gespräch verfolgt. Er grinste still in sich hinein. Wenn ihm sein Vorhaben gelang, war er beim Bürgerausschuß gut eingeführt. Eilfertig kam er hinter seiner Theke hervor und reichte dem Mädchen einen Schlüssel. »Tun Sie, was er Ihnen sagt, ich kenne ihn von früher. Cass ist ein hilfsbereiter Mensch. Sein Wort hat Gewicht.« Ines nahm den Schlüssel und ging nach oben. Cassedy trat an die Theke. »Was meinst du jetzt, Bill?« Der Salooner grinste. »War nicht schlecht. Aber jetzt mußt du noch mit Fallett fertig werden.« Der Californier lachte rauh. »Was soll’s?«
*
Aber der Rustlerboß Fallett schlief nicht in McRains Mietstall seinen Rausch aus. Er hatte mit seinen Männern vor einer Stunde die Stadt verlassen. Nicht, daß der Bandit geflohen wäre, daran dachte er gar nicht. Er hatte nur oben in Fort Fillmore ein kleines Geschäft vor. Dann wollte er zurück nach El Paso, um seine Macht in vollen Zügen zu genießen.
*
Deming, südlich New Mexico. Es war Mittag. Die Mainstreet war wie leergefegt. Nur zwei Männer standen
sich gegenüber. Der eine von ihnen war groß wie ein Hüne, seine Schultern hatten die Breite einer mittleren Stalltür. Sein grobes Gesicht war von einer merkwürdigen Häßlichkeit. Das linke Auge war von einer schmutziggrauen Binde verdeckt. Der Mund war breit. Er nannte sich Morgan Clegg. Aber es war eine große Frage, ob das sein wirklicher Name war. Es war ein weiter Weg, den Clegg hinter sich hatte. Er kam aus Denver in Colorado und war auf der Fährte jenes Mannes geritten, der jetzt kaum dreißig Yards vor ihm stand. Endlich war es soweit, hier in Deming hatte er ihn stellen können. Der andere hatte den Hut tief in die Stirn gezogen. Seine Kleidung war staubgepudert. Aber sah man die Augen unter den stark gesenkten Lidern – man vergaß den Staub. Man sah in Augen mit dem harten Glitzern eines Diamanten, Augen von der eisblauen Farbe eines Grönlandgletschers. Sein Gesicht war schmal, aber ebenso hart wie der Blick der eisigen Augen. Er trug einen enganliegenden Tuchanzug, an den Oberschenkeln hingen zwei schwere vernickelte Frontierrevolver vom Kaliber Western 45. Dieser Mann hieß Doktor John Holliday. Er war vor wenigen Minuten mit der Overland in Deming angekommen. Morgan Clegg hatte ihn bereits erwartet. Doc Holliday hatte den Mann sofort wiedererkannt. Es war in Denver gewesen, wo er Clegg gegenübergestanden hatte, in einem Saloon am Kartentisch. Doc Holliday konnte sich damals durch Notwehr im letzten Moment vor der tödlichen Kugel Cleggs retten. Das Blei des Georgiers streifte das Auge Morgans – und jetzt stand dieser Mann da, um Rache zu nehmen. Und wie er da stand! Er wußte, wer der Mann war, mit dem er kämpfen wollte, er kannte seinen Namen und seinen gefährlichen Ruf, aber nichts konnte ihn davon abhalten,
seine Rache zu üben. »Es ist soweit, Holliday«, grölte er über die Straße. »Da bleibt dir wohl die Spucke weg, Stadtfrack. An mich hast du sicher nicht mehr gedacht, und wenn, dann hast du es die längste Zeit getan.« Holliday hob nur leicht die Schultern. »Vielleicht. Aber ich habe nicht länger Lust, hier herumzustehen.« Das Lachen Morgan Cleggs wurde um einen Ton tiefer. »Hast du auch nicht nötig, mein Junge, denn du wirst bald länger liegen, als dir lieb ist. Du weißt schon Bescheid, Amigo.« »Was willst du, Clegg?« »Ich werde dich fertigmachen, du Schuft!« Holliday hob wieder die Schultern. »Du kannst es ja versuchen.« Morgan Cleggs Stimme hob sich um eine Oktave. »Wer redet hier von versuchen? In weniger als einer Minute wirst du nicht mehr atmen.« Der Sheriff von Deming stand auf der Schwelle seines Bureaus. Er hatte alles versucht, um den Kampf zu verhindern, aber es war ihm nicht gelungen. Jetzt machte er einen letzten Versuch. Sheriff Massey war ein plumper, fettleibiger Mann, aber er hatte bisher immer verstanden, den Frieden in seiner Stadt zu halten. Massey überquerte die Straße und blieb hinter Clegg stehen. »Mann, seien Sie doch nicht wahnsinnig«, begann er. »Ich habe Ihnen doch gesagt, wer Holliday ist und was Ihnen blüht, wenn Sie einen Kampf mit ihm anfangen.« Morgan Clegg wandte sich langsam um und blickte den Sheriff aus harten Augen an. »Yeah, das haben Sie. Und Ihre Bevormundung hängt mir allmählich zum Hals heraus. Kümmern Sie sich um Ihren Kram. Von euch Burschen ist ja noch keiner in der Lage gewesen, diesen Coltman unter die Weide zu schicken.« »Jetzt ist es genug!« zerschnitt Hollidays Stimme messerscharf die Luft. »Sheriff, gehen Sie in Ihren Bau. Für Sie ist jetzt kein Platz auf der Mainstreet.«
Massey fuhr mit der Hand wütend durch die Luft. »Dann knallt euch eben gegenseitig ab, und hoffentlich schluckt ihr beide den Staub, denn mehr seid ihr nicht wert.« Damit wandte er sich ab und ging zurück ins Office. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Morgan Clegg grinste hinter ihm her. »Das wurde langsam Zeit, Betbruder.« Dann wandte er sich an Holliday. »Und jetzt bist du an der Reihe, Amigo!« Doc Holliday stand bewegungslos da, mit hängenden Armen. Sein Gesicht war starr wie eine Maske. Ihm war nicht die geringste Erregung anzusehen. Er beobachtete nur das Gesicht seines Gegners, seine Hände interessierten ihn gar nicht. Eine bewährte Taktik! Aus dem Gesicht eines Menschen, aus seinen Augen konnte er jede bevorstehende Bewegung um einen Sekundenbruchteil früher erkennen. Die Sekunde hatte begonnen! Hinter den Türen, an den Fenstern und auf den Gehsteigen hielten die Männer den Atem an. Morgan Clegg zog mit einer Schnelligkeit seinen Colt, die man ihm gar nicht zugetraut hatte. Aber für Holliday war er doch nicht schnell genug. Er kam gar nicht dazu, den Hahn durchzuziehen. Ein einziger Schuß brüllte über die sonnenüberflutete Straße. Morgan Clegg wurde wie von einem Hammerschlag nach hinten geschleudert. Der Revolver entfiel seinen Händen. Er stieß einen gurgelnden Schrei aus und griff sich taumelnd nach der Brust. Er hatte noch die Kraft, für eine lange Minute auf den Beinen zu stehen, aber dann fiel er. Schwer schlug sein Körper in den knöcheltiefen Staub der Straße. Doc Holliday hatte seinen Colt bereits wieder aufgeladen und ihn ins Halfter gleiten lassen. Mit federnden Schritten durchmaß der Georgier die dreißig Yards, dann kniete er neben seinem gefallenen Gegner nieder. Er zog ihm das Hemd von der Brust und untersuchte die Wunde. Die Männer auf den Stepwalks waren noch starrr vor Staunen. Auch der Sheriff
hinter dem Fenster seines Bureaus war zu keiner Bewegung fähig. Das hatte noch niemand von ihnen erlebt. Alle hatten sie gesehen, daß Morgan Clegg zuerst gezogen hatte. Und doch war Doc Holliday der Sieger geblieben. Clegg öffnete langsam die Augen. Er blinzelte in den grellen Schein der Sonne. Noch wußte er nicht, was geschehen war. Dann erkannte er das Gesicht Hollidays über sich. »Du lebst also noch, Fellow?« röchelte er. Der Georgier nickte. »Ja, aber du auch, Amigo!« Selbst der tobende Schmerz in seiner Brust konnte Morgan nicht an einem breiten Grinsen hindern. »Dann hat der große Doc Holliday diesmal also nicht ins Schwarze getroffen?« Der Gambler schüttelte den Kopf. »Diesmal nicht«, gab er nur zur Antwort. Aber die Wahrheit sah anders aus. Es wäre ihm ein leichtes gewesen, diesen Mann zu töten. Er hatte absichtlich nicht auf das Herz Cleggs gezielt. Was bedeutete ihm schon dieser Mann? Was konnte er ihm schaden – und weshalb sollte er ihn töten? Inzwischen war es auf der Mainstreet lebendig geworden. Die Männer kamen aus den Türen, von den Stepwalks und hinter den Häecken hervor. Auch der Sheriff kam. Bei den beiden Kämpfern blieb er stehen. »Ist er tot?« fragte er mit einem giftigen Blick auf Holliday. »Wenn er bald zu einem Arzt kommt, wird er leben«, gab der Georgier zurück und erhob sich. Massey lachte gefühllos. »Weshalb habt ihr euch nicht gegenseitig umgebracht, he? Jetzt müssen wir diesen Tramp noch auf Kosten der Stadt verpflegen. Immer dieselbe Schweinerei.« Inzwischen hatte sich um die Gruppe ein Kreis von Männern gebildet. Ihre Gesichter waren nicht gerade freundlich. Ein schwerverwundeter Mann lag im Staub. Und ein Coltman, der den Namen Doc Holliday trug, stand hier mitten
unter ihnen. Deming war eine kleine, unbedeutende Stadt. Nur wenige Holzhä säumten die Straße, aber schon seit zwei Jahren hatte es keine Schießerei mehr gegeben. Und so sollte es auch bleiben. Der Sheriff teilte die Meinung der Männer, die ihn zum Gesetzesmann gewählt hatten. Und das brachte er auch zum Ausdruck. »Mister Holliday, ich fordere Sie auf, die Stadt mit der nächsten Overland zu verlassen. Sie wissen, daß ich dazu ein Recht habe.« Der Georgier blickte Massey lange stumm an. Unter diesem eisigen Blick senkte der Sheriff die Augen. Die stählernen Augen konnte man nicht ertragen. Holliday öffnete spaltbreit die Lippen. »Machen Sie sich keine Sorgen, ich werde weiterfahren«, sagte er nur, dann wandte er sich ab und ging die Straße hinunter. Vor der Albany Tavern blieb er stehen. Das Lokal gehörte zur Wells Fargo Station. Er zog seine goldende Uhr aus der Weste und ließ den Deckel aufschnappen. Es war dreizehn Uhr. Und die Overland nach Süden fuhr in zwei Stunden…
*
Wichita. Eine wilde Stadt, vielleicht die wildeste in ganz Kansas. Und deshalb war Wyatt Earp in dieser Stadt. Mit eiserner Faust regierte der Marshal in Wichita, hart aber gerecht. Er hatte nur einen Deputy, Ben Haley, einen achtundzwanzigjährigen harten Burschen. Sein Gesicht war schmal, kantig und tief gebräunt. Er hatte als Gesetzesmann die beste Schule hinter sich, die man sich in den Staaten denken konnte: Seit Monaten trug er für den Marshal Earp den Stern. Als der Bote aus El Paso das Office betrat, saß der Marshal hinterm Schreibtisch.
Larry Johnson blieb unwillkürlich auf der Schwelle stehen und betrachtete den großen, sehnigen Mann mit dem ernsten tiefgebräunten Gesicht und den seltsam eindrucksvollen Augen. Larry war noch blutjung, er hatte die Zwanzig gerade erreicht. Er war stolz, daß er diesen Auftrag hatte ausführen dürfen. Langsam schloß er die Tür hinter sich. Dann zog er unwillkürlich seinen Hut und blickte den Marshal an. »Ich suche Mister Earp.« Der Marshal hob den Kopf. »Sie brauchen nicht weiter zu suchen.« »Dann sind Sie der Marshal?« »Yeah.« Johnson trat an den Schreibtisch heran. »Der Townmayor von El Paso schickt mich.« »Und?« war die kurze Frage Earps. Larry Johnson preßte die Krempe seines Stetsons zwischen den Fäusten. Er war sonst nicht schüchtern, aber diesem Mann gegenüber fiel es ihm schwer, zu reden. »Sheriff Bradley ist erschossen worden.« Da erhob sich der Marshal. Sein Gesicht war noch ernster geworden. »Von wem?« »Ein Bandit war es.« »Wie heißt er?« »John Fallett.« »Und wo ist er jetzt?« Johnson hob die Schultern. »Als ich fortritt, war er noch in der Stadt. Und der Townmayor nimmt an, daß er dort bleiben wird.« Wyatt Earp nahm eine lange schwarze Zigarre aus der Westentasche und zündete sie nachdenklich an. »Also Fallett, der Rustler, war es?«
»Yeah, Marshal. Und Crus Wain, der Townmayor läßt Sie fragen, ob Sie uns helfen können.« Earp kam hinter seinem Schreibtisch hervor und trat ans Fenster. Der Rauch seiner Zigarre kräuselte sich zu verschlungenen Fäden hinter ihm. »Ich kann jetzt nicht fort von Wichita, mein Freund. Wir erwarten drei große Herden in den nächsten Tagen.« Das Gesicht des jungen Mannes wurde enttäuscht. »Also, Sie wollen uns nicht helfen?« Earp wandte sich um. »Wenn ich helfen kann, so tue ich es, dafür werde ich bezahlt«, sagte er einfach, aber seine Stimme war bitter. »So muß ich also allein zurückreiten?« wollte Johnson wissen. »Nein, ich gebe Ihnen meinen Deputy mit. Er wird tun, was er kann.« Larry Johnson senkte den Kopf. »Gegen den RustlerJohn Fallett wird ein Anfänger nichts ausrichten können.« Das Gesicht des Marshals wurde hart. »Männer, die ich auf einen gefährlichen Trail schicke, sind keine Anfänger.« In diesem Moment betrat Ben Haley das Office. Er trug einen ausgebleichten Lederanzug. Ein schmuckloser Waffengurt hing schräg unter seinem Gürtel. In der Armbeuge lag eine langläufige HamiltonFlinte. Er tippte mit zwei Fingern an die Hutkrempe. »Nichts los«, sagte er mit seltsam heiserer Stimme zu Wyatt. Der Marshal nickte und wies dann mit dem Daumen auf Johnson. »Er kommt aus El Paso.« Haley warf dem Boten einen kurzen Blick zu. Seine Augen schienen ohne Interesse zu sein. »Welchen Auftrag haben Sie für mich, Marshal?« Unter den harten Zügen Earps formte sich ein unmerkliches Lächeln. Er mochte diesen wortkargen Deputy gern. Der Mann war intelligent – und schnell. Er war
einfach dafür geschaffen, einen Stern zu tragen. »Sie werden mit diesem Mann nach El Paso reiten.« Dabei wies er auf Johnson. Haley nickte. »Und was soll ich dort?« »Der Sheriff ist von John Fallett getötet worden.« »Fallett, der Rustler?« »Ich nehme es an.« »All right, wann reiten wir?« fragte er dann Johnson. »Ich brauche ein anderes Pferd, dann können wir reiten«, erwiderte der Bote. »Nehmen Sie eines von unseren«, sagte der Marshal zu Haley. Der Deputy griff nach seiner linken Brustseite und zog den Stern ab. Er legte den Fünfzack auf den Schreibtisch. »Wann soll ich wiederkommen?« »Wenn es in El Paso wieder einen Sheriff gibt, Haley.« »All right, Marshal.« Dann verließ Haley mit Johnson das Office. Wyatt Earp stand am Fenster und blickte hinter den beiden Männern her. Er ahnte nicht, in welche Hölle er seinen Deputy soeben geschickt hatte.
*
In Deming war ein Schuß auf der Mainstreet gefallen, ein Mann lag im gelbbraunen Staub der Straße. Zur gleichen Stunde verließen zwei Reiter die Stadt Wichita. Und in El Paso mußte zu eben dieser Stunde ein Mann sterben.
Aber er hatte den Tod hundertfach verdient. Der Rustler John Fallett! Er ritt mit seinen Männern gegen Mittag in die Stadt ein. Sein Grauschimmel war schweißbedeckt. Ebenso die Pferde der anderen Reiter. Sie mußten einen harten Trail hinter sich haben. Sie waren bester Laune – und durstig. Vor dem Frontier Saloon sprangen sie aus den Sätteln. »Auf, Boys! Wir werden diesem geschniegelten Affen den ganzen Keller leerräumen!« rief John Fallett grölend. Die Rustler stimmten lachend zu. Einer von ihnen zog seinen Colt und schickte einige Kugeln in die Fenster des Saloons. Scheiben klirrten. Der Rustler stieß mit dem Stiefel die Pendeltür auf. Krachend flogen die Flügel nach innen. Der eine riß sich aus den Angeln und schlug zu Boden. Der Viehdieb lachte dröhnend. »Die ganze Bude ist keinen Cent wert.« Dann trat er ein. Hinter der Schwelle blieb er stehen. In diesem Augenblick schlug die Standuhr hinter der Theke einmal. Es war dreizehn Uhr. Der Schankraum war fast leer. Trübes Licht fiel durch die staubigen Scheiben ins Lokal. An der Theke stand nur ein Mann – Cass Cassedy! Aber noch hatte der Rustler ihn nicht erkannt. Vielleicht lag es an der protzigen Kleidung des Californiers, vielleicht auch an dem Dämmerlicht, das im Saloon herrschte. Mit polternden Schritten ging Fallett zur Theke. Bill Oakland blickte ihm aus zusammengekniffenen Augen entgegen. Er fühlte sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Alles war vorbereitet. Schon vor zehn Minuten hatte ein Mann die Rustler angemeldet. Er hatte vor der Stadt, hinter einem Gebüsch verborgen, die Straße
beobachtet. Jetzt war es also soweit. John Fallett und Cass Cassedy! Der Rustler hatte dem Californier nur einen kurzen Blick zugeworfen, dann schlug er mit der Faust auf die Theke, daß es nur so krachte. »Whisky!« brüllte er. Bill Oakland zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern. Aber dann antwortete er unerschrocken: »Und wie ist es mit Dollars?« Der Rustler drehte sich nach seinen Männern um. »Was sagt ihr dazu, Boys? Er will Dollars von uns.« »Wir haben doch keinen Cent, Boß«, erwiderte einer. Fallett nickte langsam und bestätigend. »Genauso ist es, Boys. Die Geschäfte gehen jetzt schlecht, und dieser Gent will Dollars von uns. Das finde ich nicht nett von ihm. Er hat bestimmt eine Menge Bucks und könnte uns einige davon abgeben.« Dann, nach einer Pause, fuhr er gedehnt fort: »Aber soweit sind wir ja noch nicht. Wir wollen lediglich einige Flaschen Whisky.« »Könnt ihr haben, wenn ihr bezahlt«, sagte Oakland, aber seine Stimme war schon merklich unsicherer geworden. Er warf Cassedy einen flehenden Blick zu. Dieser aber beachtete den Salooner gar nicht. Er hatte nur Augen für Fallett. Der Rustler gebärdete sich plötzlich wie ein wildgewordener Stier. »Jetzt ist’s aber genug!« brüllte er über die Theke und zog seinen Colt. Die Mündung richtete sich genau auf die Stirn des Salooners. »Raus mit den Flaschen!« Und in diesem Momet schaltete sich Cass Cassedy ein. Er hatte bereits beide Waffen aus dem Kreuzgurt gezogen. Die eine war auf Fallett gerichtet und die andere auf dessen Männer. »Laß den Colt fallen, John Fallett«, sagte er gefährlich leise. Der Bandit ließ den Colt nicht fallen. Er wandte den Kopf und blickte den Californier an. »Was soll das?« fragte er.
Cassedy lachte rauh. »Diesmal hast du es mit mir zu tun, Fallett. Ich verstehe keinen Spaß. Bei der geringsten Bewegung bekommst du eine Kugel.« Der Rustler stand unbeweglich. Seine Waffe hatte sich gesenkt, aber sie war noch in seiner Hand. »Wer bist du?« fragte er und zermarterte sich den Kopf, wo er diesen Mann bereits einmal gesehen hatte. Aber es wollte ihm nicht einfallen. Der Californier grinste nur. »Wer ich bin, wirst du gleich erfahren, aber vorher schickst du diese Burschen weg.« Dabei wies er auf die anderen Rustler. »Ich bin doch nicht lebensmüde«, knurrte Fallett. Da brüllte ein Schuß durch den Saloon. Die Kugel riß John Fallett den verwitterten Hut vom Schädel. »Die nächste Kugel sitzt woanders, John«, sagte Cassedy kalt. »Und jetzt sag den Burschen, daß sie verschwinden sollen. Und wenn sich auch nur einer von ihnen in der Stadt blicken läßt, bist du ein toter Mann.« Der Rustler schluckte schwer. Aber es blieb ihm nichts anders übrig, als dieser Aufforderung Folge zu leisten. »Verschwindet, Boys! Wir treffen uns am Abend in Fillmore.« Die Männer lösten sich langsam und unwillig von der Theke. Sie konnten ihren Boß nicht mehr verstehen. Wie konnte er sich von diesem aufgeputzten Burschen nur so abfertigen lassen. Aber sie gingen. Die Rustler waren gewohnt, zu gehorchen. Die Pendeltür schwang hinter ihnen krächzend in ihren Angeln. Nun waren die anderen allein; Bill Oakland, Crus Wain, der Townmayor. Der Salooner hatte ihn aus einem besonderen Grund hergebeten – ihn und Cass Cassedy. Der Californier richtete jetzt beide Waffen auf den Viehdieb. »Läßt du nun deinen Colt fallen, John Fallett?« Dem Rustler brach zum erstenmal in seinem Leben der kalte Schweiß aus. »Wer bist du?« keuchte er, behielt aber den Revolver immer noch in der Hand.
»Mein Name ist Cass Cassedy. Und vielleicht erinnerst du dich an Nevada, an Palmetto, an den grünen Spieltisch, in den du zwei Löcher gebrannt hast.« Der Rustler zog die Brauen zusammen, um sie gleich darauf erstaunt zu heben. Der Anflug eines Grinsens wischte über sein Gesicht. Hatte er doch schon gedacht, einen Staatenreiter vor sich zu haben. Und da stand der Falschspieler Cassedy. Damned, der Mann hatte sich mächtig rausgemacht. Fallett schob seine Waffe wieder ins Halfter zurück. Er tat es nicht, weil er den Kampf aufgab, sondern weil er die Regeln des Westens kannte: Einen Mann ohne Waffe in der Hand konnte man nicht niederschießen. »Also, du bist der Falschspieler aus Palmetto und hast den kleinen Scherz von damals nicht vergessen können.« Das Gesicht des Californiers krampfte sich zusammen und wurde grau. »Falschspieler hast du gesagt? Du weißt, daß es auf dieses Wort nur eine Antwort gibt?« Yeah, das wußte der Rustler. Aber er wußte noch mehr. »Ein Spieler, der die Karten nicht aus den Rockaufschlägen zieht, würde darauf mit Blei antworten – aber nur – wenn er einem Gegner gegenübersteht, der eine Waffe in der Hand hält.« »Dann zieh deinen Colt, du Schuft!« fauchte Cassedy wild. Das aber tat der Rustler nicht, er grinste nur. »Den Dreh kenne ich, Amigo. Erst steckst du dein Eisen ein, dann können wir weiterreden.« Cassedy war sich seiner Sache vollkommen sicher. Er hatte in den letzten Jahren gelernt, mit dem Colt umzugehen. Mit diesem Boy wollte er schnell fertig werden. Gelassen schob er beide Colts ins Halfter. »Kann es jetzt losgehen, du verdammter Sheriffmörder?« Diese Worte waren für den Townmayor gedacht, der im Hintergrund des Saloons der Szene mit fiebernden Augen zusah. Der Rustler stieß einen bellenden Laut aus, und dann schlug er mit einer Pranke
aufs Halfter, der Colt sprang heraus. Die Waffe wirbelte durch die Luft und landete in der offenen Hand des Rustlers. Aber da blieb sie. Die Hände des Mannes hatten nicht mehr die Kraft, von dem Revolver Gebrauch zu machen, seine Finger erlahmten, die Arme fielen kraftlos nach unten. Es war nur eine Kugel, die seinen Körper durchbohrt hatte, und diese Kugel hatte sein Leben zerschlagen. Der Californier war schneller gewesen. Ein Mörder hatte seinen Mörder gerichtet. Cass Cassedy schob triumphierend den rauchenden Colt ins Halfter. »Der ist da, wohin er gehört«, sagte er gefühllos. Dann wandte er sich an den Salooner. »Gib mir einen Whisky, Bill.« Der Name Bill ließ den Townmayor Crus Wain aufhorchen. Er hatte mit einem gewissen Ekel der Szene zugesehen. Bill hatte der Fremde gesagt? Also war er ein Bekannter des Salooners! Und Wain war alles andere als ein Freund Bill Oaklands. Gut, der Mord am Sheriff war gerächt, aber er hätte es lieber gesehen, wenn das auf eine gesetzliche Weise geschehen wäre. Der Keeper wandte sich mit Grandezzaschritten hinter seiner Theke hervor. Er warf Cassedy einen kurzen Blick zu, und dann ging er zum Townmayor hinüber. »Was sagen Sie nun?« fragte er stolz. Wain blinzelte ihn aus zusammengekniffenen, alten Augen an. »Nichts.« Bill Oakland tat erstaunt. »Wieso nichts? Sie müßten diesem Mann doch danken, daß er wieder Ordnung in der Stadt geschafft hat.« »Die Methode will mir nicht gefallen.« »Was heißt hier Methode?« begehrte der Salooner auf. Dann wies er auf den toten Rustler. »Dort liegt ein Sheriffmörder. Ein mutiger Mann ist in die Stadt gekommen, um Bradley zu rächen. Niemand kennt ihn, und doch hat er sein Leben für El Paso aufs Spiel gesetzt.«
Crus Wain verzog sein Gesicht in mißtrauische Falten. »Sie auf jeden Fall scheinen ihn zu kennen.« »Ich? Wie kommen Sie darauf?« »Einen Fremden duzt man nicht.« Dann ließ er seine Augen an der eleganten, fast überreichen Kleidung des Falschspielers heruntergleiten. »Zumal, wenn er so aussieht, wie dieser Stranger. So long, Gents.« Und dann ging er. Zurück blieb eine lange Minute betretenes Schweigen. Und zwei Männer, die glaubten, einen Sieg errungen zu haben, und doch eine Niederlage einstecken mußten. Aber sie kamen schnell darüber hinweg. Cass Cassedy bekam zwar nicht den Stern, aber er beherrschte die Stadt. Und El Paso zerfiel in zwei Lager. Die einen waren für Cassedy – un die anderen warteten auf Wyatt Earp. Und als dann an einem Morgen Ben Haley und Larry Johnson nach El Paso kamen, versank jede Hoffnung.
*
Die Männer vom Bürgerausschuß hatten Ben Haley zum Sheriff gemacht. Cass Cassedy und Bill Oakland kochten vor Wut, aber sie konnten nichts machen. Ben Haley war der neue Sheriff von El Paso. Er versuchte, Ordnung in der Stadt zu schaffen. Zunächst erließ er die Anordnung, daß die Saloons ab elf Uhr abends geschlossen sein mußten. Und das regte nicht nur die Salooner auf, sondern auch die Männer an den Spieltischen, die gern ihre Pokerpartie zu Ende gespielt hätten. Cass Cassedy stand an der Bar vom Frontier Saloon. Bill Oakland stand hinter der Theke. »Ein verdammter Job, den du mir da zuschustern wolltest«, knurrte der
Californier bissig. »Du wirst auch mit Haley fertig werden«, versuchte der Keeper, ihn zu beruhigen. »Er ist kein Anfänger!« bellte Cassedy gereizt. »Er hat den Stern und nicht ich.« »Das wird sich ändern, sobald du ihn beseitigt hast.« Der Californier lachte bitter. »Vielleicht kannst du mir das einmal vorführen.« Es war an einem Mittag, als sich die beiden Männer unterhielten, und in genau dreißig Minuten sollte die Overland aus dem Norden eintreffen.
*
Die Wells Fargo Coach ratterte mit staubigen Rädern an den Ufern des Rio Grande del Norte entlang. Sie fuhr nach Süden, der texanischen Grenze entgegen. Und in dieser Overland, die den Staub der Straße zermahlte, saßen nur zwei Männer. Der eine von ihnen sah aus wie ein französischer Adeliger. Er hatte unter der schmalen Geiernase einen scharfgeschnittenen Menjoubart. Sein Anzug war von taubengrauer Farbe. Er trug keinen Colt, und ein Fünfundvierziger hätte auch nicht zu seinem bornierten Gesicht gepaßt. Der Mann nannte sich Francois de Germain. Er war Franzose, aber dieses »de«, dieser Adelstitel, der stimmte nicht ganz. Germain war in Marseille geboren, als Sohn eines Hafenarbeiters. Von der Polizei wegen einiger Diebstähle gesucht, mußte er seine Heimat verlassen. Sein Ziel war New Orleans gewesen. Er hatte es erreicht und war dann wie eine kleine räuberische Ratte durch die Staaten gezogen. Der Mann, der ihm gegenübersaß, war Doc Holliday. Er hatte bisher dem
redefreudigen Franzosen kaum geantwortet. Der Georgier hatte die Absicht, nach Mexiko zu gehen. In diesem Staat war er bisher noch nicht gewesen – und er hoffte, daß man dort seinen Namen nicht kannte. Aber die Overland fuhr nur bis El Paso. Dort mußten sie übernachten, denn der nächste Wagen nach Chihuahu ging erst am kommenden Morgen. Francois de Germain hatte sich inzwischen bereits dreimal vorgestellt, aber Holliday hatte seinen Namen noch nicht genannt. Und es war anzunehmen, daß der Franzose ihn auch nicht kannte. »Sie wollen also auch nach El Paso, Monsieur?« versuchte er es zum wiederholten Male. Der Georgier nickte gelangweilt. »Yeah, das will ich.« »Das finde ich trefflich«, erwiderte der Franzose. »Ich wollte auch in diese Stadt. Man hat mir erzählt, daß es dort treffliche Spieler geben soll. Ich war noch nie in dieser Grenzstadt. Waren Sie schon einmal dort?« Holliday nickte nur. »Ich war dort.« »Trefflich, trefflich«, näselte der Franzose. »Wie ich annehme, spielen Sie auch. Vielleicht können wir uns den Abend angenehm vertreiben. Spielen Sie?« »Zuweilen.« Der Franzose kicherte gekünstelt. »So etwas sieht Francois sofort. Er hat ein Auge dafür.« Er blickte zum Fenster hinaus und rieb sich die Hände. »Wir müssen bald da sein.« »Es wird noch eine Weile dauern«, erwiderte der Doc und schloß die Augen. Er wollte dem Gespräch ein Ende setzen.
*
Kid Oakland, der Bruder des Salooners, war ein Bursche übelster Sorte, ein Schießer, der schon einige Jahre hinter Gittern gesessen hatte. Der Keeper sah ihn lieber gehen als kommen, er hatte ständig Ärger durch ihn. Wenn er da war, kam es meistens zu Schießereien in seinem Saloon. Diesmal war Kid Oakland wieder aufgetaucht. Woher er kam, das mochte der Teufel wissen. Aber für die Begriffe seines Bruders kam er zum erstenmal im richtigen Moment. »Damned, daß man dich auch einmal wiedersieht«, tat er übertrieben freundlich und schüttelte seinem Bruder die Hand. Kid verzog das blasse Gesicht. »Hier stimmt doch etwas nicht, Brother!« »Was soll nicht stimmen?« polterte Bill jovial los. »Kann man sich nicht freuen, wenn sein Bruder kommt.« »Das kann man«, sagte Kid zynisch. »Aber du gehörst nicht zu der Sorte von Männern, die sich darüber freuen, wenn ein Bruder auftaucht.« Kid Oakland war ein kaltgesichtiger Mann. Seine schrägstehenden Augen waren kalkfarben und stechend. Er war schmalbrüstig, aber sehnig und ungeheuer flink. Am schnellsten aber waren seine Hände. Es waren schmale, lange Hände, mit bleichen, knöchernen Fingern. Geschickte Hände, die es verstanden, einen Colt aus dem Halfter zu zaubern. Der Salooner schenkte seinem Bruder einen doppelten Whisky ein. »Hier, trink erst einmal. Was führt dich in die Stadt?« Kid trank und grinste schräg. »Ich brauche Geld.« »Geld also«, sagte Bill und zog die Stirn in Falten. »Die Geschäfte gehen schlecht«, log er stöhnend. »Diesmal kann ich dir kaum etwas geben.« Dann unterbrach er sich und strich sich mit der Hand über die Augen. »Moment mal, da kommt mir eine Idee. Wenn du willst, kannst du dir eine Menge Dollars verdienen.« Der Schießer zog mißtrauisch die Brauen zusammen. »Du hast doch nicht im
Ernst die Absicht, deinem Bruder zu helfen? Ohne jede Nebenabsichten? Wenn du mir geholfen hast, dann hattest du immer deinen besonderen Grund. Und der Grund waren Dollars, die du durch mich verdient hast.« Der Salooner schenkte Kids Glas noch einmal voll. »Diesmal ist es anders. Ich will nicht bestreiten, daß ich auch meine Interessen im Auge hatte, wenn ich dir ein Geschäft vermittelt habe.« Kid Oakland kicherte abfällig. »Hattest du Interessen gesagt? Ein guter Witz. Ich habe mein Leben riskiert… und du hast dafür eine Menge Dollars in deine schmutzigen Taschen gesteckt.« Der Salooner wischte diesen Vorwurf mit einer vagen Handbewegung fort. »Mach, was du willst, Kid. Ich habe mit der Sache nichts zu tun. Es ist diesmal nicht mein Geschäft, um das es geht. Wenn du Interesse hast, bringe ich dich mit dem Mann zusammen, der den Auftrag zu vergeben hat.« Der Schießer grinste wieder. »Was heißt Interesse? Mir bleibt ja kein anderer Ausweg. Ich bin pleite. Um was geht es also?« »Das soll er dir selbst sagen«, versetzte der Keeper. »Ich werde ihn holen.« Kid Oakland blickte hinter ihm her, bis sein Bruder auf dem letzten Treppenabsatz verschwand. Der Saloon war leer. Der Schießer griff über die Theke und zog die Kassenlade heraus. Es waren nicht viele Dollars in den Fächern, aber Kid griff sie mit geschickten Fingern und schob das Geld in die Tasche.
*
Cass Cassedy war angezogen, aber er lag lang ausgestreckt auf seinem Bett. Der Californier war schlechter Laune, als der Salooner sein Zimmer betrat. In seinem rechten Mundwinkel hing der Rest einer erloschenen Zigarette.
»Was willst du?« »Mein Bruder ist gekommen.« »Dann feiert ein Fest. Was geht das mich an?« »Er braucht Geld«, meinte der Salooner verhalten. »Dann gib ihm welches.« Bill Oakland lachte gequält. »Ich bin doch nicht wahnsinnig.« »Den Vorschlägen nach zu schließen, die du mir gemacht hast, bist du es.« »Noch nicht«, erwiderte der Keeper, dann hob er etwas die Stimme. »Mein Bruder ist ein verteufelter Schießer. Für einige Dollars holt er sich jeden Mann vor den Colt.« »Das kann er ja machen.« »Und wie wär’s mit Ben Haley?« Da erst erhob sich der Californier. »Würde er das tun?« Oakland zuckte mit der rechten Schulter. »Du kannst es nicht, wenn du in der Stadt Sheriff werden willst.« »Das weiß ich. Weiter!« Der Salooner massierte sich die Lippen. Dann meinte er: »Wir müssen es geschickt anfangen. Mir traut der Bursche nicht. Ich habe ihm gesagt, ich wüßte ein Geschäft für ihn, mit dem ich nichts zu schaffen habe. Du wirst nach unten kommen und ihm den Vorschlag machen, Haley zu beseitigen. Um einen Grund ist Kid nie verlegen. Und wenn er es geschafft hat, dann machst du ihn fertig.« Der Californier stieß den Kopf nach vorn. »Wen soll ich dann fertigmachen?« »Wen schon? Meinen Bruder! Er taugt sowieso nichts.« Die Augen des Mörders Cass Cassedy wurden rund wie Dollarstücke. Er glaubte sich verhört zu haben. »Du sagst mir also, ich soll deinen eigenen Bruder aus
den Stiefeln schießen?« Der Salooner nickte, als sei dieser Aufforderung keine besondere Bedeutung beizumessen. »Yeah, genau das. Was ist dabei? Er wird ohnehin eines Tages einem Mann gegenüberstehen, der schneller ist als er. Kommt es darauf an, ob er ein paar Wochen früher oder später ins Gras beißt? So bringt er uns wenigstens noch etwas ein. Geld hat mich dieser Bursche schon genug gekostet.« Diesen Brocken zu schlucken, fiel selbst dem kaltherzigen Banditen Cass Cassedy schwer. Er schreckte vor keinem Mord zurück, aber daß ein Mann seinen Bruder töten ließ, nur um daraus ein Geschäft zu machen, das ging selbst dem ausgekochten Verbrecher gegen den Strich. »Sag mal, hast du einen zuviel genommen, Bill? Oder bist du krank?« »Ich bin weder betrunken noch krank«, versetzte der Salooner hart. »Überleg nicht lange und komm mit nach unten. Ihr setzt euch an einen Tisch und besprecht die Sache. Bei Kid brauchst du kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Gib ihm den Auftrag und versprich ihm meinetwegen tausend Dollar. Aber eines will ich dir noch sagen: Du mußt ihn von hinten wegpusten, er ist schneller als du.« Diese Feststellung hörte kein Schießer gern. »Vielleicht ist es besser, das mir zu überlassen.« »Ich wollte dich nur warnen.« »Ich weiß selbst, was ich zu tun habe«, erwiderte der Californier, dann nahm er den Sombrero vom Haken und stülpte ihn auf den Kopf. Von dem Salooner gefolgt, verließ er das Zimmer.
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Kid Oakland hatte sich inzwischen eine halbe Flasche Whisky eingetrichtert. Seine Augen waren gerötet, und er stand nicht mehr ganz sicher auf den Beinen.
Er blickte seinem Bruder und dem Californier entgegen. Als er die Aufmachung Cassedys erkannte, lachte er schallend. »Wer ist denn dieser Zirkusclown?« Das allerdings war die größte Beleidigung, die man dem Californier zufügen konnte. Er legte großen Wert auf sein Aussehen und hatte bisher selbst noch nicht bemerkt, daß er in dieser protzigen Aufmachung schon mehr als lächerlich wirkte. Seine Hand fiel auf den Coltgriff. Doch der Salooner hielt ihn zurück. »Nehmen Sie es ihm nicht übel, Señor«, beteuerte er, jetzt die förmliche Anrede benutzend. »Er hat manchmal einen losen Mund.« Dann warf er dem Bruder einen warnenden Blick zu. »Hier ist der Mann, der dir aus der Klemme helfen kann, Kid.« »Ach, so ist das«, lenkte jetzt auch der Schießer ein. Mit einem Mann, der ihm mit Dollars wieder auf die Beine helfen sollte, konnte man es nicht verderben. »Nichts für ungut, Mister. Mein Bruder hat ja recht. Ich bin schlecht erzogen worden. Kommt leider immer wieder durch. Vielleicht bessere ich mich noch einmal.« »Es könnte gesünder für Sie sein«, erwiderte Cassedy bissig. Dann überwand er sich und ging auf den Mann zu und reichte ihm die Hand. »Wollen wir uns nicht einen Moment setzen?« Kid Oakland nickte. »Keine schlechte Idee, wenn Bill uns eine Flasche Whisky bringt.« Der Salooner hatte die Flasche bereits in der Hand und kam mit zwei Gläsern hinter der Theke hervor. »Bedient euch, Gents. Diesmal geht es auf die Rechnung des Hauses.« Kid lachte heiser. »Bist du neuerdings in die Kirche eingetreten, Bill?« höhnte er, dann wandte er sich an den Californier. »Mir hat er früher jeden Whisky doppelt angeschrieben, der alte Geizhals.« Der Salooner wandte sich mit einem Knurren ab und ging zur Theke zurück. Der Handel mit dem Tod begann am Fenstertisch des Frontier Saloons in El Paso. Die beiden Schurken wurden sich einig. Es dauerte kaum zehn Minuten. Kid Oakland rieb sich vergnügt die Hände. »Also Wyatt Earp hat den
Polizeihund geschickt. Wenn ich nicht zufällig Dollars bräuchte, würde ich die Angelegenheit gratis erledigen.« »Und weshalb?« »Weil ich mit diesem Kerl noch eine alte Rechnung zu begleichen habe. Er hat mich von Dodge aus einmal hinter die Mauern geschickt. Drei Jahre lang, und das werde ich ihm nie vergessen.« Dann erhob er sich. »Wo ist der Sheriff jetzt?« Der Californier erhob sich auch. »Was, wollen Sie jetzt schon anfangen?« »Weshalb soll ich warten, ich brauche Dollars.« Cassedy blickte zu dem Salooner hinüber. Der hob nur die Schultern und nickte. Da schob Cassedy seinen Sombrero mit dem rechten Daumen in den Nacken. »All right, wenn Sie wollen. Wenn ich mich nicht irre, ist er um diese Zeit im Office.« Kid Oakland zog den Coltgurt hoch und ging zur Pendeltür. Dort blieb er noch einmal stehen und wandte sich um. »Mach mir inzwischen ein Steak, Bill. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.« Dann verließ er den Saloon. Die beiden Zurückgebliebenden blickten sich wortlos an. Der Salooner goß sich einen doppelten Whisky ein und kippte ihn mit einem Ruck in die Kehle. Cassedy klemmte sich eine Zigarette zwischen die Lippen. Er vergaß aber, sie anzuzünden. Er zog seine Colts aus den Halftern und überprüfte die Kammern. Dann schob er sie wieder in die Futterale zurück. »Ich glaube, daß ich gehen muß«, sagte er tonlos. Bill nickte bestätigend. »Ich glaube auch; ich sagte dir ja. Kid ist verdammt schnell!«
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Ben Haley zog die Tür des Office hinter sich zu und schloß ab. Er hatte die Absicht, im Frontier Saloon zu Mittag zu essen. Er ging nicht gern in dieses Lokal. Irgendwie empfand er die Ablehnung, die ihm der Keeper entgegenbrachte. Crus Wain hatte ihm auch von Cassedy erzählt und von der Absicht des Salooners, den Tramp in El Paso zum Sheriff zu machen. Ben Haley ahnte die Zusammenhänge. Als er den schweren Schlüssel eingesteckt hatte und die Straße überqueren wollte, sah er einen Mann mitten auf der Fahrbahn stehen. Es war Kid Oakland. Seine Haltung war unmißverständlich. Der Sheriff blieb im Schatten des Vorbaudaches stehen und blickte aus zusammengekniffenen Augen zu dem Mann hinüber. Der Schießer hatte die rechte Hand schwer auf den Coltgriff seiner Waffe gestützt. In seinem gipsigen Gesicht hatte sich ein kaltes Grinsen festgefressen. »Sind Sie Ben Haley?« rief er über die Straße. »Der bin ich. Was wollen Sie?« Der Schießer lachte heiser. »Ich wollte Ihnen einen Gruß ausrichten, von einem Mann, dem Sie einen Platz auf dem Boot Hill von Wingate verschafft haben«, log der Bandit frech. Der Sheriff wußte sofort Bescheid. Er hatte die Stadt Wingate in New Mexico noch nie betreten. Vor ihm stand ein Schießer, der ihm einen Gruß mit Blei ausrichten sollte, und er konnte sich ausmalen, wer der Absender war, denn drüben, kaum vierzig Yards entfernt, unter dem Eingang des Frontier Saloons, standen zwei Männer: Cass Cassedy und Bill Oakland. Aber Haley ging doch noch auf das Gespräch ein. Obwohl er wußte, was die
kommenden Minuten bringen würden. Vielleicht gelang es ihm noch, einen sinnlosen Kampf zu vermeiden. »Ich bin noch nie in Wingate gewesen.« Der Bandit lachte schrill. »So ist es immer. Erst anständige Männer voll Blei pumpen, und dann weiß man von nichts mehr.« Der Sheriff trat bis ans Vorbaugitter und stützte sich mit beiden Händen auf den Querholm. »Ich weiß zwar nicht, was Sie vorhaben, aber einen guten Rat kann ich Ihnen geben: Verschwinden Sie – und wenn Sie schlau sind, ganz schnell!« Kid Oakland blieb stehen. »Das könnte Ihnen so en, Sheriff von El Paso«, die Worte flossen hohntriefend von seinen Lippen. »Ein Mörder, der sich hinter einem Stern verbirgt.« Die Worte galten mehr den Männern, die sich, aufmerksam geworden, auf den Gehsteigen versammelt hatten. Und sie kamen auch an die richtige Adresse. Einigen Bürgern war es nicht recht gewesen, daß Crus Wain über ihre Köpfe hinweg Haley zum Sheriff gemacht hatte. Schließlich war es jener aufgeputzte Fremde gewesen, der sie von dem Viehdieb Fallett befreit hatte. Er wollte den Stern, aber der Townmayor hatte ihn dem Mann verweigert. Ben Haley spürte förmlich die Kälte, die ihm von den Männern zuwehte. Es war ihm klar, daß er allein auf einem verlorenen Posten stand. Hoch reckte er sich auf und betrat die Fahrstraße. »Ich frage Sie zum letztenmal: Was wollen Sie?« »Wenn ich mich nicht irre, werden Sie das gleich wissen, Sheriff.« Und dann riß er seinen Colt aus dem Halfter und schrie: »Zieh, Haley.« Der Sheriff zog im Fallen. Er warf sich blitzschnell zu Boden, aus seinem Colt peitschte dem Banditen ein Feuerstrahl entgegen. Auch Kid hatte geschossen, zweimal. Aber das heiße Blei aus seinen Revolvern hatte nur Löcher in die flimmernde Mittagsluft gebohrt. Oakland fiel und starb. Die Welt war nicht ärmer geworden. Es gab einen Schurken, einen Mörder weniger im Westen.
Aber damit gaben sich die beiden Männer vor dem Saloon nicht zufrieden. Cassedy wollte auf die Straße springen, aber der Keeper hielt ihn zurück. »Stop, nicht so! Der Bursche scheint bei Wyatt Earp eine gute Schule durchgemacht zu haben. Wir gehen rein, ich muß mit dir sprechen.« Der Californier folgte nur unwillig. Kaum war die Pendeltür hinter ihnen zugeschwungen, da begann Oakland: »Jetzt mußt du ihn erledigen. Die Zeit ist reif. Du sagst, Kid sei dein Freund gewesen. Aber ich werde vorher einige Männer besorgen, die sich auf der Balustrade meines Hauses verbergen. Für alle Fälle, verstehst du?« Cassedy hatte verstanden. »Also los, ich habe keine Lust, noch länger zu warten.«
*
Die Schüsse hatten die meisten Bürger auf die Straße gelockt. In einem weiten Kreis umstanden sie den Toten. Eine Menge Männer warfen dem Sheriff finstere Blicke zu. Da kam auch Crus Wain, der Townmayor. »Damned, was ist denn jetzt schon wieder los?« belferte er heiser. »Wer hat den Mann erschossen, Sheriff?« Ein anderer, ein Zuschauer, gab die Antwort. Er wies mit der Hand auf Haley. »Er hat ihn umgelegt.« Wain hob erstaunt den alten Kopf und blickte Haley an. »Umgelegt?« »Er hat mich angegriffen.« Es klang fast wie eine Entschuldigung. Der Townmayor sah sich den Toten näher an. »Damned, den Burschen kenn ich doch«, stieß er hervor. Dann schlug er sich mit der Hand vor die Stirn. »Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Oaklands Bruder.« Aber aus seiner Stimme klang kein Mitleid bei diesen Worten.
Wain kannte Kid Oakland. Er wußte, was der Bursche schon alles angestellt hatte. Da schob sich ein Mann durch den Ring der Männer. Es war der Salooner. »Es ist mein Bruder – und dort steht sein Mörder.« Dabei deutete er auf den Sheriff. Und hinter Oakland kam Cass Cassedy. Er schob die Männer hastig beiseite und kniete neben dem Toten nieder. »Wer hat das getan?« keuchte er mit verstellter Stimme. »Wer hat das getan?« Dann hob er den Kopf und blickte sich wild um. Der Sheriff hatte das Theater durchschaut. »Wenn Sie nichts dagegen haben, dann war ich es, der sich seiner Haut gewehrt hat. Schließlich standen Sie ja auf dem Gehsteig und haben alles mitangesehen.« Der Californier erhob sich langsam. Mit hängenden Armen stand er wie ein sprungbereiter Silberlöwe da. »Sie also haben diesen blutjungen Menschen auf dem Gewissen?« »So kann man es auch nennen.« Die dunklen Augen des Californiers schienen Blitze zu schleudern. »Und das wagen Sie so ohne weiteres zu sagen, Sie Henkersknecht? Dieser Mann war mein bester Freund. Sie haben ihn getötet, und dafür werden Sie büßen. Jetzt! Hier! Auf der Stelle.« Der Gunfight war nicht mehr zu verhindern. Die Männer verschwanden von der Straße. Crus Wain machte noch einen letzten Versuch. »Es muß erst einmal geklärt werden, was hier geschehen ist.« »Aus dem Weg, Alter!« herrschte ihn der Californier an. »Was hier zu klären ist, kann ich allein besorgen.« Ben Haley war zurückgetreten. »Verdammte Stadt!« quetschte er zwischen gepreßten Zähnen hervor. Er mußte unwillkürlich an den Marshal oben in Wichita denken. Wie hätte Wyatt Earp sich wohl in seiner Lage verhalten?
Dann wurde es ihm klar: der große Marshal wäre nie in eine solche Situation geraten. Schon wenn er auftauchte, dann zitterten die Colts in den Händen der Banditen. Aber Ben Haley hatte keine Zeit mehr, seinen Gedanken nachzuhängen. Der Californier stand mit gespreizten Beinen kaum fünfundzwanzig Yards vor ihm. Und zwischen ihnen lag der Tote. »Jetzt geht’s aufs Ganze, Boy. Wo soll ich dir ein Loch ins Fell brennen, im Schädel oder in der Brust?« Der Sheriff gab keine Antwort. Er lauschte über den Rücken nach hinten. Deutlich war das Poltern und Rumpeln eines Wagens zu vernehmen. Yeah, die Overland, fuhr es ihm durch den Kopf. Sie mußte um diese Stunde kommen. Auch der Californier hatte das Geräusch vernommen, und nach einigen Sekunden konnte er die Overland in die Mainstreet einbiegen sehen. Das hatte ihm noch gefehlt. »Los, ziehen Sie!« brüllte er zum Sheriff hinüber. Ben Haley schüttelte den Kopf. »Warten Sie, bis die Overland vorüber ist.« »Einen Teufel werde ich tun. Sie wollen sich nur drücken.« »Ich gebe Ihnen mein Wort«, beharrte Haley. »Sie sollen Ihren Kampf haben, aber erst, wenn der Wagen vorüber ist.« Der Wagen war schon da. Der Fahrer zog den Bremshebel nach oben. Er hatte mit einem Blick die Situation erkannt. Neben dem Sheriff brachte er den Wagen zum Stehen. »Fahren Sie weiter, Mann!« rief Ben Haley dem Fahrer zu und ließ dabei den Californier nicht aus den Augen. Cass Cassedy hatte einen kurzen Blick zur Balustrade des Saloons geworfen. Er
konnte die beiden Gewehrläufe und die geduckten Köpfe erkennen. Aber es gab noch zwei Augen, die die bezahlten Meuchelmörder erkannt hatten. Es waren eisblaue Augen, die Doc Holliday gehörten. Er hatte den Wagenschlag geöffnet, aber die Kutsche noch nicht verlassen. Er konnte sich genau vorstellen, was hier gespielt wurde. Und dann konnte er sehen, wie sich die Läufe der beiden Gewehre hoben. Doc Holliday griff ein. Es war eine unwillkürliche Reaktionshandlung. Plötzlich hatte er seine Colts in den Händen. Er stand noch gebückt im Wagenschlag, gleichzeitig verließen die Kugeln die Läufe seiner Waffen. Cass Cassedy stand wie erstarrt. Auch der Sheriff wirbelte herum und blickte auf die Overland. Der Franzose würgte einen ängstlichen Schrei hervor. Aber es war bereits geschehen. Der Georgier hatte wieder einmal einen hinterhältigen Mord verhindert. Von der Balustrade her gellten die Schreie zweier Menschen. Der Kampf war entschieden. Der Sheriff nutzte die Gelegenheit, dem Californier mit einem gutgezielten Schuß den Colt aus der Hand zu schießen. Mit drei Sätzen war er bei dem Banditen. Mit der Stiefelspitze stieß er die Waffe beiseite. »Wer waren die beiden Männer auf dem Dach des Saloons?« herrschte er den Mann an. Cassedy hatte sich bereits wieder gefaßt. Er war ein abgebrühter Bandit und nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen. »Woher soll ich das wissen?« fragte er zurück. Doc Holliday war inzwischen aus der Overland gestiegen. Seine Colts hatte er bereits wieder in die Halfter geschoben.
Cassedy warf dem Mann, den er nicht kannte, einen wütenden Blick zu. »Vielleicht weiß er es, schließlich hat der Stranger auf die beiden geschossen. Die Männer auf dem Dach können uns keine Antwort mehr geben. Sie sind tot.« Doc Holliday lachte eisig. »Pech gehabt, Fellow. Sie sind nicht tot und werden noch viel reden können.« »Was haben Sie in dieser Stadt zu suchen?« giftete ihn Cassedy an. »Wer hat Sie geholt und beauftragt, hier in der Gegend herumzuballern?« »Sie bestimmt nicht«, war die glatte Antwort. Ben Haley trat an Holliday heran. »Wer sind Sie?« »Ist das so wichtig?« »Für mich ja, ich bin der Sheriff und… schließlich haben Sie auf zwei Menschen geschossen.« Das Gesicht des Georgiers wurde so glatt wie ein treibender Gletscher. Seine Augen waren schmal und hart geworden. »Fragen Sie lieber diesen Burschen dort, wer er ist und was er von Ihnen will.« Dabei wies er auf Cassedy. Es sah beinahe so aus, als wollte sich der Californier auf ihn stürzen. Aber die flimmernden Augen des Georgiers hielten ihn zurück. »Das werden Sie mir büßen!« knurrte Cassedy nur und warf einen gierigen Blick auf seinen Colt, der einige Yards von ihm entfernt im Staub der Mainstreet lag. Der Sheriff trat zwischen die beiden. »Ich habe Sie gefragt, wer Sie sind!« wollte er von Holliday wissen. »Und vielleicht geben Sie mir bald eine Antwort darauf.« »Die Antwort können Sie haben, Mister«, gab der Georgier zurück und strich sich dabei mit dem Handrücken über die Stirn. »Ich heiße Holliday.« Es wurde ruhig auf der Mainstreet von El Paso. Diesen Namen hatten die Männer schon einmal gehört, doch noch wußten sie nicht, wann und wo. Aber für einen war dieser Name ein Begriff.
Cass Cassedy hatte die beiden vernickelten Frontier Revolver vom Kaliber Western 45 gesehen. Aber das war nicht alles. Er hatte auch bemerkt, wie dieser Fremde die Waffen zu gebrauchen verstand. Es gab nur einen Mann im Westen, der die Fähigkeit hatte, mit dieser unheimlichen Schnelligkeit seine Colts aus den Halftern zu zaubern. The King of the Gunfighters! Der König der Revolverkämpfer. Doc Holliday! Der Californier legte wie ein spähender Geier den Kopf etwas auf die Seite. Lauernd war sein Blick, voller Mißtrauen und verhaltener Wut. »Wissen Sie nicht, wer dieser Mann ist, Sheriff?« Ben Haley hob die Schultern. »Er heißt Holliday, so wenigtens hat er gesagt.« Der Mörder Cass Cassedy lachte wieder. »Yeah, er heißt Holliday. Und in den Staaten gibt es viele Männer, die diesen Namen tragen. Aber es gibt nur einen Doc Holliday.« Der Sheriff löste etwas den Knoten seines verschwitzten Halstuches. »Doc Holliday? Damned, den Namen habe ich doch schon irgendwann gehört?« »Hell und devils, Sie wollen ein Sheriff sein und kennen noch nicht einmal den Namen dieses Schießers?« Die nervigen Hände Doc Hollidays fielen wie von ungefähr auf die elfenbeinernen Griffe seiner Sixguns. »Kümmern Sie sich lieber um Ihre beiden Boys auf dem Dach des Saloons.« Die Lippen des Californiers wurden schmal wie Schießscharten. »Wer sagt Ihnen, daß es meine Boys sind?« preßte er hervor. Der Bandit wich unwillkürlich einen Schritt zurück, als er das Flimmern in den Augen Hollidays sah.
Dem Sheriff fiel es plötzlich wie Schuppen von den Augen. Er hatte nicht mehr auf die letzten Worte der beiden Männer geachtet. Jetzt wußte er, wer Doc Holliday war. Wyatt Earp hatte manchmal mit ihm über diesen Mann gesprochen. »Verdammt, Sie haben mir in El Paso gerade noch gefehlt«, knurrte Ben Haley. Er hatte vergessen, daß der Mann ihm vor wenigen Minuten das Leben gerettet hatte. Nur der Name Doc Holliday war noch geblieben, der Name jenes Mannes, der im ganzen Westen gefürchtet war. »Was wollen Sie in der Stadt?« knurrte er den Georgier an. Wieder einmal war es soweit. Diese ständig sich wiederholende Frage hatte Doc Holliday immer verschlossener werden lassen, kälter – aber auch einsam! Damned, gab es denn keinen Platz in diesem Land, wo er sich ungefragt aufhalten konnte? Mußte er denn ständig wie ein Gejagter von Stadt zu Stadt und von Land zu Land ziehen? »Ich will in El Paso essen, ich will in El Paso schlafen – und Sie werden mich nicht daran hindern.« Und kein Wort sagte er davon, daß er dem Mann, der ihn aus der Stadt weisen wollte, das Leben gerettet hatte. Und auch der Sheriff schien diese Tatsache bereits vergessen zu haben. Vielleicht wollte er sie auch vergessen. »Sie können hier schlafen und auch hier essen, ich kann es Ihnen nicht verbieten. Aber eines sage ich Ihnen: Jeder Bürger dieser Stadt wird froh sein, wenn Sie El Paso wieder verlassen.« An diese Worte sollte der junge Sheriff noch denken, bitter denken. Holliday wandte sich wortlos ab. Was hätte er auch noch sagen sollen? Er überquerte die Straße und stieg die Stufen des Gehsteiges hoch. Die Männer vor dem Saloon machten ihm stumm Platz. Der Franzose war ihm gefolgt. Er setzte sich ungebeten an den Tisch des Georgiers. »Mon Dieu, das war ein heißes Ding«, näselte er. »Sie können mit
Ihren Colts verdammt gut umgehen. Aber man braucht sich nicht zu wundern, nachdem man Ihren Namen gehört hat. Sie also sind der berühmte Doc Holliday.« »Yeah, Holliday – aber berühmt? Vielleicht lassen Sie mich jetzt in Ruhe«, unterbrach der Georgier grob den Redefluß des Franzosen. Aber da kam er an die falsche Adresse. Germain war ein Spieler, zwar ein schlechter, aber diesen Mangel bügelte er mit gezinkten Karten aus. Und jetzt saß der Mann vor ihm, der als der beste Gambler im ganzen Westen bekannt war. Die Gelegenheit war einmalig. Von Holliday konnte er nur lernen, und diese Gelegenheit wollte er sich nicht entgehen lassen. »Vielleicht haben Sie mich mißverstanden, Monsieur. Ich wollte Sie in keinem Fall beleidigen. Ich bewundere Sie direkt.« Diesmal wurde er von Holliday wieder unterbrochen. Der Georgier rief den Salooner an den Tisch. Bill Oakland kam. Sein Gesicht war nicht gerade freundlich. Er hätte Holliday erwürgen können. Wäre dieser Mann nicht dazwischen gekommen, dann hätte er mit Cassedy El Paso jetzt in der Hand gehabt. Es schien alles schiefzugehen. Aber irgendwie mußte er auch mit diesem Burschen fertigwerden. »Was kann ich für Sie tun?« fragte er mit erzwungener Freundlichkeit. »Ich möchte etwas zu essen und eine Flasche Brandy.« »Mir bringen Sie das gleiche«, näselte der Franzose. »Ich habe nur Bohnen mit Speck«, log der Salooner, obwohl er saftige Steaks in seiner Speisekammer hatte. Holliday blickte ihn von unten herauf an. »Das ist mein Lieblingsgericht, Mister«, log auch er.
Der Keeper fühlte, daß Holliday ihn durchschaut hatte, aber er ließ es sich nicht anmerken. Das Essen kam und auch der Brandy. Die Bohnen waren versalzen, das Getränk war trüb. Der Franzose wollte sich beschweren, aber Holliday gab ihm einen Wink. »Lassen Sie, den Boy werden wir anders kleinkriegen.«
*
Man hatte die beiden Männer vom Dach geholt. Sie waren schwerverletzt, aber nicht lebensgefährlich. Man kannte sie, es waren zwei üble Burschen aus der Stadt, die für wenige Dollars selbst den Teufel herausforderten. Beide waren bei Besinnung. Haley ließ sie ins Office schaffen. Crus Wain folgte dem Sheriff. »Wer mag dahinterstecken?« fragte Ben Haley nachdenklich. Der alte Townmayor kicherte humorlos. »Das fragen Sie noch? Sie sind zwar noch nicht lange hier, aber allmählich müßten Sie doch begriffen haben, was hier gespielt wird.« »Sie meinen also Oakland?« »Dieser Satan und kein anderer«, fauchte Crus Wain. Seine Augen sprühten bei diesen Worten Feuer. »Was mag er vorhaben?« Der Townmayor kicherte wieder. »Das kann ich Ihnen genau sagen: Er will dieses verdammte Nest in seine Hand bekommen. Er will uns auspressen wie eine Zitrone.«
»Da soll er aber auf Granit beißen.« »Der Hund hat gute Zähne.« »Ich auch«, erwiderte der Sheriff, dann trat er zu den beiden Verwundeten, die mit bleichen Gesichtern am Boden lagen. »Wer hat euch auf das Dach geschickt?« Ben Haley erhielt keine Antwort. Die beiden Schurken hatten die Augen geschlossen und taten so, als hätten sie seine Worte nicht verstanden. »Ich habe gefragt, wer euch beaufragt hat, auf mich zu schießen«, sagte er jetzt um einen Tonfall lauter. Da schlug einer der beiden die Augen auf. George Haines hieß der Mann. Er hatte ein schmales, pockennarbiges Gesicht mit stechenden Adleraugen. »Haben Sie schon einmal etwas davon gehört, daß man einen Verwundeten verbindet?« »Das wird geschehen, sobald ihr sagt, wer euch bezahlt?« »Uns bezahlt niemand«, war die Antwort. Der Sheriff blickte Wain an. Der Alte nickte bedächtig. »Damit habe ich gerechnet. Die werden sich hüten, die Zähne auseinanderzubringen.« »Dann sperre ich sie ein, bis sie grau werden.« Haines versuchte, sich zu erheben, doch es gelang ihm nicht. Schwer fiel sein Oberkörper zurück. »Uns werden Sie auch nicht eine Minute einsperren«, keuchte er wütend. »Das werden wir sehen.« »Nichts werden wir sehen«, belferte der Bandit. »Haben wir Ihnen oder irgendeinem Menschen etwas getan, he?« Ben Haley biß sich auf die Lippen. Da hatte der Schurke allerdings recht. Aus ihren Gewehren war kein Schuß
gefallen. Aber daß sie die Absicht gehabt hatten, ein Verbrechen zu begehen, war ihm völlig klar. Doch wie konnte er das beweisen? »Weshalb wart ihr auf dem Dach?« fragte er, obwohl er die Antwort schon vorher kannte. »Wir können so lange auf Dächern herumliegen, wie uns das paßt, Sheriff«, erwiderte Haines gallig. »Ich habe bisher noch nicht von einem Gesetz gehört, das einem Mann verbietet, sich auf ein Dach zu legen.« »Nun gut, ihr Schlauberger«, brummte der Sheriff wütend. »Aber ein Sonnenbad habt ihr da oben bestimmt nicht genommen.« George Haines brachte es sofort fertig, ein Grinsen um seine schmale Lippen zu zaubern. »Was geht das Sie an, Sheriff?« »Eine ganze Menge, aber darüber reden wir später«, erwiderte Haley grimmig. Dann gab er dem Towmayor einen Wink. Beide Männer verließen das Office. Sie waren noch unter der Schwelle, da rief Haines hinter ihnen her. »Wenn Sie den Knochenflicker nicht holen, wird Sie der Spaß teuer zu stehen kommen.« Der Sheriff antwortete nicht, sondern schlug die Tür donnernd hinter sich ins Schloß. Auf den Gehsteigen standen noch einige Männer beisammen. Ihre Gesichter waren mißmutig und verstimmt. Auch der Blacksmith Rob Santor und Gleen, der Viehhändler, standen beeinander. Als sie Haley und den Townmayor gewahrten, traten sie sofort zu den beiden Männern. »Habt ihr was aus den beiden Burschen herausbekommen?« wollte Santor wissen.
Wain schüttelte den grauen Kopf. »Nicht ein Wort. Es war ja auch nicht anders zu erwarten.« »Aber so kann es doch nicht weitergehen«, versetzte Horace Gleen in vorwurfsvollem Ton. »Niemand weiß bisher, wer den Rancher Keyn erschossen hat. Wofür bezahlen wir schließlich einen Sheriff.« Ben Haley warf dem reichen Mann einen finsteren Blick zu. »Wenn Sie es besser können, dann nehmen Sie den Stern.« Gleen zog den Kopf zwischen die breiten Schultern. »Junger Mann, Ihre Leistungen stehen in keinem Verhältnis zu den großen Reden, die Sie hier führen. Wir haben keinen Sheriff gesucht, der wahllos auf der Mainstreet herumballert und Männer stumm macht, die ihn einen Mörder nennen.« Das war für Ben Haley zuviel. Sein Gesicht wurde weiß. »Ich will Ihnen einmal etwas sagen, Mister Gleen.« Dann hob er die Stimme. »Euch allen will ich etwas sagen: Hätte mich Wyatt Earp nicht in diese verdammte Stadt geschickt, dann würde ich euch jetzt euren verdammten Stern vor die Füße werfen.« Diesen Ton konnte allerdings auch der Blacksmith nicht vertragen. Er trat einen Schritt vor und stellte sich vor Haley. »Wir werden dem Marshal über Ihr merkwürdiges Verhalten berichten, Sheriff. Schließlich können Sie uns nicht wie Schuljungen behandeln.« »Sorgen Sie dafür, daß der Schießer Holliday die Stadt verläßt«, mischte sich Horace Gleen ein. Der Sheriff stemmte beide Fäuste in die Hüften. Wyatt Earp hatte recht gehabt; der Stern hatte noch keinem Mann Dank eingetragen. Es war eine bittere Erkenntnis, aber sie stimmte haargenau. »Ich kann Doc Holliday nicht aus der Stadt weisen, das wissen Sie ebenso gut wie ich.« »Wir können ihn in El Paso nicht gebrauchen. Sorgen Sie dafür, daß er verschwindet. Schließlich hat er auf zwei Männer geschossen«, meinte der Blacksmith.
Horace Gleen lachte breit und gehässig. »Und er hat dem Sheriff vermutlich das Leben gerettet. Einen solchen Burschen wird er ja nicht aus der Stadt werfen.« Der Sheriff warf den beiden Männern einen dunklen Blick zu. Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging schweigend davon, um den Arzt für die beiden Verwundeten zu holen. Jeder andere Mann hätte nach diesem Vorfall den Stern zurückgegeben, aber Ben Haley war hart und hatte sich dem Gesetz verschworen. Er wollte erst Ordnung in dieser Stadt schaffen. Aber dann würde er diesen Spießbürgern den Stern wirklich vor die Füße werfen. Und dann war noch etwas, das ihn davon abhielt, nach Wichita zurückzureiten: der Marshal Wyatt Earp. Er wollte nicht als Versager zurückkehren. Der Marshal hielt große Stücke auf ihn, das wußte Ben Haley, und er wollte lieber in El Paso sterben als den Marshal enttäuschen.
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Joe Vaugham war dem Gespräch der drei Männer von der anderen Straßenseite aus gefolgt. Vaugham stellte in El Paso wohl die übelstgelittene Figur dar. Das grauenvolle Aussehen dieses Mannes stimmte mit seinen üblen Charaktereigenschaften völlig überein. Das rechte Auge fehlte in seinem Totenschädel, die häßliche Narbe war mit keiner Binde verdeckt. Das hohlwangige Gesicht war von beinerner Farbe. Die blutleeren Lippen bildeten nur einen Strich. Hager und hochaufgeschossen war er von Gestalt. Die schmutzstarrenden Kleider schlotterten an seinem Körper wie an einer Vogelscheuche. Aber das Aussehen war es nicht allein, das Vaugham den üblen Ruf in der Stadt eingetragen hatte. Die Menschen in El Paso wußten, wann und weshalb er sein Auge verloren hatte.
Es war im Sezessionskrieg gewesen, als er für die Nordarmee als Spitzel gearbeitet hatte. An der Grenze Arizonas hatte ihm ein sterbender Offzier der Südarmee mit dem Degen das Auge ausgeschlagen. Die Blauröcke gewannen den Krieg. Joe Vaugham kam nach El Paso zurück. Er trug die blaue Uniform der Nordarmee, aber keiner konnte ihm etwas anhaben. Vaugham zählte zu den Siegern. Aber kein Mann in El Paso hatte ihm den Verrat vergessen. Erst als Bill Oakland in die Stadt gekommen war, hatte er wieder Anschluß gefunden. Er war der Kalfaktor des Salooners geworden. Der Einäugige verschwand wieselflink in der Pendeltür des Saloons. Bill Oakland hatte schon auf ihn gewartet. »Was ist los?« fragte er leise über die Theke. Vaugham warf einen fragenden Blick auf Cass Cassedy. »Red schon!« zischte der Salooner. »Cassedy gehört zu uns.« Vaugham zwinkerte mit dem linken Auge und grinste. Aber dieses Grinsen verzerrte seinen Totenschädel zu einer fürchterlichen Grimasse. »Ich schätze, der Sheriff wird bald von allein gehen«, flüsterte er. »Wieso?« wollte Cassedy wissen. »Gleen und Santor haben ihm schwer zugesetzt. Sie wollen sich bei Wyatt Earp beschweren.« »Der hat in El Paso nichts zu sagen«, brummte der Salooner. »Wir müssen einen anderen Weg suchen.« Dann gab er Vaugham einen Wink. »Bleib du solange hinter der Theke, ich habe mit Cass zu reden.« Der Einäugige nickte und trat hinter den Tresen. Oakland und Cassedy gingen ins Nebenzimmer. Der Californier drehte sich auf
der Schwelle noch einmal um und warf einen flammenden Blick auf Holliday. Der Georgier saß immer noch mit dem Franzosen zusammen am Tisch in einer Ecke. »Wenn ich mich nicht irre, dann hat dieser Bursche nicht besonders viel für Sie übrig«, meinte Germain mit einem schmalen Lächeln. »Das beruht auf Gegenseitigkeit«, erwiderte Holliday ungerührt und steckte sich eine Zigarette an.
*
Gedämpftes Licht fiel durch die trüben Scheiben ins Hinterzimmer des Saloons. Die beiden Männer hatten am grünen Spieltisch Platz genommen. Der Californier stützte das Kinn auf beide Handrücken. »Wer mag uns diesen verdammten Hund auf den Hals geschickt haben?« »Welchen Hund?« fragte Bill Oakland. »Wen schon? Doc Holliday!« Der Salooner lehnte sich im Stuhl zurück. »Wie kommst du denn auf diese Idee?« Cass Cassedy ließ die Fäuste auf den Tisch fallen. »Du glaubst doch nicht, daß der Zufall diesen Schießer in die Stadt verweht hat?« »Aber wer soll ihn denn gerufen haben?« Der Californier hob die Schultern. »Das mußt du besser wissen. Ich kenne die Männer in der Stadt nicht.« Der Keeper fuhr mit der Hand über sein gepflegtes silbernes Haar. »Verdammt, du könntest recht haben. Vielleicht haben sie Holliday bestellt, damit er uns fertigmacht. Santor und Gleen traue ich jede Schandtat zu.«
Hätten die beiden Gauner das Gespräch auf der Mainstreet gehört, dann wären sie jetzt besser unterrichtet gewesen. Aber Vaugham hatte ihnen kein Wort über das berichtet, was Gleen von Holliday gesagt hatte. Cass Cassedy hatte sich erhoben und war an das Fenster getreten. »Er kann uns verdammt gefährlich werden, Bill. Viel gefährlicher als ein Sheriff.« Der Salooner grinste schief und schadenfroh. Irgendwie hatte er dem Californier die Abfuhr auf der Mainstreet gegönnt, obwohl sie dadurch einige Meilen in ihren Plänen zurückgeworfen worden waren. »Da allerdings hast du recht«, meinte er. »Schließlich hast du es ja vor einer Viertelstunde am eigenen Leibe erfahren.« Der Californier drehte sich ruckhaft um. Seine dunklen Augen sprühten Feuer. »Eines will ich dir sagen, Bill, und ich glaube, es ist besser, wenn ich es rechtzeitig tue. Die Zeiten von damals sind lange vorbei. Ich bin nicht mehr der Mann, mit dem du herumspringen kannst. Du hattest vielleicht geglaubt, daß ich nicht gemerkt habe, wie du mich ständig betrogen hast. Diesmal wird es dir nicht gelingen.« Der Salooner blickte vor sich auf die grünbespannte Tischfläche. Im stillen bereute er bereits, daß er Cassedy wieder zu seinem Partner gemacht hatte. Aber er brauchte den Schießer, er brauchte ihn dringender denn je. Wie sollte er ohne ihn mit dem Sheriff fertig werden und jetzt erst recht mit Holliday? Was nachher zu tun war, konnte er sich immer noch überlegen. Zunächst galt es, sich der beiden Männer zu entledigen: Holliday und Haley. »Daß die beiden zusammenspielen, glaube ich nicht«, meinte der Salooner nachdenklich. Cass Cassedy hatte sich wieder beruhigt. »Dann müßten die Burschen verdammt gute Schauspieler sein. Außerdem habe ich noch von keinem Polizeihund gehört, der sich mit einem Mann wie Holliday verbrüdern würde.« »Da hast du wieder recht«, versetzte Bill Oakland. »Also setzen wir voraus, daß sie sich gegenseitig nicht riechen können, obwohl Holliday dem Sheriff das Leben gerettet hat.«
Der Californier nickte. »Also können wir sie einzeln erledigen«, sagte er kalt, als habe er von einem Rinderhandel und nicht von Mord gesprochen. Der Salooner grinste. »Yeah, das können wir. Aber wer soll Holliday übernehmen?« Die Lippen Cass Cassedys wurden schmal wie eine farblose Narbe. Es fiel ihm schwer, einzugestehen, daß auch er einen offenen Gunfight mit dem Gambler scheute. Er hatte die traumhaft schnelle Hand des Georgiers auf der Mainstreet kennengelernt. Das genügte ihm vorerst. »Ben Haley werde ich übernehmen, aber für Holliday müssen wir einen anderen Dummen finden.« »Wie wär’s, wenn wir ihn von hinten abknallen? Auf dem Rücken hat er keine Augen.« »Du bist ein Narr, Oakland. Soll ich vielleicht meine Laufbahn als Sheriff mit einem Mord beginnen?« Der Salooner lachte scheppernd. »Du warst doch sonst nicht so gefühlvoll.« »Trottel«, zischte Cassedy. »Was denkst du, wie lange ich den Stern trage, wenn ich einen Mann hinterrücks erschieße?« In Wirklichkeit war es anders. Davor hätte der Californier sich nicht gescheut. Aber Holliday war ihm unheimlich. Sein Auftritt in El Paso war so überzeugend gewesen, daß Cass auch nicht den Versuch machen wollte, den Gambler von hinten abzuschießen. An dem Burschen sollte sich ein anderer die Finger verbrennen. »No, Fellow, da müssen wir uns etwas Besseres einfallen lassen.« Oakland brummte etwas Unverständliches. Es klang wie ein Fluch. Dann sagte er laut: »Und wie willst du das mit dem Sheriff anstellen? Die beste Gelegenheit haben wir verpaßt.« »Nichts haben wir verpaßt. Dieser verdammte Holliday hat sie uns vermasselt. Aber das läßt sich nachholen«, erwiderte Cass Cassedy im Brustton der
Überzeugung. »Ich werde ihn fordern und in aller Öffentlichkeit aus den Stiefeln schießen.« »Gut, dann wäre das erledigt. Aber wie soll es mit Holliday weitergehen?« In ihrer Verbohrtheit waren sie felsenfest davon überzeugt, daß der Georgier mit einem Auftrag nach El Paso gekommen war. »Wer ist der andere Bursche an seinem Tisch?« antwortete der Californier mit einer Gegenfrage. Bill Oakland hob die Schultern. »Ich habe ihn noch nie in der Stadt gesehen.« »Ob sie zusammengehören?« »Es sieht nicht so aus. Der geschniegelte Affe scheint sich Holliday lediglich aufzudrängen. Das konnte ich wenigstens ihrem Gespräch entnehmen. Viel scheint der Gambler nicht für den Burschen übrig zu haben.« »Auch das kann Theater sein«, gab Cassedy zu bedenken. Der Salooner hob zweifelnd die Schultern. »Ich glaube nicht. Dieser pomadige Kerl sieht nicht aus wie ein Mann, den Doc Holliday sich als Partner aussucht. Vielleicht will er ihn nur um seine Dollars erleichtern.« Cassedy ging zur Tür und öffnete sie spaltbreit. Was er sah, schien die Worte des Salooners zu bestätigen. Holliday und der Franzose pokerten. »Damned, du kannst recht haben. Sie spielen.« »Na also. Ich habe es mir gedacht.« Der Californier schloß die Tür wieder und wandte sich um. »Sei es, wie es wolle, Bill«, meinte er. »Wir müssen ihm einfach auf die Schliche kommen.« »Du hast recht. Aber wie?« »Ganz einfach, wir werden mit ihm pokern.«
Bill Oakland sprang auf. »Bist du von Sinnen?« »Im Gegenteil, ich war nie normaler.« Der Salooner blickte seinen Partner entgeistert an. »Aber hast du ganz vergessen, was auf der Mainstreet geschehen ist?« »Wie könnte ich. Ich bin ja nicht schwachsinnig.« Oakland schüttelte verständnislos den Kopf. »Mach, was du willst, aber wenn ich mich nicht irre, hast du die längste Zeit deine goldenden Sporen getragen.« Der Californier lachte gefährlich. »Wie wär’s, wenn du das mir überlassen würdest?« »Das werde ich, verlaß dich darauf.« »All right, dann kann der Tanz beginnen.« Damit verließ er das Nebenzimmer und betrat den Schankraum. Die beiden Männer am Spieltisch pokerten um kleine Summen. Der Franzose war zunächst noch vorsichtig. Mit spitzen Fingern nahm er die Karten auf. Einige Dollars hatte er bereits gewonnen. Aber noch immer wagte er nicht, seine kleinen Tricks anzuwenden. Und der Georgier wartete bereits darauf. Er hatte inzwischen bemerkt, daß der Franzose ein miserabler Spieler war. Auf diese Manier konnte er selbst einem Cowpuncher keinen Dollar aus der Tasche ziehen. Also mußte er falschspielen, um zu gewinnen. Doc Holliday wiegte ihn in Sicherheit und ließ ihn gewinnen. Germain wurde allmählich dreister und erhöhte die Einsätze. Der Georgier ging mit. Er verlor absichtlich. Mit Siegermiene stapelte der Franzose die Dollarnoten vor sich auf.
Hatte er es sich doch gedacht. Es wurde viel über große, unschlagbare Gambler geredet, und lernte man sie dann am Spieltisch kennen, war alles nicht so schlimm. »Ich will Sie nicht schädigen, Monsieur«, sagte er gönnerhaft. »Aber wenn Sie eine Revanche haben wollen, bin ich bereit.« In diesem Moment trat Cass Cassedy an den Tisch. Er stand in Hollidays Rücken. Der Gambler wandte sich nicht um. Er hatte den Mann schon kommen hören und seine Schritte an dem Singen der riesigen Sporen erkannt. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mithalte, Gents?« fragte er betont zurückhaltend. Dem Franzosen lief eine Gänsehaut über den Rücken. Er war davon überzeugt, daß jetzt eine Schießerei losgehen würde, und mit Revolverkugeln machte er nicht gern Bekanntschaft. Er trug zwar des Dekorums wegen eine Waffe, aber schon allein ihr Anblick flößte ihm Angst ein. Als Cassedy von den Männern keine Antwort erhielt, wandte er sich an Holliday. »Doc, Sie werden mir doch den Zwischenfall auf der Mainstreet nicht nachtragen? Ein Freund von mir wurde erschossen. Ich war erregt.« Wie schwer diese Worte dem Californier fielen, konnten nur jene Männer ermessen, die den unbändigen Stolz des Verbrechers kannten. Holliday ließ sich nicht täuschen. Es war ihm völlig klar, daß hinter ihm ein Bandit stand, der ihm am liebsten eine Kugel gegeben hätte. Aber diesen Wunsch hatten schon viele Männer vor dem Californier gehabt. Vielen von ihnen war es nicht einmal möglich gewesen, ihr Vorhaben zu bereuen. Der Georgier hob etwas den Kopf und streifte den Verbrecher mit einem kurzen Blick. »Das also nennen Sie Zwischenfälle? Wenn ich mich nicht irre, gibt es noch andere Ausdrücke dafür.« Dem Banditen schoß das Blut in den Kopf.
Sein Gesicht lief rot an. Die pulvergrauen Raubtieraugen wurden dunkel und gefährlich. Aber der Bandit beherrschte sich. »Ich habe mich entschuldigt, Doc. Genügt das nicht?« »Nun sagen Sie doch ja, Monsieur«, bat der Franzose ängstlich. Er fühlte, daß sich die Situation zuspitzte. Aber Holliday hatte gar nicht die Absicht, sich hier im Saloon mit dem Mann zu schießen. Doch daß es noch soweit kommen würde, war ihm zur Gewißheit geworden. Was er mit seinen Andeutungen bezwecken wollte, hatte er erreicht. Dieser Bandit sollte sich nicht einbilden, einen Mann vor sich zu haben, den man mit laschen Redensarten täuschen konnte. »Wenn Sie pokern wollen, setzen Sie sich«, forderte Holliday den Californier auf. Aber aus diesen Worten klang deutlich die Warnung heraus: Solltest du Schuft jedoch etwas anderes vorhaben, dann hast du zum letztenmal Spielkarten in der Hand gehabt. Cass Cassedy setzte sich, und Holliday glaubte, dabei die Zähne des Banditen knirschen zu hören. Das Spiel begann, aber es hatte auch nicht mehr die geringste Ähnlichkeit mit der laschen Partie, die Holliday vorher mit dem Franzosen gespielt hatte. Der Californier war ein guter Spieler, und seine Tricks, die er von vornherein anwandte, konnte Holliday nur mit Mühe erkennen. Ein anderer Spieler wäre Cassedy niemals auf die Schliche gekommen. Aber so sehr sich der Californier auch bemühte, er verlor haushoch. Der Franzose war schon nach den ersten Runden ausgestiegen. Bei diesen Summen konnte der kleine Falschspieler nicht mithalten. Der Bandit hatte inzwischen völlig vergessen, weshalb er sich an den Spieltisch gesetzt hatte. Er hatte die Absicht gehabt, den Georgier nach seinen Plänen auszuhorchen.
Das dachte auch Bill Oakland, der mit Joe Vaugham zusammen hinter der Theke stand. »Dieser verdammte Trottel«, knurrte er leise. »Das geht bestimmt schief.« »Das Gefühl habe ich auch«, gab Vaugham leise zurück. Der Salooner goß sich einen Whisky ein, das leere Glas Vaughams übersah er. Dann kippte er sich das bernsteinfarbene Getränk in die Kehle. Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund ab. »Paß auf, wenn es zur Schießerei kommt, müssen wir eingreifen.« Mit wir verstand er natürlich nicht sich, sondern sein Faktotum Joe Vaugham. Und das wußte der Einäugige. Sein Gesicht verzog sich zu einer säuerlichen Grimasse. »Das ist doch nicht dein Ernst, Bill. Ich soll gegen Holliday antreten?« »Narr, wer redet hier vom Antreten? Du wirst ihn kitzeln, mit der Schrotflinte. Verstanden?« »Yeah, und dann werde ich baumeln.« »Das laß meine Sorge sein«, zischte der Salooner mißmutig. Er konnte keinen Widerspruch vertragen. »Es ist mein Hals und nicht deiner, Boß. Und außerdem glaubst du doch selbst nicht, daß ein Holliday sich abknallen läßt wie ein Longhornrind.« Jetzt wurde Bill Oakland ernstlich böse. Mit stechenden Augen blickte er den Banditen an. »Ich will dir einmal etwas sagen, Bursche: Es gibt eine Menge Dinge, die ich von dir weiß. Was meinst du, wenn ich sie dem Sheriff erzählen würde? Wieviel Galgen müßte man dann wohl aufrichten?« Die Gesichtsfarbe Joe Vaughams wurde so grau wie das schmutzige Halstuch, das er im Hemdausschnitt trug. »Das ist doch nicht dein Ernst?« »Ich schwöre es dir bei deinem häßlichen Geierauge, Bursche«, fauchte der Salooner tonlos. »Es sei denn, du befolgst meine Befehle, ohne lange Reden zu halten.«
Vaugham nickte hündisch. »Schon gut, Boß, du wirst mit mir zufrieden sein«, brummte er tonlos. Bill Oakland beugte sich zu Vaugham hinüber. »Mach das Gewehr fertig, es liegt neben der Kasse. Wenn es soweit kommen sollte, werde ich hinausgehen, um Fremde fernzuhalten. Wir brauchen keine Zeugen.« Damit ging er und baute sich neben der Pendeltür auf. »Verfluchter Hund!« knurrte der Einäugige in sich hinein. »Du willst dich nur aus dem Staub machen, damit du kein Blei schlucken mußt.« Das war tatsächlich der eine Grund, aber Oakland hatte auch noch einen zweiten, er wollte nicht Zeuge einer Schießerei sein. Er hatte es bisher immer meisterhaft verstanden, sich aus allem rauszuhalten. Ihm war nie etwas zu beweisen gewesen, obwohl jeder Mann in der Stadt wußte, wer die treibende Kraft war. Für heiße Situationen hatte Bil Oakland eine gute Nase. Und so war es auch diesmal. Am Spieltisch herrschte eine Spannung, die nach Pulver roch. Francois de Germain erhob sich in dem Moment, als Cassedy die Karten auf den Tisch feuerte. Er brachte sich schleunigst in Richtung Theke in Sicherheit. Andere Gäste als die vier Männer waren zu dieser Stunde nicht im Saloon. Der Betrieb begann erst am Abend. Auch der Californier war aufgesprungen. Er hatte in seiner Wut vollkommen vergessen, wer der Mann war, der gelassen vor ihm saß. Das Gesicht des Banditen war wutverzerrt. Er hatte sein gesamtes Bargeld an Holliday verloren. »Hier stimmt etwas nicht«, zischte er wie eine Sandviper. Holliday nickte. »Da haben Sie recht.« »Hier an diesem Tisch ist falschgespielt worden«, fauchte Cassedy gefährlich.
Holliday nickte. »Da haben Sie recht.« Da richtete sich der Californier in seiner ganzen Länge auf. Er wandte den Kopf zur Theke. »Ihr habt es alle gehört, Holliday hat zugegeben, daß er falsch gespielt ht.« Die Stimme des Georgiers wurde metallisch. »Davon habe ich kein Wort gesagt.« Cass Cassedy blickte ihn mit ehrlichem Erstaunen an. Er war tatsächlich davon überzeugt, daß Holliday falschgespielt hatte. Es wäre ihm völlig unbegreiflich gewesen, daß ein Mann im ehrlichen Spiel solche Gewinnchancen haben konnte. Daß Holliday gemerkt hatte, daß er, Cassedy, mit allen nur denkbaren faulen Tricks gespielt hatte, war ihm bis jetzt noch nicht aufgefallen. »Davon wollen Sie kein Wort gesagt haben?« schnauzte er wütend. »Sie haben es doch eben bestätigt, daß Sie ein Falschspieler sind.« Der Georgier schüttelte den Kopf. »Da irren Sie sich. Ich habe lediglich festgestellt, daß am Tisch falschgespielt worden ist. Aber kein Wort davon, daß ich der Falschspieler war.« Dem Californier traten die Augen aus den Höhlen. »Wer war es dann?« keuchte er hervor. »Sie, wenn ich mich nicht irre!« Ein dumpfer Laut entrang sich der Brust des Banditen, dann riß er den Colt aus dem Halfter. Cass Cassedy war ein schneller Mann. Aber nicht schnell genug. Doc Holliday griff blitzschnell zu. Wie eine Stahlklammer umfaßte seine linke Hand den Colt des Banditen, und mit der Rechten hielt er Cassedy eine blitzende Sixgun unter die Nase. »Langsam, Boy, so haben wir nicht gewettet. Sie müssen sich für Ihre
Kunststücke schon andere Partner aussuchen.« Der sonst so kaltblütige Bandit war so verblüfft, daß er sich willenlos die Waffe aus der Hand ziehen ließ. Der Georgier schob sie vorn hinter seinen Gürtel. Dann erhob er sich. »Haben Sie wirklich geglaubt, mich mit dem plumpen Trick hereinlegen zu können, wenn Sie schon nicht pokern…« Dann geschahen drei Dinge in rasender Folge. Doc Holliday riß den völlig ahnungslosen Banditen mit einem Ruck zu Boden. Der Tisch stürzte um und lag vor den beiden Männern. Im gleichen Moment brüllte ein donnernder Schuß durch den Raum. Ein Bleihagel traf die Tischplatte, das Holz splitterte. Und dann bellte nur ein trockener, harter Schuß. Ein gurgelnder Schrei von der Theke her, Röcheln und dann ein schwerer Fall. Die folgende Stille war so tief wie eine Felsschlucht im Grand Canyon. Doc Holliday erhob sich. Er hatte den rauchendenColt noch in der Hand. Da stand auch Cass Cassedy auf. Sein Gesicht war entstellt. Er stand dem Geschehenen vollkommen ahnungslos gegenüber. An der Theke lag der Franzose flach am Boden. Seine Augen flackerten vor Angst. Sein ganzer Körper schmerzte. Er hatte das Gefühl, als ob das zischende Blei seinen Körper durchbohrt habe. Der Salooner war verschwunden, noch bevor die Schüsse gefallen waren. Der Californier blickte nur starr zur Theke hinüber. »Was war das?« fragte er tonlos. Doc Holliday räusperte sich und ließ seinen Colt ins Halfter gleiten. »Sie scheinen verdammt warmherzige Freunde zu haben, Cassedy.« »Wieso ich?«
Holliday lachte metallisch. »Der Bursche hinter der Theke wollte uns voll Blei pumpen.« Der Bandit ging mit staksigen Schritten zur Bar. Er beugte sich hinüber, dann stieß er einen grimmigen Fluch aus. »Also die verdammte Fratze hat geschossen.« Er hatte Joe Vaugham erkannt, der mit glasigen Augen hinter der Theke lag. Der Tote hielt die abgesägte Schrotflinte noch in der Hand. Cass Cassedy dachte fieberhaft nach. Was sollte das bedeuten? Wollte Oakland etwa auch ihn erledigen lassen? Zuzutrauen war dem Schurken alles. Auch der Franzose hatte sich erhoben. Schwankend hielt er sich am Rand der Theke fest. Er nahm sich eine Whiskyflasche, schnippte den Korken ab und setzte sie an den Mund. Erst als die halbe Flasche geleert war, setzte er sie wieder ab. Danach fühlte er sich bedeutend wohler. Der Californier wandte sich nach Holliday um. Der Georgier hatte den Tisch aufgerichtet und wieder Platz genommen. Er saß so gelassen da und rauchte, als sei nichts geschehen. Cassedy kniff die Augen zusammen. Jetzt kam ihm wieder voll zum Bewußtsein, was vor der Schießerei geschehen war. »Wie ist das mit meinem Colt?« Holliday zog die Waffe hinter seinem Gurt hervor und warf sie dem Californier wortlos zu. Diese Geste sagte mehr als Worte. Und der Bandit hatte sie auch bestens verstanden. Ein Doc Holliday brauchte auch einen bewaffneten Mann nicht zu fürchten. »Für diesmal haben Sie die Runde gewonnen«, giftete Cassedy bissig. »Aber es
war nicht die letzte.« Davon war der Georgier vollkommen überzeugt. Diese Burschen gaben nicht nach, sie waren einfach nicht zu belehren, bis sie flach lagen und die Stiefel von sich streckten. Wäre Holliday nicht gewesen, dann gäbe es keinen Banditen Cass Cassedy mehr. Der Georgier hatte ihm in letzter Sekunde das Leben gerettet. Aber der californische Tramp wußte Doc Holliday dafür ebenso wenig Dank wie der neue Sheriff von El Paso.
*
»Nun schreien Sie hier nicht herum, sondern bleiben Sie sachlich«, herrschte der Sheriff Bill Oakland an, der mit fuchtelnden Armen und hochrotem Kopf vor ihm stand. »Da soll noch einer sachlich bleiben«, bellte der Salooner. »Man ist ja in diesem verdammten Nest seines Lebens nicht mehr sicher.« »Was ist geschehen?« »Ich weiß es ja selbst noch nicht genau. Auf jeden Fall ballert dieser blindwütige Schießer in meinem Saloon herum und vertreibt meine letzten Gäste.« »Wer hat geschossen?« wollte der Sheriff wissen, obwohl er die Antwort schon zu kennen glaubte. »Damned, wer schon? – Dieser verdammte Holliday. Aber hoffentlich haben die anderen sich gewehrt. Ich bin davon überzeugt, daß sie ihm endlich den Rest gegeben haben.« Mit diesen Worten bereitete er den Sheriff gewissermaßen vor, denn er war felsenfest davon überzeugt, daß Holliday jetzt ein Sieb war.
Er kannte die Wirkung seiner Schrotflinte, die er stets selbst fachmännisch mit gehacktem Blei lud. Und der Schuß aus seiner Waffe war gefallen. Also gab es keinen Holliday mehr. »Holliday also«, röhrte der Sheriff, und die Worte klangen wie ein Fluch. Der Salooner hakte sofort ein. »Yeah, und Sie haben es nicht fertiggebracht, diesen Gunslinger aus der Stadt zu bringen. Es mußte ja erst soweit kommen.« Ben Haley nahm seinen Waffengurt vom Haken und schnallte ihn um. Dann verließ er, ohne auf Oakland zu achten, das Office. Mit schweren Schritten ging er die Stepwalks hinunter, um dann die Straße zu überqueren. So schwer wie seine Schritte waren auch seine Gedanken. Hatte Wyatt Earp ihm nicht zuviel zugetraut? Er war doch offensichtlich nicht der Mann, der in diesem gesetzlosen Nest Ordnung schaffen konnte. Er nahm sich vor, dem Marshal noch am gleichen Tage einen Brief zu schreiben. Ein schwerer Entschluß für einen Gesetzesmann, der zum erstenmal einen selbständigen Posten übernommen hatte. Bill Oakland folgte ihm auf den Fersen. Auch andere Männer, die die Schüsse gehört hatten, eilten zum Saloon. Der Sheriff stieß die Flügeltür auseinander und sah den Saloon voller Menschen. Das Stimmengewirr verstummte sofort, als sie Ben Haley erkannten. Es waren nicht gerade freundliche Blicke, die den Eintretenden trafen. Ebenso erging es Bill Oakland, als er über die Schwelle kam. Doch ihn traf nur der Blick aus einem Paar pulvergrauer Augen, finster und voller Wut. Es waren die Augen Cass Cassedys. Als der Salooner ihn unversehrt an der Theke stehen sah, grinste er breit und zwinkerte ihm zu. In seiner Triumphstimmung achtete er nicht auf das gallige
Gesicht seines Partners. Sein Kopf wandte sich sofort in die Richtung, wo der durchlöcherte Doc Holliday am Boden liegen mußte. Da wurden seine Augen voller ungläubigen Entsetzens weit. Am Tisch saß gelassen der Gambler wie er ihn kannte. Sein Gesicht war undurchdringlich und glatt, und in den nervigen Händen hielt er ein Kartenspiel. Wie eine Holzpuppe drehte sich der Salooner um und ging steifbeinig zur Theke. Neben Cassedy blieb er stehen. »Was ist geschehen?« Die Worte waren kaum verständlich. »Das siehst du Lump doch«, knurrte ihn der Californier an wie ein bissiger Hund. »Jetzt versteh ich gar nichts mehr. Aber Joe sollte ihn doch aus den Stiefeln blasen.« »Und mich mit! Aber dein Joe hat ausgeblasen, Bill Oakland, und wenn ich mich nicht irre, wird es dir in naher Zukunft kaum anders ergehen.« Nun verstand der Salooner tatsächlich nichts mehr. Der Sheriff war an den Tisch Hollidays getreten. »Was haben Sie hier schon wieder angerichtet, Holliday?« begann er in gereiztem Ton. Der Georgier hob langsam den Kopf und sah Haley mit seltsam müden Augen an. »Vielleicht fragen Sie Ihren Freund danach, Sheriff.« Dabei wies er auf Cassedy. Der Californier löste sich von der Theke und kam zum Tisch. Er stemmte beide Fäuste in die Hüften und grinste Holliday schadenfroh an. »Was hier geschehen ist, kann ich Ihnen genau erzählen. Holliday hat mich zunächst um meine ganze Barschaft erleichtert. Wie ein Spieler so etwas fertigbringt, brauche ich Ihnen wohl nicht näher zu erklären. Dann hatte er noch die Unverschämtheit, ausgerechnet mich einen Falschspieler zu nennen. Als es dann zu einem Wortgefecht kam, zog er seinen Colt und bedrohte mich.
Daraufhin rief ich den Keeper zu Hilfe, aber der Mann konnte sein Gewehr nur noch im Sterben abdrücken.« Das war allerdings eine so unverschämte Lüge, daß sie selbst dem Mann, dem sie galt, ein kaltes Lachen entrang. Aber Holliday sagte noch kein Wort. »Was haben Sie dazu zu sagen, Holliday?« fragte der Sheriff scharf. Der Georgier antwortete im gleichen Tonfall. »Dazu nichts, Haley.« Cass Cassedy grinste überheblich. »Haben Sie eine andere Antwort erwartet, Sheriff.« Ben Haley achtete nicht auf die Worte des Banditen. Etwas wie Erleichterung stieg in ihm auf. Nun hatte er doch endlich einen Grund, den Mann dingfest zu machen. »Sie sind sich doch darüber im klaren, Doc Holliday, daß ich Sie einsperren muß?« Der Georgier schüttelte den Kopf. »Nicht im geringsten.« »Dann werde ich Sie zwingen.« »Sie sind sich wohl darüber im klaren, daß Ähnliches vor Ihnen schon andere Männer versucht haben.« Der Sheriff geriet in Wut. »Wenn es bisher noch keinem gelungen ist, Sie an den Galgen zu bringen – mir wird es gelingen, verlassen Sie sich darauf!« Das harte Gesicht des Georgiers blieb ungerührt. »Nehmen Sie sich da nicht etwas viel vor?« »Das werde ich Ihnen beweisen. Schließlich können Sie nicht gegen eine ganze Stadt kämpfen. Diesmal bin ich nicht allein.« Wenn der Mann gewußt hätte, wie allein er war, dann würde er vielleicht schweigend den Saloon verlassen haben. Und noch etwas hätte er wissen sollen: Dieser Doc Holliday war auch in der
Lage, mit einer ganzen Stadt fertig zu werden. Selbst der Townmayor, Horace Gleen und der Blacksmith standen ihm nicht bei, obwohl sie noch vor wenigen Stunden gefordert hatten, er sollte Holliday aus der Stadt weisen. Sie saßen weiter hinten im Saloon an einem Tisch und dachten gar nicht daran, sich an dieser Auseinandersetzung zu beteiligen. Er war der Sheriff, und jetzt hatte er eine Handhabe gegen den Gambler. Also war es allein seine Pflicht, den Mann dingfest zu machen. Der Sheriff hatte sich umgewandt und blickte die Männer im Saloon der Reihe nach an. Einige wandten sich ab und traten zur Theke. Die anderen senkten die Köpfe. Jetzt wußte Ben Haley, daß er allein war. »Also so sieht das aus«, murmelte er. Und das war der Moment, da Ben Haley dem Georgier zum erstenmal leid tat. Was für eine feige Brut war das doch! Aber wie oft hatte er das in anderen Städten schon erlebt. Für jämmerliche vierzig Dollar sollte der Sheriff sein Leben einsetzen, mehr erhielt ein Sheriff nicht. Ben Haley sah Holliday lange an, bevor er sagte: »Ich werde jetzt meinen Colt ziehen und Sie auffordern, mir zu folgen.« »Das würde ich an Ihrer Stelle nicht tun, Monsieur«, meldete sich plötzlich die näselnde Stimme des Franzosen von der Theke her. Es hatte lange gedauert, bis er sich zu dem Entschluß durchringen konnte, auszusagen. Sein Entschluß war nicht aus einem Gefühl der Hilfsbereitschaft geboren. Er hatte abgewägt zwischen Cass Cassedy und Doc Holliday. Die unwahrscheinlich schnelle Hand war das Zünglein an der Waage. Der Georgier war gefährlicher und mehr zu fürchten als der Californier. Und das war für den Franzosen ausschlaggebend gewesen. Er ging an Cassedy und dem Sheriff vorbei und stellte sich hinter Doc Holliday. Hier fühlte er sich einigermaßen sicher.
»Was wollen Sie denn?« herrschte ihn Ben Haley an. Der Franzose warf einen ängstlichen Blick auf den Banditen, dann begann er leise: »Von dem, was der Mann ausgesagt hat, stimmt kein Wort!« »Du verdammter Spitzbube!« brüllte ihn der Californier an. Er wollte den Franzosen von vornherein einschüchtern. »Ich breche dir sämtliche Knochen im Leib, wenn du auch nur ein Wort von deiner Lügenstory weiterredest.« Dann wandte er sich an den Sheriff. »Sind Sie denn blind, Mann? Diese beiden Burschen gehören doch zusammen. Beide sind mit der Overland angekommen, hier am Tisch haben sie gepokert. Seine Aussage ist erlogen, sie hat keine Gültigkeit.« Der Georgier sah dieser Auseinandersetzung amüsiert zu. Er wäre auch ohne Hilfe des Franzosen mit dem Sheriff fertiggeworden, ohne Gewalt. Ben Haley hielt sich ans Gesetz. »Seine Aussage hat ebenso Gültigkeit wie die Doc Hollidays. Waren noch andere Zeugen zugegen?« Der Franzose schüttelte den Kopf. Cass Cassedy quetschte zwischen gepreßten Lippen hervor: »Yeah, es war noch ein Zeuge da, aber den hat Holliday ausgelöscht. Stumm hat er ihn gemacht. Und Stumme können nicht mehr reden.« Diesen stummen Zeugen bemitleidete allerdings kein einziger Mann, noch nicht einmal Bill Oakland. Im Gegenteil, er schickte ihm noch einen Fluch mit ins Grab. Joe Vaugham hätte jeder Mann in der Stadt einen anderen Tod gewünscht. Die zielsichere Kugel des Georgiers war viel zu gnädig für den Verräter gewesen. Dann berichtete der Franzose, was geschehen war. Cassedy wollte ihn immer wieder unterbrechen, aber der Sheriff hinderte ihn daran. Als Germain geendet hatte, wollte Ben Haley von dem Georgier wissen: »Stimmt das, was der Mann gesagt hat?«
Holliday nickte. »Es stimmt.« »Und weshalb haben Sie mir das nicht schon vorher gesagt?« »Ich hätte es Ihnen schon gesagt, aber Sie haben eine seltsame Art, Fragen zu stellen.« Der Californier stieß einen grimmigen Fluch aus. Auf seiner Stirn hatte sich eine steile Falte gebildet. »Das also ist euer Sheriff, Männer!« rief er mit gehobener Stimme in den Schankraum. »Zwei hergelaufenen Tramps glaubt er mehr als einem Bürger.« Er wollte schon weiterreden, aber da unterbrach ihn die seltsam veränderte Stimme Hollidays. Es klang so hart und scharf wie brechendes Glas. »Noch ein solches Wort, Bandit, und du bist ein toter Mann!« Und keiner der Menschen im Saloon zweifelte auch nur einen Moment daran, daß hinter diesen Worten entschlossener Ernst war. Das schien auch Cass Cassedy begriffen zu haben. Er machte eine wegwerfende, ja, geringschätzige Bewegung zu Ben Haley hinüber, murmelte dann etwas, das ebensogut »elender Feigling« wie »macht euren Kram allein« heißen konnte. Doc Holliday blickte er nicht mehr an. Mit langen Schritten ging er zur Theke und ließ sich von Oakland einen Whisky geben. Der Salooner schenkte wortlos ein. Er kochte vor Wut. Auch Gene Urban, der Mörder des Ranchers Keyn, war an der Theke aufgetaucht. Als Oakland ihn entdeckte, winkte er ihn heran und gab ihm barsch den Befehl: »Schaff diesen Burschen fort!« Dabei wies er auf den toten Vaugham. Urban umrundete die Theke und erschien sofort wieder mit dem Toten. Die Art, wie der Mörder seinen ehemaligen Kameraden aus dem Saloon schaffte, trug ihm einige Flüche ein, obwohl es sich bei dem Toten um einen in der ganzen Stadt gehaßten Mann gehandelt hatte.
Mit dem Stiefel stieß Urban die Hintertür zum Hof auf, und dann transportierte er den Körper mit einem Schwung hinaus. Gelassen ging er wieder zur Theke zurück, wischte sich die Hände an der Hose ab und bestellte sich einen Whisky. Im Saloon war jedes Gespräch erloschen. Was die Männer da oben mit eigenen Augen gesehen hatten, war nicht unbedingt von Bedeutung, aber irgendwie waren sie alle erschüttert. War diese rohe Handlung nicht sinnbildlich für das, was aus ihrer Stadt geworden war? In El Paso hatte man die Achtung vor dem Leben ebenso verloren wie die Demut vor dem Tod.
*
Über El Paso hatte sich die Nacht mit ihrem Schweigen gesenkt. In den Hän hatten sich die Menschen zum Schlaf niedergelegt, viele von ihnen starrten mit offenen Augen ins Dunkel und dachten mit Schrecken an die vergangenen und kommenden Tage. Nur aus wenigen Fenstern stahl sich noch trüber Lichtschimmer und färbte den Lehmstaub der Straße zu schmutzigem Gelb. Die Saloons hatten bereits geschlossen. Nur aus dem Hinterzimmer des Frontier Saloons geisterte noch der Schein einer Kerosinlampe. Hier saßen drei Männer zusammen. Der Salooner, Cass Cassedy und Gene Urban. Sie blickten mit trüben Augen in ihre Gläser und rauchten. Bisher waren nur wenige Worte zwischen ihnen gefallen. Um die traurige Bilanz
der letzten Tage zu ziehen, brauchten sie nicht viel miteinander zu reden. Cassedy hatte von ihnen in den letzten Tagen wohl am meisten eingebüßt: sein gesamtes Geld und, was dem Banditen bedeutend wertvoller war, sein Gesicht. Dollars ließen sich immer wieder ersetzen, aber wenn ein Mann zweimal geschlagen worden war, so hatte er im Westen seinen mehr oder weniger traurigen Ruf als Coltman verloren. Der Name Cass Cassedy war bisher nur wenig bekannt, aber bald würde man über ihn an den Lagerfeuern der Cowboys und in den Saloons der Städte sprechen. Aber er sollte nicht der Held dieser Erzählungen sein, sondern der Verlierer. Das fraß an dem Californier wie ätzendes Gift. Darüber würde er niemals hinwegkommen. Daher hatte sich in ihm der wahnsinnige Entschluß gefestigt, diese Stadt erst dann zu verlassen, wenn er ihr Herr geworden war. Dann gab es noch etwas, das ihn veranlaßte, in der Stadt und im County zu bleiben: Ines Keyn, die Ranchertochter. Er hatte das schöne Mädchen und hauptsächlich ihre Ranch nicht vergessen. Wie er inzwischen erfahren hatte, war die Ranch kein riesiger Besitz, aber sie konnte ihren Mann ernähren. Und dieser Mann wollte Cass Cassedy werden. Bill Oakland hatte ganz andere Sorgen. Sorge Nummer eins war Doc Holliday. An zweiter Stelle rangierte der Sheriff Ben Haley. Oakland hatte zwar in den letzten Tagen keine Dollars verloren – den Bruder und seine Männer zählte er erst gar nicht. Rauhe Burschen, die sich für harte Bucks in den Sattel zogen, waren immer zu finden – aber seine Pläne konnte er nur dann verwirklichen, wenn er den halsstarrigen Sheriff und diesen verdammten Schießer Holliday aus der Stadt
oder auf dem Boot Hill hatte. »Hell und devils, daß aber auch alles schiefgehen mußte. Jetzt sind wir nur noch zu dritt. Aber wir…« »Du hättest es bald fertiggebracht, daß nur noch zwei von uns übriggeblieben wären.« Der Salooner winkte verärgert ab. »Verdammt, ich habe dir doch alles erklärt. Ich wollte uns doch nur damit helfen. Kann ich etwas dafür, wenn dieser Trottel zu früh den Hahn durchzog?« Der Californier trank sein Glas leer und füllte es sich dann wieder. »Ich glaube, es ist besser, wenn ich aussteige, Bill«, log er, denn er hatte gar nicht die Absicht. »Ich habe mein ganzes Geld bei diesem Coup verloren.« Oakland kicherte. »Ich habe dir nicht geraten, dich an seinen Tisch zu setzen.« Der Californier schoß ihm einen flammenden Blick zu. »Nein, das hast du allerdings nicht, weil du ein Feigling bist. Du warst es doch, der sich verzogen hatte, als es heiß wurde. Wärst du geblieben, dann hätten wir den Burschen fertiggemacht.« »Diese elende Streiterei nützt jetzt auch nichts mehr«, beschwichtigte der Salooner. »Und ich werde dir deinen Verlust ersetzen.« Genau das wollte Cass Cassedy erreichen. »Nun, wenn es so ist, dann können wir ja miteinander reden.« Der Salooner hatte seinen Partner bereits durchschaut. Er wußte, wie Cass anzufassen war. Dir werde ich zu gegebener Zeit die Bucks wieder aus der Tasche ziehen, dachte er grimmig. Lange wirst du mein Partner nicht sein. Dann brachte er seine Vorschläge. »Was haltet ihr davon, wenn wir einige Tage verstreichen lassen, bevor wir weiterhandeln. Vielleicht bietet sich rein zufällig eine Gelegenheit, etwas zu unternehmen.« Cassedy nickte. »Sicher hast du recht.«
»Paßt auf, wie ich mir das gedacht habe: Du hattest doch die Absicht, Haley zu fordern. Und er soll in der bewährten Manier vor aller Öffentlichkeit fallen.« Unter der »bewährten Manier« verstanden die Banditen, daß das Opfer in eine Falle gelockt werden sollte, aus der es nicht mehr entrinnen konnte. Aber der Kampf mußte aussehen wie ein fairer Gunfight. Das bedeutete Vorbereitungen. Es mußte ein geeigneter Platz gefunden werden, ein Platz, wo sich Heckenschützen ungesehen verbergen konnten. Und das war schwierig geworden nach dem Reinfall auf der Mainstreet. Obwohl sich der Californier dem Sheriff weit überlegen dünkte, wollte auch er jetzt kein Risiko mehr eingehen. »Das kann Urban übernehmen. Er soll den geeigneten Platz suchen; denn ihm wird man nicht so schnell nachspionieren.« Gene Urban nickte befriedigt. Er war froh, daß er keinen anderen Auftrag erhalten hatte. »Geht in Ordnung, Boß.« »Nimm das Maul nicht so voll, du Stümper!« fuhr Bill Oakland den Mann an. »Die Sache mit Taroc Keyn hat mir gelangt.« Der Californier horchte auf. »Hat er ihn umgelegt?« fragte er, ohne sonderliches Interesse merken zu lassen. »Yeah, das hat er«, knurrte der Salooner und gab Urban einen Wink. »Du kannst jetzt verschwinden, Gene. Sobald du etwas endes gefunden hast, läßt du dich wieder blicken.« Urban zog den Kopf zwischen das Genick und trollte sich davon. Cass Cassedy grinste still vor sich hin. Das hätte ihm sein Partner nicht sagen dürfen. Daraus mußte sich doch etwas machen lassen. Im Moment wußte er nur noch nicht genau was. Aber eines stand fest: Mit Gene Urban hatte er auch Oakland in der Hand. Der eine hatte den Rancher auf dem Gewissen, der andere mußte ihn zu diesem Mord
beauftragt haben. Offensichtlich war etwas schiefgegangen, sonst hätte der Salooner Urban nicht einen Trottel genannt. Aber das wollte er noch herausfinden. Nachdem sich die Tür hinter Gene Urban geschlossen hatte, lehnte Bill Oakland sich weit im Stuhl zurück. »Wir müssen alles tun, um die Scharte wieder auszuwetzen, Cass. Wir sprachen eben von Keyn. Aber ich denke jetzt an Ines Keyn. Als du kamst, hast du mir Andeutungen gemacht. Ich habe mir die Sache inzwischen anders überlegt. Es wäre vielleicht nicht schlecht, wenn wir noch eine Ranch in unseren Besitz bringen könnten – und dann noch auf legale Art.« Den Spaß werde ich dir schon verderben, dachte Cassedy, aber laut sagte er: »Und wie hast du dir das vorgestellt?« Der Salooner grinste selbstzufrieden und überheblich. »Ich stelle mir das gar nicht so schwer vor. Das Mädchen ist jetzt kurz nach dem Tode seines Vaters noch vollkommen durcheinander und bestimmt für jeden Trost empfänglich. Wenn ich dich so ansehe, wärest du der richtige Mann, ihr den entsprechenden Trost zu geben.« Dabei kicherte er anzüglich. »Rede nicht um den Brei herum. Du meinst also, ich soll sie heiraten?« »Ich bewundere deinen Scharfsinn, Cass. Genau das habe ich gemeint.« Der Californier wiegte nachdenklich den Kopf. Er tat es, obwohl er von seiner Unwiderstehlichkeit restlos überzeugt war. »Aber ich kenne sie doch kaum.« »Du hast Ines im richtigen Moment kennengelernt. Das ist ausschlaggebend. Sie wird dir nie vergessen, daß du ihr geholfen hast, ihren Vater in die Stadt zu bringen.« »Vielleicht hast du recht, aber du weißt von früher her, daß ich nie viel für Frauen übriggehabt habe.« Der Salooner schnitt mit der Hand die blaue Luft im Raum auseinander. »Hier geht es nicht um eine Frau, sondern um ein Vermögen, um eine Ranch und… es geht noch um ganz was anderes.«
»Da bin ich aber gespannt.« Bill Oakland räusperte sich vernehmlich. Die Zukunft schien nach diesem Gespräch nicht mehr ganz so grau zu sein. »Weißt du, was es für dich, ja, für uns beide bedeutet, wenn du Rancher im County geworden bist? Du wirst ein geachteter Mann sein.« Cass Cassedy grinste. »Du meinst, ich sollte Sheriff von El Paso werden?« »Yeah, das sollst du. So werden wir anfangen. Und wenn sich alles eingelaufen hat, werden wir schon eine Strohfigur finden, die diesen Posten in unserem Auftrag übernimmt.« »All right, ich werde es versuchen«, meinte der Californier. »Aber auf die Dauer werde ich keinen Geschmack am ehrbaren Eheleben finden. Ich glaube, das wäre mir zu langweilig.« »Pah, was redest du«, erwiderte Oakland wegwerfend. »Hast du vielleicht gedacht, ich wollte bis zu meinem Lebensende in diesem verdammten Nest versauern? Wenn wir genügend Dollars gestapelt haben, werden wir alles verkaufen und dann verschwinden.« Sie trennten sich, um auf ihre Zimmer zu gehen. Und draußen auf dem Hof löste sich ein Schatten von dem Fenster des Nebenzimmers. Mit fliegendem Atem schlich er zur Einzäunung und zwängte sich hindurch. Tief atmend blieb er auf dem dunklen Nebenweg stehen. Sein Körper war in Schweiß gebadet. Langsam, mit schleppenden Schritten, ging er zur Mainstreet zurück. Der Mann überquerte die Straße und verschwand dann in einem dunklen Gebäude.
*
Auch im Rio Saloon war alles dunkel, als unten die Tür leise zufiel. Sekunden
später knackte eine Treppenstufe wie ein brechender Ast. Holliday lag lang ausgestreckt auf seinem Bett. Bei diesem Geräusch erwachte er sofort aus dem Halbschlaf und hob den Kopf. Es war selbst in den Nächten drückend heiß. Die stickige Hitze des Tages ließ noch jetzt die ausgedörrten Bretterwände knistern. Drüben im Frontier Saloon hätten sie bessere Zimmer bekommen können, aber der Franzose und Holliday hatten es vorgezogen, in den Rio Saloon zu übersiedeln. Der Georgier hatte sich halb erhoben und ließ die Beine vom Bett gleiten. Hastige Schritte näherten sich seinem Zimmer. Dann wurde leise an die Tür geklopft. Holliday erhob sich, ging zum Tisch, nahm einen seiner Revolver, dann trat er an die Tür. »Was gibt’s?« Eine aufgeregte, atemlose Stimme antwortete von draußen: »Ich bin es, Germain.« Was wollte der denn mitten in der Nacht? Der Georgier öffnete. »Wo schleichen Sie denn noch herum?« Der Franzose trat schnell ein. »Ich werde es Ihnen erklären, aber verschließen Sie erst die Tür.« »Weshalb sind Sie so aufgeregt?« fragte Holliday, nachdem er die Tür geschlossen hatte. »Ist jemand hinter Ihnen her?« Germain ließ sich auf einen Stuhl am Fenster fallen. Er war vollkommen mit den Nerven fertig. »Vielleicht«, gab er zurück. »Ich weiß es nicht.« »Wo kommen Sie denn her? Waren Sie nicht auf Ihrem Zimmer?« »Nein, ich war drüben im Hof des Frontier Saloons.« Holliday glaubte, nicht richtig verstanden zu haben. »Wo sind Sie gewesen?«
»Drüben, in der Höhle des Löwen.« Yeah, war denn so etwas möglich? Diesen Mut hätte er dem Mann nicht zugetraut. Er wußte doch, wen er vor sich hatte, auch ohne die Geschichte des Franzosen zu kennen. Er war nicht mehr und nicht weniger als ein kleiner, feiger Betrüger, mehr Ungeziefer als Raubtier. »Was wollten Sie denn drüben?« Germain stöhnte. »Ich konnte vor Angst nicht einschlafen.« »Vor wem hatten Sie denn Angst?« »Monsieur, glauben Sie denn etwa, dieser Bursche würde mir jemals vergessen, daß ich gegen ihn ausgesagt habe?« Nein, das würden Cass Cassedy und der Salooner niemals vergessen, das war Holliday klar. Aber er sagte es nicht, um den Franzosen nicht noch mehr zu ängstigen. Germain fuhr fort: »Ich bin also in den Hof geschlichen, da dort noch ein Fenster erleuchtet war. Und da habe ich die drei belauscht. Ich wollte erfahren, was sie gegen uns vorhaben.« Das war allerdings keine schlechte Idee gewesen, mußte Holliday zugeben. Aber diese Idee hätte den Franzosen teuer zu stehen kommen können. »Und haben Sie etwas erfahren können?« »Eine ganze Menge, aber nur von uns beiden haben sie kein Wort gesprochen.« »Vielleicht waren wir vorher an der Reihe, und Sie sind zu spät gekommen.« »Das glaube ich kaum, aber es ist immerhin möglich.« Dann berichtete er, was er im Hof des Frontier Saloons erlauscht hatte.
Dann schwiegen die Männer für eine Weile. Holliday hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Kaum dreißig Yards vom Haus entfernt wälzte der mächtige Rio Grande del Norte seine dunklen Wasser nach Süden. Der Georgier hatte sich eine lange Zigarette angezündet. Was waren das für gnadenlose, kaltherzige Verbrecher. Selbst vor einer Frau hatten diese Schurken keine Achtung. Und wie war es mit Ben Harley, dem Sheriff? Der Mann konnte sich jetzt schon einen Platz auf dem Boot Hill aussuchen, und wenn Holliday nicht zufällig in die Stadt gekommen wäre, dann läge er jetzt schon dort. »Haben Sie eine Zigarette für mich?« ließ sich der Franzose vernehmen. »Ich rauche im allgemeinen selten, aber jetzt könnte ich eine vertragen.« Der Georgier gab ihm eine und reichte ihm auch Feuer. Nachdem Germain einige Züge gemacht hatte, meinte er: »Wollen wir morgen die Stadt nicht lieber verlassen?« Holliday sah zu Germain hinüber, dessen Gesicht wie eine bleiche Scheibe aus der Dunkelheit leuchtete. »Den Rat wollte ich Ihnen schon lange gegeben haben.« »Was heißt mir? Wollen Sie etwa in diesem Teufelsnest bleiben?« »Weshalb nicht? Ich finde es ganz unterhaltsam hier.« »Mon Dieu. Sie haben aber Nerven! Seien Sie doch froh, daß Sie mit einem blauen Auge davongekommen sind.« »Also sind Sie der Ansicht, daß ich mit einem blauen Auge davongekommen bin?« Jetzt begriff der Franzose, daß er eine Dummheit gesagt hatte. Es gab nämlich
einige Männer in der Stadt, die froh sein mußten, daß sie noch in ihren Stiefeln stehen konnten. »Sie haben ja recht, Doc«, erwiderte er kleinlaut. »Aber was haben Sie davon, wenn Sie für andere Menschen die Kastanien aus dem Feuer holen? Es dankt Ihnen ja doch niemand.« Damit hatte der kleine Bandit Francois de Germain mehr als die Wahrheit gesagt. Aber das beirrte den Georgier nicht im geringsten. Er dachte gar nicht daran, vor den Banditen zu fliehen. Ein oder zwei Tage wollte er wenigstens noch in der Stadt bleiben. Und dann hatte er nicht die mindeste Lust, mit dem Franzosen weiterzuziehen. Der Mann entwickelte eine Anhänglichkeit, die dem Georgier lästig war. Der Gambler war es gewohnt, allein durch die Staaten zu ziehen. Er wollte keine Freunde und auch keinen Anhang. Das harte Schicksal, das er zu tragen hatte, konnte niemand mit ihm teilen. »Ich werde bleiben«, sagte er so kalt und abweisend, daß Germain sich unwillkürlich erhob. »Dann werde ich gehen, Doc, und morgen mit der ersten Overland die Stadt verlassen.« Als sich die Tür hinter dem Franzosen geschlossen hatte, warf Holliday den Rest der Zigarette zum offenen Fenster hinaus. Die Glut wirbelte durch die Luft und landete im mehligen Staub der Uferstraße.
*
Am frühen Morgen des kommenden Tages kleidete sich Holliday wie immer sorgfältig an und verließ den Saloon.
Die Straßen waren noch menschenleer. Die aufgehende Sonne ließ die Häfronten und Vorbauten plastisch erscheinen. Die Luft war noch klar und mild, aber das Flimmern über dem gelben Staub der Hauptstraße ließ die Hitze des Tages schon ahnen. Doc Holliday ging mitten auf dem Fahrdamm bis zum Mietstall, der am unteren Ende der Straße gelegen war. Das Tor war bereits geöffnet, und aus den Ställen drang das Schnauben der Pferde. Der Stallbesitzer war noch nicht auf dem Hof, nur einer seiner Männer war mit der Fütterung beschäftigt. Er kam gerade mit zwei leeren Wassereimern aus der Stalltür, als Holliday den Hof betrat. Der Knecht war ein kleiner schiefmäuliger Mann. Sein Gesicht war von wildem Bartwuchs überdeckt. Er galt in El Paso als nicht ganz normal. Und so mußte es auch sein. Jedesmal wenn er angesprochen wurde, verdrehte er die Augen und begann zu stottern. »Kann ich bei Ihnen ein Pferd geliehen haben?« Prompt verdrehte der Stallbursche die Augen und nickte. »Kö – können Sie.« Er deutete auf die Tür und ging Holliday voran. »Su – su – suchen Sie sich eins aus.« Der Doc sah sich um. Er nahm sich einen gutaussehenden Grauschimmel. Der Stallbursche führte das Tier hinaus und sattelte es. Holliday entrichtete den Mietpreis, zog sich in den Sattel und verließ den Hof. Noch immer war kein Mensch auf der Straße, und so konnte der Georgier ungesehen die Stadt verlassen. Er hatte keine bestimmte Absicht mit diesem Morgenritt. Er wollte nur für einige Stunden hinaus aus der stickigen Enge der schmutzigen Stadt. Er ritt im leichten Trab an den Bergen am östlichen Ufer des Rio Grande del Norte entlang. Es war ein karges Land, dieses südliche New Mexico. Die Menschen, die hier
siedelten, mußten ihre ganze Kraft und Zähigkeit aufwenden, um dem trockenen Boden die Nahrung für die Herden zu entringen. Viele von ihnen hatten es aufgegeben und waren nach Norden gezogen. Aber es kamen immer wieder neue Männer, die härter und zäher waren. Dort, wo die anderen aufgehört hatten, fingen sie an. Sie zogen Gräben in den sonnenharten Boden und bewässerten das Land, aber erst nach Jahren trug ihre unermüdliche Arbeit Früchte. Die Steppe war grün. Es war zwar ein fahles, fast graues Grün, und nur büschelweise quälte sich das Büffelgras aus dem Boden, aber für die ersten zähen Texasrinder reichte die Nahrung. Die Arbeit hatte sich gelohnt, denn das Land war billig. Die Herden wuchsen. Hier fand man zwar nicht die riesigen Herden, die im Rinderstaat Kansas über die Weide zogen, aber die Zukunft hatte auch in diesem kargen Land begonnen. Die flachen Hä von El Paso waren bereits im Dunst der Ferne versunken, als weit voraus die ersten Herden auftauchten. Doc Holliday hatte nicht die Absicht, auf Menschen zu stoßen, deshalb wandte er den Kopf des Pferdes etwas mehr nach Süden, dorthin, wo die abgeflachten Gipfel der Organos Mountains in den stahlblauen Himmel New Mexicos ragten. Das Gelände war jetzt nicht mehr so flach wie in der Ufernähe des großen Stromes, sondern wiegte sich in weichen Wellen den Bergen entgegen. In den Bodensenken standen Riesenkakteen und streckten ihre staubgrauen, bestachelten Arme in den Himmel. Manche dieser flachen Täler waren auch bereits mit Gras bewachsen, und Holliday hatte an den Spuren gesehen, daß hier auch Rinder geweidet hatten. Nur Weidezäune waren nicht zu sehen. Sie erübrigten sich in diesem Land, denn die Weiden der Rancher endeten dort, wo kein Gras mehr wuchs. Der Grauschimmel kletterte wieder einen Hügel empor, und kaum hatten Reiter
und Pferd die Kuppe erreicht, da fiel irgendwo ein Schuß. Es konnte nicht weit sein, aber in diesem hügeligen Gelände war das schwer zu bestimmen. Holliday ritt aufs Geratewohl weiter. Er wollte sich einfach nicht um diesen Schuß kümmern. Er war es müde, anderen Menschen zu helfen. Wer half ihm schließlich? Er durchquerte wieder eine Mulde, und als er die nächste Höhe erreicht hatte, sah er vor sich im Tal eine kleine Rinderherde. Der Georgier hielt sein Pferd an und blickte hinab. Und da sah er den Mann am Boden liegen, neben dem Mann lag ein großer brauner Wallach. Das Tier schien tot zu sein, denn es regte sich nicht mehr. Aber der Mann neben dem Braunen schien nur verletzt zu sein. Er saß am Boden und versuchte, sich einen Stiefel vom Fuß zu ziehen. Holliday streifte mit den Augen die umliegenden Hügel ab, aber es war nichts zu entdecken. Da ließ Holliday sein Pferd die Halde heruntersteigen und steuerte auf den Mann am Boden zu. Es war ein grauhaariger Mann. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt. Als er den Hufschlag des Pferdes vernahm, hob er langsam den Kopf. Aber es war nicht Mißtrauen oder Angst in den alten Augen, die genauso grau waren wie sein Haar. Er wartete, bis Holliday herangekommen war. »Good morning, Mister«, grüßte er dann. Seine dunkle Stimme paßte zu seinem verwitterten Gesicht. Holliday grüßte zurück. »Ist auf Sie geschossen worden?« Der Alte schüttelte den Kopf und lachte bitter. »Ich habe geschossen. Auf ihn da.« Dabei wies er auf das tote Pferd. Seine Stimme wurde um einen Ton dunkler, fast traurig. »Er war ein guter Freund.«
Mehr sagte er nicht, aber darin lag alles, was ein Reiter für sein Pferd empfinden konnte. »Was ist denn geschehen?« wollte Holliday wissen. »Diese verdammten Präriehunde. So niedlich diese Biester auch aussahen, sie haben uns schon manches Rind und manches Pferd gekostet. Mein Brauner hat sich in ihren elenden Bauten gleich beide Vorderläufe gebrochen.« Der Georgier deutete auf den Fuß des Mannes. »Und was ist damit?« »Zweimal gebrochen.« Der Gambler ließ sich aus dem Sattel gleiten und kniete neben dem Rindermann nieder. Nachdem er den Fuß untersucht hatte, machte er ein bedenkliches Gesicht. »Der Fuß ist nicht zweimal, sondern dreimal gebrochen. Auf Ihre Rinder wird für eine Weile ein anderer aufen müssen.« Das Gesicht des Alten wurde finster. »Damned, das hat uns gerade noch gefehlt«, brummte er wie ein grimmiger Bär. »Wie weit ist’s zu Ihrer Ranch?« »Das sind noch einige Meilen, aber ich kann die Rinder nicht zurücklassen.« Doc Holliday hatte sich wieder erhoben und blickte sich nach einem Ast um, mit dem er den Fuß des Mannes hätte schienen können. Aber es war beim besten Willen nichts zu entdecken. »Dann muß es so gehen«, sagte er halblaut. »Was muß so gehen?« Der Georgier wandte sich zu dem Alten um. »Ich wollte den Fuß schienen, aber mit einer Kaktee geht das leider nicht.« Der Rindermann winkte ab. »Kümmern Sie sich nicht um mich. Einer meiner Männer wird mich schon suchen, wenn ich am Abend nicht auf der Ranch bin.«
»Sie werden am Abend auf der Ranch sein, Mister, und die Rinder nehmen wir auch mit.« Die Augen des Alten weiteten sich. Seine Blicke tasteten den eleganten Anzug des Fremden ab, dann spielte ein kleines Lächeln um seine Lippen. »Dieses Angebot ist lobenswert, aber…« Holliday hatte bereits sein Pferd neben den Verletzten gebracht. Der Mann kam gar nicht zum Ausreden. Zwei stählerne Arme hoben ihn hoch und setzten ihn auf den Rücken des Grauschimmels. Diese Kraft hätte der Rindermann dem Fremden gar nicht zugetraut. Holliday zog sich hinter ihm in den Sattel, und dann meinte er: »Das andere müssen Sie allerdings selbst besorgen.« Der Alte brummte etwas, dann nahm er die Zügel auf. Aber bevor sie losritten, sagte er noch: »Ich heiße übrigens Wild Cronen.« »Meine Name ist Holliday. Es kann losgehen.« »All right, Mister Holliday«, versetzte Wild, aber dann stieß er ein gellendes »Hoooiii« aus. Die Rinder hoben sofort die Köpfe, und ein mächtiger Bulle zwängte sich zwischen den Tieren durch und setzte sich an die Spitze der Herde. Der Trail ging los. Immer wieder feuerte der Alte mit wilden Schreien die Rinder an, und bald trabte die Herde, in eine große Staubwolke gehüllt, dem Talausgang zu. Nach kaum einer Viertelstunde hatte sie wieder die glatte Prärie erreicht. Wild Cronen hielt das Pferd an und ließ die Rinder langsam weiterziehen. »Hier weiden noch andere Teile unserer Herde. Wir werden zu der Ranch reiten und einige Männer herschicken. Die können dann auch mein Sattelzeug holen, und Sie sind mich los.« Der Georgier räusperte sich. Der pulvertrockene Staub hatte sich in seine Kehle
gefressen. »Wer soll Sie nach der Ranch bringen?« »Ich werde mir ein Pferd nehmen und allein hinreiten.« Plötzlich wurde dem Alten klar, daß er sich – ohne es zu wollen – unhöflich verhalten hatte. Man ließ im Westen einen Fremden nicht einfach reiten, ohne ihn wenigstens zu einem Imbiß eingeladen zu haben. Und zweimal nicht, wenn dieser Stranger einem geholfen hatte. »Sie müssen einen alten Mann entschuldigen, Mister Holliday. Natürlich kommen Sie mit auf die Ranch. Es kommen so selten Fremde zu uns. Ich hatte es vollkommen vergessen.« Der Georgier lachte verhalten. »So war es nicht gemeint, aber Sie brauchen einen Arzt.« »Die Knochen werde ich mir wohl selbst zusammenflicken können.« »Eben nicht, Mister. Wenn Sie je wieder laufen wollen, dann muß das Bein richtig geschient werden.« »Ist es denn so schlimm?« »Nicht, wenn es schnell in den Verband kommt.« »Was heißt schnell?« »Sagen wir in den nächsten zwei Stunden. Später sind die Schwellungen schon zu stark.« Cronen stieß einen Fluch aus. »In zwei Stunden ist kein Arzt bei uns auf der Ranch, in vier auch nicht.« »Dann reiten wir also«, sagte Holliday. »Yeah, wohin dann?« »Auf die Ranch. Ich werde Ihnen den Fuß schon wieder hinbiegen.« Cronen wandte sich im Sattel um und blickte in das harte Gesicht des Georgiers. »Sind Sie etwa Arzt?«
»So etwas Ähnliches. Und jetzt reiten Sie, wir haben keine Zeit.« Der Grauschimmel trabte los. Er war stark genug, die doppelte Last zu tragen. Bald hatten sie eine der Herden erreicht, von denen der Alte gesprochen hatte. Einige Cowboys sprengten ihnen entgegen. Als sie ihren Bestman erkannten, wurden die Gesichter finster. Kurz vor den beiden Männern parierten sie ihre Pferde. Einer von ihnen, es war der Mexikaner Jose, ergriff das Wort: »Hat er…?« Dabei deutete er auf Holliday. »Du bist schon immer ein Ochse gewesen, Jose, nur hast du es bisher noch nicht gemerkt«, erwiderte der Alte. »Wie sollte ich wohl auf den Rücken seines Pferdes kommen, he?« Der Mexikaner blickte seinen Vormann nicht gerade geistreich an, aber Cronen ließ ihn nicht mehr zu Wort kommen. Er berichtete, was geschehen war, und gab die nötigen Befehle. Einer der Cowboys mußte sein Pferd Holliday geben, dann ritten sie weiter. Inzwischen hatte die Sonne fast den Zenit erreicht. Es war drückend heiß geworden. Nach einer halben Stunde tauchten in der Ferne weiße Gebäude auf. Der Alte deutete mit der Hand nach vorn. »Dort liegt meine Ranch. In zehn Minuten sind wir da.« Dann wurde sein Gesicht plötzlich stumpf, und er murmelte kaum verständlich: »Arme Ines, ein Unglück kommt selten allein.« Der Name Ines war in den Ohren des Georgiers hängengeblieben. Damned, wo hatte er ihn schon einmal gehört? Sekunden später fiel es ihm ein. Ines Keyn, das Mädchen, dessen Vater von Gene Urban ermordet worden war. Das also war ihre Ranch!
Ein stolzer Besitz – und es war nicht verwunderlich, daß Burschen wie Cassedy und Oakland scharf darauf waren.
*
Die Rancherstochter stand mit einer fettleibigen Negerin am Holzbrunnen. Die beiden Frauen waren dabei, Wäsche auszuwaschen. Ines Keyn trug ein schwarzes Kleid. Das sonst so strahlende Gesicht war in den letzten Tagen müde und grau geworden. Hätte sie den alten Wild Cronen nicht gehabt, dann wäre sie an dem tragischen Schicksal ihrer Familie zugrundegegangen. Aber Wild hatte ihr über die ersten schweren Tage hinweggeholfen. An den Abenden war er bei ihr im Zimmer gewesen und hatte von der schweren Arbeit des Ranchers gesprochen. Sie durfte jetzt einfach nicht aufgeben, das wäre Verrat an ihrem Vater gewesen. Ines Keyn hatte die Arbeit wieder aufgenommen – sie tat es lustlos, aber sie tat es. Als sie den Hufschlag der beiden Pferde vernahm, hob sie langsam den Kopf. Die beiden Reiter waren bis an den Brunnen herangekommen. Ines wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Ist etwas geschehen, Wild?« fragte sie ängstlich. »Weshalb kommen Sie schon am Mittag von der Weide?« »Leider ist etwas geschehen, aber…« Das Mädchen wurde noch bleicher, als es ohnehin schon war. »Um Gottes willen…« Der Vormann schnitt ihr die Rede ab. »Regen Sie sich nicht auf, Ines«, beruhigte der Alte sie und fuhr schnell fort:
»Ich habe mir nur den Fuß verknackst.« Ines atmete hörbar auf. »Dann geht es ja noch.« Wild Corner warf Holliday einen bittenden Blick zu. Der Georgier hatte verstanden. Die Rancherstochter sollte vorläufig nicht erfahren, wie es um ihren Bestman stand. Holliday half dem Vormann aus dem Sattel und trug ihn ins Haus. Im großen Küchenraum legte er ihn auf eine breite Bank neben der Herdstelle. Ines war den beiden Männern gefolgt. Sie warf Cronen einen fragenden Blick zu, dabei wies sie mit dem Kopf auf den Georgier. »Das ist Mister Holliday, Ines«, sagte der Alte entschuldigend. »Ich habe vergessen, ihn vorzustellen. Er hat mir geholfen. Wäre er nicht zufällig in der Nähe gewesen, dann säße ich jetzt noch oben im Tal. Meinen Braunen mußte ich erschießen, er hatte sich die Vorderläufe gebrochen.« »Das ist schade um das schöne Pferd. Sie können sich aus dem Corral ein neues nehmen – oder nehmen Sie sich den Falben meines Vaters.« Der Alte schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht annehmen.« »Sie können es«, erwiderte Ines fest. Dann wandte sie sich an Holliday. »Ich danke Ihnen, daß Sie meinem Vormann geholfen haben, Mister Holliday.« Und dabei sah sie zum erstenmal bewußt in das reglose, seltsam starre Gesicht des Georgiers. Besonders die eisblauen Augen fesselten sie. Mit dem untrüglichen Instinkt einer Frau wußte sie, daß dieser Mann ein schweres Leid mit sich trug. Holliday wollte keinen Dank und ging auch nicht auf die Worte der jungen Frau ein. »Haben Sie Binden im Haus? Ich muß seinen Fuß bandagieren.« »Aber machen Sie sich keine Mühe, Mister«, erwiderte sie. »Ich weiß einen verstauchten Fuß zu behandeln.«
Da schaltete sich der Vormann schnell ein. »Lassen Sie ihn das machen, Ines. Ich glaube, er ist Arzt.« Sie warf wieder einen prüfenden Blick auf Holliday. »Das ist etwas anderes. Ich werde das Verbandmaterial holen.« Damit verließ sie die Küche. Der Georgier trat neben den Alten. »Ich brauche kleine Latten, um den Fuß zu schienen. Wo finde ich die?« »Drüben in der Werkstatt, neben dem Bunkhouse.« »Und dann sorgen Sie dafür, daß sie nicht dabei ist. Es wird nicht ohne Schmerzen abgehen.« Der alte Vormann lachte rauh. »Ich werde keinen Mundwinkel verziehen, Mister, darauf können Sie sich verlassen.« Der Gambler hob die Schultern und verließ das Haus. Wenig später kam er mit einigen schmalen Holzlatten zurück. Es war nicht gerade das richtige, aber etwas Besseres hatte er nicht finden können. Auch Ines war zurück und reichte ihm die Binden. Und der Vormann Wild Cronen verzog tatsächlich nicht eine Miene, als Holliday ihm die Brüche einrichtete, obwohl er furchtbare Schmerzen haben mußte. Nur sein Gesicht war kalkweiß geworden. »Geben Sie ihm ein Glas Whisky«, meinte Holliday über die Schulter, als er die letzte Binde anlegte. Ines brachte ein großes Glas. Der Bestman nahm es dankbar an und trank es in gierigen Zügen leer. Holliday erhob sich und wandte sich an das Mädchen. »Er wird eine Zeitlang liegen müssen, Miß. In seinem Alter ist mit solchen Sachen nicht zu spaßen.« »Hören Sie nicht auf ihn, Ines«, bellte Wild. »Die Ärzte wollen einen immer gleich ins Bett packen.«
Das Mädchen aber machte eine entschiedene Bewegung. »Ich höre auf ihn. Sie bleiben hier im Ranchhaus, damit Sie auf keine dummen Gedanken kommen können.« Mehr wollte Doc Holliday nicht erreichen. »So ist es richtig.« Dann zog er seine Uhr aus der Westentasche und ließ den Deckel aufschnappen. »Es wird Zeit für mich, Miß Keyn. Darf ich mich jetzt verabschieden?« »Sie wollen doch nicht etwa schon gehen?« »Das will ich.« Sie schüttelte energisch den Kopf. »Das kommt nicht in Frage. Sie haben noch nichts zu sich genommen und keinen Schluck getrunken.« »Vielleicht das nächste Mal, wenn ich nach Ihrem Bestman sehe.« Und Minuten darauf verließ der Georgier den Ranchhof. Ines stand unter der Tür und blickte hinter ihm her. Sie stand dort, bis er hinter einer Bodenwelle verschwunden war. Dann ging sie wieder ins Haus zurück. »Was ist das für ein seltsamer Mensch?« fragte sie in der Küche den Vormann. »Der Teufel mag es wissen«, brummte der Alte. »Ich habe ihn im County noch nie gesehen.« »Mir ist er auch noch nicht begegnet.« Wild Cronen nickte. »Man würde es auch nie vergessen, wenn der einem einmal über den Weg gelaufen wäre.«
*
Die Sonne war schon nahe dem Horizont, als die Ranch an den Organos Mountains den zweiten Besuch erhielt.
Cass Cassedy! Stolz wie ein spanischer Grande ritt der Verbrecher in den Hof. Vor dem Holzrohrbrunnen hielt er seinen Winneconta-Hengst an, stemmte den rechten Arm in die Seite und ließ seine pulvergrauen Augen das weißgestrichene, massive Ranchgebäude abtasten. Ein zynisches Lächeln schlich sich um die schmalen Lippen des Banditen. »Nicht schlecht«, preßte er triumphierend hervor. Und damit hatte der Bandit ein wahres Wort gesprochen. Die Y-Ranch war mustergültig angelegt. Fast sämtliche Gebäude, auch das Bunkhouse, waren aus festen Lehmziegeln gebaut und stahlend weiß gestrichen. In der Hofeinfriedung fehlte auch nicht eine Latte. Das wäre ein Fressen für den californischen Banditen gewesen, und diese fette Mahlzeit wollte er sich auch nicht entgehen lassen. Inzwischen war der Reiter vom Haus her bemerkt worden. Ines stand auf der Veranda und hatte die Augen mit der Hand überschattet, um besser sehen zu können. Cassedy hatte sie auch erblickt. Er ritt zur Veranda und sprang aus dem Sattel. Das siegessichere Grinsen war in seinem Gesicht erloschen und hatte einer mitleidvollen Miene Platz gemacht. »Good evening, Miß Keyn. Wie geht es Ihnen? Ich weiß, Sie brauchen es mir nicht zu sagen. Wie soll es einem Menschen gehen, den tiefes Leid getroffen hat«, sagte er schmalzig. Wäre das Mädchen durch den Anblick dieses Mannes nicht mit den Gedanken bei dem Toten gewesen, wäre ihr sicher der Mißklang aufgefallen. Sie stand da, die Hände vors Gesicht geschlagen. Ihre Schultern bebten leise. Der Verbrecher stieg die Stufen zur Veranda hoch und legte die rechte Hand auf eine der bebenden Mädchenschultern. »Nun hat mein Anblick wieder neues Leid in Ihnen erweckt«, floß es weiter wie
Honig von seinen Lippen. Innerlich mußte er über seine eigenen Worte lachen. Er malte sich aus, wenn Bill ihn hier reden hörte, aber er durfte den Gedanken nicht zu Ende denken, sonst hätte er sich vor Lachen nicht mehr retten können. Über diese Klippe half ihm Ines hinweg. Sie wischte sich mit den Fingerspitzen die Tränen aus den Augen und reichte ihm dann die Hand. »Entschuldigen Sie. Es ist gleich wieder vorbei. So begrüßt man keinen Gast.« »Wie kommen Sie auf den Gedanken, sich bei mir zu entschuldigen? Ich werde auch gleich wieder weiterreiten. Ich bin nur gekommen, um kurz nach Ihnen zu sehen.« Und dabei hatte dieser Teufel absichtlich die späte Stunde gewählt. In der Dämmerung würde kein Rancher im Westen einen Gast von seinem Hof reiten lassen. »Das kommt natürlich nicht in Frage«, versicherte Ines. »Sie werden bleiben. Die Nacht bricht bald herein, und mein Haus ist groß genug.« Mit beiden Händen wehrte der Bandit scheinheilig ab. »Das kann ich nicht annehmen, Miß.« Sie senkte den Kopf und sagte leise: »Tun Sie es meinem toten Vater zuliebe. Er würde es mir selbst im Grabe nicht verzeihen, wenn ich ausgerechnet Sie davonreiten ließe.« Der hinterhältige Schurke tat so, als habe er mit einem schweren Entschluß zu ringen. Aber dann sagte er doch: »Wenn ich Ihnen damit einen Gefallen erweisen kann, werde ich bleiben.« »Das ist nett von Ihnen«, antwortete sie aufrichtig. »Kommen Sie ins Haus, die Cowboys werden für Ihr Pferd sorgen.« Wenn das Mädchen geahnt hätte, welchen Satan sie unter ihr Dach geladen hatte, dann wäre sie wohl vor kaltem Entsetzen ohnmächtig geworden. Cass Cassedy blickte sich befriedigt in der großen mexikanisch eingerichteten Halle um und zog unwillkürlich einen Vergleich mit seiner eigenen südländischen Aufmachung.
In diese Umgebung paßt du bestens hinein, sagte er sich. Ines war vor ihm stehengeblieben. Mit einer weit ausholenden Bewegung sagte sie: »Nehmen Sie Platz, wo es Ihnen gefällt. Ich sitze am Abend immer vorn am Verandafenster. Man kann von dort aus über die Weide sehen und der Sonne folgen, bis sie untergeht.« »Dann werde ich mich auch dort hinsetzen, Miß Ines.« »Gut, dann entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich werde uns etwas zu trinken holen und in der Küche Bescheid sagen.« Damit ging sie. Der Californier war allein. Er konnte die Maske fallen lassen und sich in Seelenruhe seinen »neuen Besitz« ansehen. Die ersten Cowboys ritten auf den Hof. Sie sattelten ihre Pferde ab und trieben die Tiere in den Corral, dann gingen sie zum Küchenhaus, um ihre Abendmahlzeit einzunehmen. Im Westen versank jetzt auch der letzte Teil der großen Sonnenscheibe in der bläulich schimmernden Prärie. Die Schatten der Nacht zogen über den Himmel, die ersten Sterne leuchteten friedlich auf das Land hinunter. Ines Keyn kam mit einer kleinen Kerosinlampe zurück. Ihr folgte die Negerin mit einem Tablett. Sie stellte Gläser und Flaschen auf den Tisch und verschwand wieder geräuschlos. Das Mädchen stellte die Lampe in eine Mauernische. Ein matter Schein fiel auf den großen runden Eisenholztisch. »Ich stellte die Lampe immer in die Nische, dann kann man besser in die Nacht hinaussehen.« Cass Cassedy, der auch nicht den geringsten Sinne für Romantik hatte, mußte ein Kichern unterdrücken. Aber er spielte die einmal begonnene Rolle weiter. »Ich liebe nichts mehr, als die Nächte in der Prärie und Einsamkeit.« Das Mädchen hatte sich weit im Stuhl zurückgelehnt. »Hier habe ich oft mit Vater gesessen. Wir sprachen nur wenig miteinander, aber wir verstanden uns doch.«
»Da schien Ihr Vater ähnlich veranlagt gewesen zu sein wie ich. Was sind schon viele Worte, wenn ihnen das tiefere Gefühl fehlt.« Das Mädchen blickte ihn an. »Wie schön Sie das gesagt haben, gar nicht wie ein rauher Mann, der seine Nächte in den Schenken verbringt.« Cassedy spielte den Beleidigten. »Haben Sie mich denn für einen solchen gehalten?« »Aber nein. Schon die Kleidung, die Sie tragen, und Ihr Benehmen unterscheiden Sie im wesentlichen von den rauhen Burschen hierzulande.« »Vielleicht haben Sie recht. Ich bin durch viele Staaten geritten, habe Menschen kennengelernt, gute und böse, aber es waren nur wenige unter ihnen, die mir zusagten. Mir wird oft nachgesagt, daß ich ein unruhiger Geist wäre, aber das stimmt nicht. Ich will endlich irgendwo Fuß fassen, mit meinem Vermögen arbeiten, mir eine Heimat schaffen. Aber das ist in unserem Land nicht so einfach.« Jetzt ging Cass Cassedy aufs Ganze. Obwohl dieser Vortrag verdammt dick aufgetragen war, hatte das Mädchen den Worten des Banditen mit Interesse und einer gewissen Wehmut gelauscht. Auch sie fühlte sich ohne ihren Vater heimatlos. In dieser Beziehung hatte Bill Oakland richtig kalkuliert. »Wieso ist es in unserem Land so schwer, eine Heimat zu finden?« fragte sie leise. Der Bandit stieß einen tiefen Seufzer aus. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen das so ohne weiteres sagen kann.« »Sie können mir alles sagen.« »Wenn man unter Heimat Land, Haus und Hof versteht, so kann ein tüchtiger Mann diese Heimat überall finden. Aber es gehört noch viel mehr dazu, etwas, das im Westen seltener ist als der kostbarste Edelstein.« »Und das wäre?« fragte sie mit vibrierender Stimme. »Eine Frau, die es wert ist, geliebt zu werden«, erwiderte er heuchelnd mit
tonloser Stimme. Da geschah etwas, das den beiden Menschen im halbdunklen Raum den Atem verschlug. In der Fensteröffnung erschien zuerst deutlich sichtbar der Lauf eines Revolvers. Die Mündung der Waffe war unmißverständlich auf den Kopf des Banditen gerichtet. Dann konnten sie das schmale, harte Gesicht Doc Hollidays erkennen. Wenn dem Banditen bisher noch nie ein kalter Schauer über den Rücken gelaufen war, in diesem Moment geschah es. »Hatten Sie gestern nacht nicht noch gesagt, daß Sie sich nichts aus Weibern machen, Cassedy? Und meinte Ihr sauberer Kumpan nicht, daß es hier nicht um Weiber ginge, sondern um ein Vermögen und um eine Ranch? War es nicht so?« Der Verbrecher hatte sich vom ersten Schreck halbwegs erholt. Er wollte den Mund öffnen, aber da wurde die Stimme Hollidays klirrend. »Wenn Sie auch nur einen Ton sagen, bevor ich es Ihnen erlaube, dann haben Sie eine Kugel in Ihrem verdammten Spatzengehirn.« Der Californier klappte den Mund wieder zu. Er sah es den Augen Hollidays an, daß jetzt nicht mit ihm zu spaßen war. Der Hund mußte sie in der Nacht belauscht haben. Jetzt war so gut wie alles aus. Doc Holliday wandte sich jetzt an Ines. »Erschrecken Sie nicht, Miß. Ich hatte Ihnen ja gesagt, daß ich wiederkommen werde. Ich könnte Ihnen jetzt raten, in ein anderes Zimmer zu gehen, aber vielleicht ist es für ein junges Mädchen in Ihrer Lage ganz heilsam, das zu hören, was ich diesem elenden Schurken noch zu sagen habe.« Ines Keyn war zu keiner Antwort fähig. Der Georgier fuhr fort: »Wir wollen nichts auslassen, Bandit. Hattest du nicht noch gesagt, daß du auf die Dauer keinen Geschmack am ehrbaren Eheleben finden würdest? Und was sagte Oakland noch dazu? Wenn ihr genug zusammengerafft hättet, dann wolltet ihr alles unter den Hammer bringen und nach dem Osten verschwinden.«
Ines stöhnte leise und senkte den Kopf. Das war zuviel für sie. Sie war nahe daran, ihr Bewußtsein zu verlieren. Aber gerade das wollte der Georgier verhindern. Cass Cassedy war kalkweiß geworden. Er starrte wie hypnotisiert in die kreisrunde Mündung des Revolvers, die unbeirrbar auf seine Stirn gerichtet war. Wie kam dieser Hund ausgerechnet jetzt auf die Ranch? Er mußte ihm gefolgt sein. Aber so war es nicht. Holliday hatte sich, nur wenige Meilen von der Ranch entfernt, in einer Bodenwelle versteckt und dann die Fahrstraße nach El Paso beobachtet. Am späten Nachmittag wurde seine Mühe belohnt. Der Bandit war an ihm vorübergeritten, und Holliday folgte ihm, als die Dämmerung hereingebrochen war. Ungesehen in den Hof zu schleichen, war dem Georgier ohne besondere Mühe gelungen. Ines Keyn schien sich wieder erholt zu haben. Holliday fuhr fort: »Sie müssen sich jetzt zusammennehmen, Miß, denn was ich diesem Burschen noch zu sagen habe, dürfte Sie sehr interessieren. – Cassedy, was hältst du von dem Namen Gene Urban?« Der Bandit zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. »Ich habe nichts mit der Sache zu tun«, stieß er hervor. Holliday nickte. »Wenn ich das nicht annehmen würde, dann würdest du in der nächsten Sekunde neben deinem Stuhl liegen. Und jetzt höre gut zu, Bandit: Ich gebe dir die letzte Chance. Bestätige jetzt hier vor Miß Keyn, daß Urban der Mörder ihres Vaters war.« Holliday hatte erwartet, das Mädchen würde einen Schrei ausstoßen und zusammenbrechen. Aber da irrte er sich. Auch in ihren Adern pulsierte das zähe Pionierblut ihrer Vorfahren. Sie sagte keinen Ton, in ihren Augen flammte es auf.
»Reden Sie!« herrschte Ines in vollkommen verändertem Ton den Banditen an. Cass Cassedy warf Holliday einen vernichtenden Blick zu. Aber gegenüber dem drohenden Colt konnte er nichts ausrichten. Wenn er nur die Hände nicht auf dem Tisch liegen hätte, vielleicht wäre es dann doch noch möglich gewesen, unbemerkt die Waffe zu ziehen. Doch Doc Holliday ließ ihn nicht eine Sekunde aus den Augen, selbst dann nicht, wenn er mit Ines sprach. »Los, raus mit der Sprache, Cassedy!« herrschte er den Banditen an. »Ich habe keine Lust, noch länger zu warten.« »Ich habe mit der Sache nichts zu tun«, knirschte der Bandit ausweichend. Holliday stieß den Colt um einige Inches nach vorn. »Das hast du mir bereits gesagt. Antworte gefälligst auf meine Frage.« Dem Georgier war es klar, daß der Bandit verzweifelt nach einem Ausweg suchte und daher Zeit gewinnen wollte. Aber diese Mühe hätte Cassedy sich sparen können. Wenn ein Doc Holliday mit der Waffe in der Hand vor ihm stand, dann gab es keine Kompromisse mehr. »Ich habe nur gehört, daß Urban den Rancher versehentlich erschossen hat«, quälte er hervor. »Und wen sollte er erschießen?« »Das weiß ich nicht.« Holliday war bereit, ihm die letzten Worte zu glauben. So, wie der Franzose das nächtliche Gespräch geschildert hatte, konnte das der Wahrheit entsprechen. »All right, ich will annehmen, daß du diesmal die Wahrheit sagst. Außerdem wird Urban schon die Zähne auseinandernehmen, bevor man ihn hängt.« Der Bandit versuchte jetzt, sein eigenes Fell zu retten. »Sie haben von einer Chance gesprochen, wenn ich Ihnen antworte. Ich habe geantwortet, und wie ist es jetzt mit der Chance?«
»Sachte, sachte, Amigo. Soweit sind wir noch nicht«, erwiderte Holliday. »Ich will noch mehr von dir wissen.« Ein unbehagliches Gefühl beschlich den Verbrecher. »Was wollen Sie denn noch?« »Zum Beispiel folgendes: Weshalb wolltest du den Sheriff abschießen?« Das Gesicht des Banditen wurde dunkelrot. Der alte Jähzorn flammte wieder in ihm auf. »Jetzt reicht es mir, Holliday. Sie sind schließlich nicht mein Richter.« »Das käme auf einen Versuch an. Also, willst du reden oder nicht?« Die eisige Kälte und Entschlossenheit in der Stimme des Georgiers ließ den Banditen zusammenfahren. »Also gut, ich will reden. Aber mit der Sache habe ich auch nichts zu tun.« Holliday lachte metallisch. »Das ist ja interessant. Vielleicht willst du mir erzählen, wer etwas damit zu tun hatte? Schließlich warst du es doch, der den Sheriff gefordert hat.« »Das muß ich zugeben«, erwiderte Cassedy mit verkniffenen Lippen. »Aber ich war nicht der Mann, der ihn umlegen sollte.« »Verstehe, das waren die beiden Boys, die auf dem Dach ein Sonnenbad nahmen.« Der Californier nickte erleichtert. »Yeah, so war es.« Doch er hatte zu früh aufgeatmet. »Dann hast du immer die Frage noch nicht beantwortet, weshalb Ben Haley sterben sollte.« Cassedy sah ein, daß dieses Herumreden keinen Zweck mehr hatte. Um sein Fell zu retten, mußte er eine andere Taktik anwenden. Der Georgier wußte die Antworten auf seine Fragen selbst, er wollte sie lediglich von ihm bestätigt haben. Es war an der Zeit, den Preis für diese Bestätigung auszuhandeln. »Doc, ich werde Ihnen einiges erzählen, vielleicht mehr, als Sie wissen wollen. Aber nur
dann, wenn wir mit offenen Karten spielen. Was wird aus mir?« Diese letzte Frage fiel dem herrschsüchtigen Banditen verdammt schwer. Er konnte sich nicht erinnern, jemals an einen Mann eine solche Frage gestellt zu haben. Holliday lachte leise. »Ich habe es zwar nicht nötig, auf diesen Kuhhandel einzugehen, aber dieses Hin- und Herreden wird mir zu dumm. Cassedy, ich habe dir eine Chance versprochen, und ich pflege meine Versprechen zu halten. Du kannst verschwinden, wenn du mir alles in Gegenwart von Miß Keyn gesagt hast. Du kannst verschwinden! Hast du mich verstanden? Aber nicht nach El Paso, sondern aus dem County. Und mein Wort: solltest du mir hier in der Gegend noch einmal über den Weg laufen, dann kenne ich keine Gnade mehr.« Das war viel, viel mehr, als der Bandit erwartet hatte. Für seine Begriffe war es Dummheit. Bedenkenlos verriet er seinen Partner. Er sagte so ziemlich alles, was er wußte. Nur seine Person schnitt dabei denkbar gut ab. Als er geendet hatte, blieb es für eine Weile still zwischen den drei Menschen. Voller Abscheu und Ekel blickte Ines den Verbrecher an. »Und Sie wollen diesen Schuft tatsächlich laufen lassen, Mister Holliday?« »Das muß er«, fuhr der Californier dazwischen. »Er hat mir sein Ehrenwort gegeben.« Das Mädchen blickte den Banditen an. »Hatten Sie von Ehre gesprochen?« »Yeah, von Ehre, und Holliday bricht sein Wort nicht.« Der Georgier gab dem Mädchen mit den Augen einen Wink. Dann wandte er sich an Cass. »Steh auf!« Der Bandit sah ihn lauernd an. Dann erhob er sich langsam. »Löse deinen Waffengurt, aber denk daran: Bei der geringsten falschen Bewegung bist du ein toter Mann.« Der Californier dachte gar nicht daran, eine falsche Bewegung zu machen. Er war froh, wenn er aus dieser Teufelsfalle heraus war. Ohne Holliday aus den
Augen zu lassen, löste er den Gurt und ließ ihn zu Boden fallen. Da setzte Holliday mit einem federnden Satz über die Fensterbrüstung und trat hinter den Banditen. Er bohrte ihm die Coltmündung in den Rücken und tastete dann seine Kleidung ab. Der Georgier hatte sich nicht geirrt: In der rechten Seitentasche des Boleros befand sich ein zweischüssiger Derringer. Er nahm die Waffe heraus und schob sie sich in die Tasche. »Wäre ein netter Spaß gewesen, Cassedy! Aber du brauchst nicht zu weinen, auch dieses Spielzeug hätte dir nichts genützt.« Fast war der Bandit davon überzeugt. Jetzt war er waffenlos und wurde wieder mißtrauisch. Er an Hollidays Stelle hätte die Sache nun mit einer Kugel abgemacht. Aber Holliday war kein Verbrecher. »So komm, Amigo, auf der Keyn Ranch hast du lange genug den ehrbaren Freier gespielt. Ich werde dich zu deinem prächtigen Hengst bringen. Sei froh, daß du das Tier hast. Der Sheriff von El Paso könnte sich einfallen lassen, dir zu folgen. Aber solange du den Hengst reitest, wird er dich nicht einholen. Solche Pferde kann sich nur ein reicher Rancher oder ein Bandit leisten.« Der Californier knirschte mit den Zähnen, aber er zog es vor, keine Antwort zu geben. Der Georgier schob ihn mit der Revolvermündung vor sich her auf den Hof. Drüben am Bunkhouse saßen die Cowboys vor einem kleinen Feuer zusammen. Holliday rief zu ihnen hinüber. »Boys, im Corral steht ein Winneconta-Hengst. Sattelt ihn und bringt ihn her.« Einige Männer erhoben sich. Sie gingen aber nicht zum Corral, sondern kamen auf Holliday und den Banditen zu. Da klang Ines’ Stimme von der Veranda her. »Tut, was er euch gesagt hat.« Sofort drehten die Cowboys ab und holten das Pferd. Nach wenigen Minuten
stand es gesattelt neben den beiden Männern. Cassedy zog sich in den Sattel. Holliday hatte seinen Colt wieder in den Halfter geschoben. »Denk daran, was ich dir gesagt habe. Reite nach Norden oder nach Süden, meinetwegen auch nach Osten oder Westen, aber laß es dir nicht einfallen, nach El Paso zu kommen.« Der Californier nahm die Zügel auf. Er blickte auf Holliday hinunter. Sein Gesicht war fahl und böse. »All right, Doc. Ich werde reiten, aber vielleicht werden wir uns doch noch einmal wiedersehen.« Und dann gab er dem Hengst die Sporen, galoppierte durch den Hof und zog mit einem eleganten Sprung über das geschlossene Gitter.
*
Als Holliday die Halle wieder betrat, saß Ines Keyn zusammengesunken im Stuhl. Ohne den Kopf zu heben, fragte sie. »Weshalb haben Sie diesen Verbrecher laufen lassen, Mister Holliday? Er wird in eine andere Stadt reiten und neues Unheil anrichten.« Der Georgier stützte sich auf die Fensterbrüstung und blickte in die sternklare Nacht. »Ihm war nichts nachzuweisen.« »Aber er hatte doch alles eingestanden.« »Ja, das hat er, aber nichts, was ihn belasten könnte. Er hat lediglich seinen Partner ans Messer geliefert. In El Paso hat er keinen Menschen getötet und kein Pferd gestohlen, also kann ihn auch kein Richter verurteilen.« Ines schüttelte ungläubig den Kopf. »Was sind das denn für Gesetze? Vielleicht reitet er jetzt nach Ysleta oder sonst irgendwohin, um zu morden oder zu betrügen.« »Er wird nicht nach Ysleta reiten, sondern nach El Paso.«
Ines blickte den Georgier erstaunt an. »Nach El Paso? Wie kommen Sie denn darauf? Schließlich weiß er doch, was ihn dort erwartet. Nein, so wahnsinnig wird er nicht sein.« »Banditen wie Cassedy sind aus einem harten Holz geschnitzt. Er wird nicht nachgeben. Und was erwartet ihn schon in El Paso. Daß ich ihn nicht ohne weiteres niederschießen kann, weiß dieser Schurke. Also, was kann ihm dort schon ieren? Er wird seinen beiden Freunden den Ofen zum Glühen bringen und dann auf eine Chance warten, die ihn vielleicht doch noch ans Ziel seiner Wünsche bringt.« »Und wie soll es jetzt weitergehen? Ich muß doch mit Ihnen zur Stadt reiten, um die Aussagen des Banditen zu bezeugen.« Holliday schüttelte energisch den Kopf. »Darauf hätte Cassedy gerade noch gewartet. Sie sind die einzige Zeugin für seine Aussage. Mit mir wird er so schnell nicht fertig, aber er wird versuchen, Sie aus dem Weg zu räumen.« »Was sagen Sie da?« Es klang fast wie ein Schrei. »Er wird doch nicht wagen, eine Frau anzutasten?« »Dieser Mann würde auch vor einem Mord nicht zurückschrecken. Aber beruhigen Sie sich, es wird zu nichts, aber auch zu gar nichts kommen.« Ines legte den Kopf in beide Hände und schluchzte. Dasselbe hatte sie an diesem Abend schon einmal getan, als der Bandit gekommen war. Doch diesmal legte sich keine Hand auf ihre Schultern. Nur eine merkwürdige hypnotisierende Stimme drang an ihr Ohr. »Sie brauchen sich nicht zu ängstigen, Miß. Ihnen wird nichts geschehen, wenn Sie auf mich hören.« »Was soll ich tun?« »Rufen Sie einige Ihrer Cowboys, ich will mit den Männern reden. Wenn es geht, allein.« Ines nahm die Hände vom Gesicht und erhob sich. »Ich werde die Cowboys rufen. Tun Sie dann, was Sie für richtig halten.« Damit ging sie.
Holliday war allein. Er nahm eine Flasche vom Tisch und goß sich ein Glas voll. Kaum hatte er es leergetrunken, polterten einige Cowboys in den Raum. Holliday sah einen nach dem anderen an, und er mußte dem Rancher lassen, daß er ein gutes Auge bei der Wahl seiner Männer gehabt hatte. Es waren rauhe, aber ehrliche Gesichter, die den Georgier abwartend ansahen. Männer, die fast alle die Vierzig erreicht hatten. »Miß Ines wird mit euch gesprochen haben, Gents.« »Das hat sie«, brummte ein schwerer Mann mit dunklem Backenbart. Er war nach dem Bestman der zweite der Crew. Die Reiter nannten ihn Black. »Aber sie hat uns nicht gesagt, um was es geht«, fuhr der Cowboy fort. Holliday nickte. »Das werde ich tun. Und es ist nichts Besonderes. Ihr habt doch vorhin den Burschen gesehen, der vom Hof geritten ist?« Die Cowboys senkten bestätigend den Kopf. »Es ist möglich, daß er wiederkommt.« »Und was will er hier?« fragte Black. »Vielleicht will er etwas von Miß Ines.« »Waas?« kam es wie aus einem Mund. Die Augen der Cowboys waren dunkel und drohend geworden. »Ich will es kurz machen, Männer«, fuhr Holliday fort. »Es ist kaum anzunehmen, daß der Gauner sich hier noch einmal blicken läßt, aber wir müssen doch damit rechnen.« »Und was sollen wir tun?« wollte Black wissen. »Nicht mehr und nicht weniger, als auf Miß Keyn aufzuen. Sie soll den Hof nicht verlassen. Teilt euch so ein, daß immer einige Männer auf der Ranch sind, und wenn der Mann mit dem weißen Sombrero sich sehen läßt, dann schießt ihn ab wie einen Präriehasen.«
»Hier an der Grenze Mexikos gibt es viele Männer, die einen weißen Sombrero tragen«, gab Black zu bedenken. »Aber niemand, der einen wertvollen Winneconta-Hengst reitet.« Black drehte sich nach den anderen Männern um und blickte sie fragend an. Dann sagte er zu Holliday: »Sie können sich auf uns verlassen, Mister. Auf diesen Hof wird kein Winneconta-Hengst seine Hufe setzen.« »All right. Ich glaube, mehr ist nicht zu sagen. So long, Gents.« Dabei tippte er an den dunklen Hutrand und ging an den Cowboys vorbei hinaus.
*
Es war zwei Stunden nach Mitternacht, als der dumpfe Hufschlag eines Pferdes über die Mainstreet von El Paso hallte. Kurz hinter dem Frontier Saloon bog der Reiter in eine Nebenstraße ein und hielt bald darauf sein Pferd vor einem dunklen Holztor an. Mit einem Satz war er aus dem Sattel und stieß einen Torflügel mit dem Stiefel auf. Der Mann nahm sich erst gar nicht Zeit, sein Pferd abzusatteln. Er ließ es mitten im Hof stehen und sprang mit zwei Sätzen die Stufen zur Hintertür des Saloons hinauf. Heftig pochte der Mann gegen das Holz. Der Ton schallte durch das Haus. Bill Oakland sprang von seinem Lager hoch, nahm einen Colt vom Nachttisch und schlich sich zur Haustür. »Wer ist da?« fragte er gedämpft. »Ich, Cass«, kam es atemlos von draußen. Da wurde der Salooner laut. »Damned, bist du wahnsinnig geworden? Weshalb machst du denn solchen Lärm? Die halbe Stadt wird ja wach.« »Los, mach auf! Du wirst gleich auch wach werden.«
Oakland hatte bereits geöffnet. »Was ist denn los?« »Mach Licht und hol etwas zu trinken, du wirst es vertragen können.« Der Salooner begann Fürchterliches zu ahnen. Er ging voraus zum Nebenzimmer und zündete die Lampe an. Aus einem Wandschrank nahm er eine Flasche und zwei Gläser. Cass Cassedy war ihm gefolgt. Er machte sich erst gar nicht die Mühe, ein Glas zu nehmen. Der Bandit setzte die Flasche an den Mund und trank sie halb leer. Bill Oakland beobachtete ihn. Plötzlich wurden seine Augen groß vor Erstaunen. »Damned, wo ist denn dein Colt?« Der Californier stieß einen greulichen Fluch aus. »Es geht nicht um meinen Colt, sondern um deinen Hals.« »Um was?« keuchte Oakland. Er glaubte, nicht richtig gehört zu haben. »Wenn du es genau wissen willst: um den Strick, den sie dir in den nächsten Tagen um den Hals legen werden.« Dem Salooner traten die Augen aus den Höhlen. Er hatte Mühe, Atem zu holen. Er sah es Cassedy an, daß er keine Scherze machte. »Man will mich hängen?« Der Californier grinste wie ein Teufel. »Beruhige dich, Bill. Du wirst nicht allein sein, du wirst einen Begleier haben: deinen fähigen Coltman Gene Urban.« Da schlug Oakland mit der Faust auf den Tisch. »Nun sage endlich, was los ist.« »Das kann ich. Und es wird gar nicht lange dauern. Ich hatte Besuch auf meiner zukünftigen Ranch.« »Besuch?« »Yeah, Doc Holliday.« »Waaas?« »Jetzt frage nicht soviel. Wir haben verdammt wenig Zeit. Ich werde dir alles erzählen.«
Was der Salooner dann zu hören bekam, ließ ihm allerdings die Knie weich werden. Er mußte sich setzen. Sein Gesicht war fahl geworden. »Nun ist alles aus«, resignierte er, nachdem er alles gehört hatte. »So ungefähr«, bestätigte Cassedy. Jetzt war es der Salooner, der sich die Flasche an den Hals setzte und die restliche Hälfte leertrank. »Was sollen wir tun?« »Kämpfen oder fliehen, andere Möglichkeiten gibt es nicht mehr.« Bill Oakland zog die Unterlippe durch die Zähne. »Damned, hätte ich doch diesen ganzen Coup nicht angefangen.« Es klang wie ein Vorwurf. Der Californier trat nah vor ihn hin. »Du willst doch nicht sagen, daß du es mir zuliebe angefangen hast? Ich kenne dich zu lange, Amigo. Und noch ein solches Wort, dann siehst du mich nicht mehr. Um meinen Hals geht es nicht, nur um deinen!« In dieser Stunde durfte Oakland es mit dem Californier nicht verderben. Er mußte ihn in der Stadt halten, denn an Fliehen war gar nicht zu denken. Er konnte doch nicht alles zurücklassen, was er sich mühselig zusammengegaunert hatte. »Wir wollen vernünftig miteinander reden, Cass. Es sind doch nur zwei Männer mit denen wir fertig werden müssen.« »Yeah, nur zwei. Aber bisher ist es uns noch nicht gelungen.« »Ich weiß, du hast recht. Aber willst du jetzt schon aufgeben?« Der Californier richtete sich in seiner ganzen Größe auf. »Wenn ich das wollte, wäre ich zu dieser Stunde schon in Mexiko.« Bill Oakland faßte wieder neue Hoffnung. Sein Banditengehirn arbeitete wie ein Automat. Und es dauerte kaum eine Minute, da war sein erster Plan schon fertig. »Zunächst werden wir Urban ansetzen.« Daran hatte Cassedy bereits auf seinem nächtlichen Ritt gedacht. Aber die Sache
hatte einen Haken: Wo war Holliday? Und das war die Frage, die Oakland stellte. »Wo ist dieser Schnüffler jetzt?« Der Californier hob die Schultern. »Vielleicht noch auf der Ranch. Vielleicht aber auch schon auf dem Weg zur Stadt.« »Dann muß Urban sofort los.« »Ich bin der gleichen Meinung.« Der Salooner erhob sich und ging unruhig im Raum auf und ab. »Wir müssen vermeiden, daß Holliday mit dem Sheriff spricht.« Aber beide Banditen dachten nicht daran, diese Aufgabe selbst in die Hand zu nehmen. Sie kamen erst gar nicht auf den Gedanken. Zuerst mußten ihre Kreaturen bluten. Bill Oakland blieb vor Cass stehen. »Und was ist, wenn er bereits mit Ben Haley gesprochen hat?« »Das glaube ich nicht. Man kann nicht gerade behaupten, daß die beiden Freunde sind. Ohne harte Beweise wird Holliday beim Sheriff niemals landen.« Das leuchtete auch dem Salooner ein. »Du magst recht haben. Also werde ich Urban holen.« Oaklands Vetter schlief in einem Dachzimmer des Saloons. Als er von Bill unsanft geweckt wurde, sprang er wie von einer Feder geschnellt hoch. Er kam nicht dazu, einen Ton hervorzubringen. »Los, mach dich fertig und komm nach unten! Du mußt in zehn Minuten reiten.« »Ich?« fragte Urban schlaftrunken. »Mach, daß du fertig wirst«, sagte Bill schon an der Tür, dann stieg er die Treppe nach unten.
Oakland betrat das Nebenzimmer und schloß die Tür hinter sich. »Er darf von den anderen Sachen nichts erfahren!« sagte er gedämpft und deutete mit dem Daumen nach oben. »Von welchen Sachen?« »Wir sagen ihm nur, daß Holliday weiß, daß er der Mörder des Ranchers ist.« Cassedy grinste. »Verstehe. Vielleicht gibt er sich dann etwas mehr Mühe – und außerdem könnte er ja auf den Gedanken kommen, dich aufzufordern, ihn zu begleiten.« Die letzten Worte klangen zynisch, fast höhnisch. Der Salooner reagierte mit keiner Miene darauf. Alles konnte geschehen, nur es jetzt nicht mit Cassedy verderben. Da kam auch schon Gene Urban. Sein Gesicht war verstört. Ahnte er, was ihm bevorstand? Er sollte es gleich erfahren. Bill Oakland tat etwas, das sonst nicht zu seinen Gewohnheiten zählte. »Gene, setz dich und nimm dir ein Glas.« Urban holte das Glas und ließ sich dann wie eine Holzfigur auf dem Stuhlrand nieder. Der Salooner schenkte ihm ein. »Trink erstmal.« Gene nippte nur am Glas. Aus flackernden Augen blickte er nur seinen Vetter an. »Was ist los?« Der Salooner verzog sein Gesicht in bedenkliche Falten. »Es ist eine fatale Sache, Gene. Ich hätte dich doch sonst nicht mitten in der Nacht aus dem Bett geschmissen.« Urban hatte ein so umfassendes schlechtes Gewissen, daß er sofort einen unangenehmen Druck in der Magengrube verspürte. »Um was geht es, Bill?« »Doc Holliday weiß, wer den Rancher erschossen hat.«
Für Urban waren diese Worte wie das Todesurteil aus dem Munde eines Richters. Das Rot verlor sich aus seinem Gesicht, die Haut wurde kalkig. »Was soll das?« stotterte er. »Was hat Holliday mit der Sache zu tun? Woher soll er das wissen?« Das Gesicht des Salooners wurde grämlich. »Wenn wir das wüßten.« Da stieg in Urban ein furchtbarer Verdacht auf, völlig unsinnig zwar, aber er war aus seinem Schädel nicht zu vertreiben. Wollten die beiden ihn opfern, um das eigene Fell zu retten? Die hohlen Augen des Mörders wurden giftig. Er erhob sich langsam und ging rückwärts zur Tür. »Da kommt ihr bei mir an die falsche Adresse. Ich lasse mich nicht an den Galgen bringen, damit ihr frei herumlaufen könnt.« Der Salooner und Cassedy blickten sich verwundert an. »Ist der übergeschnappt?« meinte Cass. Oakland hob die Schultern. »Das Gefühl habe ich auch.« »Ich bin nicht übergeschnappt!« schrie Urban. »Ich kenne dich lange genug, du elender Teufel. Selbst deinen eigenen Bruder hast du auf die Schlachtbank geschickt!« Mit zwei Sprüngen war der Salooner bei seinem Vater. Wie der Huftritt eines Bullen fuhr dem Mann die Faust ins Gesicht. Urban wurde mit dem Kopf gegen die schwere Eichentür geschleudert und brach mit einem dumpfen Laut zusammen. »Hoffentlich hast du den Trottel nicht totgeschlagen«, sagte Cass rauh. »Schließlich wird er noch gebraucht.« »Er wird gleich wieder zu sich kommen«, erwiderte Oakland. »Aber er war ja nahe daran, durchzudrehen.« Es dauerte auch nicht lange, da schlug Urban die Augen auf. Aber es dauerte eine Weile, bis er begriff, was geschehen war. Dann schob er sich leise stöhnend
an der Tür hoch. Der Salooner stand immer noch vor ihm. »Hoffentlich hat dich das zur Vernunft gebracht.« Urban gab keine Antwort. Er stierte seinen Vetter nur mit wilden Blicken an. »Wenn du willst, kannst du dich wieder ins Bett legen. Ich schätze allerdings, daß du dann in einigen Tagen die Beine langmachen wirst. Also, hör zu: Woher Holliday weiß, daß du den Rancher auf dem Gewissen hast, kann ich dir auch nicht sagen. Fest steht, daß er es weiß. Cassedy hat ihn draußen auf der Ranch des Toten belauscht. Es war gestern gewesen. Holliday hat mit Ines gesprochen. Wo dieser verdammte Schießer im Moment ist, wissen wir auch nicht. Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder ist er noch auf der Ranch oder bereits auf dem Weg hierher. Muß ich dir noch mehr sagen?« »No, das genügt.« Urban stieß sich von der Tür ab und ging mit schleppenden Schritten zum Tisch. Schwer ließ er sich in den Stuhl fallen. Dann nahm er das Glas. Diesmal nippte er nicht nur daran, sondern kippte es mit einem Ruck hinunter. »Wenn das so ist, dann bleibt mir nur noch eine Rettung: Flucht.« Oakland zog die Brauen zusammen und warf einen kurzen Blick auf den Californier. Mit dieser Reaktion hatten sie allerdings nicht gerechnet. Bill Oakland hatte sich schnell wieder gefaßt. »Dazu ist es zu spät. Es gibt nur einen Weg, und das ist der gründlichste: Du mußt ihn unterwegs abschießen, Gene. Es gibt Stellen genug an der Fahrstraße nach der Ranch, wo du eine gute Deckung findest. Ein Schuß – und die Sache ist aus der Welt geschafft.« Urban erhob sich. »Gut, ich werde reiten. Aber wie soll es dann weitergehen? Cassedy behauptet doch, daß Ines jetzt auch von der Sache weiß.« Oakland lachte. »Pah, mit diesem Weib werden wir alle Tage fertig. Erledige du Holliday. Dann ist der Sheriff dran – und dann, Amigo, sind wir im County am Zug.« So ganz war Urban noch nicht überzeugt, aber es blieb ihm ja nichts anderes
übrig, als wenigstens den Versuch zu machen, Holliday zu erledigen. Grußlos verließ er den Raum, durchquerte den Gang und betrat den Hof. Er zog sein Pferd aus dem Stall und sattelte es. Dann ritt er in die Nacht hinaus.
*
Doc Holliday hatte sich nur wenige Meilen von der Ranch entfernt, dann war er vom Weg abgeritten, zur Mulde hin, die er erst am Abend verlassen hatte. Von hier aus hatte er Cassedy kommen sehen. Der Georgier löste dem Grauschimmel den Sattelgurt und ließ ihn grasen. Er begab sich auf den Hügel, der die Straße säumte und setzte sich. Hier wollte er bis zum Morgengrauen bleiben. Dazu hatte der Georgier einen triftigen Grund. Er mußte die Fährte Cassedys finden. Obwohl er davon überzeugt war, daß der Bandit in die Stadt geritten war, wollte er Gewißheit haben. Es gab aber noch einen zweiten Grund: Wenn der Californier nach El Paso geritten war, dann war es mehr als wahrscheinlich, daß man ihm einen Hinterhalt legen würde. Und am Tage hatte er bedeutend mehr Chancen, einen Feind frühzeitig zu entdecken. Stunde um Stunde verging. Dann graute im Osten ein fahler Morgen. Bei dem ersten Frühlicht erhob sich Holliday und holte das Pferd. Er zog den Sattelgurt fest und stieg auf. Dann ritt er auf dem Weg hinunter. Die Spur des Banditen war nicht zu übersehen. Der Hengst mußte im gestreckten Galopp gelaufen sein. Tief hatten sich die Hufe des schweren Pferdes in den Boden eingegraben. Nur eine Meile verfolgte der Georgier die Fährte, dann bog er vom Weg ab. Es war ihm klar, daß Cassedy nach El Paso zurückgekehrt war. Der nun folgende Ritt setzte sehr viel Geschick voraus. Holliday mußte jede
Bodenwelle ausnutzen, um von der Straße aus nicht gesehen zu werden. Aber das war nicht seine einzige Aufgabe, er mußte auch den Banditen ausfindig machen, der sich irgendwo nahe der Straße in den Hinterhalt gelegt hatte. Daß man ihm auflauerte, davon war der Georgier überzeugt. Er kam nur langsam vorwärts. Immer wieder mußte er Bogen reiten, oder auf die andere Wegseite hinüberwechseln, denn dort konnte ebenso ein Mann auf ihn warten. Holliday verließ sich in der fast aussichtslosen Suche auf seinen Instinkt, der ihn selten getrogen hatte. Und dann kam alles so plötzlich, daß er bald das Opfer des Banditen Urban geworden wäre. Er hatte gerade eine Mulde durchritten, da hörte er plötzlich das Schnauben eines Pferdes. Sofort darauf wieherte der Grauschimmel dumpf. Es war ein Mietpferd, das nicht an seinen Herrn gewöhnt war. Dem Pferd des Georgiers, dem indianischen Schecken Migo, wäre das niemals iert. Holliday wollte das Pferd herumreißen, aber da brüllte ihn schon der erste Schuß an. Pfeifend zog das Geschoß an seinem Kopf vorbei. Der Georgier ließ sich wie ein Stein aus dem Sattel fallen. Von der Halde, kaum dreißig Yards gegenüber, klang ein triumphierender Schrei. Holliday lachte in sich hinein. »Dir werde ich das Schreien noch abgewöhnen, Bursche«, meinte er leise. Dann schob er sich vorsichtig einige Yards den Hang hinunter, um aus dem Schußbereich seines Gegners zu kommen. Das hohe Büffelgras deckte ihn gegen jede Sicht. Als der Schuß gefallen war, hatte der Grauschimmel sofort das Weite gesucht. Jetzt stand er mit hängendem Kopf in der Bodensenke. Der Gambler hatte den Hut neben sich gelegt und formte mit dem Coltlauf eine
schmale Schneise ins hohe Gras. Er konnte die Gestalt des Mannes drüben auf dem Hügel sehen. Der Bandit hatte sich halb erhoben und spähte neugierig herüber. Die schönste Schießscheibe, dachte Holliday. Aber die Entfernung war noch zu groß für einen sicheren Revolverschuß. Und der Bandit hielt ein Gewehr in der Hand. Der Georgier hatte Zeit. Ewig würde der Bursche da drüben nicht knien bleiben. Die Rechnung Doc Hollidays ging auf. Der Bandit nahm an, daß seine erste Kugel tödlich gewesen sei. Er glaubte, es an der Art gesehen zu haben, wie Holliday aus dem Sattel gefallen war. »Das machst du gut, mein Junge«, murmelte Holliday. »So bekomme ich dich wenigstens lebend, denn du wirst noch gebraucht.« Der Georgier hatte Urban nämlich erkannt. Und dieser Urban hatte inzwischen die Talsohle erreicht. Er schien sich seiner Sache vollkommen sicher zu sein. Er hatte sein Gewehr in der Armbeuge liegen, der Lauf war gesenkt. Inzwischen war er so nahe herangekommen, daß Holliday ihn mit einer Kugel aus den Stiefeln holen konnte, aber das wollte er nicht. Und wie er dem Mann dann gegenübertrat, war typisch für John Holliday. Mit einem Satz war der Gambler auf den Beinen. Ohne eine Waffe in der Hand, stand er breitbeinig im Büffelgras. Urban blieb wie zur Salzsäule erstarrt stehen. Zunächst war er zu keiner Bewegung fähig. »Laß dein Schießeisen fallen, Bandit!« befahl der Georgier. Er hatte die Arme über der Brust verschränkt. Aus dem Mund des Mörders kam ein dumpfer Laut. Er war ein Feigling, ein
Meuchelmörder, in jedem anderen Falle hätte er jetzt seine Waffe fallen lassen. Aber ein jäher Gedanke schoß ihm plötzlich durch den Kopf. Am Ende dieses Weges stand der Galgen! Mit dem Mute der Verzweiflung riß er das Gewehr hoch und zog den Abzugshahn durch. Der Schuß brüllte nach oben. Holliday warf sich im letzten Momet zur Seite, aber gleichzeitig spie sein Colt das tödliche Blei auf den Banditen. Die verkrampften Hände Urbans lösten sich vom Gewehr. Die Waffe fiel zu Boden. Aber der Mann stand noch. Er hatte wohl einen heftigen Schlag gegen die Brust gespürt, aber es war kein Schmerz da. Nur ein dumpfes Brausen war in seinen Ohren. Er fühlte nicht, wie seine Knie nachgaben und er langsam wie ein morsches Gerüst zusammenbrach. Er merkte nur, daß er plötzlich nicht mehr den verhaßten Schnüffler sehen konnte. Er war fort, wie weggewischt. Über ihm war ein blaues, riesiges Feld. Es erstreckte sich, so weit seine brechenden Augen sehen konnten. Dann war er auf einmal wieder da. Dunkel und drohend stand er über ihm. Seine Gestalt schien bis in den Himmel hineinzuragen. Die Augen des Sterbenden bekamen wieder Glanz. Das Leben, von der Angst gepeitscht, kehrte noch einmal in seinen Körper zurück. »Holliday!« keuchte er wie gehetzt hervor. Der Georgier kniete neben ihm nieder und öffnete Urban das Hemd auf der Brust. Er schloß es sofort wieder. Hier konnte niemand mehr helfen. »Weshalb haben Sie den Rancher Keyn erschossen?« fragte Holliday. »Von mir erfährst du kein Wort, du elender Hund«, röchelte Gene. »Dann behalt es für dich, Bandit. Aber ich werde dafür sorgen, daß man dich
noch hängt, auch wenn du tot bist.« Entsetzliches Grauen spiegelte sich in den Augen des Mörders. Sein Atem ging nur noch stoßweise. »Ich werde es Ihnen sagen«, stammelte er. »Also los!« »Ich sollte den Boten nach Wichita abfangen. Bill hatte es…« Dann brach die Stimme plötzlich ab. Ein Röcheln – und dann fiel der Kopf des Verbrechers zur Seite. Der Mörder Gene Urban war tot. Bill Oakland hatte seinen letzten Verwandten für seine verbrecherischen Pläne sterben lassen.
*
Die Mainstreet von El Paso war wie immer zur Mittagsstunde belegt. Frachtwagen standen vor den Stores. Sie wurden von Gehilfen entladen. Leichte Buggies wirbelten mit ihren schmalen Rädern den knöcheltiefen Staub der Straße auf. Die Overland aus Ysleta stand vor der Wells Fargo Station. Die Fahrer waren dabei, die Pferde auszutauschen. Ein alltägliches Bild. Und doch lag etwas in der Luft dieser Stadt, das die Menschen bedrückte. Aus den Saloons klang der übliche Lärm. Es wurde schon seit Tagen nicht mehr so viel getrunken wie früher. Und dann wurde es auf der Mainstreet von El Paso plötzlich so still wie in einem Leichenhaus. Ein Reiter kam die Straße herunter. An der langen Leine führte er ein Pferd hinter sich her.
Es war Doc Holliday. Inzwischen kannten die Menschen von El Paso den unheimlichen Mann, der seit einigen Tagen in ihrer Stadt weilte. Aber nicht der Georgier fesselte ihre Aufmerksamkeit, es war der Tote, der über dem Sattel des Beipferdes lag. Gene Urban, der Vetter des mächtigen Bill Oakland. Was das für den Frieden ihrer Stadt bedeuten konnte, war ihnen allen klar. Aber gab es denn in El Paso überhaupt einen Frieden? Lag er nicht oben auf dem Boot Hill begraben, neben den Toten, die sie in den letzten Tagen dort hinaufgetragen hatten? Und jetzt brachte dieser verdammte Coltman schon wieder ein neues Opfer. Sie standen auf den Stepwalks, vor den Saloons, in den Eingängen der Stores und blickten finster hinter dem Reiter her. Der Georgier wandte den Kopf weder nach links noch nach rechts. Er kannte die Blicke dieser Spießbürger. Daß er ihnen einen Mörder brachte, hätte ihm niemand geglaubt. In der Stadt hatte bisher niemand diesen rattengesichtigen Gene Urban leiden können. Er gehörte zu Bill Oakland, daher haßten sie ihn. Plötzlich war es anders. Der Mann war tot, und der Reiter, der ihn brachte, hieß Doc Holliday. Vor dem Sheriffs Office machte der Georgier halt und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Er warf die Zügelleine des Grauschimmels um den Querholm, dann zog er auch das Pferd des Toten herbei und schlang den Zügel ebenfalls um den Holm. Der Sheriff hatte den Hufschlag vernommen und war vor den Eingang getreten. Als er Holliday und den Toten gewahrte, wurde der Mann aus Wichita bleich.
Er stieß einen lästerlichen Fluch aus. »Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie die Stadt verlassen sollen, Doc! Damned, sehen Sie denn immer noch nicht ein, daß überall da, wohin Sie Ihren Schatten werfen, der Tod ist? Wer ist der Tote?« »Ein Mörder«, war die kurze Antwort. Auf den Sermon des Sheriffs ging er nicht ein, diesen Song kannte er zur Genüge. Der Sheriff fuhr mit der Faust durch die Luft. Es sah so aus, als wollte er einen unsichtbaren Mann totschlagen. »Mörder? Sagten Sie Mörder?« knirschte er wütend. »Sie bringen einen Toten, einen Mann, der erschossen worden ist und erklären mir, er sei ein Mörder? Ausgerechnet Sie!« Das harte Gesicht des Georgiers versteinerte sich. Der Sheriff wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Sein Ton war bedeutend gedämpfter, als er weitersprach: »Wen soll er denn ermordet haben?« »Vielleicht fragen Sie ihn.« Und dabei wollte sich der Georgier abwenden. Der Sheriff stieg die Gehsteigstufen hinunter und hielt Holliday am Jackenärmel zurück. Aber da traf ihn ein eiskalter Blick aus den Augen des Gamblers. Sofort ließ er den Arm los. »Doc, Sie können jetzt nicht einfach fortreiten, Sie müssen mir erst sagen, wo Sie den Toten gefunden haben.« »Ich habe ihn erschossen.« Ben Haley blieb für eine lange Sekunde der Mund offenstehen. Anders erging es auch nicht den Männern, die sich inzwischen beim Office eingefunden hatten. War dieser Doc Holliday denn wahnsinnig geworden? »Und das sagen Sie mir so einfach, ausgerechnet mir?« »Weshalb nicht?«
»Aber Sie wissen doch, was das für Sie bedeutet. Ich muß Sie jetzt festnehmen.« Das eisige Gesicht des Georgiers verlor etwas von seiner Starre. »Hatten wir über dieses Thema nicht schon einmal gesprochen?« »Weshalb haben Sie den Mann erschossen?« fragte Haley in verhaltener Wut. »Weil er dasselbe mit mir vorgehabt hatte.« »Können Sie das beweisen?« »Nein.« Die Männer auf der Straße blickten sich gegenseitig kopfschüttelnd an. Der Sheriff stieß seinen Hut ins Genick. Er hatte das unbestimmte Gefühl, daß er diesmal wieder einen Reinfall erleben würde. »Sie können es also nicht beweisen?« »Ich sagte es doch.« Ben Haley schluckte. Er setzte auf ein anderes Pferd. »Sagten Sie nicht, daß er ein Mörder sei?« »Yeah.« »Wen hat er ermordet?« »Den Rancher Taroc Keyn.« Das schlug ein wie eine Granate. Die Männer starrten auf den Toten. Der Sheriff scheuerte mit der Faust sein Kinn. Zum hundertstenmal verfluchte er die Stunde, die ihn nach Wichita gebracht hatte. »Also, er hat den Rancher ermordet«, knurrte er übelgelaunt. »Haben Sie Beweise dafür? Der Mann kann schließlich nicht mehr reden.« »Das braucht er auch nicht. Andere werden es tun.«
»Und wer, wenn ich fragen darf.« Holliday ließ seine Blicke über Ben Haley gleiten. Dann sagte er leise: »Ich habe gehört, Sie waren bei Wyatt Earp?« »Was hat das mit dieser Sache zu tun?« »Es war nur eine Frage. Ich habe nicht gedacht, daß der Marshal seine Geschäfte auf der Straße abwickelt.« Ben Haley hatte begriffen. Diese Zurechtweisung war eine bittere Pille für ihn. Allmählich kam er sich tatsächlich wie ein Versager vor. »Kommen Sie ins Office«, sagte er barsch und drehte sich auf dem Stiefelabsatz um. Holliday folgte ihm. Einige Männer murrten, aber da fiel die Tür schon ins Schloß. Holliday war mit dem Sheriff allein. »Ich werde mit der ersten Overland am Morgen die Stadt verlassen, Sheriff. Ich habe es satt, für Sie meinen Kopf hinzuhalten.« Ben Haley wollte aufbrausen, aber der Georgier ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Es geht noch weiter. Sorgen Sie dafür, daß Miß Ines nicht auch noch von den Banditen getötet wird. Sie weiß, wer der Mörder ihres Vaters ist – und sie weiß noch bedeutend mehr. Und jetzt haben Sie es nicht mehr nötig, mich aus der Stadt zu jagen, Sheriff. Ich sagte Ihnen bereits, meine Overland fährt morgen früh um fünf.« Damit drehte er sich auf dem Absatz um und verließ das Office.
*
Die Türen des Frontier Saloons blieben an diesem Tag geschlossen. Cowboys
und Durchreisende pochten vergeblich an die Tür. In der ganzen Stadt war es merkwürdig ruhig geworden, seit Doc Holliday den toten Mörder gebracht hatte. Im Hinterzimmer von Bill Oaklands Schenke saßen sich der Salooner und Cass Cassedy mit finsteren Gesichtern gegenüber. Sie hatten den Einzug des Georgiers in El Paso durchs Fenster verfolgt. Schweigend waren sie ins Nebenzimmer gegangen. Im Schankraum blieben die Brüder Tom und Rusty Center zurück. Zwei Gelegenheitsbanditen, die Bill Oakland engangiert hatte. Für harte Dollars wären diese beiden Burschen sogar bereit gewesen, ihren eigenen Vater aus den Stiefeln zu schießen. Es war das letzte Aufgebot, das Bill Oakland auf die Beine stellen konnte. Die beiden Banditen hockten an den Festern der Vorderfront und beobachteten die Straße. Die Männer im Hinterzimmer hatten immer noch kein Wort gewechselt. Plötzlich klopfte es ans Fenster. Die Colts der Männer flogen gleichzeitig aus den Halftern. Aber sie senkten die Waffen sofort wieder. Ein schmutzstarrender, verwühlter Knabenkopf schob sich über die Fensterbrüstung und blickte ins Zimmer hinein. Es war Larry, ein streunender, herrenloser Bengel, der von Oakland oft als Spitzel benutzt wurde. Der Junge hatte helle Ohren und einen wachen Verstand. Er verstand es meisterhaft, Erlauschtes in bare Münze umzusetzen. Was in der Stadt gespielt wurde, wußte er, und was er nicht wußte, reimte er sich geschickt zusammen. Oakland öffnete das Fenster. »Was willst du Ratte?« fragte er mürrisch.
Der Junge grinste unberührt. »Ich hätte eine Nachricht für Sie, die Ihnen gewiß – na, sagen wir, fünf Dollar wert wäre.« Der Salooner blickte den Burschen mißtrauisch an. Larry war in seinen Preisen bisher einigermaßen reell gewesen. Eine solche Summe hatte er noch nie gefordert. »Um was geht es denn?« wollte Bill Oakland wissen. »Um Holliday.« Sofort griff der Salooner in die Tasche und gab dem Jungen die Dollars. »Also, schieß los!« Larry verbarg das Geld erst unter seinem schmutzstarrenden Kittel. »Er nimmt morgen um fünf Uhr früh die Overland.« Cassedy hatte sich auch erhoben und war ans Fenster getreten. Die beiden Männer blickten einander an. Ihre Gesichter waren plötzlich um einen Schein heller geworden. »Woher weißt du das?« forschte Oakland den Jungen an. Larry lachte überheblich. »War kein Kunststück. Ich habe am Hinterfenster des Office gelauscht.« »Well, Boy, halt die Ohren offen. Wenn du noch etwas erfährst, komm sofort her.« »All right, Mister Oakland!« Und dann verschwand der Knabenkopf vom Fenster. Cass Cassedy rieb sich die Hände. »So sieht die Sache schon anders aus.« Der Salooner nickte. »Damned, es wurde allmählich Zeit.« Sie nahmen am Tisch Platz, Oakland füllte die Gläser. Sie tranken. Schließlich meinte der Salooner: »Jetzt gilt es nur noch, über diesen Tag und die kommende Nacht hinwegzukommen.«
»Das werden wir schaffen. Aber merkwürdig ist es doch, daß Holliday so plötzlich verschwinden will. Vielleicht ist es eine Falle?« »Ich habe auch schon darüber nachgedacht. Wir haben angenommen, daß Holliday in die Stadt gerufen worden sei. Wir können uns auch geirrt haben. Ich habe schon verdammt merkwürdige Zufälle erlebt, Cass.« Der Californier rieb sich das Kinn. »Wir wollen annehmen, daß du recht hast. Es wird Zeit, daß sich das Blatt wendet. Wir müssen jetzt rigoros durchgreifen. Alles muß in einem Tag erledigt werden.«
*
Der Tag war vergangen, die ersten Schatten der Dunkelheit hatten sich über die Stadt am großen Fluß gesenkt. Der Sheriff war allein in seinem Office. Er hatte den ganzen Nachmittag am Fenster gesessen und den gegenüberliegenden Frontier Saloon im Auge behalten. Das einzige, was er entdecken konnte, waren die beiden Gestalten hinter den Fenstern der Vorderfront, die das Office ständig zu beobachten schienen. Ben Haley hatte schon erkannt, daß die beiden Männer an den Fenstern nicht Oakland und Cassedy waren. Die Banditen hatten sich also Verstärkung geholt. Und er, der Sheriff von El Paso, hatte nicht einen einzigen Mann an seiner Seite. Die Nacht brach plötzlich über die Stadt herein, und es war sinnlos, noch länger am Fenster zu sitzen. Haley erhob sich und zündete die Kerosinlampe an. Dann legte er sich auf eine Pritsche und kreuzte die Arme hinterm Kopf. So lag er etwa eine Stunde, da wurde plötzlich die Tür aufgestoßen. Cass Cassedy stand auf der Schwelle. Sein Gesicht war voller Hohn und Spott.
Er warf die Tür hinter sich zu und zog seinen Colt. »Na, Sheriff von El Paso? Wie fühlst du dich in deiner Haut, wenn dein rettender Schatten morgen früh die Stadt verläßt?« Damned, woher haben die Schurken erfahren, daß Holliday abreist? fuhr es Haley durch den Kopf. Aber er sagte nichts und blieb reglos liegen. »Verdammte Sache, nicht wahr?« fuhr der Bandit zynisch fort. »In El Paso wird wohl niemand für den großen Sheriff Ben Haley seinen Colt aus dem Halfter ziehen. Was machen wir denn nun mit dir, Polizeibursche? Ich könnte dich jetzt einfach abknallen, niemand würde danach fragen. Aber das macht Cass Cassedy keinen Spaß. Mir ist etwas Besseres eingefallen. Wir treffen uns morgen um sechs Uhr am Ende der Mainstreet, wo die Straße nach Ysleta abbiegt. Deinen Blechstern kannst du zu Hause lassen. Es geht um einen Gunfight.« Da erhob sich der Sheriff und trat hinter seinen Schreibtisch. Das Gesicht Haleys war ausdruckslos. »Einen Gunfight gegen wie viele Männer?« Cass Cassedy grinste hämisch. »Welche Frage! Natürlich gegen mich allein, Sheriff.« Damit ging er rückwärts zur Tür. Auf der Schwelle blieb er noch einmal stehen. »So long, Sheriff.« Dann fiel die Tür hinter ihm ins Schloß. Ben Haley ließ sich in den Stuhl hinter dem Schreibtisch fallen. Für den Mann begann die schwerste Nacht seines Lebens. Stunde um Stunde verging. Der Sheriff saß unbeweglich hinter dem Schreibtisch. Es war eine Stunde vor Mitternacht, da erhob er sich plötzlich, zog seinen Waffengurt hoch und stülpte sich den Stetson auf. Er hatte den schwersten Gang seines Lebens vor sich. Als er das Office verlassen hatte, ging er etwa hundert Yards die Mainstreet herunter und betrat den Rio Saloon. An der Theke standen nur noch zwei betrunkene Cowboys. »Ist Doc Holliday auf seinem Zimmer?« fragte Haley den Salooner.
Der Mann nickte und deutete nach oben. »Zweite Tür rechts.« Der Sheriff stieg die Treppe hoch und klopfte an die Tür. »Herein!« klang es von innen. Er trat ein und blickte in den Lauf einer Waffe. »Ach, Sie sind es!«, sagte Holliday gelangweilt und steckte die Waffe wieder ein. Auf dem Tisch brannte eine kleine Kerosinlampe und erfüllte das Zimmer mit ihrem matten Schein. Der Sheriff platzte sofort mit seinem Anliegen heraus, denn hätte er auch nur eine Minute damit gewartet, so wäre er nicht mehr dazu in der Lage gewesen. »Doc, Cass Cassedy hat mich morgen um sechs an der Straßenabzweigung nach Ysleta zum Revolverkampf gefordert.« »Und was geht das mich an?« »Es wird ein unfairer Kampf.« Und die nächsten Worte fielen Ben Haley unendlich schwer. »Würden Sie mir helfen?« »Ich nehme um fünf die Overland, Sheriff«, erwiderte der Georgier frostig und wandte sich ab. Ben Haley verließ stumm das Zimmer. Jetzt war alles aus.
*
Zwei Minuten vor sechs verließ der Sheriff von El Paso das Office und ging mit staksigen Schritten über die Mainstreet.
Ein paar streunende Hunde suchten unter den Gehsteigen nach Abfällen. Am nördlichsten Ende der Mainstreet stand breitbeinig der Californier. Die Strahlen der aufgehenden Sonne spiegelten sich in der reichen Silberpaspelierung seines Boleros und ließen seine goldenen Sternradsporen funkeln. Der Sheriff blieb etwa zwanzig Yards vor ihm stehen. »Hast du dein Testament gemacht, Ben Haley?« fragte Cassedy höhnisch. »Fang an, Bandit!« war die Antwort des Sheriffs. »Kannst du haben, Amigo.« Und in diesem Moment brüllte der erste Schuß auf, aber noch keiner der beiden Männer hatte die Waffe gezogen. Plötzlich war auf der sonnenüberfluteten Mainstreet die Hölle los. Aus einer Lehmhütte taumelte schreiend Bill Oakland, aber schon nach drei Schritten brach er zusammen. Der Californier hatte sich zu Boden geworfen und wollte auf Haley feuern. Doch eine scharfe Stimme ließ ihn erstarren. »Hier bin ich, Cassedy.« Der Bandit riß den Kopf herum. Neben einer verfallenen Mauer stand der Georgier. Seine Colts spien orangerote Blitze – aber noch nicht auf ihn. Auf der anderen Straßenseite brüllten zwei Männer tierisch auf. Tom und Risty Center hatten ihr Ende gefunden. Der Californier hatte sich wieder gefaßt. Er zielte auf Holliday. Eine einzige Kugel des Georgiers fegte das schmutzige Leben aus dem Körper des Mörders. Ben Haley erhob sich und blickte Holliday wie ein Gespenst an. Er war zu keinem Wort fähig.
Holliday lud seine Colts wieder auf und ging die Straße hinunter, groß, schlank, mit federnden Schritten. Als der Georgier am Mittag die Overland bestieg, waren die Gehsteige voller Menschen, aber niemand sagte ein Wort. Der schwere Wagen rollte in einer Staubwolke davon. El Paso, die Stadt der Gesetzlosigkeit war wieder frei. Frei durch die Hilfe eines Mannes, dessen tragisches Schicksal es war, das Leben eines einsamen Wolfes zu führen!
– ENDE –
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