• •
ERICH KÄSTNER Drei tA än n er im Sein n e e
.LKOMMEN!
ra 6,6
<ES
E R IC H K Ä S T N E R
DREI MÄNNER IM SCHNEE
RMz>.
:ERi '*?■ zu
ERICH KÄSTNER (geb. 1899) gehört wohl zu den bekanntesten Schrift stellern Deutschlands. Allgemein bekannt ist er als Verfasser von Romanen »für Kin der von 9-90 und darüber« und das ist scha de. In erster Linie ist er nämlich ein Mora list und Satiriker. Ganz besonders tritt dies in seinen Gedichten hervor, in denen er, oftmals in ungemein scharfer Form, aber nicht ohne Humor, all das bloßstellt, was unrecht ist. Aber er hat gesehen, wie wenig ein Verfasser mit solchen M itteln erreichen kann, denn »Immer wieder kommen Staatsmänner mit großen Farbtöpfen des Wegs und erklären, sie seien die neuen Baumeister. Und immer wieder sind es nur Anstreicher. Die Farben wechseln, und die Dummheit bleibt!«, schreibt er einmal. Und dennoch führt er seinen Kampf weiter gegen alles Unrechte, gegen den Militaris mus, gegen die Bürokratie.
WERKE: Herz auf Taille (1927); Gesang zwischen den Stühlen (1932); Doktor Erich Kästners lyrische Hausapo theke (1936). Prosa: Emil und die Detektive (1928); Pünktchen und A nton (1931); Fabian (1931); Das fliegende Klassenzimmer (1933); Drei M änner im Schnee (1934); Die verschwundene M iniatur (1935); Der kleine Grenzverkehr (1949); Die Konfe renz der Tiere (1949); Das doppelte Lottchen (1949); Als ich ein kleiner Junge war (1957); Notabene 45 (1961). Gedichtsammlungen:
1
Dienstboten unter sich und untereinander
»M achen Sie nicht solchen Lärm !«, sagte Frau Kunkcl, die Hausdame. »Sie sollen kein Konzert geben, sondern den Tisch decken.« »G estern gab es N udeln mit Rindfleisch«, bemerkte Isolde m elancholisch. »H eute weiße Bohn en m it W ürstchen. Ein M illionär sollte eigentlich einen ele ganteren A p p etit haben.« Dann knallte die Tür. Frau K unkel zuckte zusammen und war allein. Die V illa, von deren Speisezimmer soeben die Rede war, liegt in jener alten A llee, die von Halensee nach H undekehle führt. Jedem , der die Straße kennt, wird die V illa aufgefallen sein, weil man sie überhaupt nicht sieht. W enn man vor dem Tor steht, sieht man den breiten Fahrweg und ein freundliches Gebäude. H ier w ohnen die Dienstm ädchen, die K öchin, der C h au f feur und die Gärtnersleute. Die V illa selbst ist nicht zu sehen. A n einer grauen Säule, rechts vom Torgitter, en t deckt man ein kleines N am ensschild: Tobler. Tobler? Das ist bestimmt der M illionär Tobler. Der G eheim rat Tobler, dem Banken, W arenhä und Fabriken gehören. U nd Bergwerke und Schifffahrtsli nien. Tobler besitzt viele M illionen, aber er ist kein M illionär. Frau Kunkel studierte die Morgenzeitung. »Tun Sie nicht, als oh Sie lesen könnten!«, sagte
7
5
10
15
20
25
Johann, der Diener. »Das glaubt Ihnen ja doch niemand.« Frau K unkel sah ihn giftig an, sagte aber dann: »Heute stehen die Preisträger drin! Den ersten Preis hat ein Doktor aus Charlottenburg gekriegt, den zwei ten ein gewisser Herr Schulze. Für so ein paar kurze Sätze werden nun die beiden M änner auf vierzehn Tage in die A lp en geschickt.« »U m was h an d elt es sich eigen tlich ?«, fragte Johann. »U m das Preisausschreiben der Putzblank-W erke.« Jo h an n nahm die Zeitung. »Dieser Herr Schulze«, sagte er, »hat keine Adresse. Er wohnt postlagernd.« »Kann man das?«, fragte Frau Kunkel. »N ein«, sagte Johann. »Warum haben Sie eigent lich n icht teilgenom m en? Sie hätten einen Preis gekriegt und man hätte Sie auf vierzehn Tage in die A lp en geschickt. V ielleich t hätten Sie sich den Fuß verstaucht und wären noch länger weggeblieben.« »Ekelhafter M ensch!«, sagte Frau Kunkel.
Charlottenburg ist ein Stadtteil von Berlin
Fragen Warum war Isolde unzufrieden? Wo lag die V illa, von der erzählt wird? W er wohnte in dem freundlichen Gebäude? Was war Tobler? W orüber sprachen Frau K un kel und der D ien er Johann?
9
2
H err Schulze und H err Tobler
Es schneite. Vor dem Postamt in der Lietzenburger Straße hielt eine große Lim ousine. Ein Herr im Pelz stieg aus, ging in das G ebäude und suchte den Schalter für postlagernde Sendungen. »Ist ein B rief für Eduard Schulze da?«, fragte er. Der Beam te suchte. Dann reichte er einen dicken Brief heraus. Der Herr im Pelzmantel steckte den Brief in die Tasche, dankte und ging. A ls der Herr aus dem Postamt trat, öffnete der Chauffeur schnell die Wagentür. Der Herr stieg ein, und das A u to fuhr davon. Das Essen hatte geschm eckt. Johann, der Diener, brachte Zigarren, und Fräulein Hilde, Toblers Tochter, stellte M okkatassen auf den Tisch. Die Hausdame und der D iener w ollten gehen. »Trinken Sie beide eine Tasse Kaffee mit uns. Ich muss euch allen was erzählen. Ich habe m ich näm lich am Preisausschreiben m einer eigenen Fabrik beteiligt und den zweiten Preis gewonnen«, sagte Tobler. »U nm öglich«, sagte Frau Kunkel, »den hat ein Herr Schulze gewonnen. Das habe ich in der Zeitung gele sen. S ie w ollen uns zum N arren halten.« »Ich könnte m ich ja auch unter dem N am en S ch u l ze beteiligt haben«, sagte Tobler. »Das ist m öglich«, sagte Frau Kunkel. »Da kann man leicht gewinnen, w enn man der C h e f ist.« »K un kel, m an sollte S ie m it dem Luftgew ehr erschießen«, rief Hilde.
10
»Das habe ich n icht verdient«, sagte die dicke alte Dame mit Tränen in den Augen. »Worin besteht denn der zweite Preis?«, fragte Hilde. »Zehn Tage A u fen thalt im G randhotel Bruckbeu ren. Hin- und Rückfahrt zweiter Klasse«, sagte Johann. »Ich ahne Fürchterliches«, sagte Hilde. »Du willst als Schulze auftreten.« Der G eheim rat rieb sich die Hände. »Richtig! Ich reise diesmal n icht als der M illionär Tobler, sondern als ein armer M ann namens Schulze. Ich will die M ensehen sehen, wie sie w irklich sind.« »W ann fährst du?«, fragte Hilde. »In fünf Tagen. M orgen kaufe ich ein. Billige H em den, einen billigen Anzug, und damit genug.« »W enn sie dich als Landstreicher einsperren, telegrafiere«, bat die Tochter. »Keine Angst, m ein Kind. Johan n fährt mit. A b er wir werden uns nicht kennen.« Johan n saß niedergeschlagen auf seinem Stuhl. »M orgen bekom m en Sie beim Schneider mehrere neue Anzüge. Sie sollen aussehen wie ein Großherzog,
11
5
10
15
20
Johan n «, sagte Tobler. »Wozu?« fragte Johann. »Ich w ill doch lieber Ihr Diener sein.« »W ollen Sie lieber hierbleiben?« »A ber nein«, sagte Johann. »W enn Sie es wünsehen, reise ich als Großherzog. D arf ich die ganzen zehn Tage n icht mit Ihnen sprechen?« »U nter gar keinen U m ständen. R ichtig, einen S k i anzug müssen Sie auch haben.« »Ich kann n icht Ski fahren«, antwortete Johann. »D ann werden Sie es lernen.« Jo h an n sank in sich zusammen. »D arf ich w enig stens m anchm al in Ihr Zim m er komm en und aufräumen? Ich werde bestimmt nur komm en, wenn n ie mand auf dem Korridor ist.« »V ielleicht«, sagte der Geheim rat. Jo h an n sah wieder ganz froh aus.
Fragen Was wollte Tobler auf der Post? Was erzählte Tobler nach dem Essen? Warum konnte Frau K unkel nichts davon verstehen? Was meinte H ilde von der ganzen G eschichte? Wer sollte mitkommen? Warum konnte er nicht als D iener reisen?
12
3
Mutter Hagedorn und Sohn
A ls Doktor Hagedorn heimkam , stand seine M utter am Waschfass. Sie trocknete schnell ihre Hände und gab ihm den Brief. »Ich weiß schon«, sagte er. »Ich habe es in der Zen tung gelesen. Lieber wollte ich eine Anstellung. Ich war auch schon in den Putzblank-W erken. Der D irek tor freute sich, den ersten Preisträger persönlich ken nen zu lernen. Eine Stellung war aber dort nicht frei. Ich schlug ihm vor, mir G eld zu geben statt der Reise. A b er das war auch nicht möglich.« Herr Hagedorn stellte sich missmutig an den O fen und wärmte seine kalten Finger. »K opf hoch«, sagte seine Mutter. »Jetzt fährst du erst einm al zum W intersport. Das ist besser als gar nichts.« »Ja, und du kannst nicht mit! Da soll man nicht schim pfen dürfen? Diese Putzhlank-W erke gehören dem Tobler, einem der reichsten M änner. W enn man diesen alten O nkel einm al zu fassen kriegte!«
Fragen Was wäre Herrn Hagedorn lieber, als nach Bruckbein rcn zu reisen? Was wünschte er sich?
14
4
Gelegenheitskäufe
A n den folgenden Tagen besorgte sich Geheim rat Tob ler seine Expeditionsausrüstung: uralte Schlipse, drei bunte Hemden und ein Paar billige Manschettenknöpfe, W ollsocken und ein Paar schwere lederne Stiefel. Bei einem Altwarenhändler kaufte er am Tag der Abreise 5 den Anzug, einen violetten, der außerdem reichlich klein war. A u f dem Boden suchte er sich den Rest seiner Ausrüstung zusammen: Ein Paar verrostete Schlittschu he, einen alten Sweater, eine gestrickte, knallrote M üt ze, einen altmodischen M antel und noch anderes mehr. 10 U nd zur gleichen Zeit war der Schneider da und pas ste dem Johann, dem Diener, neue, elegante Anzüge an: Jacketts, den Sm oking, die Skijoppe und den Frack. Johan n stand unglücklich da. »G ibt es in Bruckbeuren eigentlich Kostümfeste?«, 15 fragte Johan n den Geheim rat. »Selbstverständlich. W ollen Sie sich denn kostü mieren?« Jo h an n zog seine Dienerjacke an und sagte: »Als Diener!« 20 Im Arbeitszim mer des G eheim rats lag seine A u s rüstung. A ls Frau Kunkel die Sach en sah, sagte sie: Ausrustungsgegenstände
»Das überlebe ich nicht!« »W ie Sie w ollen«, sagte Tobler. »A ber erst packen Sic die Sach en in den Reisekorb.« Hilde sagte: »Überm orgen bist du wieder daheim, lieber Vater. Sie werden dich hochkantig hinauswer fen.« »Wisst ihr, was ich dann tue?« S ie blickten ihn gespannt an. »Dann kaufe ich das H otel und schmeiße die ändern hinaus!« Als Jo h an n und der G eheim rat gegangen waren, m el dete Hilde hastig ein dringendes Telefongespräch mit Bruckbeuren an. »Lassen Sie niem anden herein«, befahl sie Frau Kunkel. »Nur über m eine Leiche«, versicherte die. »A uch dann nicht«, m einte Hilde. Dann klingelte das Telefon. Hilde verlangte den I loteldirektor und sagte: »Sie sind der Direktor des I lotcls? G u t! M orgen trifft der Preisträger der Putzhlank-W erke bei Ihnen ein. Dieser G ast tritt als armer M ann auf, obwohl er M illionär ist. Er w ill die M enm hon studieren. Sie müssen ihn behandeln wie einen innen M ann und trotzdem so, wie er es gewöhnt ist. Er nnmelt Briefm arken. Er muss jeden zweiten Tag masirrt werden. Abends muss ein warmer Ziegelstein in •ein Bett. N udeln mit R indfleisch isst er am liebsten. I’i.mzösischen Kognak trinkt er besonders gern. U nd i.unesische Katzen hat er in seinem Zimmer. Besorgen ' Mi' ihm einige.« • I )er G eheim rat komm t«, flüsterte Frau Kunkel. "G u ten Tag«, sagte H ilde und legte schnell den
16
H örer auf. Der Chauffeur fuhr sie zum Bahnhof. H ilde und Frau K unkel kam en mit. Tobler liebte es, wenn man seinet wegen mit Taschentüchern winkte. »Vergessen Sie es nicht, Johann«, sagte Tobler. »A b morgen kennen wir uns nicht mehr. Ich bin dann Herr Schulze.« »D arf ich Ihnen denn gar nicht helfen?« »N ein!« Dann fuhr der Zug ab. Hilde und Frau Kunkel w ink ten. Der G eheim rat nickte vergnügt. U nd eine kleine alte Frau, die neben dem Zug herlief, stieß mit Hilde zusammen. »W illst du dich wohl vorsehen!«, rief ein junger M ann, der sich aus einem Fenster beugte. »Komm du nur wieder nach Hause, mein Junge!«, antwortete die Frau und schw enkte drohend den Schirm . » A u f W iedersehen!«, rief er noch. Hilde und er sahen einander kurz ins G esicht. Dann rollte der letzte W agen vorbei.
2 Drei Männer im Schnee
17
Fragen Was kaufte Tobler ein? Und was bekam zur gleichen Zeit der Diener Johann? Was tat Hilde, als Tobler aus dem Zim m er gegangen war? Wer reiste auch mit dem Zug ab?
18
5
Grandhotel Bruckbeuren
Das G randhotel in Bruckbeuren ist ein H otel für Stammgäste. M an ist schon Stam m gast oder man wird es. A ndere M öglichkeiten gibt es kaum. So verschieden nun diese Stam m gäste sein mögen. G eld haben sie alle. Den Stam m gästen entspricht ein Stam m personal. Die Skilehrer bleiben selbstverständlich die gleichen. U nd auch die K ellner und Köche, Stubenm ädchen und Hausburschen kehren zu Beginn der W intersaison, so gewiss wie der Schnee, zurück. Der Geschäftsführer, Herr Direktor Kühne, hat seinen Posten seit zehn Ja h ren. Er zieht zwar den A u fen thalt in G ottes freier N atu r dem H o telb eru f vor. A b e r h at er dam it U nrecht? Er verschw indet nach dem Frühstück in den
v
19
Bergen und kom m t m it der D äm m erung zurück. Abends tanzt er mit den Damen. Er wird wohl D irek tor bleiben. Der Hotelbetrieb funktioniert trotzdem tadellos. Das liegt an Polter, dem ersten Portier. Er liebt das G randhotel wie sein eigenes Kind. Er hat einen w ei hen Schnurrbart, Sprachkenntnisse und beachtliche Plattfüße. Sein hoch entwickeltes G erechtigkeitsge fühl hindert ihn daran, zwischen den G ästen und den m Angestellten größere U nterschiede zu m achen. Er ist zu beiden gleich streng. Im G randhotel Bruckbeuren erwartete man den telefo nisch angem eldeten, geheim nisvollen M illionär. Herr Kühne, der Direktor, hatte schon am frühen M orgen das gesamte Personal informiert. »M al herhören!«, hatte er gesagt. Heute A bend trifft ein armer M ann ein, der ein Preisausschreiben gewonnen hat. Dafür kriegt er von uns Kost und Logis. Er ist aber kein armer M ann - sondern ein M illionär. Er will die M enschen kennen lernen. Einfach tierisch! Unser armer M illionär wird im Appartem ent sieben wohnen. Er wird fürstlich behandelt, und N udeln mit Rindfleisch mag er am liebsten. Er darf aber nicht mer ken, dass wir wissen, wer er ist. Verstanden?« I ^ie siamesischen Katzen kam en am N achm ittag an. I )rei kleine Katzen. Sie hüpften fröhlich im A p p arte ment sieben hin und her, tätowierten die Stubenm äd chen und hatten bereits nach einer Stunde zwei G a r dinen und einen Sessel erledigt. O nkel Polter, der Portier, sammelte Briefm arken. Schon hatte er M arken aus Java, Kapstadt, G rönland
20
und M andschukuo in der Schublade liegen. Der M asseur war für den n äch sten V orm ittag bestellt. Eine Flasche Kognak, echt französisch, stand auf dem N achttisch. Der Ziegelstein, der abends warm und in wollene Tücher gewickelt, am Fußende des Bet- 5 tes liegen würde, war auch gefunden. Die Vorstellung konnte beginnen! W ährend des Fünfuhrtees in der H otelhalle erfuhr Direktor Kühne, Karl den Kühnen nannten ihn die Hotelgäste, eine N euigkeit. Die Stam m gäste wussten 10 schon alles! M ehrm als wurde er von den G ästen angehalten, die den N am en des armen M illionärs wissen wollten. Kühne drehte sich unhöflich um und rannte zum Portier. »Einfach tierisch!«, stieß er hervor. »Die G äste wissen es schon. Das Personal muss getratscht 15 haben.« »N ein, das Personal nicht«, sagte Polter. »Sondern Baron Keller.« »U nd w oher weiß es der Baron?« »Von mir natürlich«, sagte O nkel Polter. »Ich habe 20 ihn aber ausdrücklich gebeten, es nicht weiter zu erzählen.« »Sie wissen ganz genau, dass er tratscht«, meinte Kühne wütend. »Deswegen habe ich’s ihm ja m itgeteilt«, erwiderte 25 der Portier. »Die Stam m gäste mussten informiert w en den. Erstens sinkt das Barometer, und w enn die Leute ein paar Tage nicht Ski fahren können, werden sie ungem ütlich. Da ist der M illionär eine gute A b w ech s lung. U nd zweitens sind nun K lagen unm öglich gemacht. Stellen Sie sich vor, die G äste würden den tratschen:
etwas weirererzählen
21
Mann hier so unhöflich behandeln, dass er abreist. Er würde unser H otel zugrunde richten. G eld genug hat er ja.« Karl der Kühne drehte sich um und ging in sein Büro.
Fragen W elche G äste kam en ins G randhotel Bruckbeuren? Wen erwartete man im G randhotel? Wer erklärte dem Personal, was geschehen sollte? Wie bereitete man sich auf den Besuch des M illionärs vor?
22
6
Zwei Missverständnisse
Der M ünchner Abendschnellzug hielt in Bruckbeuren. Zirka dreißig Personen stiegen aus. Herr Jo h an n K es selhuth aus Berlin blickte besorgt zu einem ärm lich gekleideten, älteren, M ann hinüber, der einsam im tie fen Schnee stand und einen alten Reisekorb trug. »W ollen Sie ins Grandhotel?«, fragte ein Chauffeur. Zögernd stieg Herr Kesselhuth in den Autobus. Dann lag der Bahnhofsplatz leer da. N ur der arme M ann, Herr Schulze, stand still. Br blickte zum Him m el hinauf, lächelte kindlich, hob den Reisekorb auf die Schulter und marschierte die Dorfstraße entlang. H ierbei pfiff er. 23
Der Autobus bremste und stand still. Die späten Gäste betraten das Hotel. W er die Zimmer vorausbestellt hatte, wurde sofort zum Fahrstuhl geleitet. Herr Johann Kesselhuth und ein junger M ann mit einem alten Koffer und einem schlechten Herbstm antel blie ben übrig. Herr Kesselhuth wandte sich an den Portier: »Ich möchte ein schönes, sonniges Zimmer. M it Bad und Balkon. Der Preis spielt keine R olle.« Er wurde rot. Der Portier überhörte die Bemerkung. »Zimmer 31 ist noch frei. W ollen Sie bitte das Anm eldeform ular ausfüllen?« Herr Kesselhuth nahm das Formular und notierte sorgfältig seine Personalien. N un blickten alle G äste in der H alle auf den jungen M ann in dem schlechten Herbstm antel. Karl der Kühne war ganz aufgeregt. »W omit können wir Ihnen dienen?«, fragte er. Der junge M ann lächelte und sagte: »Ich heiße Hagedorn und habe den ersten Preis der PutzblankWerke gewonnen. H offentlich wissen Sie Bescheid.« »W ir wissen Bescheid«, sagte der Direktor und ver beugte sich. »Herzlich willkom m en. Es wird uns eine Ehre sein, Ihnen den A u fen thalt so angenehm wie • möglich zu m achen.« Hagedorn stutzte. Er sah sich um und merkte, dass ihn die G äste neugierig anstarrten. A u ch Herr K essel huth hatte den K op f gehoben. »W elches Zimmer bekommt Herr Hagedorn?« »Ich denke, wir geben ihm das Appartem ent sie ben«, sagte der Portier. Der Direktor nickte. Der Hausdiener ergriff H age dorns Koffer und fragte: »Wo ist das große Gepäck?«
24
»Nirgends«, erwiderte der junge M ann. Der Portier und der Direktor lächelten. »Dürfen wir Sie nachher zum Abendessen erw arten .7 Es gibt N udeln und Rindfleisch«, sagte Karl der Kühne. »Das allein wäre kein Hinderungsgrund«, sagte der i junge M ann. »A ber ich bin satt.« Herr Kesselhuth sah wieder vom Formular auf. »A ber wir sehen Sie doch n ach h er7«, fragte der Direktor. »N atürlich«, sagte Hagedorn. Dann suchte er sich eine Ansichtskarte aus, ließ sich eine Briefm arke gehen und bezahlte beides, obwohl der Portier es anschreiben wollte. »Interessieren Sie sich übrigens für Briefm arken7«, fragte O nkel Polter. Er holte ausländische M arken her aus und breitete sie vor Hagedorn aus. Hagedorn verstand nichts. Er betrachtete die M ar ken und sagte dann: »Ich habe keine Kinder. V ie l leicht aber bekomme ich welche.« Dann steckte er die M arken in die Tasche. »Darf ich also weitersam m eln7«, fragte Polter. »Tun Sie das. Es ist ja wohl ungefährlich«, sagte Hagedorn und ging zum Fahrstuhl. Herr Kesselhuth legte sein ausgefülltes Formular beiseite. »W ieso sammeln Sie für diesen Herrn Brief m arken 7 U nd warum gibt es seinetwegen N udeln mit Rindfleisch?« O nkel Polter gab ihm den Schlüssel und meinte: »Es gibt kom ische M enschen. Dieser junge M ann zum B e i spiel ist ein M illionär. Er darf nur nicht wissen, dass wir es wissen. W ir wurden aber telefonisch auf ihn vorbe reitet. H aha!« »Ein reizender M ensch«, sagte der Direktor. »Ich
25
hin gespannt, was er zu den siamesischen Katzen sagen wird!« Herr Kesselhuth wäre fast umgefallen* »Siam esische Katzen?«, murmelte er. Sollte er nicht lieber den zwei ten armen M ann, der im A nm arsch war, bewegen umzukehren? Eine Gruppe G äste kam in die Halle. »Ein bezaubernder Bengel«, rief Frau Casparius, eine muntere Brem erin. Frau von M allebre w arf ihr einen Blick zu. »W ie heißt er denn nun eigentlich?«, fragte Herr Lenz, ein dicker K ölner Kunsthändler. »Doktor Fritz Hagedorn«, sagte Johan n Kesselhuth. »Sie kennen ihn!«, rief Direktor Kühne begeistert. »N ein, ich kenne ihn nicht.« Die anderen lachten. Frau Casparius drohte schel misch mit dem Finger. Johan n Kesselhuth wusste n icht aus noch ein. Dann erklang der G ong. Die Gruppe ging in den Speisesaal, denn man hatte Hunger. Kesselhuth setzte sich gebrochen an einen Tisch in der H alle. Eins stand fest: Fräulein H ilde und die dum me K unkel hatten gestern abend telefoniert. Der arme M ann, der seinen Reisekorb durch den Schnee schleppte, hatte kalte, nasse Füße. Er blieb ste hen. Die ledernen Stiefel drückten. Der Reisekorb war schwer, der violette Anzug war zu eng. »Ich könnte mich seihst ohrfeigen«, sagte er und marschierte weiter. A ls er in das H otel trat, erhob sich ein elegant gekleideter Herr. A c h nein. Das war ja Johan n ! K esselh uth näherte sich bedrückt dem arm en M ann. A b er Herr Schulze kehrte ihm den Rücken und
26
studierte ein Plakat, auf dem zu lesen war, dass am übernächsten A b en d im G randhotel ein LumpenbaW stattfinden werde. Da brauche ich m ich wenigstens nicht umzuziehen, dachte er getröstet. Der Portier musterte den armen M ann und fragte dann Herrn Kesselhuth: »Haben Sie einen W unsch?« Der sagte: »Ich muß ab morgen Ski fahren. G lauben Sie, dass ich ’s noch lernen werde?« »A ber natürlich!«, meinte der Portier. »Das haben noch ganz andere gelernt. A m besten nehm en Sie einen Privatlehrer, damit Ihnen beim H infallen nicht immer dreißig Leute zuschauen.« »Ist das H infallen sehr gefährlich?« die Lumpen:
alte, zerrissene Kleider
27
5
jo
»Kaum «, meinte der Portier. »Außerdem haben wir hier sehr tüchtige Arzte, die jeden Beinbruch so fein heilen, dass die Beine nachher noch schöner sind als vorher.« Da musste der arme M ann, der das Plakat studiert hatte, laut lachen. Der Portier sah ihn an und sagte: »W ir kaufen nichts! Was w ollen Sie hier?« »W ohnen«, sagte der arme M ann und kam lächelnd 0 näher. »Ich heiße näm lich Schulze und bin der zweite G ew in n er des Preisausschreibens der Putzblank'W en ke. H ier sind meine Papiere!« O nkel Polter verstand die W elt nicht mehr. »Einen Augenblick«, sagte er verwirrt und ging zum Büro des ■ Direktors. Schulze und Kesselhuth waren einen A ugenblick allein. »Herr G eheim rat«, meinte Johan n verzweifelt, »W ollen wir nicht lieber wieder abreisen?« »N och ein W ort«, sagte der G eheim rat, »und ich O schlage Sie mit der bloßen Hand tot! Fort mit Ihnen!« Kesselhuth gehorchte und setzte sich an einen Tisch in der Halle. Die Fahrstuhltür öffnete sich und Herr Hagedorn trat heraus. Er steuerte auf die Portierloge zu und hielt - eine Postkarte in der Hand. Kesselhuth sah schwarz. G leich würden der echte und der falsche M illionär aufeinander treffen! Hagedorn sah sich suchend um. »Entschuldigen Sie«, sagte er dann. »Ich bin eben erst angekommen. W issen Sie vielleich t, wo der Briefkasten ist?« »A u ch ich bin eben angekom m en«, erwiderte der arme M ann. »Und der Briefkasten ist hinter der zwei' ten G lastür links.«
28
»Danke«, sagte Hagedorn, ging hin, w arf die Karte ein, kam zurück und fragte »H aben Sie noch kein Zim mer?« »N ein«, sagte der andere. »M an weiß anscheinend nicht, ob man m ich unter diesem bescheidenen Dach 5 überhaupt w ohnen lassen k an n .« »Hier ist alles m öglich«, lächelte Hagedorn. »Erlau ben Sie, dass ich Ihren N am en rate? Ich glaube, Sie heißen Schulze! Stim m ts? U nd Sie haben hei den Putzblank-W erken den zweiten Preis gewonnen.« 10 »Es stimmt«, sagte Schulze. Er dachte nach. Plötz lich strahlte er und sagte: »Dann sind Sie wohl Herr Doktor H agedorn!« »Jawohl, ja«, sagte Herr Hagedorn. Sie lachten und gaben einander die Hand. Dann setzten sie sich auf den 15 Reisekorb und begannen, über Reklam e zu sprechen. Herr Kesselhuth staunte. Dann erhob er sich, ging auf sein Zimmer und begann auszupacken. A ls Polter mit Kühne zurückkam, saßen die beiden noch immer auf dem Reisekorb und unterhielten sich. 20 Der Portier hielt den Direktor am Sm oking fest. »Da«, stieß er hervor. »Unser verkleideter M illionär und Herr Schulze!« »Einfach tierisch!«, sagte Herr Kühne, »Ich trans portiere den Schulze in die leer stehende M ädchenkammer. U nd Sie entschuldigen uns beim M illionär, dass er ausgerechnet in unserem H otel einen echten armen M ann kennen lernen musste. Hinauswerfen können wir ihn ja nicht. Das wird er verstehen. V iel leicht aber reist er schon morgen ab. H offentlich. Sonst reisen wom öglich unsere Stam m gäste!« »Bringen Sie ihn nur schnell fort, ehe die ändern
29
G äste kom m en«, sägte O nkel Polter. »W illkom m en«, sagte Direktor Kühne zu Herrn Schulze. »Darf ich Ihnen Ihr Zim m er zeigen?« Schulze ergriff den Reisekorb. Hagedorn sah Schulze freundlich an. »Lieber Herr Schulze, ich sehe Sie doch noch?« »Herr Schulze wird von der langen Reise müde sein«, meinte der Direktor. »Da irren Sie sich aber«, sagte Schulze. U nd zu Hagedorn sagte er: »Lieber Herr Hagedorn, wir sehen uns noch.« Dann folgte er dem Direktor zum FahrStuhl.
11
»Entschuldigen Sie, dass Sie gerade diesen G ast als ersten kennen lernen mussten. Er t nicht hierher«, sagte der Portier zu Herrn Hagedorn. »Ich auch nicht«, meinte der. »Ich weiß, ich weiß«, sagte der Portier verstehend. »Entschuldigen Sie«, fragte Hagedorn. »Haben alle Gäste Katzen in ihrem Zimmer?« »Das ist ganz verschieden«, antwortete O nkel Pol ter. Dann sagte er: »M orgen kommt der Masseur auf Ihr Zimmer, um Sie zu massieren.« »Ich habe aber kein G eld«, sagte Hagedorn. »A ber Herr D oktor!«, sagte der Portier. »A lso massiert werde ich auch gratis?«, fragte H age dorn. »N a gut.« Er ging lächelnd in die H alle. I)er Fahrstuhl ging nur bis in den vierten Stock. Von hier kletterten Karl der Kühne und Schulze in den fünften Stock und gingen einen langen G an g hinun ter. Ganz am Ende machte der Direktor eine T ü r auf, machte das Licht an und sagte: »Das H otel ist näm lich
30
ganz besetzt.« Schulze blickte fassungslos in das aus Bett, Tisch, Stuhl, W aschtisch und schiefen W änden bestehende Käm m erchen und sagte: »Kleinere Zimmer haben Sie nicht?« 5 Der Direktor biss sich auf die U nterlippe und sagte: »Leider nein.« ■er »Schön kalt ist es hier«, meinte Schulze. »Glück" licherweise hat mein Arzt mir verboten, in geheizten Zimmern zu schlafen. Die übrige Zeit aber werde ich i mich in den Gesellschaftsräum en aufhalten. D enn zum Erfrieren hin ich nicht hergekommen.« »Sobald ein besseres Zimmer frei wird, bekom m en Sie es«, sagte Karl der Kühne. Dann ging er. Schulze hatte die größte Lust, ihm mit einem Fuß" i tritt nachzuhelfen. D och er beherrschte sich. »Den Fußtritt sparen wir uns für später auf«, sagte der G eheim rat Tobler zu sich selbst.
31
Fragen Wie sah der M ann aus, der nicht mit dem Bus fuhr? Wie wurde Herr Hagedorn empfangen? Worüber wunderte sich Herr Hagedorn? Worüber sprachen der Direktor, der Portier und Herr Kesselhuth? Wie wurde Herr Schulze empfangen? Worüber unterhielten sich Herr Schulze und Herr Hagedorn in der Halle? Wo musste Herr Schulze wohnen?
32
7
Siamesische Katzen
Das erste M issverständnis sollte nicht das letzte blei ben. W ährend Kesselhuth den Sm oking anzog und Schulze, dicht unterm Dach, den Reisekorb auspackte, saß Hagedorn in der H alle, rauchte eine Zigarette und überlegte. Er war nervös. W eswegen waren die M en schen alle so freundlich zu ihm? Er dachte dann: »H offentlich kommt dieser alte Schulze bald wieder. Bei dem weiß man doch, woran man ist!« Frau Casparius segelte hastig durch die große H alle. »Eine widerliche Person«, sagte die M allebre. Baron K eller fragte: »Inwiefern?« Frau von M allebre lachte böse: »Sie w ill sich den kleinen M ilionär kapern.« Frau Casparius, die Blondine aus Brem en, hatte ihr Ziel erreicht. Sie saß neben Hagedorn in der H alle. Hagedorn schwieg. Frau Casparius beschrieb unter dessen die Zigarrenfabrik ihres M annes. »Darf ich auch einm al etwas sagen, gnädige Frau?« fragte der junge M ann bescheiden. »Bitte sehr?« »Haben Sie siamesische Katzen im Zimmer?« »N ein«, erwiderte sie. »In meinem Zimmer bin ich das einzige lebende W esen.« »Dann m öchte ich nur wissen, weswegen sich in meinem Zimmer drei siamesische Katzen aufhalten.« »Kann man die Tierchen mal sehen?«, fragte sie. »Ich liebe Katzen über alles.« »Ich habe wenig Erfahrung mit Katzen«, sagte er unvorsichtigerweise. 3 Drei Männer im Schnee
33
S ie machte veilchenblaue A u gen und erklärte mit dicht verschleierter Stim m e: »Dann hüten Sie sich, lieber Doktor. Ich bin eine Katze.«
Frau von M allebre und Baron K eller setzten sich an den N ebentisch und bald war der Tisch, an dem Hagedorn saß, von neugierigen G ästen umgeben. Frau Casparius beugte sich vor: »Schrecklich, diese Leute! Kom m en Sie! Zeigen Sie mir Ihre Katzen!« Ihm war das Tempo neu. »Ich glaube, sie schlafen » schon«, sagte er. »W ir werden sie nicht aufwecken«, sagte sie. »Wir werden ganz leise sein.« Da brachte der K ellner ihm eine Karte, worauf stand: »Der U nterzeichnete, der zum Toblerkonzern i Beziehungen hat, m öchte Herrn Hagedorn gern auf rinige M inuten in der Bar sprechen. Kesselhuth.« Der junge M ann stand auf: »Verzeihen Sie, gnädige I rau«, sagte er. »M ich will jem and sprechen, der mir \ ou größtem Nutzen sein kann.« N ach diesen W orten und einer Verbeugung ging er. Frau Casparius lächelte dumm. I lerr Kesselhuth gratulierte zum ersten Preis der PutzM ink-W erke. D ann lud er den jungen M ann zu einem
34
G en ever ein. Sie setzten sich in eine Ecke. Kesselhuth bestellte zwei G en ever und sagte: »Ich will Sie fragen, ob ich Ihnen helfen kann.« »Es wäre großartig, wenn Sie mir helfen würden. Ich kan n s gebrauchen.« Dann trank er einen Schluck. »Seit Jahren bin ich stellungslos. Ich will aber gern arbeiten und etwas G eld verdienen. Stattdessen helfe ich meiner Mutter, ihre kleine R ente auffressen. Es ist scheußlich.« Kesselhuth blickte ihn freundlich an: »Sie sind Reklam efachm ann ?« » Ja w o h l!« , sagte H agedorn. »U n d kein er der schlechtesten, w enn ich es so sagen darf.« Herr Kesselhuth nickte. »Sie dürfen!« »Ich könnte meiner M utter heute noch schreiben, dass sie meine A rbeiten hierher schicken soll. In drei Tagen haben wir sie hier. Was m einen Sie, Herr Kes^ selhuth? Verstehen Sie etwas von Reklam e?« Jo h an n schüttelte den Kopf. »Ich m öchte mir die A rbeiten trotzdem ansehen und dann gebe ich«, er verbesserte sich hastig, »schicke ich sie mit ein paar Zeilen an G eheim rat Tobler.« Hagedorn wurde blass. »A n wen w ollen Sie die A rbeiten schicken?«, fragte er. »A n G eheim rat Tobler«, erklärte Kesselhuth. »Ich kenne ihn seit zwanzig Jahren.« »W enn er sich die Sach en ansieht, gefallen sie ihm bestim mt«, sagte der junge M ann. Er stand auf. »Darf ich meiner M utter schreiben? Sehe ich Sie dann noch?« »Ich würde m ich sehr freuen«, sagte Kesselhuth. H agedorn ging. A n der T ü r kehrte er noch einmal um. »Eine kleine Frage, Herr Kesselhuth. H aben Sie
v
35
5
10
n
20
25
Katzen im Zimmer?« »N icht dass ich wüsste«, m einte der. Frau von M allebre, die Hagedorn komm en sah, gab Baron K eller einen W ink. K eller erhob sich, stellte • sich vor und sagte: »Darf ich Sie mit einer charm anten Frau bekannt machen?« Hagedorn erwiderte ärgerlich: »Ich bitte darum.« Er blieb ungeduldig stehen. »Ich fürchte, wir halten Sie auf«, sagte Frau von in Mallebre. »Leider muss ich Ihnen R e c h t geben. Post! G esch äfte!«, sagte Hagedorn. »Sie sind doch hier, um sich zu erholen.« »Das ist ein Irrtum«, antwortete er und ging. A u f der Treppe traf Hagedorn Herrn Schulze. »Ich friere wie ein Schneider«, sagte Schulze. »Ist Ihr Zim mer auch ungeheizt?« »A ber nein«, antwortete Hagedorn. »W ollen Sie sich bei mir einm al umschauen? Ich muss eine Karte nach Hause schreiben. Denken Sie! Ich habe eben mit einem Herrn gesprochen, der den alten Tobler persön lich kennt! Was sagen Sie dazu?« »M an sollte es nicht für m öglich halten«, sagte Schulze und folgte dem jungen M ann. Hagedorn m achte Licht. Schulze glaubte zu träu men. Er erblickte einen Salon, ein Schlafzim m er und ein gekacheltes Bad. »Was soll das heißen«, dachte er. Warum habe ich die elende Dachkam m er bekom m en und er dieses Appartem ent? So viel besser war seine 1 Lösung nicht«. »Trinken Sie einen Schnaps?«, fragte der junge M ann. Er schenkte französischen Kognak ein und sie sagten »Prost!«
36
Da klopfte es. Es erschien das Zimm erm ädchen. »Ich wollte nur fragen, ob ich den Ziegelstein bringen soll.« »Verstehen Sie das?«, fragte Hagedorn. »N och nicht ganz«, erwiderte Schulze. U nd zu dem Zim m erm ädchen sagte er: »Der Herr Doktor geht noch nicht schlafen. Bringen Sie ihn später.« Das M ädchen ging. »Haben Sie auch ein Zim m erm ädchen mit geheizten Ziegelsteinen?«, fragte Hagedorn. »N ein«, meinte Schulze. »Französischen K ognak auch nicht.« Er grübelte. »A u ch keine siam esischen Katzen?«, fragte der andere und zeigte auf das Körbchen. Herr Schulze griff sich an die Stirn. Dann ging er in die Knie und betrachtete die kleinen schlafenden T ie re. Ein Kätzchen erwachte, streckte sich, stieg aus dem Korb und nahm auf Schulzes violetter Hose Platz. Hagedorn schrieb die Karte an seine Mutter. Schulze legte sich auf den Bauch und spielte mit der kleinen Katze. D ann wurde die zweite w ach und kam auch auf den Teppich spaziert. Schulze hatte alle H än de voll zu tun. Die zwei Katzen spielten auf dem älte ren Herrn. »Ich fühle m ich wie zu Hause«, dachte er. U nd als er das gedacht hatte, ging ihm ein großes L ich t auf. A ls Hagedorn mit der Karte fertig war, legte Sch u l ze die zwei Katzen in den Korb zurück. »Ich besuche euch bald wieder«, sagte er. »N un schlaft aber.« Sie gaben dem Zim m erm ädchen die Karte und dann sagte Schulze: »N un müssen Sie aber auch m ein Zim mer sehen.« Beide gingen zum Fahrstuhl.
37
»Der nette Herr, der den alten Tobler so gut kennt, heißt Kesselhuth«, erzählte Hagedorn. »Er hat mich gefragt, oh er mir beim Tohlerkonzern behilflich sein soll. O b er das wohl überhaupt kann?« »W enn er den alten Tobler gut kennt, sicher«, meinte Schulze. »A ber wie komm t ein fremder M ensch eigentlich dazu, mir helfen zu wollen?« »Sie werden ihm sympathisch sein«, sagte Schulze, io »Außerordentlich sympathisch sogar!« »Entschuldigen Sie«, meinte der junge M ann. »Ist das Ihre persönliche Meinung?« Er wurde rot. Schulze erwiderte: »Ganz gewiss!« N un war auch er verlegen. »Fein«, sagte Hagedorn. »M ir geht’s mit Ihnen ganz genauso.« Sie schwiegen. Im vierten Stock stiegen sie aus und gingen die Treppe hinauf. »Sie w ohnen wohl auf dem Blitzableiter?«, fragte der junge M ann. »N och höher«, 10 erklärte Schulze. »Herr Kesselhuth will dem Tobler m eine A rbeiten schicken«, berichtete Hagedorn. »Ich werde die Daumen halten«, sagte der andere. Sie schritten den schm alen Korridor entlang. Ganz am anderen Ende des Korridors schloss Schulze die Tür ii der Dachkam m er auf und m achte Licht. Hagedorn starrte verständnislos in die elende K am mer. N ach längerer Zeit sagte er: »M achen Sie keine Witze!« »Treten Sie näher!«, bat Schulze. »Setzen Sie sich.« Der andere klappte den Jackettkragen hoch und »leckte die Hände in die Taschen. »Kälte ist gesund«, m einte Schulze.
38
Hagedorn blickte sich suchend um. »N icht einm al ein Schrank ist da«, sagte er. »Können Sie sich das Ganze erklären? M ir gibt man ein hochfeines A p p arte ment und Sie sperrt man in eine hundekalte Boden kam mer!« »V ielleicht hält man Sie für den Thronfolger von A lbanien. Oder den Soh n eines M ultim illionärs.« »Sehe ich so aus?«, fragte Hagedorn. »Ich bin kein Thronfolger und kein M illionär. Ich bin ein armer Kerl.« Er schlug wütend auf den Tisch. »Ich gehe sofort zum Hoteldirektor und erzähle ihm, dass ich hier oben neben Ihnen w ohnen w ill!« Er war schon an der Tür. Tobler hielt den ändern zurück. »Lieber Hagedorn. M achen Sie keine Dum mheiten. D avon haben wir beide nichts. Behalten Sie Ihr Zimmer. Dann weiß ich, wo ich hingehen kann, w enn es mir hier oben zu kalt wird. Lassen Sie sich eine Flasche französischen K og nak nach der anderen bringen. Was schadet es denn?« »Und morgen kommt der Masseur«, sagte Hagedorn. »Massage ist gesund«, lachte Schulze. »Ich weiß«, sagte Hagedorn. Er schlug sich vor die Stirn. »U nd der Portier sammelt Briefm arken!« Er w arf das K uvert mit den Briefm arken wütend auf den Tisch. Tobler besah sich die M arken und steckte sie ein. »Ziehen Sie in mein Zim m er«, sagte Hagedorn. »W ir sagen, Sie seien der Thronfolger. Ich w ill dann hier wohnen.« »N ein«, sagte Schulze. »Für einen Thronfolger bin ich zu alt. U nd wer würde glauben, ich sei M illionär.« »Das ist es ja«, sagte Hagedorn. »A ber bevor wir
39
s
je
r
20
25
jo
abreisen, sagen wir dem Direktor die W ahrheit.« »Das eilt nicht«, sagte Schulze. »Bleiben Sie vorläu fig ein R ätsel!«
Fragen Was m einte Frau von M allebre über Frau Casparius? Was wollte Frau von Herrn Hagedorn? Worüber wollte Herr Kesselhuth mit Herrn Hagedorn sprechen? W ie verlief das Gespräch? Warum folgte Herr Schulze Herrn Hagedorn auf sien Zimmer? Was machte Herr Hagedorn, während Herr Schulze mit den Katzen spielte? W ie reagierte Herr Hagedorn, als er das Zim m er von Herrn Schulze sah?
40
8
Der Schneemann Kasimir
A ls die beiden m iteinander durch die H alle gingen, war die Empörung groß. W ie konnte der geheim nisvol le M illionär mit dem einzigen armen Teufel im Hotel Zusammengehen! So realistisch brauchte er seine R o l le w irklich nicht zu spielen! 5 »Einfach tierisch!«, sagte K arl der Kühne, der beim Portier stand. »Die Casparius und die M allebre m achen schon Jagd auf den K leinen«, erklärte O nkel Polter. »Ich werde für Herrn Schulze wohl eine kleine N ebenbe- i schäftigung erfinden müssen. Sonst geht er dem M illi onär nicht von der Seite.« »V ielleicht reist er bald wieder ab. Die Dachkam m er wird ihm zu kalt sein.« O nkel Polter kannte die M enschen besser. Er schiit- i telte den Kopf. »Sie irren sich. Schulze bleibt.« Der H oteldirektor folgte den beiden seltsamen G ästen in die Bar. Die K apelle spielte. Elegante Paare tanzten. »Darf ich vorstellen?«, fragte Hagedorn. U nd dann m achte er G eheim rat Tobler und Johann, dessen D ie ner, m iteinander bekannt. Herr Kesselhuth bestellte eine Runde Kognak. Schulze lehnte sich bequem zurück, betrachtete gerührt und spöttisch Jo h an n und sagte: »Doktor Hagedorn erzählte mir, dass Sie den G eheim rat Tobler ken n en .« Herr Kesselhuth blinzelte vergnügt zu Schulze hin ü ber. »W ir sind fast dauernd zusammen! Ich besitze eine
41
gutgehende Schifffahrtslinie. U nd im A ufsichtsrat sit zen wir direkt nebeneinander!« »Donnerw etter!«, rief Schulze. »W elche Linie?« »Darüber w ill ich nicht sprechen. A b er die kleinste ist es nicht«, sagte Kesselhuth vornehm . Sie tranken. Der Hoteldirektor trat an den Tisch und fragte den jungen M ann, ob ihm die Zimmer gefielen. »Doch«, sagte Hagedorn. »Ich bin zufrieden.« Herr Kühne war glücklich. Er winkte einem Kellner, und der brachte eine Flasche Cham pagner in einem Eiskühler und zwei Gläser. »Zur Begrüßung«, sagte der Direktor. »U nd ich kriege kein Glas?«, fragte Schulze ganz II unschuldig. K ühne wurde rot. Der K ellner brachte noch ein G las und goss ein. Schulze ließ sich nicht ignorieren. » A u f Ihr W ohl!«, rief er fröhlich. Der Direktor verschwand, um dem Portier sein Leid 10 zu klagen. Schulze schlug an sein G las. »Trinken wir darauf«, sagte er, »dass Herr Kesselhuth für m einen jungen Freund heim alten Tobler etwas erreich t!« Johan n murmelte: »M ach ich, mach ich!« Hagedorn sagte: »Lieber Herr Schulze, sollen wir nicht Herrn Kesselhuth fragen, ob er auch etwas für Sie tun kann?« »Keine schlechte Idee«, m einte Schulze. »Schön w ärs, w enn wir in derselben A bteilung H arbeiten könnten. W ir werden dem Tobler zeigen, was wir für tüchtige Kerle sind! Ist er übrigens ein netter Mensch?« »O ja«, sagte Jo h an n Kesselhuth. »M ir gefällt er.«
42
»W ir werden ja sehen«, sagte Hagedorn. »Trinken wir auf ihn! Der alte Tobler soll leben!« Sie tranken. »Das soll er«, sagte Kesselhuth und blickte Herrn Schulze in die Augen. N achdem die erste Flasche leer getrunken war, bestell te der Schifffahrtslinienbesitzer Kesselhuth noch eine. Sie wunderten sich, dass sie trotz der langen Reise noch immer nicht müde waren. Sie schoben es auf die H öhenluft. i Plötzlich spielte die Kapelle einen Tusch. »D am en w ahl!«, rief H eltai, der Tanzmeister und Arrangeur von Kostümfesten. M ehrere Damen erhoben sich. A u ch Frau Casparius. Sie steuerte auf Hagedorn los. Frau von M allebre wurde blass und engagierte, sauer i lächelnd, den Baron. Frau Casparius m achte einen Knicks und sagte: »Sie sehen, Herr Doktor, mir entgeht man nicht.« Schulze beugte sich vor. »Ich gehe in die H alle«, flüsterte er zu Kesselhuth. »Folgen Sie mir unauffällig! Bringen Sie aber eine anständige Zigarre m it!« Dann verließ er die Bar. G eheim rat Tobler saß nun also mit seinem Diener Jo h an n in der fast leeren H otelhalle. Kesselhuth reich te ihm sein Zigarrenetui und fragte: »Darf ich Sie zu einem Kognak einladen?« »Fragen Sie nicht so dum m!«, m einte Tobler. Der K ellner brachte die Kognaks. »Ich kriegte ja einen solchen Schreck, als der D irek tor und der Portier so vor dem Doktor Hagedorn kro chen«, sagte Johann. »A m liebsten wäre ich Ihnen
43
entgegengelaufen und hätte Sie gewarnt.« »Ich werde meiner Tochter die O hren abschneiden«, erklärte Tobler. »Sie hat natürlich telefoniert.« »Fräulein Hildes O hren sind so niedlich«, sagte Johann. »Ein wahres G lü ck, dass dieses M issverständnis dazwischenkam«, sagte Tobler. »Haben Sie ein nettes Zim m er bekommen?«, fragte Johann. »Und oh«, sagte Tobler. »Luftig. Sehr luftig.« »Ich werde morgen auf Ihr Zimmer komm en und Ordnung m achen«, sagte Johann. »Das tun Sie n ich t!«, sagte Tobler streng. »Haben Sie Bleistift und Papier? Schn ell einen Geschäftsbrief, n ehe unser kleiner M illionär kommt. M ögen Sie ihn?« »Ein reizender M ensch«, sagte Johann. »W ir drei werden noch sehr viel Spaß haben.« »Lassen Sie uns arme Leute zufrieden!«, meinte Tobler. »Küm m ern Sie sich um Ihre Schifffahrtslinie!« ' So oft die K apelle eine Pause m achen wollte, klatschlen die Tanzpaare wie besessen. Frau Casparius sagte leise: »Sie tanzen gut.« Ihre Hand lag auf Hagedorns Schulter und übte einen zärtlichen Druck aus. »Was tun Sie morgen? Fahren Sie Ski?« Er verneinte. »W ollen wir eine Schlittenpartie machen?« »Ich hin mit m einen beiden Bekannten verabre det.« »W ie können S ie diesen M ann, diese Vogelscheuche, meiner bezaubernden Gesellschaft vorziehen?« die Vogelscheuche:
wird gebraucht, um Vögel fortzujagen
44
»Ich bin auch so eine Vogelscheuche«, sagte er böse. »Schulze und ich gehören zusammen!« Sie lachte und zwinkerte mit den Augen. »Gewiss, Doktor. A b er Sie sollten trotzdem mit mir fahren. Im Pferdeschlitten. M it klingelnden G löckch en . U nd warmen Decken. So etwas kann sehr schön sein.« Sie schmiegte sich an ihn. »Oder mögen Sie m ich nicht?« »Oh, doch«, sagte er. »A ber Sie haben so etwas erschreckend Plötzliches an sich.« Sie sah ihm gerade in die Augen. »Seien Sie doch h nicht so scheu, zum Donnerwetter! G efallen wir ein ander? W ie? Wozu das Theater! Hab ich R ech t oder stimmt’s?« Die Kapelle hörte zu spielen auf. »Sie haben R echt«, sagte er. »A ber wo sind meine i Bekannten?« Er begleitete sie an ihren Tisch, verbeugte sich vor ihr und entfernte sich eilends, um die Herren Schulze und Kesselhuth zu suchen. »Schnell die N otizen w eg!«, sagte der Geheim rat. »Dort komm t unser kleiner M illionär.« Hagedorn setzte sich stöhnend. »Das ist eine Frau«, m einte er. »Die hätte G eneral werden müssen.« Kesselhuth bestellte eine Runde Schnaps. A ls der K ellner sie gebracht hatte, drückte Schulze die Zigarre aus und sagte: »Sind wir nur hierher gekommen, um uns zu betrinken?« »N icht nur«, sagte Kesselhuth. »A lso fordere ich die Anw esenden auf, jetzt mit mir in die N atur zu gehen«, sagte Schulze. Sie erhoben sich mühsam und gingen, leise schw an kend, aus dem H otel. Sie standen verwundert im Schnee.
45
Da erklärte Hagedorn: »So, meine Herrschaften, jetzt m achen wir einen großen Schneem ann!« U n d Schulze meinte: »W ehe, wer nicht m itm acht!« U nd dann m achten sie einen Schneem ann, groß und imponierend, und stellten ihn vor die Silbertan nen am Eingang. Sie schwitzten vor Anstrengung und Eifer. Sie kriegten ihn aber ohne größere Zw ischenfäl le fertig. Allerdings fiel Herr Kesselhuth einm al hin und sagte: »Der teure Sm oking!« A b er es störte ihn weiter nicht. W enn erwachsene M änner etwas vorh a ßen, dann setzen sie es durch. A u ch im Sm oking.
U nd dann war der Schneem ann fertig. A rm e hatte er allerdings keine. Dafür aber einen Eierkopf. Herr Schulze wollte die Knöpfe von seinem vio let ten Anzug abschneiden, um sie dem Schneem ann in den Schneebauch zu drücken. A b er Herr Kesselhuth erlaubte es nicht. Sie nannten ihren Schneem ann Kasimir. Hagedorn bemerkte: »Kasim ir braucht einen Hut. Morgen besorge ich aus der Küche einen M arm eladen eimer. Den setzen wir ihm auf.« Dam it waren alle zufrieden. »Kasim ir ist der schönste M ensch, den es gibt«, sag te Schulze.
46
»Kunststück«, rief Kesselhuth. »Er hat ja auch drei Väter.« Dann riefen sie im Chor: »Gute N ach t, Kasim ir!« »Gute N ach t, meine H erren«, sagte da eine Stim me. Es war aber nicht Kasimir, sondern ein G ast, der wegen des Lärms nicht schlafen konnte. W ütend knallte er das Fenster zu. U nd die drei V äter von Kasim ir gingen auf Zehen spitzen ins Haus. Schulze zog, als er schlafen ging, den M antel an. »Der i alte Tobler friert, aber er ergibt sich n ich t!«, sagte er und schlummerte ein. A u ch Hagedorn schlief bald ein. N ur Herr Kesselhuth wachte. Erst schrieb er den G eschäftsbrief für Herrn Tobler, dann einen privaten, r außerordentlich geheim en Brief. U nd der lautete so: »Liebes Fräulein Hildegard! W ir sind gesund und munter angekom m en. Sie h ät ten aber trotzdem nicht hintenrum mit dem Hotel telefonieren sollen. Der Herr G eheim rat will Ihnen die O hren abschneiden. M an hat den ändern Preisträger, den Herrn Doktor Hagedorn, für den verkleideten M illionär gehalten. U nd nun hat Hagedorn die Katzen im Zimmer. W ir haben uns angefreundet. Ich mich mit Hagedorn. Er sich mit Ihrem Vater. U nd dadurch der Geheim rat mit mir. Ich bin sehr froh. Vorhin haben wir drei einen großen Schneem ann gemacht. Er heißt Kasimir. Das H otel ist sehr vornehm . Der Herr G eheim rat sieht natürlich zum Fürchten aus. A b er rausgeschmis sen hat man ihn nicht. M orgen gehe ich in sein Zim-
47
iner und mache Ordnung. Die Frauen sind m ächtig hinter Doktor Hagedorn her. Sie halten ihn für einen Thronfolger. Dahei ist er stellungslos. W ir waren in der Bar und hahen einiges getrunken. Aber vom Sternenhim m el sind wir wieder nüchtern geworden. U nd vom Schneem ann. H offentlich geht es Ihnen gut, liebes Fräulein Hilde. I laben Sie keine Sorgen um Ihren Vater! Von ganzem Herzen hochachtungsvoll und Ski heil! Ihr alter Jo h an n Kesselhuth.«
Fragen Wem stellte Herr Hagedorn seinen Freund Schulze vor? Warum ließ der Direktor nur zwei G läser bringen? M it wem musste Herr Hagedorn tanzen? Warum gingen Herr Schulze und Herr Kesselhuth in die H alle? A u f wen war der G eheim rat böse? Wozu wollte Frau Casparius Herrn Hagedorn überreden? Was m achten die drei M änner draußen vor dem Hotel? A n wen schrieb Herr Kesselhuth?
48
9
Drei Männer im Schnee
Früh gegen sieben U h r polterten die ersten G äste aus ihren Zimmern. Heute zog auch H oteldirektor Kühne wieder in die Berge. A ls er beim Portier vorüberkam, sagte er: »Herr Polter, sehen Sie zu, dass dieser Schulze keinen U nsinn macht! U nd kümmern Sie sich um den kleinen M illi onär !« »W ie ein Vater«, erklärte O nkel Polter ernst. »Und dem Schulze werde ich irgendeine N ebenbeschäfti gung geben.« Herr Kesselhuth saß noch in der Badewanne, als es klopfte. Er antwortete nicht. Außerdem hatte er K opf schmerzen. »Das kommt vom Trinken«, sprach er zu sich selbst. Da wurde die Badezimmertür geöffnet und ein w il der, lockiger Gebirgsbew ohner trat ein. »G uten M or gen wünsche ich«, erklärte er. »Entschuldigen Sie. Ich komme wegen dem Skiunterricht.« »A ch so!«, rief Kesselhuth. »W ollen wir damit nicht lieber warten, bis ich abgetrocknet bin?« Der Skilehrer sagte: »Ich warte drunten in der H al le. Ich hab dem Herrn ein Paar Bretteln mitgebracht. Prima Eschenholz.« D ann ging er wieder. Hagedorn träumte, dass ihn jem and rüttelte, ihm die Bettdecke wegzog, den Pyjam a abstreifte, O l über den R ücken goss und ihn mit riesigen H änden zu kneten begann. »Lassen Sie das!«, murmelte Hagedorn. Dann 4 Drei Männer im Schnee
49
lachte er plötzlich und rief: »N icht kitzeln!« Dann wurde er aber ganz wach und erblickte einen großen M ann an seinem Bett und fragte wütend: »Sind Sie des Teufels, Herr?« »N ein, der Masseur«, sagte der Fremde. »Masseur Stünzner.« »Ist Masseur Ihr Vorname?«, fragte der junge M ann. »Eher der Beruf«, sagte der andre und verstärkte sei ne H andgreiflichkeiten. »Ich bin in seiner G ew alt«, dachte der junge M ann. A lle K nochen taten ihm weh. U n d das sollte gesund sein? G eheim rat Tobler wurde nicht geweckt. Er schlief fern von Masseuren und Skilehrern. Doch als er erwachte, n war es noch dunkel. Später stellte sich heraus, dass das Dachfenster voller Schnee lag. Er kletterte auf einen Stuhl und öffnete es. Draußen schien die Sonne. Schließ lich wusch und rasierte er sich, zog den v io letten Anzug an und ging in die Frühstückshalle hinV unter. H ier traf er Hagedorn. Sie begrüßten einander sehr herzlich. U nd der junge M ann sagte: »Herr Kesselhuth ist schon auf der Skiw iese.« Dann frühstückten sie gründlich. »Was unternehm en wir heute?«, fragte Hagedorn. »W ir gehen spazieren«, m einte Schulze. Dann hat Hagedorn den Kellner, einen großen lee ren M arm eladeneim er zu besorgen, und mit dem in der Hand verließen die beiden das H otel. O nkel Polter hatte Gänsehaut, als er sie sah. Draußen setzten sie ihrem Kasim ir den Eimer als I lut auf. Hagedorns K nochen taten noch weh und er
50
sagte: »Dieser Stünzner hat m ich völlig zugrunde gerichtet!« »W elcher Stünzner?«, fragte Schulze. »Der Masseur«, erklärte Hagedorn. »Massage ist aber trotzdem gesund«, m einte S ch u l ze. »W enn er übermorgen wiederkommt, schicke ich ihn zu Ihnen in Ihre Dachkammer.« Da öffnete sich die Hoteltür und O nkel Polter kam zu ihnen. »Hier ist ein Brief, Herr Doktor. U nd ein paar ausländische Briefm arken.« »Danke«, sagte Hagedorn. »Oh, von m einer M ut ter! W ie gefällt Ihnen übrigens Kasimir?« »Das will ich lieber nicht sagen«, m einte der Por tier. »Erlauben Sie m al!«, rief da Hagedorn. »Kasim ir ist der schönste Schneem ann zu Wasser und zu Lande!« »A ch so«, sagte O nkel Polter. »Ich dachte, Kasim ir sei der Vornam e von Herrn Schulze.« Er verbeugte sich und ging zur H oteltür zurück. Dort drehte er sich noch einm al um und sagte: »Von Schneem ännern ver stehe ich nichts.« Sie folgten einem Weg, der über verschneites, freies G elän de führte, bis an einen baumlosen Hügel, auf dem sich zwei Punkte bewegten. Plötzlich entfernte sich der eine der schwarzen Punkte von dem anderen. Der Abstand wuchs. Der Punkt wuchs. Es war ein Skifahrer. Er kam mit unheim licher G eschw indigkeit näher und hielt sich mit M ühe aufrecht. »Da laufen jem andem die Skier weg«, m einte H age dorn.
U ngefähr zwanzig M eter von ihnen stürzte der S k i läufer kopfüber in eine Schneewehe und war ver schwunden. S ie liefen auf die Schneew ehe zu. Da erblickten sie ein Paar zappelnde Beine und ein Paar Skibretter. Sie zogen daran, bis deren Besitzer wieder zum Vorschein kam. Er hustete und spuckte pfundweise Schnee aus und sagte: »G uten M orgen, m eine Herren.« Es war Johann Kesselhuth.
die Schneewehe:
vom Wind zusammengewehter Schnee
52
Herr Schulze lachte Tränen. »W eshalb sind Sie in diesem Tempo den Hügel heruntergefahren?«, fragte er. Kesselhuth sagte ärgerlich: »Die Bretter sind gefalv ren. Ich doch nicht!« N ach dem M ittagessen gingen die drei M änner auf die Hotelterrasse, legten sich in die Sonne, rauchten Zigarren und schlossen die Augen. N ach einiger Zeit sagte Hagedorn: »Wissen Sie, wann meine M utter den Brief geschrieben hat, der heute morgen ankam? A ls ich noch in Berlin war. i. Dam it ich bereits am ersten Tag Post von ihr hätte.« » A h a!«, sagte Schulze. »Ein sehr schöner Einfall.« Die Sonne brannte. Die Zigarren brannten nicht mehr. Die drei M änner schliefen.
Fragen Warum störte der Skilehrer Herrn Kesselhuth beim Baden? Von wem wurde Herr Hagedorn geweckt? W ie war es am M orgen bei Herrn Schulze? Warum bittet Herr Hagedorn den K ellner um einen M arm eladene imer ? Was sahen Herr Schulze und Herr Hagedorn auf dem Hügel?
53
10 Herrn Kesselhuths Aufregungen A ls Hagedorn erwachte, waren Schulze und Kesselhuth verschwunden. A b er an einem kleinen Tisch in der N ähe, saß Frau von M allehre und trank Kaffee. Sie lud ihn zu einer Tasse Kaffee ein. Er setzte sich zu ihr. • Sie sprachen erst über das H otel und die A lp en . Dann sagte sie: »Ich bin eine sehr oberflächliche Frau. M ein Wesen wird immer von dem M ann bestimmt, mit dem ich gerade zusammenlebe. U nd nun habe ich große Angst, dass m eine O berflächlichkeit chronisch wird. O hne fremde H ilfe finde ich nicht heraus.« »Und nun halten Sie m ich für einen besonders energischen und w ertvollen M enschen, eine A rt Gesundbeter?«, fragte er. Er stand auf. »Ich muss nun leider fort und m eine Bekannten suchen.« »Schade, dass Sie schon gehen, Herr Doktor.« Ihre Augen blickten verschleiert. Er machte sich fort und suchte Schulze, fand aber Kesselhuth. Dieser sagte: »V ielleicht ist er in seinem Zimmer.« Sie begaben sich ins fünfte Stockw erk. N ie1 mand antwortete auf ihr Klopfen. Hagedorn drückte auf die K linke. Die T ü r ging auf. Das Zim m er war leer. »W er w ohnt hier?«, fragte Kesselhuth. »Schulze«, antwortete der junge M ann. Herr Kesselhuth schwieg. Er konnte es nicht fassen. »N a, gehen wir w ieder!«, meinte Hagedorn. »Ich komme nach«, sagte der andere. »Das Zimmer interessiert mich.« der Gesundbeter:
der Krankenheiler (durch Gehete)
54
A ls der junge M ann gegangen war, begann Herr Kesselhuth aufzuräumen. Er hatte Tränen in den Augen. N ach zwanzig M inuten war Ordnung! Der Diener legte noch drei Zigarren auf den Tisch und eine Schachtel Streichhölzer. D ann holte er aus seinem Zimmer eine Kam elhaardecke, ein Frottierhandtuch, eine Gum m i Wärmflasche, eine Vase mit Tannengrün und drei Ä pfel. N achdem er die verschiedenen Gaben aufgestellt hatte, ging er hinunter. Er war niemandem begegnet. i< Hagedorn ging in die H alle und fragte den Portier, ob er wüsste, wo Schulze sei. » A u f der Eisbahn, Herr Doktor«, sagte er. »Hinterm Haus.«
55
A u f der Eishahn waren aber nur zwei Arbeiter. Sie fegten den Schnee weg und redeten und lachten. A ls I lagedorn nahe genug war, rief er: »Haben Sie einen großen, älteren Herrn gesehen?« Einer der beiden A rbeiter rief zurück: »Der bin ic h !« »Schulze?«, fragte Hagedorn. »Sie sind es?« »Gew iß«, antwortete Schulze. »Der Portier hat Angst, dass ich krank werde.« »Kom m en Sie sofort hier w eg!«, sagte Hagedorn. »Ich komm e«, sagte Schulze. U nd zum A rbeiter: »War ich sehr im Wege?« Der lachte und sagte: »Etwas.« Schulze lachte auch. »M orgen laufe ich hier S c h litz schuh«, sagte er. »Ich ärgere m ich«, gestand Hagedorn. »Ubermorgen werden Sie die Treppen scheuern, wenn Sie sich nicht beim Direktor beschweren!« »Der Direktor w ill m ich doch auch raushaben. Ich linde es spannend.« Schulze schob seinen A rm unter den des jungen M annes. »V ielleicht verstehen Sie das später.« »Das glaube ich kaum«, antwortete Hagedorn. »Und nun erzählen Sie mir von Ihren Liebesaffären. Was wollte die dunkle Sch ön h eit von Ihnen?« »Das war Frau von M allebre. Sie will von mir geret tet werden.« »Sie Ärm ster«, sagte Schulze. »Ich habe A ngst vor diesen Frauen«, sagte H age dorn. »K önnen Sie nicht auf m ich aufen?« »W ie eine M utter«, sagte Schulze. »U nd zur B elo h nung bekomme ich jetzt von Ihnen auf Ihrem Zimmer scheuern:
schrubben
56
einen Kognak. U nd ich muss doch auch den kleinen Katzen guten Tag sagen.« W ährenddessen saß Kesselhuth in seinem Zimmer und schrieb einen verzweifelten Brief. Er schrieb: »Liebes Fräulin Hildegard! Ich habe mich wieder zu früh gefreut. Doktor H age dorn und ich suchten den Herrn G eheim rat in seinem Zimmer. Es liegt in der fünften Etage und ist gar kein Zimmer. Es ist eine Rum pelkam m er und hat schiefe W ände und keinen O fen. Das Fenster ist direkt über i. dem Kopf. Ein Schrank ist nicht da. W enn Sie diese elende, hundekalte Kam m er sehen würden, fielen Sie sofort um. Ich habe sofort aufgeräumt. M orgen kaufe ich eine Heizsonne. Ein K ontakt ist da. Heute hat m ich nie- r mand gesehen. Ein G lück, denn der G eheim rat will nicht, dass ich hinaufkom m e. Luftig nennt er sein Zimmer. Das will ich meinen. W enn er nur nicht krank wird! Heute hatte ich meine erste Skistunde. Plötzlich 20 fuhr ich ab, obwohl ich gar n icht wollte. Es hat sicher komisch ausgesehen. Der Herr G eheim rat und Doktor Hagedorn haben m ich wieder aus dem Schnee heraus gezogen. Liebes Fräulein Hilde, jetzt ziehe ich den Sm oking an und gehe zum Abendessen. Das Kuvert bleibt offen. A lso bis nachher.« A ls Schulze nach dem Abendessen in seine Kam m er trat, staunte er nicht wenig. Er war über Johanns heim liche Fürsorge gerührt, aber auch böse. Dann aber zog v er sich aus und ging ins Bett. Hagedorn und Kesselhuth saßen abends noch in der
57
H alle und rauchten. Hagedorn erzählte sein Erlebnis von der Eisbahn. Herr Kesselhuth war ganz außer sich, entschuldigte sich und ging gleich in sein Zimmer. Hagedorn tanzte dann abwechselnd mit Frau von i M allebre und Frau Casparius, denn er merkte, dass sie aufeinander eifersüchtig waren. Die R ivalin trat also in den Vordergrund. U nd der M ann, um den es sich dreh te, wurde N ebensache. Er verschwand, ohne sich lange zu verabschieden • und ging in sein Appartem ent. A u ch er war müde. Inzwischen beendete Johan n den Brief an Fräulein Tobler. Der Schluss lautete so: »Ich habe schon wieder etwas Entsetzliches erfah ren. A m N achm ittag hat der Portier, ein ekelhafter • Kerl, den G eheim rat auf die Eisbahn geschickt. Dort musste er Schnee wegfegen. Ist das nicht schrecklich? Ich hin ganz verwirrt, liebes Fräulein H ilde! Soll ich mich nicht einm ischen? W enn das so weiter geht, muss Herr Schulze nächstens die Treppen scheuern 0 und Kartoffeln schälen, sagt auch der Herr Doktor. Schreiben Sie mir bitte schnell. M it den besten Grüßen Ihr getreuer Jo h an n Kessel huth.«
58
Fragen Was erzählte Frau von M allebre Herrn Hagedorn, während sie zusammen Kaffee tranken? Was sagte Herr Kesselhuth, als er Schulzes Zimmer sah? Was tat er, als Herr Hagedorn fort war? Wo war Herr Schulze? W er hatte ihn dorthin geschickt? Warum gab man Herrn Schulze solche Aufgaben? Was schrieb Herr Kesselhuth an dem A ben d an Hilde?
59
11 Der einsame Schlittschuhläufer A m nächsten M orgen frühstückten die drei M änner gemeinsam. Der Tag war noch schöner als der vorige. Die Luft war frostklar. »Was unternim m t man heute?«, fragte Schulze. Jo h an n wurde rot. Er legte drei Billetts auf den Tisch und sagte: »W enn es Ihnen recht ist, fahren wir mit der Drahtseilbahn auf den W olkenstein. Ich habe mir erlaubt, Karten zu besorgen.« Dreißig M inuten später schwebten sie in einem • Kasten über den waldigen Hügel in den Him m el empor. Endlich war die Endstation, zwölfhundert M eter über Bruckbeuren erreicht. Die agiere stie^ gen aus und gingen ins Freie. H ier gab es lange R eihen von Liegestühlen. »Jetzt lassen wir uns von der Sonne braten«, sagte Schulze. U nd das taten sie dann. Eine Stunde hielten sie das aus, dann erhoben sie sich und gingen zur Drahtseilbahn zurück. Dort stießen 0 sie mit Frau Casparius zusammen. Sie trat zu Herrn Hagedorn und sagte: »Sie kommen doch heute A bend zu dem Kostümhall?« Sie hatte einen sehr strammen Jum per an! N ach dem M ittagessen wurde Kesselhuth vom Skilehß rer abgeholt. Herr Kesselhuth verabschiedete sich traurig und trabte hinter dem Skilehrer her. »A ls ob er zur Schlachthank geführt würde«, meinte
60
Hagedorn. »Aber der Skianzug ist fabelhaft!« »Ist ja auch von meinem Schneider«, sagte Schulze stolz. Hagedorn lachte herzlich über die Bemerkung. Und G eh eim rat Tohler lachte auch, allerdings etwas krampfhaft. Dann erhob er sich und sagte: »Und jetzt geht Papa Schulze Schlittschuh laufen.« »Darf ich mitkommen?« Schulze erhob abw ehrend die H and. »Lieber nicht!« i Herr Schulze holte seine Schlittschuhe aus der fünf ten Etage und begab sich zur Eisbahn. Er hatte G lück, es war niem and anders da. Mühsam schnallte er sich die rostigen Schlittschuhe an seine ledernen Stiefel. Dann stellte er sich auf und wagte die ersten Schritte, i Es ging! Er lief einm al rund um die Bahn. Er wurde mutiger. Er begann Bogen zu fahren. Er fuhr eine Drei. »Donnerwetter«, sagte er. »G elernt ist gelernt.« Dann fuhr er eine A ch t. »Und jetzt die Pirouette«, sagte er laut. Da zog ihm aber eine unsichtbare M acht die Füße vom Eis. Er gestikulierte, es h a lf nichts, er schlug hin. Der Hinterköpf dröhnte, die Rippen schmerzten, Schulze lag still. M inutenlang rührte er sich nicht. Dann schnallte er die Schlittschuhe ab, lächelte wehm ütig und sagte: »W enn s dem Esel zu wohl wird...« A m späten N achm ittag wurden die drei M änner im Lesezimmer von Professor Heltai, dem Tanzlehrer, heim Zeitunglesen unterbrochen. Er hat Herrn Sch u l ze, ihm zu folgen. Schulze ging mit. N ach einer Viertelstunde fragte Kesselhuth: »Wo bleibt eigentlich Schulze?«
61
»V ielleicht nim m t er Tanzunterricht.« »Kaum«, antwortete Kesselhuth. N ach noch einer Viertelstunde gingen sie Schulze suchen. Sie fanden ihn in einem der Speisesäle. Er stand auf einer hohen Leiter und m achte gerade eine W äscheleine an einem N agel fest. D ann schlepp te er die Leiter auf die andere Seite und kletterte w ie der hinauf. »Haben Sie Fieber?«, fragte Hagedorn. »Ich dekoriere«, sagte Schulze und m achte das andre Ende der W äscheleine fest. Dann brachten zwei Stubenm ädchen einen Korb mit alter, zerlöcherter W äsche. Die hängte Schulze dekorativ über die Leine. Der Professor rieb sich die Hände und sagte: »Sie sind ein Künstler. W ann haben Sie das gelernt?« »Eben erst, m ein Lieber«, sagte Schulze. Diese Bem erkung überhörte der Professor. »A uch die andere Seite«, sagte er. »Ich hole noch Ballons.« Jo h an n ging zur Leiter hin und sagte zu Schulze: »Lassen Sie m ich hinauf!« »Für zwei ist kein Platz«, sagte Schulze. »Feine L eu te können wir hier nicht gebrauchen. G eh en Sie lieber Bridge spielen!« »Ich habs mir gedacht«, sagte Hagedorn. Sie gingen.
62
Fragen W ohin begaben sich die drei M änner am Vormittag? W ohin ging Herr Schulze nach dem Mittagessen? Wer holte Herrn Schulze aus dem Lesezimmer? Was wollte er von Schulze? W ie löste Herr Schulze seine Aufgabe?
63
12 Der Lumpenball Nach dem Abendessen eilten die G äste in ihre Zim mer und verkleideten sich. G egen zehn U h r abends füllten sich die Säle, die I lalle, die Bar und die Korridore mit m askierten M en schen. A u ch solche aus anderen Hotels. Die erkannte man daran, dass sie Eintritt zahlen mussten. In der H alle war eine Tom bola errichtet. A lles, was man n icht gebrauchen konnte, war hier zu gewinnen. Kesselhuth hatte m itgeteilt, dass im großen Saal ein Tisch mit drei Stühlen reserviert sei. Doktor Hagedorn trat als Apache auf. Er war in I lemdsärmeln und hatte eine Mütze schief ins G esich t gezogen. Schulze hatte sich noch weniger verkleidet. Er trug den violetten Anzug und die rote Mütze. Der H interkopf tat ihm noch weh. Vom S c h litt schuhlaufen. »Wo ist nur unser lieber Kesselhuth?«, sagte Schulze. In diesem A ugenblick füllte jem and, der hinter ihnen stand, die drei Weingläser. »W ir haben keinen W ein bestellt«, sagte Hagedorn. Da lachte der Kellner. Es war aber gar kein Kellner, sondern Johann Kesselhuth. Er hatte die Dienerjacke an. »Großartig!«, rief Hagedorn. »Sie sehen aus wie der geborene Diener!« Die drei M änner amüsierten sich königlich. Dann kam ein dicker M ann, als Kneipenw irt ver-
: der Angehörige eines Indianerstamrnes, hier: der Gauner
der Apache
kleidet, und sagte zu Schulze: »Sie bekom m en für Ihre Verkleidung bestimmt den ersten Preis!« U nd er nahm ihn mit zu Professor H eltai. Der aber sagte: »Hs tut mir Leid, mein lieber Schulze. Sie fallen nicht unter die Bestimmungen. Sie sind nicht kostümiert. Sie sehen nur so aus. Sie sind ein Professional.« A ls Schulze zurückkam, war Hagedorn weg. Jo h an n saß solo und trank. »Die Dame aus Bremen, als kleines Schulm ädchen verkleidet, hat ihn weggeholt«, berichtete er. Sie gingen auf die Suche. In der H alle an der Tom5 Drei Männer im Schnee
65
bola kauften sie dreißig Lose. Sie gewannen zwei Ted dybären. Sie gingen weiter. Durch alle Säle. A b er I lagedorn war nicht zu finden. »W ir müssen ihn finden«, sagte der G eheim rat. I »Das Bremer Schulm ädchen hat ihn verschleppt. U nd ich sollte auf ihn aufen.« In der Bar war der verlorene Soh n auch nicht. Sie kehrten an ihren Tisch zurück. Hagedorn war noch immer n icht da. Johan n setzte die beiden Teddy bären auf Hagedorns Stuhl. U nd dann tranken sie. »Fällt Ihnen was auf?«, fragte Tobler. »Jaw ohl«, antwortete Johann. »A lle Leute sehen auf uns.« W ährenddessen saß Frau Casparius, als Schulm ädchen |i verkleidet, mit dem A p achen Hagedorn zusammen im Bierkeller. Sie klappte ihren Schulranzen auf, holte eine Puderdose heraus und fing an, sich die freche Nase zu pudern. »Was willst du denn mal werden, wenn du aus der m Schule kommst?«, fragte er. »A m liebsten Spazierführerin«, sagte sie. »A h a. Das ist aber auch ein interessanter Beruf«, sagte er. »Ich muss jetzt leider gehen. W ir A pachen haben viel zu tun. Hs handelt sich um einen Einbruch.« »Was w ollen Sie denn stehlen?«, fragte sie. »A lle linken Handschuhe«, sagte er, legte den Fin ger an den M und und entfernte sich schnell. Die bei den älteren Herren winkten, als sie ihn kommen |P sahen. »Wo waren Sie denn mit dem Schulm äd chen?«, fragte Schulze streng. »Lieber Freund«, sagte der junge M ann. »W ir haben 66
nur davon gesprochen, was die Kleine mal werden will*« »Na, und was will sie denn werden?« »A m liebsten Spazierführe rin«, sagte Hagedorn. Die beiden älteren Herren versanken in N achdem ken. Dann sagte Kesselhuth: »W ir sollten jetzt vors H otel gehen und auf Kasimirs W ohl trinken.« Der Vorschlag wurde einstim m ig angenom m en. Kesselhuth nahm eine Flasche und drei Gläser. S ch u l' ze die Teddybären. U nd Hagedorn schritt voran. A ls sie am Portier vorbeigingen, hob Schulze die Teddybären empor und sagte laut zu ihnen: »Schau 1 euch mal den bösen O nkel an! So etwas gibt’s w irk' lieh.« Kasim ir sah wieder ganz reizend aus. Die drei M an ' i ner betrachteten ihn gerührt. Schulze trat vor. »Bevor wir auf das W ohl unseres gem einsam en Sohnes trinken«, sagte er feierlich, »möchte ich ein gutes W erk tun. Es ist bekanntlich n icht gut, dass der M ann allein sei. A u ch der S ch n ee' , mann nicht.« U nd dann setzte er die beiden Teddybä' ren rechts und links vom Schneem ann in den kalten Schnee. »N un hat er wenigstens, auch wenn wir nicht da sind, G esellschaft.« D ann füllte Herr Kesselhuth die Gläser. A b er der W ein reichte nicht. U nd Johan n verschwand im Hotel um eine volle Flasche zu besorgen. N un standen Schulze und Hagedorn allein unterm N achthim m el. Jeder hatte ein halbvolles G las in der Hand. Schulze hustete verlegen. Dann sagte er: »Seit ich im Krieg war, habe ich keinen M ann mehr geduzt. Ich m öchte, w enn es dir recht ist, mein Junge, den V or'
67
schlag m achen, dass wir Brüderschaft trinken.« Der junge M ann hustete auch. Dann antwortete er: »Ich habe seit der U niversität keinen Freund mehr gehabt. Ich hätte nie gewagt, Sie um Ihre Freundschaft zu bitten. M ensch, ich danke dir.« »Ich heiße Eduard«, bemerkte Schulze. »Ich heiße Fritz«, sagte Hagedorn. Dann stießen sie mit den G läsern an, tranken und drückten einander die Hand. U nd Kesselhuth, der gerade aus der Tür kam, ahnte die Bedeutung dieses Händedrucks, m achte leise kehrt und ging ins H otel zurück.
Fragen Wie waren die drei M änner verkleidet?
W arum k o n n te H err Schulze n ich t an der Preis Vertei lung teilnehm en? Mit wem war Herr Hagedorn zusammen? Was brachten sie dem Schneem ann als Geschenk? Warum wollten Schulze und Hagedorn »du« zueinan der sagen? 68
13 Der große Rucksack
M utter Hagedorns Paket mit den Reklam earbeiten traf am nächsten Tag ein. A u ch ein Brief. »M ein lieber Ju nge!«, schrieb die Mutter. »Vielen Dank für die zwei A nsichtskarten. Ich will eben dein Paket zum B ahn hof bringen. H offentlich knicken die Ecken nicht um. Ich meine bei den Pake ten und Kunstdrucksachen. U nd sage diesem Herrn Kesselhuth, wir m öchten deine A rbeiten zurückhaben. Solche Herrschaften sind meistens vergesslich. Ich halte für dich nicht nur den Daumen, sondern i auch die großen Zehen. Dass der andere Preisträger ein netter M ensch ist, freut mich. Grüße ihn schön. M ir geht es ganz ausgezeichnet. H offentlich komm t mor gen ein Brief von dir. Vorläufig verstehe ich näm lich m anches noch nicht. W ieso hast du drei kleine Katzen i im Zimmer? U n d zwei Zimmer mit Bad? U nd was soll der Ziegelstein? H offentlich ist es w irklich ein Hotel und nicht ein Irrenhaus. Antw orte auf meine Fragen. Du vergisst es oft. U nd nun zum Bahnhof. Bleibe gesund und munter. Viele Grüße und Küsse von deiner dich über alles liebenden M utter.« N ach dem Lunch saßen die drei M änner auf der Ter rasse und besahen Hagedorns A rbeiten. Schulze fand sie gut. U nd Kesselhuth sagte: »Heute A ben d schicke ich das Paket an G eheim rat Tobler.« »U nd vergessen Sie nicht, auch nach einem Posten für Schulze vorzufragen«, bat Hagedorn. »Es ist dir
69
Jo c h recht, Eduard?«, fügte er hinzu. Schulze nickte. »Gewiß! Der alte Tobler soll sich mal anstrengen.« »U nd er soll die Sachen, bitte, bestimmt zurückgeben«, erklärte der junge M ann. »N atürlich«, sagte Schulze, obwohl es ihn ja gar nichts anging. Kesselhuth nahm die A rbeiten an sich. Dann mur melte er etwas und ging traurig davon. Denn in der 10 Hoteltür stand der Skilehrer. Eduard und Fritz gingen hinaus zu ihrem S ch n ee mann. »W enn wir G eld h ätten «, m einte H agedorn, »könnten wir ihm einen Sonnenschirm schenken, h Sonst geht er zugrunde.« »Da hilft kein Schirm «, sagte Schulze. »Der R eic h tum hat eben seine Grenzen.« »Du sprichst, als ob Du früher ein Bankkonto gehabt hättest«, m einte Hagedorn. »M eine M utter 10 behauptet, reich wären nur die, die sonst nichts bekommen h aben .« »Das wäre zu gerecht«, erklärte Schulze. »U nd zu einfach«, sage Hagedorn. Dann m achten sie einen langen Spaziergang. ■ N ach dem Kaffee ging Hagedorn auf sein Zimmer. Schulze wollte bald nachkom m en. A b er in der H alle tippte O nkel Polter ihm auf die Schulter. »Hier ist eine Liste«, sagte er. »U nd G eld. Den Rucksack bekom m en Sie in der Küche.« »Ich brauche keinen Rucksack«, sagte Schulze. »Sagen Sie das nicht«, meinte der Portier. Schulze blickte auf die Liste. Sie war sehr lang.
70
Er sah hoch, lachte und sagte: »A ch , so ist das gemeint! Wo soll ich das Zeug holen?« »Im Dorf«, befahl O nkel Polter. »In der A potheke, beim Friseur, beim Uhrm acher. Beeilen Sie sich!« »Darf man schon wissen, was Sie morgen für mich haben«, fragte Schulze. »Ich würde furchtbar gern mal Schornstein fegen.« Er lachte und ging. O nkel Polter nagte eine ganze Stunde an der U n ten lippe. A ls Herr Kühne ihn sah, fragte er: »Sind Sie u krank?« »N och n icht«, sagte der Portier. »A b er dieser Schulze wird immer unverschämter.« »Streikt er?«, fragte Karl der Kühne. »Im G e g e n te il« , m einte der Portier. »M orgen i m öchte er Schornstein fegen!« »Einfach tierisch!«, sagte Karl der Kühne. Geheim rat Tobler, alias Herr Schulze, war erst nach zwei Stunden mit seiner Last wieder im Hotel. Er brachte den Rucksack in die Küche und begab sich in den fünf ten Stock. A ls er sein Zimmer betrat, bemerkte er einen fremden, gut gekleideten Herrn, der mit dem K opf unter dem W aschtisch lag, fleißig hämmerte und sogar pfiff. »Was wollen Sie hier?«, fragte Schulze streng. Der Fremde fuhr hoch, stieß mit dem Hinterkopf gegen die Tischkante und kam ans Tageslicht. Es war Herr Kesselhuth! »Was haben Sie unter m einem W aschtisch zu suchen?«, fragte Schulze energisch. Herr Kesselhuth rieb sich den H interkopf und zeigte auf eine Heizsonne, die zu glühen begann. Das Zim mer wurde langsam warm.
71
»Und hier ist ein K istchen Zigarren«, sagte Johann. »Nun aber raus!«, m einte der Geheim rat. »Sie h ät ten W eihnachtsm ann werden sollen!« Doktor Hagedorn lag müde auf seinem Sofa, als es klopf( te. »Warum kommst du so spät, Eduard?«, fragte er. A b er der Besucher antwortete: »Ich heiße nicht Eduard, sondern Hortense.« Kurz und gut, es war Frau I Casparius. Sie war gekommen, um mit den siam esi schen Katzen zu spielen. Das tat sie dann auch. A b er
72
nicht lange. Sie setzte sich in einen Lehnstuhl, zog die Beine hoch und legte die A rm e um die Knie. »Wir könnten die Koffer packen«, m einte sie leise, »und zusammen wegfahren! N ach G arm isch!« »Garm isch ist sicher schön«, sagte er. »A ber Eduard wird es wohl nicht erlauben.« »Was geht uns Eduard an?«, fragte sie ärgerlich. Es klopfte. Er rief: »H erein!« Schulze trat ein. »Entschuldige, Fritz. Ich hatte etwas zu besorgen. Bist du allein?« »Sofort!«, sagte Frau Casparius, sah durch Herrn Schulze hindurch, als wäre er aus G las, und ging.
Fragen Was schrieb Frau Hagedorn an ihren Sohn? W orüber sprachen die drei M änner nach dem Lunch? W arum sollte Herr Schulze in die Stadt? W er war bei Herrn Hagedorn, als Schulze kam?
14 Die Liebe auf den ersten Blick Am nächsten N achm ittag geschah etwas Außerge^ wohnliches. Hagedorn verliebte sich. Er tat dies im I lotelbus, der neue G äste vom Bah n h o f brachte. A u f dem Rückw eg von einem Ausflug war er kurz zuvor in den Bus gestiegen.
i
Einer der agiere war ein junges, reizendes Mäd^ eben. N eben ihr saß eine dicke, ältere Frau, die von dem M ädchen »Tante Julchen« genannt wurde. Hagedorn hätte Tante Julchens N ichte stundenlang anstarren können. Außerdem wurde er das G efühl nicht los, das junge M ädchen schon einmal gesehen zu haben. Tante Julchen war um die Koffer besorgt, und bei jeder Kurve griff sie sich ans Herz und jammerte vor Schreck. Das junge M ädchen sah ihn an und dieser Blick gab ihm den Rest. Vorm Hotel h a lf er den beiden beim Aussteigen. Tante Julch en kümmerte sich um die Koffer. Hagedorn und das junge M ädchen waren allein. »Das ist aber ein schöner Schneem ann«, rief sie. »Er heißt Kasimir. Den haben Eduard und ich gem acht«, sagte er stolz. »Und ein Bekannter, der eine große Schifffahrtslinie besitzt. Eduard ist mein Freund.« » A h a!« , sagte sie. »W erden Sie lange hierbleiben.7«, fragte er. Sie schüttelte den Kopf. »Ich muss bald wieder nach Berlin zurück.« »Ich bin auch aus Berlin«, meinte er. »W elch ein Zufall.«
74
G eheim rat Tobler hielt oben im fünften Stock sein Nachm ittagsschläfchen. Da wurde die T ü r aufgerissen. Hagedorn stand im Zimmer und fragte überrascht: »Wo hast du denn die Heizsonne her, Eduard?« »Das ist ein G eschenk«, sagte Schulze schläfrig. »M ensch! Schulze!«, stieß Hagedorn hervor. »Ich musste es dir sofort sagen. Ich bin verloren. Ich habe m ich soeben verliebt!« »In die M allebre oder die aus Bremen?« »Doch nicht in die! In ein enorm hübsches, junges i M ädchen, das eben aus Berlin hier angekom m en ist. Zusammen mit einer Tante, die Ju lch en heißt!« »W ie kannst du dich nur in eine dumme G ans ver lieben, die mit ihrer Tante Julch en hier auf M änner fang ist?«, fragte Schulze. I »Sie ist keine dumme G ans«, sagte Hagedorn belei digt, »sondern meine kommende G em ahlin . Schau sie dir erst mal an! W enn du sie siehst, wird dir die Luft wegbleiben!« Hagedorn setzte sich in die H alle, blickte auf den Fahr stuhl und wartete ungeduldig auf das junge M ädchen und die Zukunft. Dann fiel ihm plötzlich ein, dass man zum H eiraten G eld braucht. U n d er hatte keins. Er war mißmutig. »Sie sehen aus, als wollten Sie ins Kloster gehen«, sagte jem and hinter ihm. Er fuhr hoch. Es war Tante Julchens N ichte. Er blickte sie lange an. So lange, bis sie die A u gen lider senkte. Dann hustete er und sagte: »M an hält m ich hier für einen M illionär. Außer Herrn Kessel huth und Eduard weiß noch keiner, dass ich es nicht bin. Ich bin ein stellungsloser Akadem iker.«
75
»Und warum haben Sie das M issverständnis nicht aufgeklärt?«, fragte sie. »N icht wahr?«, meinte er. »Ich wollte auch, aber Eduard wollte nicht.« »W er ist denn dieser Eduard«, fragte sie. »Eduard und ich haben das Preisausschreiben der Toblerwerke gewonnen. Dafür w ohnen wir hier«, sag' te er. »D avon habe ich in der Zeitung gelesen«, sagte sie. h> »Dann sind Sie also Doktor Hagestolz?« »Hagedorn«, verbesserte er. »Vorname Fritz.« Sie wurde rot und sagte: »Ich heiße Hildegard.« »Der schönste Vornam e«, sagte er. »N ein«, sagte sie. »Fritz gefällt mir besser!« »Ich meine die w eiblichen Vornam en.« Sie lächelte. »Dann sind wir uns ja einig.« »Das wäre wundervoll«, sagte er und nahm ihre Hand. Endlich trat Schulze aus dem Fahrstuhl. Hagedorn sag' lo te zu Tante Julchens N ichte: »Jetzt kommt Eduard!« Dann ging er dem Freund entgegen und flüsterte: »Das ist sie.« »Was du n icht sagst!« antwortete Schulze spöttisch. »Ich dachte schon, es wäre die nächste.« Das junge M ädchen hob den K op f und sagte: »Das ist gewiss Ihr Freund Eduard. So hab ich ihn mir v o n gestellt.« Hagedorn nickte fröhlich: »Jawohl. Das ist Eduard. Und das ist ein gewisses Fräulein Hildegard.« Schulze war wie vor den K op f geschlagen. Hagedorn lachte. »Du siehst aber kom isch aus.« Schulze sah das junge M ädchen vernichtend an.
76
Dann sagte er: »Fritz, hole mir doch schnell meine B a l driantropfen. Ich habe M agenschmerzen.« Hagedorn sprang auf und fuhr nach oben. »Sie haben Magenschmerzen?«, fragte Tante Julchens N ichte. »H alte den S c h n a b e l!« , sagte der G eh eim rat wütend. »Was willst du hier?« »Nur nachsehen, w ie’s dir geht, lieber Vater«, sagte Fräulein Hilde. Der G eheim rat trommelte mit den Fingern auf die Tischplatte: »Was fällt dir ein? Erst telefonierst du h in ter meinem Rücken mit dem H otel und vier Tage spä ter kommst du selber an!« »A ber Papa«, antwortete die Tochter. »Es hat ja doch nichts genützt. M an hält doch Herrn Hagedorn für den M illionär. Er hat es mir eben erzählt.« »Seit wann hast du eine Tante Julchen?«, fragte er. »Seit heute M orgen, lieber Vater. W illst du sie ken nen lernen? Dort kommt sie gerade!« A b er als Frau K unkel den violett gekleideten M ann neben Fräulein Hilde erblickte, m achte sie kehrt und wollte schnell verschwinden. »Schaffe mir sofort diese idiotische Person her!«, knurrte der Geheim rat. Hilde holte die Kunkel zurück und stellte vor: »Herr Schulze - Tante Julchen.« W eil der Portier gerade herüberschaute, musste sich Tobler erheben. Er verbeugte sich höflich, setzte sich wieder und fragte: »Seid ihr denn verrückt geworden?« »N ur ich«, sagte Tante Julchen. »Ist ja auch kein W under nach alledem, was wir erfahren haben.« »A lso, Herr Kesselhuth hat geklatscht«, sagte Tob ler wütend. »Ihr m acht mir hier alles kaputt. Ich habe
hier einen Freund gefunden. So etwas braucht ein M ann. Dann kommt ihr an. Er stellt mir meine eigene Tochter vor. U nd oben im Zimmer hat er mir vorher erklärt, dass er dieses M ädchen heiraten w ill!«
»W elches M ädchen?« fragte Fräulein Hilde. »D ich«, sagte der Vater. »W ie sollen wir ihm nun erklären, wie sehr wir ihn angeführt haben? U nd wenn er die W ahrheit kennt, schaut er uns doch gar nicht mehr an!« »W er w ill Fräulein Hildegard heiraten?«, fragte Frau Kunkel. »Fritz«, sagte H ilde hastig. »Ich m eine, der junge M ann.« »A h a«, bemerkte Tante Julchen. »Ein reizender M ensch. A b er G eld hat er keins.«
Fragen
Warum starrte Herr Hagedorn das junge M ädchen an/ Von wem wurde Schulze am N achm ittag geweckt? M it wem sprach Hagedorn in der Halle? Warum schickte Schulze Herrn Hagedorn fort? Warum war Schulze so böse auf die beiden Damen?
79
15
Drei Fragen hinter der Tür
A ls Hagedorn mit den Baldriantropfen ankam, saßen die drei friedlich zusammen am Tisch. Ihr gemeinsames G eheim nis einte sie. »Tante Julchen ist auch da!«, sagte er freudig. »Sind • die Koffer ausgepackt? U nd wie finden Sie m einen Freund Eduard?« »Er gefällt mir«, anwortete Hilde mit Nachdruck. »Eduard, hier sind die Tropfen«, m einte Hagedorn. U nd dann musste er die Tropfen nehm en, obwohl er - nicht wollte, und Hilde freute sich über die Gesichter, die ihr Vater schnitt. Ja und dann kehrte Herr Kesselhuth von der vierten Skistunde zurück. Er hinkte stark. Er sah sich suchend um und entdeckte den Tisch, an dem Hagedorn und 5 Schulze saßen. U nd die beiden Frauen. Da wurde ihm übel. A m liebsten wäre er in ein M auseloch gekro chen. A b er es war keins da. Er hum pelte hinüber. »Was ist denn Ihnen iert?«, fragte Schulze. »Es ist nicht sehr gefährlich«, m einte Kesselhuth. »Ich hin nur gegen den Skilehrer gefahren.« Der junge M ann m achte dann die Herrschaften m it einander bekannt. M an gab sich die Hände. Es war sehr förmlich. »Sie sind bestimmt der Herr, dem die Schifffahrtsli nie gehört?«, fragte Hilde. »So ist es«, sagte Kesselhuth nervös. Er wollte schnell weg. Darum sagte er weiter: »Ich muss m ich Drei Fragen hinter der Tür:
ein Gesellschaftsspiel
80
umziehen. D arf ich die A nw esenden bitten, heute Abend meine G äste zu sein?« »Das dürfen Sie«, sagte Schulze. »W ir werden sehen, w ieviel Tante Ju lch en verträgt.« »Ich trinke euch alle unter den Tisch«, sagte sie. Hagedorn verzehrte H ilde mit den Augen. Plötzlich lachte er: »Ich weiß ja noch gar nicht Ihren Fam ilien namen. « »Nein?«, fragte sie. »Stellen Sie sich vor: Ich heiße genau so wie Ihr Freund Eduard!« »Eduard«, sagte der junge M ann. »W ie heißt du? A c h so. Ich bin ganz durchgedreht. Sie heißen Schul ze?« »G enau wie Ihr Freund«, sagte sie. Da bekam Tante Julch en einen H ustenanfall. Hilde musste sie schnell wegführen. A u f der Treppe sagte Frau Kunkel: »W enn das mal gut geht.« »Ist das M ädchen nicht wundervoll?«, fragte Fritz. »Doch«, meinte Schulze sauer. »Für wie alt hältst du sie eigentlich?« »Im August wird sie einundzwanzig Jahre.« Fritz lachte. »Lass die Witze, Eduard! Findest du nicht auch, dass ich sie heiraten muss?« »N a ja«, sagte Schulze. »M einetwegen. A b er viel leicht hat sie keinen Pfennig G eld.« »Ich habe auch keins. M orgen frage ich sie, oh sie m eine Frau werden will, und sobald ich eine Stellung habe, wird geheiratet.« Hagedorn begann zu schwär men. »Ich suche alle Berliner Firm en auf.« »V ielleicht klappt es bei den Toblerwerken«, sagte Schulze. »W er weiß«, sagte Hagedorn. »Jedenfalls gehen wir 6 Drei Männer im Schnee
81
zu dem alten Tobler. U nd wir gehen n icht wieder fort, bis er uns angestellt hat.« »Großartig«, sagte Schulze. »W enn er das nicht tut, hat er sein eigenes G lü ck nicht verdient.« »Du sagst es«, erklärte Fritz. »A ber so dumm wird er ja n icht sein. V ielleich t frage ich sie schon heute A bend, ob sie meine Frau werden will.« »Und w enn sie nicht will? U n d w enn ihre Eltern es nicht wollen?« »V ielleicht hat sie keine mehr. Das wäre das Beste!« »Sei n icht so roh, Fritz!«, sagte Schulze. »Und w enn ihr Bräutigam nicht will?« »M ach mir keine A ngst, Eduard!«, sagte Hagedorn. Er wurde blass. Er stand auf und lief die Treppe hinauf. G eheim rat Tobler sah ihm lächelnd nach. Dann kam Kesselhuth zurück, schon im Sm oking. Er setzte sich und fragte: »Sind Sie mir sehr böse, Herr Geheim rat?« »Schon gut, Jo h an n !« , sagte Tobler. »Es ist nicht v mehr zu ändern. W issen Sie schon das Neueste? D ok tor Hagedorn wird sich verloben!« »M it wem denn, w enn man fragen darf?« »M it Fräulein Hildegard Schulze!« Johan n strahlte wie eine Sonne. »Das ist recht«, Iß meinte er. »Da werden wir bald Großvater.« Endlich fand Hagedorn die Zim m er von Tante Julchen und ihrer N ichte. »Das gnädige Fräulein hat einundachtzig«, sagte das i Stubenm ädchen und knickste. Er klopfte. Er hörte Schritte. »Was gibt ’s?« »Ich muss Sie etwas fragen«, sagte er bedrückt.
82
»Das geht nicht«, antwortete Hildes Stim m e. »Ich bin beim Um ziehen.« »Dann spielen wir ‘Drei Fragen hinter der T ü r’.« »A lso los«, sagte sie und legte ein O hr an die Tür. Sie hörte aber nur ihr eigenes Herz. »Frage eins?«
»G enau wie die zweite«, sagte er. »Und wie ist die zweite Frage?« »Genau wie die dritte Frage«, sagte er. »Und die dritte?« Er räusperte sich. »Haben Sie schon einen Bräuth | gam, Hilde?« Sie schwieg lange. Er schloss die A ugen. D ann hör te er, es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, die drei W orte: »N och nicht, Fritz.« »Hurra!« rief er und rannte davon. Tante Ju lch en öffnete vorsichtig ihre T ü r und schaute hinaus. Dann murmelte sie: »Diese jungen Leute!«
6*
83
Fragen Was war mit Herrn Kesselhuth iert? Warum war es keine Lüge, als H ilde sagte, dass sie genauso wie Hagedorns Freund heiße? Was wollte Hagedorn Hilde am nächsten Tag fragen? W onach fragte Hagedorn Hilde hinter der Tür?
84
16 Auf dem Wolkenstein Frau Kunkel hatte am A bend niem anden unter den Tisch getrunken. A ls sie am Tage nach ihrer A n kun ft in Bruckbeuren aufwachte, hatte sie Kopfschmerzen und konnte sich an nichts mehr erinnern. Ihr Früh stück bestand aus Kopfschmerztabletten. »Habe ich sehr viele Dummheiten gemacht?«, fragte sie. »Das wäre nicht so schlimm gewesen«, meinte Hilde. »Aber Sie begannen die W ahrheit zu sagen! Deswegen musste ich immerzu mit Doktor Hagedorn tanzen.« »Eines Tages wird er es ja doch erfahren müssen!« »Gew iss, m eine Dame. A b er weder am ersten A bend, noch von m einer betrunkenen Tante, die nicht einm al m eine Tante ist.« Frau Kunkel war beleidigt. I D ann sagte sie: »Ich verstehe Sie nicht. S o ein arbeitsloser Doktor ist doch keine Partie für Sie!« »N un werden Sie nicht kom isch«, sagte Hilde. »Partie! Ist die Ehe etwa ein Ausflug?« D ann ging sie zur Tür. »Kom m en Sie«, rief sie. »W ir werden eine Partie m achen! Die anderen warten schon.« S ie traten ins Freie. U n d Frau K unkel fragte: »W ohin soll denn die Reise gehen?« Herr Schulze zeigte auf die Berge, und Doktor H age dorn rief: » A u f den W olkenstein!« Tante Ju lch en schauderte. »Ich komme gleich«, sag te sie. »Ich habe m eine Handschuhe vergessen.« »Bleiben Sie nur«, sagte Kesselhuth schadenfroh. »Sie können meine haben.«
85
Tante Ju lch en und die beiden älteren Herren m achten es sich oben auf dem W olkenstein in den Liegestühlen bequem. »Ich glaube, wir stören«, flüsterte Hagedorn. Schulze hatte scharfe O hren. »Fort mit euch!«, befahl er. »A ber in einer Stunde seid ihr wieder da. U nd vergiss nicht, Fritz, dass ich auf dich aufe!« »M ein G edächtnis hat etwas gelitten«, sagte er. D ann gingen H ilde und er davon. A b er er wurde noch einm al aufgehalten. Von der M allehre. Resigniert sah sie ihn an und sagte: »G uten Tag, Herr Doktor!« »W ar das eine Anbeterin?«, fragte Hilde. »Sie wollte mal von mir gerettet werden«, sagte er. 15 Etwas später trafen sie Frau Casparius. A ls sie Hilde erblickte, bekam sie böse A u gen und sagte: »H allo Doktor! Was m achen Ihre Katzen?« »W ollte diese freche Person auch von Ihnen gerettet werden? U n d was meinte sie mit den Katzen?«, /o fragte Hilde. »N ein, sie wollte mit mir fortreisen. U nd einmal kam sie auf m ein Zim m er und spielte mit den Katzen. D ann kam Eduard und da ging sie wieder.« »Das ist ja allerhand«, meinte Hilde. »Ich glaube, 15 Herr Doktor, auf Sie müsste jemand aufen.« »Das tut doch Eduard schon«, erklärte er. »Das ist doch keine Aufgabe für einen M ann.« »Dann setze ich eine A n n on ce in die Zeitung«, sag te er. »Kinderfräulein gesucht. Kost und Logis gratis. Liebevolle Behandlung zugesichert.« »Jaw ohl«, antwortete sie böse. »M indestens sechzig Jahre alt!« U nd dann lief sie wütend davon. In den Schnee hinaus. A b er weit kam sie nicht. Plötzlich sank 86
sie ein. Es sah aus, als ob sie ganz im Schnee ertrinken sollte. Er lief ihr nach, bückte sich, zog sie aus dem Schnee, legte beide A rm e um sie und küsste sie auf den Mund.
Später sagte sie: »Du H alunke! Du M ädchenhändler!« U nd dann gab sie ihm den Kuss zurück. M it Z in sen. U nd langsam legte sie ihre Hände um seinen K opf und schloss die Augen. »N a, wie war’s«, fragte Schulze, als sie wiederkamen. »Das läßt sich schwer beschreiben«, sagte Hage- i dorn. Die Tante fuhr elektrisiert hoch. »Was ist denn geschehen?« Fritz erklärte: »Hilde und ich haben beschlossen, die nächsten fünfzig Jahre zueinander du zu sagen.« i »Und dann?«, fragte Tante Julchen. »Dann lassen wir uns scheiden«, behauptete die N ichte. »H aben S ie zufällig A n g eh ö rig e«, fragte dann Schulze.
87
»Ich habe zufällig einen Vater«, sagte Hilde. »Ist er wenigstens nett?«, fragte Hagedorn. »Es geht«, sagte sie. »Glücklicherw eise hat er viele Fehler. U n d wenn er nicht mit uns zufrieden ist, grin ' ßen wir ihn nicht mehr auf der Straße. Das kann er näm lich nicht leiden.« »Oder wir m achen ihn schnell zum zehnfachen Großvater. Das wirkt immer.« U nd Schulze sagte: »Das ist recht. Ihr werdet ihn 10 schon kleinkriegen.« U nd dann fuhren sie alle nach Bruckbeuren zurück.
Fragen
W orüber sprachen H ilde und Frau Kunkel am M orgen? W ohin gingen H ilde und Hagedorn? Was geschah auf ihrem Spaziergang? Was sagten die anderen dazu? 88
17 Hoffnungen und Pläne W ährend die älteren Herrschaften nach dem M ittags essen schliefen, gingen Hildegard und Fritz in den W ald. Sie fassten sich hei den Händen. Sie blickten einander von Zeit zu Zeit lächelnd an. Sie küssten sich und strichen einander zärtlich übers Haar. Sie spielten Verstecken. Sie schwiegen meist. Das G lü ck lag auf ihren Schultern wie viele Zentner Konfekt. N ach einiger Zeit wurde er ernst. »W ieviel G eld muss ich verdienen, damit wir heiraten können? Sind fünfhundert M ark genug? Was kostet der R ing an dei nem Finger?« » Zweitausend M ark .« »A ch , du lieber G o tt!« »Das ist doch schön«, sagte sie. »Den können wir versetzen!« »W ir werden von dem leben, was ich verdiene, und nicht von dem, was du versetzt!«, rief er erregt. »Vier M onate könnten wir von dem R ing leben, wenn du nicht ein solcher Dickkopf wärst! In einer Dreizimmerwohnung. W enn ich dir nicht helfen darf, schmeiß ich den dummen Ring in den Schnee!« Und sie tat es wirklich. U nd dann krochen die beiden auf allen vieren im W ald umher. Endlich fand er ihn wieder. »Und du meinst w irklich, fünfhundert M ark sind genug?«, fragte er. »N atürlich«, sagte sie. »U nd jetzt reden wir nicht mehr vom G eld ! Jetzt fällt K lein-H ildegard in O hn-
: etwas aufs Leihaus bringen und Geld dafür bekommen
versctzen
89
m acht.« Sie m achte sich stocksteif, fiel in seine ausgebreiteten A rm e, blinzelte ihn mit fast geschlossenen A ugen an und spitzte die Lippen. In der H alle saßen G eheim rat Tobler, Johan n Kessel5 huth und Frau Kunkel und tranken Kaffee. Da kam O nkel Polter an ihren Tisch. »Die D irek tion bittet Sie, Herr Schulze, für ein paar Stunden in der Skihalle aufzuen. Bis die letzten G äste zurück sind«, sagte er. io Herr Schulze schüttelte den Kopf. »Ich mag heute nicht. V ielleich t ein andermal. Außerdem dachte ich, dass ich den Schornstein fegen dürfte.« Da legte der Portier seine Hand auf Schulzes S ch u l ter und sagte: »Folgen Sie mir endlich! Ein bisschen 15 plötzlich, bitte!« N un aber drehte Schulze sich herum und schlug dem Portier energisch auf die Finger. »N ehm en Sie sofort die Hand von meinem Anzug!«, sagte er böse.
Der Portier war wütend. »W ir sprechen uns noch«,
20 sagte er kurz und ging. »U nverschäm t«, sagte Frau Kunkel.
90
»Ruhe«, flüsterte Tobler. »Die Kinder kommen.« Doktor Hagedorn hatte einen Einschreibebrief bekom men. A ls er ihn oben im Zimmer öffnete, fiel ein Blatt Papier heraus. Ein Scheck über fünfhundert M ark! Er war ganz verwirrt. Dann las er den Brief und rannte aus dem Zimmer.
Beim Portier gab er ein Telegramm auf. Es lautete: »Fleischerei Kuchenhuch. Charlottenburg Mommsenstraße 7. A nrufe Dienstag 10 U h r stop erbitte M utter ans Telefon stop freudige M itteilung stop Fritz Hage- i dom .« A ls er in den Speisesaal trat, saßen die anderen schon am Tisch. »Ich bin ganz verwirrt.«, sagte er. »Ich habe eben eine Stellung bekom m en mit achthundert M ark im i M onat. Du sicher auch, Eduard. M an schreibt näm lich, dass wir geschäftlich m iteinander zu tun haben werden. Ich bin so glücklich. U nd vielen Dank, Herr Kesselhuth. M einer M utter habe ich telegrafiert. U nd morgen schicke ich ihr zweihundert M ark, denn fünf hundert M ark habe ich sofort bekommen. Dam it ich m ich hier gut erholen kann. U nd nun können wir hei raten«, sagte er und blickte verliebt auf Hilde. »W elche Firma hat Sie denn engagiert?« A lle frag ten wie aus einem Mund.
91
»Die Toblerwerke«, sagte er stolz. Da bekam T ante Julchen ein en schw eren H u sten an fall und H ilde musste sie schnell aufs Zim mer bringen. A m gleichen A bend kam Frau Casparius zu O nkel P ol ter. Sie lächelte, griff in ihre H andtasche und gab ihm fünfhundert M ark. »Was k an n ich für Sie tun, gnädige Frau?«, fragte der Portier. »Sorgen Sie dafür, dass H err K ühne m orgen m it Schulze spricht und ihm vorschlägt, das H otel zu verlas sen. Bieten Sie ihm dreihundert Mark. W enn er morgen N achm ittag n ich t verschw unden ist, reise ich ab und komme nie wieder. Sagen Sie H errn K ühne das!« Der Portier n ah m das G eld, verbeugte sich und dankte. »Ich werde tun, was ich kann«, sagte er. Sie nickte flüchtig und ging in die Bar. Ihr A b en d kleid rauschte. Es klang, als flüsterte es in einem fort seinen Preis.
Fragen W arum k rochen H ilde und Fritz im S chnee herum ? Was ierte zwischen H errn Schulze und dem Portier? Was h a tte H agedorn bekom m en? Was bedeutete das für ihn? Was wollte Frau C aspar ius vom Portier?
18 Verlorene Illusionen
A m nächsten M orgen kurz nach acht U hr klingelte es hei Frau Hagedorn in der Mommsenstraße. Die alte Dame öffnete. Draußen stand der Lehrling von Fleischerm eister Kuchenbuch. »Einen schönen Gruß vom M eister«, sagte er. »U nd um zehn U h r wird der Doktor Hage" dorn aus den A lp en anrufen. U nd Sie brauchten nicht zu erschrecken.« »Da soll man n icht erschrecken!«, sagte die alte Dame und war ganz aufgeregt. i Punkt neun war Frau Hagedorn schon bei Kuchen" buchs im Laden. »Eine Stunde zu früh«, sagte sie. »Ich weiß. A b er zu Hause habe ich keine Ruhe.« A ls dann kurz nach zehn endlich das Telefon klin" gelte, presste sie den Hörer fest ans Ohr. »H offentlich i verstehe ich ihn deutlich. Er ist so weit w eg!«, sagte sie zu Frau Kuchenhuch. D ann strahlte plötzlich ihr G esicht. »Ja?«, rief sie. »Hier Hagedorn! Fritz, hist du’s? Hast du dir ein Bein gebrochen? N ein? Da hin ich aber froh, m ein Junge. Was sagst du? Was gibt’s? Junge, Junge! M ach keine Witze. A chthundert M ark im M onat? H ier in Berlin? Das ist aber schön. Was hast du? Du hast dich verlobt? A u ch das noch! Hildegard Schulze? K enne ich nicht. Ich werde mir das Fräulein erst mal ansehen. Lade sie zum Abendessen bei uns ein. Was hast du abgeschickt? Zweihundert M ark? Ich brauche doch nichts. A lso gut. Ich kaufe dir ein paar Hemden dafür.«
93
N un hörte die alte Dame noch eine W eile zu- Dann sagte sie. »Also, mein lieber Junge, bleib gesund. Ja. N atürlich. Ja, Ja. Ja! A u f W iedersehen!« U nd nachher kaufte Frau Hagedorn noch gleich ein 5 Stück gekochten Schinken. Der Tag musste gefeiert werden.
10
15
20
25
A n diesem Tag taute es. Fritz war früh in der Bank gewesen und hatte den Sch eck eingelöst. Dann hatte er im Postamt das G espräch mit Berlin bestellt und, während er auf die Verbindung wartete, zweihundert M ark für seine Mutter eingezahlt. Jetzt, nach dem Gespräch, ging er durch die Stadt und kaufte ein. Das ist, wenn man jahrelang jeden Pfennig zehnmal hat umdrehen müssen, etwas W underbares. Für Herrn Kesselhuth kaufte er eine Kiste Zigarren. Für Eduard einen alten Zinnkrug. Für Hilde O hrge hänge aus Jade, G old und Halbedelsteinen. Für Tante Ju lch en einen m ächtigen Blumenstrauß. Er bat die Verkäuferin im Blum engeschäft, die G eschenke ins H otel zu bringen. S ich selber schenkte er nichts. A nderthalb Stunden war er im Ort. A ls er zurück kam, sah Kasimir, einm al der schönste Schneem ann, jäm m erlich aus. Er konnte das Tauwetter nicht vertra gen. »Fahr wohl, lieber Kasim ir«, sagte Hagedorn und betrat das Hotel. H ier war inzwischen viel geschehen.
94
Das U n h eil hatte ganz einfach damit begonnen, dass G eheim rat Tobler, seine Tochter, die K unkel und Johan n frühstückten. Da traten der Portier und Direktor Kühne feierlich in den Saal und näherten sich dem Tisch. »Die sehen heute aber merkwürdig aus«, konnte der G eheim rat noch sagen. Da machte Karl der Kühne auch schon eine Verbeu gung und sagte: »Herr Schulze, wir möchten Sie eine M inute sprechen, nebenan im Schreibzimmer.« »Da können Sie lange warten«, meinte Herr Schulze. Darauf antwortete der Direktor: »Es ist in einer nicht ganz behaglichen Angelegenheit.« »Großartig«, sagte Tante Julchen. »Ich schwärme für so was.« »W ie Sie wünschen«, erwiderte der Direktor. »Ich hätte es Herrn Schulze, um ihn zu schonen, lieber unter vier A u gen gesagt. Kurz und gut. Einige Gäste haben sich über Sic beschwert und darum bitte ich Sie, unser Haus zu verlassen. Ein G ast bietet Ihnen zweihundert M ark, die Sie bekommen, sobald Sie das H otel verlassen. »Warum wirft man m ich eigentlich hinaus? Bin ich ein Schandfleck?«, fragte Herr Schulze. »Ein M isston«, sagte der Portier. »Arm ut ist also eine Schande«, meinte Schulze. A b er O nkel Polter zerstörte die Illusion. »W enn ein M illionär im Arm enhaus wohnen wollte, dann wäre er dort ein M isston.« »G ut, ich reise«, sagte Schulze. »Herr Kesselhuth, w ollen Sie mir einen W agen besorgen? In zwanzig M inuten fahre ich.« »Ich komme natürlich mit«, sagte Herr Kesselhuth.
95
s
10
r>
20
21
o
»Portier, meine Rechnung. A b er ein bisschen plötZ" lieh!« »Warum w ollen Sie denn reisen?«, rief der Direktor. Tante Ju lch en lachte böse. »Sie sind wirklich reich" lieh dumm. Für meine N ich te und m ich die Rechnung. A b er ein bißchen plötzlich!« Der Direktor murmelte: »Einfach tierisch!« »Wo sind die zweihundert Mark?«, fragte Schulze streng. Der Portier reichte sie ihm und Schulze winkte dem Kellner, gab ihm die zweihundert M ark und sagte: »Die Hälfte davon bekommt der Arbeiter, dem ich auf der Eisbahn helfen durfte. Vergessen S ie ’s nicht!« Er sah den Portier und den Direktor kalt an. »Ver" schwinden S ie!« Sie folgten wie die Schulkinder. G eheim rat Tobler und Hilde waren allein. »Und was wird mit Fritz?«, fragte Fräulein Tobler. »Das bringen wir in Berlin in Ordnung«, sagte der G eheim rat. Zwanzig M inuten später waren alle zum A breisen fer" tig. Das A u to war angekommen. Erst kam en Hilde und Tante Julchen. H ilde gab dem Portier einen Brief. »Für Doktor Hagedorn«, sagte sie. Dann kam en Schulze und Kesselhuth. Schulze legte einen Brief für Fritz auf den Portiertisch. Bei der A bfahrt zeigte Kesselhuth auf die Reste des Schneem annes Kasimir. Schulze lächelte. Er dachte an die N ach t, als sie ihn zusammen gebaut hatten. »Schön w ars doch«, murmelte er.
A ls Hagedorn ins H otel zurückkam, übergab der Por tier ihm zwei Briefe. »N anu«, sagte Fritz, setzte sich in die H alle und riss die Kuverts auf. Das erste Schreiben lautete: »M ein lieber Junge! Ich muss unerwartet und sofort nach Berlin zurück. Es tut mir Leid. A u f baldiges W iedersehen. Herzliche Grüße. D ein Freund Eduard.« A u f dem zweiten Briefbogen stand: »M ein Liebling! W enn du diesen Brief liest, bin ich auf dem W ege nach Berlin. Komme bitte bald dorthin, deine kommende Frau Hilde Hagedorn.« »Was ist geschehen?«, fragte er den Portier. »Einige G äste haben sich über Schulze beschwert und darum bat der Direktor Herrn Schulze ahzureisen. Das tat er denn auch sofort. Da sind die ändern auch abgereist. U n d damit hatten wir nicht gerechnet.« »Ich reise auch«, sagte Doktor Hagedorn. »Sie haben m ich hier für einen M illionär gehalten. Ich war aber keiner. M an hat Sie genarrt!« Er packte schnell seine Sachen. A ls er eben das H otel verlassen w ollte, brachte die Verkäuferin seine G eschenke. Er steckte schnell die Sach en ein und ging. D en Blum enstrauß konn te die Verkäuferin behalten. Plötzlich verstand der Portier alles. »Der M ann, den wir eben rausgeworfen haben, war der M illionär«, sag te er. »Einfach tierisch«, sagte Herr Kühne. A m gleichen A ben d verließ Frau Casparius das H otel. Sie wolle niemals wieder nach Bruckbeuren kommen, ließ sie dem Portier sagen.
7 Drei Männer im Schnee
97
Fragen Was erzählte Herr Hagedorn seiner Mutter? Was hatte Herr Hagedorn in der Stadt besorgt? W arum wollte man Herrn Schulze n icht im Hotel haben? Was tat Herr Schulze mit dem G eld , das man ihm gab? W ie reagierte H err Hagedorn, als er von allem hörte?
98
19 Viele Familien Schulze A m nächsten M orgen klingelte es hei Frau Hagedorn. Die alte Dame öffnete. Draußen stand wieder der L eh r ling von Fleischerm eister Kuchenbuch. »Telefoniert mein Soh n schon wieder?« fragte sie. Er schüttelte den Kopf. »Einen schönen Gruß von meinem M eister«, sagte er. »Und Sie sollten nicht erschrecken. Sie bekom m en Besuch.« »Besuch?«, m einte die alte Dam e. »Darüber erschrickt man doch nicht. W er kommt denn?« Von der Treppe rief es: »Kuckuck! Kuckuck!« Eine Etage tiefer saß ihr Junge auf der Treppe. »Das ist die H öhe«, rief sie. »Steh sofort auf und komm herein! Was machst du hier in Berlin?« M utter und Sohn spazierten A rm in A rm in die W ohnung. W ährend sie frühstückten, erzählte Fritz alles. Dann las er beide Abschiedshriefe vor. »Da stimmt etwas nicht, m ein armer Junge«, sagte die M utter tiefsinnig. »Warum haben weder dein Freund Eduard noch das M ädchen ihre Adressen ange geben? So etwas kann man verlangen.« »Du kennst die beiden nicht«, antwortete er. A b er ich verstehe es auch nicht.« »Und was willst du nun?«, fragte sie. »Die beiden suchen!«, sagte er und ging. »Er geht krumm«, dachte sie. »W enn er krumm geht, ist er traurig.« W ährend der nächsten fünf S tu n den hatte Doktor Hagedorn genug zu tun. Er besuchte Leute, die Eduard Schulze hießen. Es war eine v o ll kommen sinnlose Beschäftigung. Bei dreiundzwanzig
T
99
>
10
i,s
20
Schulzes klingelte er an der Tür, und dreiundzwanzig' mal fand er nicht den, den er suchte. Traurig fuhr er w ieder nach Hause. Sein e M utter kam ihm aufgeregt entgegen. »Was j 5 glaubst du, wer hier war?« Er wurde lebendig. »W ar es Hilde?«, fragte er. »Oder Eduard?«
»A ch wo«, sagte sie. »Ich gehe schlafen«, sagte er müde. »Tu das, mein Junge. A b er heute A ben d gehen wir aus.« »W o sind wir denn eingeladen?«, wollte er wissen. Sie fasste seine Hand. »Bei G eheim rat Tobler.« Er war ganz verwirrt. 15 »Ist das nicht großartig?«, fragte sie eifrig. »Sein Chauffeur war hier und sagte: ‘G eheim rat Tobler bittet Sie und Ihren Sohn , heute A ben d seine G äste zu sein. Er m öchte .seinen neuen M itarbeiter kennen lernen. Kom m en Sie bitte nicht zu vornehm gekleidet. Das 20 liebt der G eheim rat nicht. t es Ihnen um acht U hr?’ Er wollte uns im W agen abholen. A b er wir falv ren mit der Straßenbahn.« »Da müssen wir wohl hingehen«, meinte er. »Das m üssen w ir«, sagte sie. Erst kom m t das 25 G eschäft. Das andere bringen wir dann auch in O rd' nung. K opf hoch, m ein Junge!« 10
Er lächelte beküm m ert. D ann ging er aus dem Zirm mer.
100
Fragen W elche Ü berraschung wartete an nächsten M orgen auf Frau Hagedorn? Was erzählte ihr Fritz? W om it hatte Fritz in den kom m enden Stunden zu tun? Warum war seine M utter so aufgeregt, als er nach H au se kam?
101
20 Das dicke Ende
5
1io
15
20
25
Fritz Hagedorn und seine M utter folgten dem Diener, der ihnen das Tor geöffnet hatte. A u f der Treppe flü sterte die M utter: »Du, das ist ja ein Schloss!« In der H alle nahm ihnen der Diener die Hüte und M äntel ab. Dann öffnete er eine Tür. Sie traten ein. A m Fenster in dem kleinen Salon saß ein Herr. Jetzt erhob er sich. »Eduard!«, rief Fritz. »Dass du wieder da bist! Der alte Tobler hat dich auch eingeladen? Mutter, das ist mein Freund Eduard. U nd das ist m eine Mutter.« Die beiden begrüßten sich. »Schäm st du dich nicht, dass du m ich in Bruckbeuren allein zurückgelassen hast?«, fragte Fritz. »Und warum sind Hilde und Tante Julch en und Kesselhuth auch abgefahren? U nd einen schönen Anzug hast du an!« Der junge M ann klopfte seinem alten Freund fröhlich auf die Schulter. Eduard kam n icht zu W orte. Fritz hielt ihn noch immer für Schulze. Es war zum W eglaufen. M utter Hagedorn setzte sich. »Herr Schulze, ich freue mich, Sie kennen gelernt zu haben«, sagte sie. »Einen haben wir also, mein Junge. U nd die Braut werden wir auch noch finden.« Es klopfte. Der Diener trat ein. »Fräulein Tobler lässt fragen, ob die gnädige Frau vor dem Essen ein wenig mit ihr plaudern m öchte.« »Was denn für eine gnädige Frau?«, fragte die alte Dame. plaudern:
gemütlich miteinander sprechen
102
»W ahrscheinlich sind Sie gem eint«, sagte Eduard»Das w ollen wir aber n icht einführen«, knurrte sie. »Ich hin Frau Hagedorn. Das klingt fein genug. N a schön, gehen wir.« Sie nickte den zwei M ännern v en gnügt zu und folgte dann dem Diener. 5 »Warum hist du denn schon wieder in Berlin?«, fragte Eduard. »A ls Polter mir erzählt hatte, was geschehen war, wollte ich doch auch nicht bleiben«, sagte Fritz. »Die Casparius ließ mir durch den Direktor zwei' i> hundert M ark anbieten, w enn ich sofort verschwinden würde.« »So ein freches Frauenzimmer«, m einte Fritz. »M ich wollte sie verführen. U nd du warst ihr da im W ege. N a, die wird geguckt haben, als ich fort war. A b er schön, 1 dass ich jedenfalls dich wiederhabe. N un fehlt mir nur noch Hilde. Hast du ihre Adresse?« Es klopfte. Ein Diener machte die T ü r zum N eb e n ' zimmer auf. Eduard trat ein und Fritz folgte langsam. »A h a«, sagte Fritz. »Der A rbeitsraum ! Eduard, mach keine Witze! G leich setzt du dich in einen ändern Stuhl! W enn der alte Tobler keinen Spaß v en steht, fliegen wir beide sofort raus!« Eduard hatte sich näm lich in den Stuhl hinter dem Schreibtisch gesetzt. Da klopfte es wieder. Der Diener trat ein und sagte: »Es ist serviert, Herr G eh eim rat!«, und ging. »Was hat er gesagt? Herr Geheim rat? Zu dir?« Eduard wurde verlegen. »Hör mal zu«, sagte er dann. »Es stimmt w irklich. Ich bin der alte Tobler.« »Du bist Tobler? Der M illionär, für den man mich hielt? Deinetwegen hatte ich drei Katzen im Zimmer und Ziegelsteine im Bett?«
103
5
l /o
15
20
Der G eheim rat nickte. »So ist es. M eine Tochter hatte hinter meinem R ücken telefoniert. U n d so wur den wir beide bei unserer A n ku n ft im Hotel verw ech selt. Ich hatte doch das Preisausschreiben unter dem N am en Schulze gewonnen.« Hagedorn m achte eine steife Verbeugung. »Herr G eheim rat, unter diesen U m ständen möchte ich Sie bitten...« Tobler sagte: »Fritz, sprich nicht weiter. Ich weiß, wir haben dich helogen. A b er ist dir unsere Freund schaft so wenig wert, dass du sie jetzt wegwerfen willst, bloß weil ich G eld habe? Ich habe m ich als armer M ann verkleidet. Ich wollte die M enschen mal richtig kennen lernen. N un, der kleine Scherz ist vorüber. Was ich erleben w ollte, hat wenig zu bedeuten, jetzt wo ich einen Freund gefunden habe. Endlich einen Freund, mein Junge. Komm, gib dem alten Tobler die Hand.« G eheim rat Tobler streckte Fritz die Hand en t gegen. »Donnerwetter noch einm al, du Dickkopf! W ird’s bald?« Fritz ergriff die Hand. »G eh t in Ordnung, Eduard. U nd sei mir nicht böse.«
A ls sie das Speisezim m er betraten, m einte der Geheim rat: »W ir sind natürlich die ersten. Dass die 25 Frauen immer so lange plaudern m üssen!« »Richtig«, sagte Fritz. »Du hast eine Tochter. W ie alt ist sie?« »Im Heiratsalter. S eit ein paar Tagen verlobt.« »G ratu liere«, sagte Fritz. »N un aber ernsthaft: 30 W eißt du w irklich nicht, wo H ilde wohnt?« »Sie hat mir ihre Adresse n icht gegeben«, antworte te der G eheim rat diplom atisch. »A ber du wirst sie
104
schon no ch kriegen. Die H ilde und die Adresse.« D urch eine Tür, die sich öffnete, rollte ein Servier^ wagen. Ein grauhaariger D iener folgte. »G uten A hend, H err Doktor«, sagte er. »G uten A bend«, erwiderte H agedorn. D ann aber .*» sprang er h och. »H err Kesselhuth!« Der D iener nickte: »Der bin ich.« »Ja«, erklärte der G eheim rat. »Ich wollte n ich t allein fahren. Darum musste Johann, m ein alter Diener, m it und den Schifffahrtslinienbesitzer spielen. Er h h a t seine Rolle glänzend gespielt.« »Es war n ic h t leicht«, m einte Jo h an n bescheiden. Fritz drückte ihm die H and. »Jetzt begreife ich auch, warum Sie Eduards Zim mer so schrecklich fanden.« »A ch, ihr wisst ja n o ch gar nicht«, fuhr Jo h an n fort, i »dass ich dem D irektor und dem Portier die W ahrheit sagte, ehe ich abreiste. So lange G esichter habe ich selten gesehen.« Tobler fragte: »Johann, h a t G eneraldirektor Tiedem ann angerufen?« »N och n ich t, H err G eheim rat.« U n d zu H agedorn sagte er: »Der Toblerkonzem will das H otel kaufen. U n d d an n fliegen die beiden raus.« »Das k annst du n ich t m achen!«, äußerte Fritz. »Die hochnäsigen G äste h ab en doch die Schuld. Da kam Hagedorns M utter hereinspaziert. »Ich weiß Bescheid, m ein Junge. Fräulein Tobler h a t m ich einge^ w eiht. Sie h a t große A ngst vor dir. Sie ist schuld d an an, dass du ein paar Tage M illionär warst. Übrigens ein entzückendes M ädchen, H err G eheim rat!« »Ich heiße Tobler«, sagte er. »Sonst n en n e ich Sie gnädige Frau!« »Ein bezauberndes M ädchen, H err Tobler!«, m einte
105
die alte Dame. »Schade, dass ihr beiden schon verlobt seid, Fritz!« »W ir k ö n n ten ja D oppelhochzeit feiern«, schlug Fritz vor. 5 »Das wird sich n ic h t m achen lassen«, erklärte der G eheim rat. Plötzlich klatschte Frau H agedorn dreim al in die H ände. Ein junges M ädchen und eine alte Frau traten ein. ■JO Der junge M an n stieß unartikulierte Laute aus und ran n te auf das M ädchen zu und um arm te es. »End' lieh«, flüsterte er n ach einer W eile. »M ein Liebling«, sagte Hildegard. »Bist du mir sehr böse?« 15 »M achen Sie ihre Braut n ic h t kaputt«, m einte die Dame neb en ihm. Er trat einen S ch ritt zurück. »Tante Julchen? W ie kom m t ihr hierher? A c h so, Eduard h a t euch eingela' den, um m ich zu überraschen.« [20 Das junge M ädchen sah ihn an. »Es liegt anders, Fritz. W eißt du noch, was ich dir antw ortete, als du nach m einem N am en fragtest?« »Klar«, m einte er. »Du sagtest, du h eiß t Schulze.« »N ein. Ich sagte, ich hieße wie dein Freund Edm 25 ard.« »Na, ja! Eduard hieß doch Schulze!« »U nd wie h eiß t er jetzt?« Fritz blickte von ihr zum Tisch hinüber. D ann sagte er: »Du bist seine Tochter?« 30 Sie nickte. »U nd Tante Julchen ist gar n ic h t deine Tante?« »O nein«, sagte die Kunkel. »Ich bin die Hausdam e. Das genügt mir.«
106
»M ir auch«, sagte Hagedorn. »Keiner war der, der er zu sein schien. U nd ich Kam el habe alles geglaubt. Ich hin sehr froh, daß Sie nicht die Tante sind. Ich habe schon einen Freund, der mein Schw iegervater wird. U nd meine kommende Frau ist die Tochter meines s Schwiegervaters, nein, meines Freundes. U n d mein Freund ist m ein C h ef.« Sie setzten sich zu Tisch. »Was gibt’s denn?«, fragte Tobler. in »Nudeln mit Rindfleisch«, sagte die Kunkel. A ls sie nach dem Essen beim Kaffee und Kognak saßen, klingelte das Telefon. »Eduard«, rief Fritz. »Schm eiße den Portier und den Direktor nicht hin^ aus!« »Warum hat er dann das Hotel kaufen lassen?«, h fragte die Kunkel. Der G eheim rat stand am Telefon. »G uten A bend, Tiedem ann. Ja, wegen des Hotels. N un und? Was? Ich kann das Hotel nicht kaufen? Zu keinem Preis? Ja, warum denn nicht?« 20 Der G eheim rat war erstaunt. Plötzlich lachte er laut, legte den Hörer hin, setzte sich und lachte weiter. »Warum kannst du das H otel n icht kaufen?«, fragte Fritz. »W eil es schon mir gehört«, sagte der Geheim rat.
107
Fragen
W arum kam H err Tobler n ic h t dazu, Fritz die W ah r h e it über sich zu sagen? W ie erfuhr Fritz, wer Eduard w irklich ist? U nd wie erfuhr er die W ahrheit über H ilde und T ante Julchen? W orüber lachte Eduard, als er sein Telefongespräch nach dem Essen beendete?
W eitere Ü bungen und A nregungen u n ter www.easyreaders.eu
108