Karin Milles
Mamma Mia Tagebuch einer Schwangerschaft
Aus dem Schwedischen von Regine Elsässer
Rowohlt Taschenbuch Verlag
Saga
Mamma Mia
Übersezt von Regine Elsässer
Titel der Originalausgabe: Jag ska bli Mamma
Originalsprache: Schwedischen
Coverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 2004, 2021 Karin Milles und SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726921984
1. E-Book-Ausgabe Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
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Zu diesem Buch Nichts verändert das Leben so wie der kleine blaue Streifen im Fenster des Schwangerschaftstests. Die schwedische Autorin Karin Milles, Jahrgang 1969 und selbst mittlerweile zweifache Mutter, erzählt ganz ehrlich, dass Morgenübelkeit wirklich kein Spaß ist und dass auch eine werdende Mutter neidvoll auf die mit bunten Schirmchen dekorierten Cocktails des künftigen Vaters schielt. Sie spricht ungeschminkt über den lästigen Drang, ständig auf die Toilette zu müssen, und über die Angst, eine sterbenslangweilige Frau mit Sozialkontakten zu werden, die über den Sandkastenrand nicht hinausgehen – aber auch über das warme, wohlige Gefühl im Bauch und die unbändige Vorfreude auf das Baby. Karin milles, Jahrgang 1969, hat unter anderem im Buchhandel gearbeitet, Chinesisch studiert und ihren Doktor gemacht. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in Stockholm. «Mamma mia» ist ihr erstes Buch.
Vorwort
Dies ist das Tagebuch meiner Schwangerschaft. Bevor ich schwanger wurde, hatte ich keine Ahnung, dass das Austragen eines Kindes ein so umwälzender und durchgreifender Vorgang ist. Manchmal hatte ich das Gefühl, meine Gedanken seien Tag und Nacht nur damit beschäftigt. Wenn ich mir nicht in der Teeküche meines Instituts Geburtsgeschichten anhörte, hatte ich Rückenschmerzen oder lief aufs Klo. Oder ich schlief. Ich hatte ein schier unersättliches Bedürfnis, über alles, was mit Schwangerschaft zu tun hatte, zu diskutieren. Ich konnte stundenlang über die aktuellen oder kommenden Vorgänge in meinem Körper sprechen. Ich habe mir unzählige Geschichten über die Schwangerschaften von anderen angehört, und ich hätte bestimmt nochmal so viele anhören können. Natürlich habe ich auch die entsprechende Literatur verschlungen. Es war schon interessant zu lesen, wie viel Gramm der Fötus in welcher Woche wiegt, wann die Übelkeit vorübergeht oder was es mit der Lockerung des Beckens auf sich hat, aber ich wollte auch wissen, was andere schwangere Frauen dachten. Was fühlten sie, als sie feststellten, dass sie ein Kind bekommen würden, wie dachten sie über das Liebesleben nach, und wie reagierten sie darauf, Mutter zu werden? Verständlicherweise konnte kein Geliebter, keine Freundin oder Bekannte mein Bedürfnis nach Gesprächen befriedigen. Das Tagebuch wurde deshalb mein ständiger Begleiter. Wann immer mir etwas einfiel, schrieb ich meine Gedanken auf – alles von alltäglichen Beobachtungen der körperlichen Veränderungen und dem Gejammer über Wehwehchen bis zu ernsthafteren Überlegungen, wie ein Kind mein Leben und das meines Mannes verändern würde. Gar nicht zu reden von noch ernsteren Gedanken über die Bedeutung von Schwangerschaft und Mutterschaft in unserer Gesellschaft. Dieses Buch ist also mein Versuch, im Verlauf der Schwangerschaft eine Antwort zu finden auf die Frage, wie man als Mensch, Frau, Feministin, Freundin, Geliebte und Erwerbstätige Mutter werden kann, ohne den Verstand zu
verlieren. Ich weiß nicht, ob es mir geglückt ist, das Tagebuch jedenfalls ist voll geworden. Es wurde genau das Buch, das ich damals hätte lesen wollen – die Gedanken einer Frau während ihrer Schwangerschaft.
Man misst den Fortgang einer Schwangerschaft nach der Anzahl der Wochen. Wenn man sagt, eine Frau ist in der 10. Woche, bedeutet das, dass die Schwangerschaft neun volle Wochen und ein paar Tage alt ist. Eine Schwangerschaft dauert normalerweise 40 Wochen, biologisch gesehen sind es jedoch nur 38 Wochen. Die zwei zusätzlichen Wochen kommen daher, dass man vom ersten Tag der letzten Menstruation an rechnet und nicht vom Eisprung, der zwei Wochen später stattfindet. Man macht das, weil die Menstruation das zuverlässigere Zeichen ist. Wenn man die zwei Wochen dazuzählt, ist man zum Zeitpunkt der Empfängnis also schon in der dritten Woche. Im Tagebuch wird jede neue Woche mit einem kurzen Abschnitt über die Entwicklung des Fötus eingeleitet und den Vorgängen im Körper der werdenden Mutter. Diese Abschnitte wurden von Marika von Hámos, Fachärztin für Gynäkologie und Geburtshilfe, durchgesehen.
3. Woche
Die Befruchtung findet statt, und das Ei teilt sich. Es wandert langsam durch den Eileiter und nistet sich dann in der Gebärmutterwand ein. Manche Frauen verspüren das Festwachsen als Stich, oder sie haben eine kleine Blutung, die so genannte Nidationsblutung. Der Schleimpfropfen, der die Gebärmutter verschließt, bildet sich.
4. Woche
Der Mutterkuchen entwickelt sich. Der Zellhaufen ist jetzt fast 1 mm groß, Vorstadien von Gehirn und Rückenmark werden gebildet. Die werdende Mutter kann den gestiegenen Progesterongehalt als verstärkte Müdigkeit spüren.
5. Woche
Der Embryo hat die Anlagen für das Nervensystem, das Gehirn und das Rückenmark gebildet. Auch die Nabelschnur entwickelt sich. Die werdende Mutter kann schon jetzt unter Übelkeit und Müdigkeit leiden und ein Spannen in den Brüsten spüren.
Donnerstag, der 22. Juli 1998 Wir bekommen ein Kind! Ich habe heute einen Schwangerschaftstest gekauft, weil ich ein paar Tage über die Zeit bin. H. und ich waren bei einem Thailänder essen, und danach habe ich einfach das Teststäbchen genommen und bin auf die Toilette gegangen. H. war ziemlich durcheinander, als ich zurückkam und nur genickt habe. Dann saßen wir auf den hohen Hockern und haben versucht, das Unbegreifliche zu begreifen. Wir bekommen ein Kind! Ich hatte es allerdings bereits geahnt. Schon als ich im letzten Monat das Stechen beim Eisprung spürte, dachte ich, dieses Mal könnte es klappen, zumal wir nicht mehr verhüten. In den Tagen nach dem Eisprung spürte ich auch etwas in der Bauchgegend. Etwas Kleines, Warmes. Ich habe es niemandem erzählt, nicht einmal H., das Kleine, Warme war mein Geheimnis. Ich mixte meine Gin Tonics sehr schwach, und am Wein zum Essen nippte ich nur. Ich hatte zwar früher auch schon geglaubt, schwanger zu sein, und war es dann nicht, aber dieses Mal war es irgendwie anders. Und ich habe mich nicht getäuscht. Ich bekomme wirklich ein Kind. Ich werde wirklich Mutter.
6. Woche
Schon jetzt bilden sich am Embryo kleine Knospen für die Arme, und mit Ultraschall kann man die Anlagen für Augen und Ohren erkennen. Das Herz schlägt. Viele Frauen reagieren empfindlich auf bestimmte Gerüche und Geschmäcke und finden, dass beispielsweise Kaffee überhaupt nicht mehr schmeckt. Auch die Brüste verändern sich, sie schmerzen vielleicht oder zeigen Pigmentveränderungen.
Dienstag
Ich bin jetzt in Griechenland. Wir hatten uns Sonne und Ferien vorgestellt, aber ich liege nur auf dem Bett, und mir ist übel. Draußen in der gnadenlosen Sonne zirpen die Zikaden. Es ist sehr heiß, über dreißig Grad. Ich weiß nicht, ob es die Hitze ist oder das Warme im Bauch. Aber H. geht es prima, er fährt mit dem Moped spazieren. Ich spüre die Schwangerschaft überall. Die Brüste spannen, viel mehr als sonst vor der Menstruation. Ich muss sogar auf dem Rücken schlafen, weil es so wehtut, auf ihnen zu liegen. Wenn ich pinkeln muss, dauert es ewig, als ob etwas im Weg wäre. Und der Bauch fühlt sich an wie aufgebläht, wie nach einem zu reichlichen Essen. Aber ich möchte ihn nicht einziehen, ich sorge mich um das Kleine, Warme. Ich habe mich schrecklich geärgert, als ich hörte, wie eine Kollegin eine schwangere Frau ermahnte, sich in den Ferien nur ja zu schonen. «Schone dich und lass es dir gut gehen, du musst überhaupt nichts, nur ausruhen.» Ich verstehe
nicht, warum die Schwangerschaft für Frauen als Grund herhalten muss, es sich gut gehen zu lassen. Warum werden nicht alle und immer ermahnt, sich nicht zu überarbeiten und sich auszuruhen? Warum darf man nur, wenn man schwanger ist, sorgsam mit sich selbst umgehen, also wenn man die Verantwortung für ein anderes kleines Leben hat? Ist das eigene Leben das nicht auch wert? Ich denke jetzt allerdings, dass es stimmt. Auch wenn mein Leben im Prinzip genauso viel wert ist wie das des Babys, kann ich sorgsam mit mir umgehen oder auch nicht, und das ist dann meine Entscheidung. Aber das Baby hat nicht entschieden zu entstehen, und es kann auch nicht entscheiden, wie es leben will. Deshalb habe ich die Verantwortung, dass es ihm gut geht. Blöd, dass ich nicht mehr unabhängig bin und machen kann, was ich will, saufen oder mich prügeln ... alles, was ich jetzt tue, hat Rückwirkungen auf ein anderes Leben, und ich muss mich entsprechend verhalten. Ich darf also keinen Alkohol mehr trinken, ausgerechnet hier, wo er so billig ist! Ich frage mich wirklich, wie ich es schaffen soll, neun lange Monate auch auf das allerkleinste Gläschen zu verzichten. Ich brauche ja keine großen Mengen, schon ein Glas genügt, aber Alkohol ruft einfach diese außergewöhnlichen Gefühle hervor. Natürlich kommt man durch Fallschirmspringen, null Fehler in der Prüfung und Sich-Verlieben in den gleichen Rausch – aber es ist viel einfacher, ein oder zwei Gläser Wein zu trinken. Zumal in den Ferien. Ich erinnere mich an unsere Hochzeitsreise vor vier Jahren, da sind wir auch nach Griechenland gefahren. Wir saßen an der Bar und tranken lustige Drinks mit kleinen Schirmchen und redeten über das Leben. Das ist dieses Mal anders. H. kippt einen Schirmchen-Drink nach dem anderen, und ich sitze daneben mit einem Glas Eiskaffee und versuche, nicht neidisch zu sein. Er bekommt zwar auch ein Kind, muss aber deswegen in den Ferien nicht Abstinenzler werden. Streng genommen bin ich auch keine Abstinenzlerin. Wir haben im Tax-freeShop eine halbe Flasche Champagner gekauft, und ich habe gestern Abend auf unserer kleinen Veranda ein Glas getrunken. Nur ein Glas, aber immerhin. Früher, zum Beispiel als ich im Bauch meiner Mutter war, nahm man es nicht so genau mit Schwangerschaft und Alkohol. In unserem Familienalbum gibt es ein sehr schönes Bild: Meine Mutter balanciert ein Weinglas auf dem Bauch, in dem ich bin. Und ich bin ja ganz gut geraten. Aber ich habe ein wenig ein schlechtes Gewissen, dass ich es nicht schaffe, mich zu opfern und für das Wohl meines Babys auf ein Glas Champagner zu verzichten. Ich sollte vielleicht nicht Mutter werden, wenn ich so egoistisch bin? Wer weiß, wie wunderbar das Baby ohne
den Champagner geworden wäre? Und falls etwas schief geht, wüsste ich wenigstens, dass ich nicht schuld bin. Andererseits ist es blöd, so eine große Geschichte daraus zu machen. Es ist überhaupt nicht sicher, dass alles gut läuft, nur weil ich keinen Alkohol trinke, es gibt tausend Dinge, die das Kind schädigen können. Die Mütter der Contergankinder glaubten, es sei ungefährlich, die Schmerztabletten zu nehmen. Was halten wir heute für ungefährlich? Wenn man nur an all die Chemikalien und Pflanzenschutzmittel denkt, die ich vermutlich in mich aufnehme, wenn ich nur die Luft einatme oder eine Orange esse. H. hat ein erschreckend wirksames Mückenspray mit einem langen Warnhinweis auf Griechisch gekauft. Ich lege mich unter ein Handtuch, wenn er es versprüht, aber es bleibt sicher etwas im Zimmer zurück. Vielleicht ist es supergiftig für kleine Embryos, wer weiß? Vielleicht erkennt man erst, wenn man schwanger ist, wie viel Gefährliches es in der Welt gibt. Da ist das mit dem Alkohol eher eine Kleinigkeit – auf den kann man schließlich verzichten. Die anderen gefährlichen Sachen sind viel schlimmer, weil man ihnen nicht ausweichen kann, sie sind überall, wie Abgase und Gift im Essen. Gar nicht zu reden von allen möglichen gefährlichen Dingen, die man so tut. Gestern haben wir am Nachmittag einen längeren Ausflug gemacht. Ganz oben im Norden der Insel gibt es eine Landzunge, die Sapphos Klippe heißt und wo sich die griechische Dichterin der Legende nach wegen einer unglücklichen Liebesgeschichte ins Meer gestürzt hat. Dort fuhren wir hin. Die ganze Insel ist sehr mopedfreundlich, mit breiten, frisch asphaltierten Straßen, aber ausgerechnet bis zu Sapphos Klippe war die Zivilisation noch nicht vorgedrungen, und wir holperten auf einer staubigen, steinigen Straße vorwärts. Wir machten unsere Scherze und sagten, das Baby würde «geschüttelt, nicht gerührt». Aber im Innersten hatte ich Angst. Kommt jetzt alles an den falschen Platz – die Arme an den Kopf und das Ohr auf die Nase? Andererseits, Menschen sind auch früher Moped gefahren, wenn sie schwanger waren, oder? Es hat keinen Sinn, sich zu viele Sorgen zu machen, man muss einfach akzeptieren, dass man nicht alles unter Kontrolle hat.
Mittwoch
Ein neuer Tag. Immer noch sehr heiß. Im Badezimmer jede Menge Sand, der ins Bett gelangt und nachts scheuert. Mir ist schlecht. Es heißt, Essen hilft, aber wer will denn essen, wenn man immer kurz vor dem Erbrechen ist? Und das Ganze wird nicht besser, wenn H., der sonst nie frühstückt, ausgerechnet heute Morgen auf die Idee kommt, Eier mit Speck zu braten. Der Geruch hängt im Zimmer. Mir ist immer ein wenig übel, aber manchmal kommt die Übelkeit in Wellen, und dann habe ich das Gefühl, ich muss mich übergeben. Das ist für mich eine schreckliche Vorstellung, ich leide nämlich unter Erbrechensangst und habe mich nicht mehr übergeben, seit ich zehn war. Mit Grausen denke ich daran, wie es einer Freundin ergangen ist. Sie ist Lehrerin, und als sie schwanger war, musste sie mitten im Unterricht rauslaufen und sich übergeben. Und es gibt Frauen, bei denen es gar nicht mehr aufhört, die müssen dann ins Krankenhaus und werden an den Tropf gehängt. Aber vielleicht ist es gar nicht die Schwangerschaft, sondern ich halte einfach die Hitze nicht aus. Wie leicht schiebt man alles auf die Schwangerschaft. Früher war ich allen möglichen Einflüssen ausgesetzt – Erlebnissen, Stimmungen, Wetter usw. –, jetzt bin ich nur noch schwanger. Alles – ob ich gut gelaunt, traurig oder apathisch bin – ist mit der Schwangerschaft zu erklären. Mein Appetit – ob riesig oder winzig – rührt da her. Mein Körper ist ganz und gar von dem kleinen Leben im Bauch in Besitz genommen worden. Ist es wirklich so? Oder ist es nur eine bequeme Antwort, wenn man nicht sicher ist, woher all das kommt? Oder ist die Schwangerschaft tatsächlich so dominant, dass alles andere nicht mehr existiert?
Donnerstag
Ich habe viele Jahre nicht mehr Tagebuch geführt, und als ich jetzt wieder anfing, habe ich ein altes Tagebuch genommen, das nicht voll geschrieben war. Als ich zurückblätterte und meine Gedanken von früher las, fand ich folgende Notiz von vor fünf Jahren – ich war gerade auf einem Fest bei Studienkollegen
gewesen, die etwas älter waren als ich:
«Ich stand in der Küche und unterhielt mich mit einer Frau, das war sehr lustig. Aber als dann eine andere dazukam, redeten sie nur noch über Kinder. Das Thema Baby ist stinklangweilig! Sie finden es vielleicht spannend, aber sie müssen doch kapieren, dass es für mich total uninteressant ist?! Oder sie wissen es, aber es ist ihnen egal. Ich habe gehört, es interessiert einen nicht, was andere Leute denken, wenn man ein Kind bekommt. Und das ist vielleicht auch gut so, man wird ja so langweilig.»
Und jetzt bin ich also selbst auf dem besten Weg, eine sterbenslangweilige Mutter zu werden. Aber ich will bleiben, wie ich bisher war, und nicht so werden wie alle anderen, die ein Kind bekommen haben! Ist das Kind einmal da, wird man wie alle anderen Eltern, Kinder sind schließlich in allen Familien gleich. Es sind die gleichen Windeln und die gleichen Schnuller und die gleichen verdammten Spielsachen in fröhlichen Farben. Die gleichen Windpocken und Kinderzeitschriften. Gleich, gleich, gleich. Aber wozu werden wie alle anderen? Was hätte es für einen Sinn, das gleiche Leben zu leben – reicht es nicht, wenn sie es tun? Ich glaube, ich habe Angst, ein Klischee zu werden – «eine wie alle». Eine FRAU ganz einfach. Eine FRAU unter anderen Frauen, die ein Kind unter ihrem Herzen getragen und es unter Schmerzen geboren hat. Mich stört es jedes Mal, wenn ich Mütter sagen höre, dass sie sich während der Schwangerschaft so fraulich gefühlt haben. Ich bin keine FRAU – ich bin ein Unikum. Und will es bleiben. Puh, was bin ich wieder negativ. Aber ich habe gehört, wenn man schwanger ist, stürmen alle möglichen Gefühle auf einen ein. Da hilft ein Tagebuch, die Probleme zur Sprache zu bringen. Ich habe nun mal diese Gefühle, dafür kann ich nichts. Armes Baby.
Freitag
Draußen brennt die Mittelmeersonne. Hier drinnen ist es trotzdem ziemlich kühl. Gottlob. Kühl und trotz der weißen Wände den ganzen Tag dämmerig, weil die Fenster klein sind und die Jalousie an der Terrassentür heruntergelassen ist. H. ist mit dem Moped unterwegs, bestimmt irgendwo oben in den Bergen. Ich bleibe heute zu Hause, ich will nur schlafen. Und Tagebuch schreiben – dabei klären sich die Gedanken. Ich komme mir vor wie ein lungenkranker Aristokrat in einem englischen Roman, wie ich mit dem Stift in der Hand keuchend auf dem Bett liege. In meinem Kopf drehen sich jede Menge Gedanken und verlangen Aufmerksamkeit. Negative Gedanken. Ich denke darüber nach, wie sich die Beziehung zwischen H. und mir verändern wird, wenn wir ein Kind haben. Es geht uns jetzt so gut. Gestern Nachmittag waren wir mit dem Moped unterwegs. Unsere Karte stimmte überhaupt nicht, und wir hatten uns verfahren. Bald gab es keine Straßen mehr, sondern nur noch Schotterpfade, die sich in den Bergen verliefen. Wir mussten dauernd absteigen und das Moped bei glühender Hitze mühsam durch dorniges Gestrüpp zurückschieben. Als unsere Wasserflaschen fast leer waren und das Benzin zur Neige ging, fanden wir ein kleines Restaurant. Wir bestellten griechischen Salat und Joghurt mit Honig und Früchten. Der Hintern tat uns weh, und wir waren todmüde, aber es war ein Abenteuer. Und ich dachte, wie schön, dass gerade wir beide ein Kind bekommen, weil wir so gern zusammen sind. Aber werden wir auch noch Spaß miteinander haben, wenn das Kind da ist? Können wir uns in den Bergen verfahren, wenn das Baby Hunger hat oder die Windel voll ist? Wird unsere Beziehung es überhaupt überleben? Ich meine, was man so hört, ist nicht besonders ermutigend. Offenbar stirbt zuallererst das Sexleben. Was bei uns schon geschehen ist. Wir haben hier unten erst einmal Sex gehabt. Und das war auch nicht so besonders. H. hatte Angst, dem Baby zu schaden, obwohl wir gelesen hatten, dass es nicht gefährlich ist. Und für mich war es, als ob ich den Geschlechtstrieb irgendwie abgeschaltet hätte, mein Unterleib ist mit etwas anderem beschäftigt. Ich mag noch nicht einmal an Sex denken. Die Rolle der Schwangeren und werdenden Mutter kollidiert mit der Rolle der Liebhaberin. Sex kommt mir irgendwie merkwürdig vor oder vielleicht sogar verboten. Es klingt total idiotisch, aber so kommt es mir vor.
Und das ist das Ende unserer Beziehung. Auch wenn mir für den Moment nichts fehlen wird bei meiner selbstzufriedenen und asexuellen Mütterlichkeit, wird H. enttäuscht sein, dass ich mich verändert habe und nicht mehr die klasse Frau bin, die ich bisher war, sondern plötzlich im geblümten Kleid und mit Babyspucke auf der Schulter dastehe und von einem Fest als Erste nach Hause will. Natürlich wird er mich verlassen. Und wenn er mich nicht verlässt, weil ich keinen Sex-Appeal mehr habe, verlasse ich ihn, weil er mein Vertrauen verloren hat. Denn offenbar hat trotz des ganzen Geredes über Gleichstellung die Frau zu Hause die Hauptlast zu tragen. Im Flugzeug hierher saß ich neben einer Frau und ihrer zweijährigen Tochter. Sie war frisch geschieden und erzählte, sie habe es so satt gehabt, zu Hause alles machen zu müssen und sich außerdem ständig mit ihrem Mann herumzustreiten. Sie fand, da kann sie sich auch scheiden lassen, dann braucht sie sich wenigstens nicht mehr zu streiten. Ich verstehe sie, ich würde das auch nicht ertragen. Ich habe neulich im Radio gehört, dass nur 10 Prozent der schwedischen Väter den Elternurlaub in Anspruch nehmen, und das vor allem vor oder nach den Ferien. Warum sind die Menschen nur so konservativ? Haben sie das ganze letzte Jahrhundert verschlafen? Immer noch sind viele der Meinung, dass Mutterschaft in der umsorgenden Verantwortung besteht und Vaterschaft in der ökonomischen. Obwohl wir heute doch wissen, wohin das führt. Die Frau kümmert sich um Haus und Kinder, der Mann geht arbeiten. Die Frau arbeitet immer weniger, damit sie Zeit hat, die Kinder in den Kindergarten zu bringen und abzuholen und sich um kranke Kinder zu kümmern, während der Mann immer mehr arbeitet, um die Hypothek für das Reihenhaus und die Raten für den Volvo-Kombi bezahlen zu können. Die Frau wird sauer, weil ihre Arbeit langweilig und perspektivlos ist, er wird sauer, weil er immer nur arbeiten muss. Und wenn die Kinder so groß sind, dass die Eltern einander am Küchentisch wieder wahrnehmen, stellen sie fest, dass sie keine Gemeinsamkeiten mehr haben, und lassen sich mit großem Trara scheiden. Sie ist verbittert, denn weil sein Gehalt und seine Karriere den ökonomischen Standard des kleinen Glücks gesichert haben, muss sie das Haus im Grünen verlassen und in eine kleine Wohnung ziehen, obwohl sie genauso viel gerackert hat wie er. Und er ist traurig, weil er merkt, dass sie den emotionalen Standard des kleinen Glücks gesichert hat, denn er hat sich zwar in all den Jahren für sie abgeschuftet, aber er kann die Kinder nicht trösten, wenn ihnen etwas zustößt. H. und ich brauchen uns auch gar nicht in die Brust werfen, weil wir im Moment
in unserem Zusammenleben ziemlich gleichberechtigt sind. Alle Untersuchungen zeigen, dass mit der Geburt des ersten Kindes alles kippt und traditionell wird, egal wie toll es vorher gewesen ist. Ich will nicht, dass es so kommt. Ich will kein Kind. Verdammt. Es ist beängstigend, dass ich nur Probleme sehe. Man könnte fast glauben, ich will gar nicht schwanger sein. Aber ich habe immer Kinder gewollt! Ich habe nur Angst vor dieser «Kinderwelt» – geblümtes Kleid, Gesprächsthema Windeln und Die-Kinder-bedeuten-mir-jetzt-alles. Das wird mich wahnsinnig machen, daran werde ich mich nicht gewöhnen können. Und wenn ich mich daran gewöhne, werde ich deshalb wahnsinnig werden.
Samstag
Gestern Abend hat ein Paar mit einem Baby neben uns gesessen. Das Baby war richtig süß, mollig und goldig, es lachte mit seinem einen Zahn, strampelte mit den drallen Beinchen und winkte glücklich mit den Armen. Aber die Mutter war total apathisch, sie hat bloß dagesessen und eine Zigarette nach der anderen geraucht und ihr Kind nicht einmal angeschaut, wie es fröhlich die Pommes frites in den fettigen Händen hielt. Ist das die Alternative zur «richtigen Mutter»? Apathie und Kettenrauchen? Ich erzählte H., wie ich mich fühlte. Wir sprachen auch darüber, wie wir’s machen wollten, wenn das Kind da ist, wir haben entschieden, den Elternurlaub zu teilen. Wir werden nicht in die aufgestellten Fallen stolpern und alles aufgeben, woran wir bisher geglaubt haben. Ich nehme die ersten sechs Monate, damit ich mich erholen und das Kind stillen kann, und H. nimmt die nächsten sechs Monate. Das heißt, wenn ich mich erholen muss und stillen kann, ansonsten können wir tauschen, wenn es besser zu unseren Jobs t. Wie gut, dass H. an einem modernen Arbeitsplatz, einem Gymnasium, tätig ist und nicht auf dem Bau arbeitet, wo die Männer, die Elternurlaub nehmen wollen, gemobbt werden, wie ich gehört habe.
Sonntag
Die Ferien im Zustand der Frühschwangerschaft waren nicht so toll. Ich will nur schlafen, bin so schrecklich müde. Wenn ich aufwache, dann nur, weil ich nicht mehr schlafen kann, nicht, weil ich ausgeruht bin. Es waren auch keine besonders aktiven Ferien, ich habe die meiste Zeit auf dem Bett gelegen und gekeucht. Gestern habe ich mich aufgerafft und eine Weile am Strand gekeucht, aber das war ziemlich schrecklich. So wie ich mich fühle, ist es nirgends viel besser als in der Hölle, aber ich war doch froh, wieder im kühlen Zimmer zu sein. Und dabei hatte ich mir immer vorgestellt, einmal eine aktive Schwangere zu sein, so wie man sie auf den Anzeigen für Umstandsmode sieht. Die sich doch wegen so einer kleinen Schwangerschaft nicht unterkriegen lässt. Mein Gott, es ist schließlich keine Krankheit. Habe ich zumindest gehört.
7. Woche
Während dieser Zeit wächst der Embryo schnell, einen ganzen Millimeter pro Tag. Schon jetzt kann er sich ein wenig bewegen, es sind allerdings nur Reflexe. Auch die Beine beginnen zu wachsen. Die werdende Mutter ist oft müde und braucht viel Schlaf, außerdem kann die Verdauung träger sein als vor der Schwangerschaft. Viele Frauen leiden unter Übelkeit, da hilft es, häufiger und nur kleine Mengen zu essen und Fett zu meiden.
Dienstag
Wieder zu Hause in Schweden. Mit der Übelkeit ist es etwas besser. Ich esse jetzt jeden Morgen einen großen Teller Haferbrei, und das hilft tatsächlich. Wir haben immer noch ein paar Wochen Ferien, deshalb haben wir gestern unsere beiden Burmakatzen, meine Schwester und ihren Freund ins Auto gepackt und sind aufs Land nach Värmland gefahren. Ich hatte mir vorgestellt, man würde es herausschreien und aller Welt sofort mitteilen wollen, wenn man ein Kind erwartet. Aber in Wirklichkeit ist es nicht so einfach. H. und ich hatten besprochen, es meiner Schwester Ann und ihrem Freund Sven auf der Fahrt zu erzählen. Ich habe mehrmals angesetzt und es irgendwie nicht herausgebracht. Was sagt man denn da? «Ich werde ein Kind haben» ist zu einfach. «Ich bin schwanger» klingt so ernst. «Bald sind wir drei»? Affig und verklemmt. Und während ich noch über eine Formulierung nachdachte, verstrichen alle möglichen Gelegenheiten.
Wir waren den halben Tag gefahren und kamen gegen fünf endlich in Lesjöfors an. Wir hatten nichts zu essen dabei und hielten zum Einkaufen am Konsum. Und dann, als wir vor dem Getränkeregal standen, fragte meine Schwester, wie viele Tonics wir kaufen sollten. Da rutschte es mir heraus, endlich. Es ierte einfach. «Also ich, ich werde keinen Gin Tonic trinken», sagte ich. Das war zwar nicht besonders gut formuliert, aber sie verstand sofort und nahm mich in den Arm. Es ist schön, dass es außer H. noch jemand weiß.
Mittwoch
Ich gehe umher und freue mich behutsam und heimlich, dass ich ein Kind bekomme. Ich gehe an meine Lieblingsplätze und denke, wie schön es sein wird, sie eines Tages dem Kind zu zeigen. Ob es wohl ein Mädchen oder ein Junge wird? Und wie sollen wir sie oder ihn nennen?
Donnerstag
Die Großeltern sind auch auf dem Land. Großmutter ist inzwischen ziemlich alt, sie sitzt meistens in der Laube und häkelt oder liest. Manchmal spaziert sie auf wackeligen Beinen und mit einem Sonnenhut auf dem Kopf durch die Blumenbeete, dann sieht sie beinah aus wie ein kleines Kind. Ich würde es ihr gern erzählen. Jetzt, wo ich selbst ein Kind erwarte, wüsste ich gern, wie es zu ihrer Zeit war, ein Kind zu haben. Sie hat fünf Kinder geboren und großgezogen. Ob es ihr wohl zu Beginn der Schwangerschaften genauso schlecht ging wie mir jetzt? Sie hat einmal erzählt, dass sie es ziemlich anstrengend fand, mit allen fünfen auf dem Land zu leben. Sie hatte Angst, dass sie ertrinken, die Windeln waren aus Stoff und mussten im See gewaschen werden. Was muss sie geschuftet haben! Ob sie wohl viel an diese Zeit denkt,
jetzt, wo sie alt ist, oder ob sie vergessen hat, wie es war? Ich möchte es auch deshalb erzählen, weil ich weiß, wie sie sich freut, sie wartet schon lange auf Urenkel. Nachdem ich H. kennen gelernt hatte, drängte sie anfangs richtig – aber jetzt hat sie lange nicht mehr darüber gesprochen. Sie schaut mich und meinen Bauch nur traurig an, wenn sie mich sieht. Sie denkt bestimmt, wir können keine Kinder bekommen. Aber ich muss es noch eine Weile für mich behalten, weil es noch so früh ist. Sie wäre sehr traurig, wenn etwas schief ginge und ich das Kind verlieren würde.
8. Woche
Der Embryo ist jetzt über zwei Zentimeter groß und mit vaginalem Ultraschall zu erkennen. Schon jetzt ist eine gewisse Gehirnaktivität messbar. Finger und Zehen bilden sich. Die werdende Mutter hat oft das Gefühl, alles sei geschwollen wie in den Tagen vor der Menstruation. Manche Frauen bekommen ungefähr zu dem Zeitpunkt, wenn normalerweise die Menstruation begonnen hätte, eine schwache Blutung. Wenn man nicht sicher ist, ob das so eine Blutung oder das Vorzeichen einer Fehlgeburt ist, sollte man den Arzt aufsuchen.
Montag
Das könnte ja ieren. Dass ich das Kind verliere. Es ist noch viel zu früh, hurra zu schreien, das habe ich inzwischen verstanden. Ich habe nämlich nach der Rückkehr in die Stadt einen großen Fehler gemacht. Als alter Bücherwurm bin ich in die Bücherei marschiert und wollte alles über Schwangerschaft lesen. Studieren war angesagt! Und welches Buch ziehe ich als Erstes aus dem Regal? Genau, ein Buch mit dem Titel «Fehlgeburt». Ich habe am Regal gestanden und es ganz durchgelesen, ich konnte nicht aufhören. Da stand u. a., dass von acht Schwangerschaften eine mit einer Fehlgeburt endet. Eine von acht! Das sind ja fast alle! Wenn ich richtig nachdenke, hatten auch einige Frauen aus meinem Bekanntenkreis eine Fehlgeburt. In diesem Buch stand außerdem, dass in einer bestimmten Phase der Schwangerschaft die Fehlgeburtsrate besonders hoch ist. Nämlich zwischen Woche neun und elf. Also in zwei Wochen. Man muss sich darauf einstellen, nehme ich an.
Aber das überlebe ich nicht, eine Fehlgeburt! Allein die Vorstellung, wie die Autorin des Buches eine Fehlgeburt nach der anderen zu haben! Ich weiß nicht, ob ich die Kraft hätte, es noch einmal zu versuchen, wenn ich auch nur eine Fehlgeburt gehabt hätte! Ich verstehe nicht, wie man danach wieder Sex haben kann, wie man überhaupt noch einmal Sex mit jemandem haben kann, wenn man ein werdendes Kind verloren hat. «Jetzt schlafen wir miteinander und erregen uns gegenseitig und machen ein neues Kind anstelle von dem, das gerade gestorben ist. Streichle meine Brüste, Liebling.» Nein, dann gehe ich lieber ins Kloster. Mit der fast unausweichlich drohenden Fehlgeburt als Damoklesschwert über uns trauen wir uns nicht, es vielen Leuten zu erzählen. Wir wollen es auch unseren Eltern nicht sagen, sie wären sonst so enttäuscht. Erst ab der zwölften Woche ist es relativ sicher, dass es klappt, bis dahin müssen wir es für uns behalten, auch wenn es schwer fällt. Das Dumme ist nur, dass ich in der neunten Woche zu einem Junggesellinnenabend eingeladen bin – in einer der gefährlichsten Fehlgeburtswochen also. Bei Tag kann ich sagen, dass ich noch Auto fahren muss und deshalb nichts trinke, aber bei diesem Abendessen wird es schon schwieriger, weil da alle etwas trinken, das ist ja schließlich der Sinn der Sache. Es war dumm von mir, das Buch zu lesen. Jetzt überschattet die Angst die Freude, die ich empfinden sollte. Das Idealbild einer Schwangeren schreibt einem vor, den ganzen Tag mit einem Lächeln auf den Lippen herumzulaufen. Aber mir ist nur schlecht, und ich habe Angst. Ist das ein guter mentaler Start für das kleine Lis? Das Lis, ja. So heißt das Baby jetzt. Vor ein paar Wochen hatte ich gelesen, dass das Baby nun so groß wie ein Reiskorn war. H. und ich haben alle Lorrysketche vorwärts und rückwärts gesehen und mussten an den denken, in dem Dalle und Ulveson zwei Chinesen spielen, die einen Sack Reis (auf Schwedisch «ris») fallen lassen, verzweifelt die Hände ringen und – sie können ja als Chinesen kein «r» aussprechen – sagen: «Das kleine Lis.» Also nannten wir es das kleine Lis. Und ein Name ist prima, weil man nicht er oder sie sagen muss. Aber vielleicht ist es ein dummer Name. Wenn wir es nun verlieren und dann selber die Hände ringen? Oder bin ich bloß abergläubisch?
Mittwoch
Schlafe die meiste Zeit wie ein Stein. Habe gestern zwei Stunden Mittagsschlaf gemacht, und um zehn bin ich wieder ins Bett gefallen und habe bis acht Uhr morgens durchgeschlafen. Ich bin allerdings beim Aufwachen genauso müde wie beim Einschlafen. Tagsüber liege ich meistens zu Hause und lese abwechselnd Schwangerschaftsbücher und Romane. Es ist ganz angenehm, endlich eine Ausrede zu haben, um einfach nur auf dem Sofa liegen und lesen zu können. Das habe ich schon immer am liebsten gemacht, aber nur mit einem schlechten Gewissen. In allen Handbüchern steht, dass eine Frau, die gerade schwanger geworden ist, sich vor allem schonen soll. Endlich hat meine angeborene Faulheit einen Sinn. Die Ernährungstipps in den Handbüchern sind allerdings eher ärgerlich. Man darf ja überhaupt nichts mehr essen! Keinen Weichkäse, keinen Schimmelkäse, keine Leber, keinen Spinat. Keine fetten Fische wie Makrele und Hecht. Keinen rohen Fisch – also kein Sushi und Gravad Lachs. Und rotes Fleisch muss gut durchgebraten sein. Nicht genug damit, dass ich keinen Alkohol trinken darf, essen darf ich auch nichts mehr. Aber die Katzen gebe ich nicht her! In einem dieser Schwangerschaftsbücher stand, dass Katzenstreu irgendwie gefährlich ist, Bakterien oder so was drin sind. Solange ich die Katzenkacke nicht esse, besteht doch keine Gefahr, meine ich. Aber erschrocken war ich schon, wie immer. Jetzt mache ich mir auch noch deshalb Sorgen. Ich habe gedacht, werdende Mütter sollten sich möglichst keine Sorgen machen, weil der Fötus die Gemütsverfassung der Mutter spürt? Aber wie soll man sich denn nicht aufregen bei dieser Panikmache? Und am Ende ist immer die Mutter schuld, wenn dem Kind etwas fehlt – entweder weil sie sich keine Sorgen gemacht und damit das Kind allen möglichen Gefahren ausgesetzt hat oder weil sie sich Sorgen gemacht und so dem Kind geschadet hat.
9. Woche
Der Schwanz des Embryos bildet sich zurück. Jetzt beginnt sich die Entwicklung der Geschlechtsorgane zu differenzieren, je nachdem ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Die Gemütsverfassung der werdenden Mutter kann stark schwanken – sie ist entweder unglaublich glücklich oder schrecklich niedergeschlagen und nervös. Sie kann auch Bauchschmerzen bekommen, weil die Gebärmutter wächst – wenn es sehr wehtut, muss sie sich an ihre Ärztin wenden.
Montag
Wir machen Fotos vom Bauch. H. fotografiert mich jede Woche einmal von der Seite, damit man sehen kann, wie der Bauch wächst. Noch sieht man nichts, finden wir. Die Ferien sind zu Ende, und ich sitze wieder an meinem Computer und meiner Doktorarbeit. Mir ist immer noch so übel. Wie soll ich dieses Jahr nur mit der Arbeit weiterkommen? Ich freue mich, die Kollegen nach den Ferien wiederzusehen, und finde es schade, dass ich es nicht gleich allen erzählen kann. Zwei Kolleginnen habe ich es erzählt – Lotta, die im Zimmer neben mir sitzt und deren Baby jeden Tag kommen kann, und Gunilla. Lotta hat fast geweint, so sehr hat sie sich gefreut. Sie ist glücklich, endlich eine Gleichgesinnte zu haben, mit der sie reden kann. Mit etwas Glück sind wir noch eine kurze Zeit gleichzeitig im Mutterschutz. Gunilla habe ich es erzählt, weil ich weiß, dass sie auch schwanger werden will. Ich konnte es also nicht für mich behalten, als wir uns sahen. Und da stellte sich
heraus, dass es bei ihr auch geklappt hat. Jetzt sind drei Frauen auf unserem Flur schwanger. Die anderen wissen nichts, und das ist blöd. Nicht für sie, für mich. Es ist irgendwie schwierig, überhaupt mit ihnen zu reden, wenn man das Wichtigste nicht erzählen kann. Die Antwort auf die Frage, was während des Sommers so iert ist, ist ja notwendigerweise unehrlich, wenn ich nicht erzählen kann, dass ich schwanger geworden bin. Ganz egal, was sonst noch iert ist, dies ist das Wesentliche und hat auf alle anderen Ereignisse abgefärbt – die Griechenlandreise war bestimmt von meiner Übelkeit, der Aufenthalt in Värmland von meiner Müdigkeit. Weil ich den Mund nicht aufmachen kann, ohne zu lügen, bin ich sehr schweigsam, wenn ich mit den Kollegen in der Teeküche sitze. Vielleicht empfindet man werdende Mütter deshalb als in sich gekehrt. In mehreren Schwangerschaftsbüchern habe ich gelesen, dass das von den Schwangerschaftshormonen kommt und «weil die Natur es so wunderbar eingerichtet hat, dass die Frau sich auf die Mutterschaft vorbereitet». Ich glaube allerdings eher, dass man introvertiert wird, weil einem übel und man ständig müde ist und sich nicht bei einem Glas Bier entspannen kann. Außerdem hat man niemanden, mit dem man über das reden könnte, was einen am meisten interessiert. Wenn ich zusammen mit den Kollegen beim Kaffee sitze, bin ich total schweigsam, aber wenn Lotta, Gunilla und ich zusammen Mittag essen, sind wir keineswegs introvertiert, wir reden stundenlang über unsere Bäuche. Im Übrigen verstehe ich nicht, wieso Introvertiertheit auf die Mutterschaft vorbereiten soll. Inwiefern ist die Mutterschaft eine nach innen gewandte Tätigkeit? Ist es nicht vielmehr extrem nach außen gerichtet und sozial, wenn man vierundzwanzig Stunden am Tag mit einem Baby zusammen ist? Oder werden Babys etwa nicht zu den Menschen gerechnet? Und noch etwas: Welchem Kind nützt es, wenn die Mutter unsozial ist? Einmal muss das Kind das Gefühl bekommen, das Zusammensein mit ihm sei ziemlich öde, und außerdem ist eine Mutter, die immer allein in der Ecke sitzt, ziemlich kontraproduktiv. Wie soll sie da das Essen für sich und ihr Kleines beschaffen oder nett zu ihrem Mann sein, damit er es tut? Introvertiertheit war noch nie eine Überlebensstrategie, weder heute noch zur Zeit der Höhlenmenschen. Ich finde es ziemlich pseudowissenschaftlich, wenn
man sagt, dass «die Natur etwas so wunderbar eingerichtet hat». Als ob alles in der Natur einen Sinn hätte. Das ist, als wollte man Darwin vergessen und zur Schöpfungsgeschichte zurückkehren. Im Übrigen habe ich Verstopfung, und daran sind auch die Schwangerschaftshormone schuld, so steht es zumindest in den Büchern. So prima geplant kann das wohl alles nicht sein, oder? Bereitet die Verstopfung mich etwa auf die Mutterschaft vor, indem sie mich zur Geduld zwingt? Natürlich ist die Natur phantastisch, und natürlich ist jede Schwangerschaft ein Wunder, aber wir leben wirklich nicht in der besten aller Welten, und nicht alles ist göttlich vorherbestimmt.
Dienstag
Mir ist die ganze Zeit übel, aber ich muss mich nicht übergeben. Gestern Morgen habe ich in der Dusche gekniet und wollte nur noch sterben. Manchmal macht es mich wahnsinnig, dass diese Übelkeit überhaupt nicht aufhört – mir ist praktisch immer übel, wenn ich wach bin. Bei der Arbeit bekomme ich auch nicht viel zustande, ich sitze meistens nur da und keuche vor mich hin. Aber manchmal, da hört es für kurze Zeit auf. Und dann spüre ich die Vorahnung einer wunderbaren Energie. Gunilla, die schon ein Kind hat und also eine ganze Menge weiß, sagt, dass die Übelkeit ungefähr in der sechzehnten Woche aufhört. Die Zeit danach nennt man «die hundert glücklichen Tage». Da ist einem nicht mehr übel, die Gefahr einer Fehlgeburt ist so gut wie vorbei, und der Bauch ist noch nicht so groß, dass er stört. Mein Gott, wie ich mich danach sehne! Gunilla hat auch ein bisschen erzählt, wie es ist, ein Kind zu haben, und ich habe verstanden, dass ich bald in eine fremde Welt eintreten werde. Bevölkert von allmächtigen Ärzten, Kindergärtnerinnen und Leuten von der Krankenkasse. Man spricht über Wundsalbe, geht zu pädagogischen Versammlungen und füllt Formulare aus. Und das völlig unabhängig davon, welche Gesellschaft und welche Aktivitäten man in seinem bisherigen Leben bevorzugt hat. Gar nicht zu reden von den Babysachen, die man kaufen muss. Alles in
fröhlichen Farben und mit Teddys drauf. Diese süßen Motive und weichen Farben scheinen ganz eigenen ästhetischen Regeln zu folgen und keinerlei Beziehungen zur übrigen Design- und Modeszene zu haben. Warum können Designer sich nicht mit der Gestaltung von Babysitzen und Kinderwagenbezügen beschäftigen, genau wie mit Gardinen und Käsemessern? Warum muss die Wohnung, die man als erwachsener Mensch so mühsam nach dem eigenen Geschmack eingerichtet hat, in dem Moment, wo man ein Kind bekommt, von einer Armada hellblauer Teddys zerstört werden?
Mittwoch
Es ist merkwürdig, aber ich denke selten darüber nach, dass da ein werdendes Kind in meinem Bauch ist. Dass ich «ein Kind bekomme». Ich denke eher, dass ich «schwanger» bin. Dieser Zustand nimmt meine Sinne schon genug in Anspruch – das heißt, ich bin vor allem mit mir und meinen Beschwerden beschäftigt.
Samstag
Ich habe festgestellt, dass es mir besser geht, wenn ich etwas unternehme oder mit Menschen zusammen bin, die mich ablenken. Gestern hatte ich beides – ich war auf einem Polterabend. Die Übelkeit kam und ging während des Tages, es war aber nicht so schlimm, wie wenn ich allein bin, am Computer sitze oder auf dem Sofa liege und lese. Ich hatte ein bisschen Angst vor dem Essen am Abend. Ich hätte die Neuigkeit am liebsten noch ein paar Wochen zurückgehalten. Vielleicht bin ich ein bisschen abergläubisch, weil ich denke, es geht etwas schief, wenn ich es erzähle. Aber als die künftige Braut fragte, warum ich keinen Wein trinke, fand ich es albern zu lügen. Natürlich iert nichts, nur weil ich es erzähle!
Fia freute sich so sehr und umarmte mich. Es ist schön, dass alle sich so freuen. Ich schäme mich ein bisschen, weil ich mich nie so gefreut habe, wenn andere erzählten, dass sie schwanger sind. Anstatt mich über das Glück der anderen zu freuen, habe ich über mein eigenes nachgedacht. Will ich Kinder haben, kann ich Kinder bekommen? Der Gedanke ans Kinderkriegen begleitet mich schon lange, auf jeden Fall seit der Teenagerzeit. Damals habe ich mich vor allem danach gesehnt, jemanden zu finden, der mit mir ein Kind haben will. Das wäre der Beweis dafür gewesen, wirklich geliebt zu werden. Gottlob wollte es keiner. Dann kam eine lange Zeit, wo ich mir nur sehr schwer vorstellen konnte, ein Kind zu bekommen. Nicht dass ich überhaupt keins wollte, nur nicht gerade jetzt.Es kam mir so anstrengend vor. Man wäre angebunden, könnte nicht auf Feste gehen, morgens ausschlafen oder einfach drei B-Movies hintereinander anschauen. Alles Dinge, die das Leben lebenswert machen. Es war ein Dilemma, ich wusste schließlich, dass man nicht ewig warten kann mit dem Schwangerwerden, aber ich wollte meine Freiheit nicht opfern. Doch die Zeit verging, wir waren auf vielen Festen gewesen, hatten oft genug morgens ausgeschlafen, und beim 26. Teil von Star Trek Voyager machte sich das Gefühl breit, dass es vielleicht doch nicht so schlimm wäre, diese Freiheit aufzugeben. Ein Gefühl des Gesättigtseins, als ob ich noch etwas anderes im Leben wollte. Ich war jetzt mental vorbereitet, ein Kind zu bekommen. Aber es mussten noch andere Dinge bedacht werden: H. musste auch Kinder wollen – er wollte manchmal. Es musste mit dem Job en – das tat es selten. Die Finanzen mussten es zulassen – die taten es nie. Vieles musste zusammenen, manches, worauf ich keinen Einfluss hatte, was aber doch wichtig war. Deshalb bekam ich eher Angst, wenn ich hörte, dass jemand anders ein Kind bekam. Und ich gratulierte bestimmt nicht besonders herzlich, anstatt mich zu freuen, dass eine Mitschwester ihre Wahl getroffen hatte. Die zukünftige Braut auf dem Polterabend hatte eine einjährige Tochter, und wir sprachen über Schwangerschaft und Kinder, so unter Müttern. Als ich ihr erzählte, dass ich es nicht begreifen könne, dass da ein Kind in meinem Bauch ist, beruhigte sie mich und sagte, sie hätte es auch nicht verstanden, nicht einmal, als das Kind schon geboren war.
10. Woche
Alle Organe im Embryo sind angelegt. Die Gefahr einer Fehlgeburt ist jetzt am größten. Die werdende Mutter hat möglicherweise Schlafprobleme oder leidet unter häufigem Wasserlassen.
Montag
Lotta hat von einem Trick erzählt, mit dem man herausfinden kann, ob es ein Mädchen oder ein Junge wird. Wenn einem sehr übel ist, wird es ein Mädchen, ist es weniger schlimm, wird es ein Junge. Aber woher weiß man, wie schlecht einem ist? Wo ist die Grenze zwischen sehr übel und weniger übel? Wir mussten feststellen, dass wir so klug wie zuvor waren. H. und ich glauben, dass wir einen Jungen bekommen. Es gibt Fakten, die dafür sprechen. In meiner Familie, sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits, war in neun von zehn Fällen das erste Kind ein Junge. In H.s Familie, die ja wichtig ist, weil er für das Geschlecht des Kindes entscheidend ist, gibt es fast überhaupt keine Mädchen, nur Jungen. Außerdem spricht für einen Jungen, dass uns nur Jungennamen einfallen. Mir gefällt Wilhelm, so hieß ein kleiner Junge in Kanada, auf den ich als Kindermädchen aufget habe. Und vielleicht Aron. H. ist ganz anderer Meinung, ihm gefällt Felix viel besser. Mädchennamen fallen uns überhaupt keine ein.
Dienstag
Gestern haben wir es H.s Familie erzählt, zuerst seiner Mutter. Genau wie meine Großmutter hatte sie uns in den Ohren gelegen, dass wir Kinder bekommen sollten – aber jetzt, wo sie endlich Großmutter wird, schien sie bloß erstaunt. Sie hat vielleicht gedacht, dass wir keine Kinder bekommen können. Aber sie hat sich natürlich gefreut. Nachdem H. es seiner Mutter erzählt hatte, rief er seinen Vater an. Der gratulierte ihm und erzählte, wie er selbst sich bei H.s Geburt gefühlt hatte. Er sagte, er hätte H. in die Augen geschaut und gewusst, dass er nun nicht mehr die Nummer eins in seinem eigenen Leben sein würde, sondern bestenfalls die Nummer zwei. Das fand ich süß. Jetzt muss ich es also auch meinen Eltern erzählen. Muss, schreibe ich, denn so empfinde ich es. Ich bin ziemlich aufgeregt. Was, wenn sie sich nicht freuen? Was, wenn sie keine Enkelkinder wollen? Besonders unsicher bin ich bei meiner Mutter. Denn im Unterschied zu meiner Schwiegermutter hat sie nie etwas gesagt, sie hat in all den Jahren kein einziges Mal gefragt. Einmal, vor einigen Jahren, habe ich gehört, wie sie zu einer Freundin sagte, sie sehne sich nicht sehr nach Enkelkindern. Hat sie Angst, dass sie dauernd auf das Baby aufen soll? Außerdem wird sie sechzig, da kommt man in die Sechziger-Krise, und durch Enkelkinder fühlt man sich vielleicht nur noch älter. Was weiß ich. Ich bin jedenfalls aufgeregt.
Mittwoch
Jetzt habe ich es ihnen endlich erzählt! Und beide waren so überrascht wie meine Schwiegermutter. Meine Mutter habe ich heute auf der Arbeit angerufen. Ich habe einfach die Nummer gewählt, und als sie abnahm, habe ich es einfach gesagt. Sie hat sich gefreut! Und natürlich will sie Enkel, sie wollte uns bloß nicht damit in den
Ohren liegen. Aber genau wie meine Schwiegermutter war sie auch ein wenig schockiert. Erst hat sie gesagt, dass sie sich nach einem Enkelkind sehnt, dem sie all die bekannten Kinderbücher vorlesen kann, aber dann sprach sie von etwas anderem, und schließlich haben wir aufgelegt. Vielleicht muss sie die Nachricht erst verdauen. Und dann mein Vater. Ich bin nach der Arbeit zu ihm gefahren, unter dem Vorwand, dass ich etwas im Gemüsegarten machen wolle. Wir redeten über die Pläne für seinen sechzigsten Geburtstag, auch er wird dieses Jahr sechzig. Ich wusste erst nicht, wie ich mit der Sprache herauskommen sollte. Aber als er beschloss, das Geschirr für den Geburtstag lieber doch zu leihen, holte ich endlich tief Luft und sagte einfach, dass er Großvater wird. Er antwortete, da hätte die Wahrsagerin also doch Recht gehabt, und erzählte, ihm sei geweissagt worden, dass er bald Großvater wird. Ich dachte bei mir, dass die Wahrsagerin sich wohl nicht allzu weit vorwagt, wenn sie einem Mann mit drei erwachsenen Kindern erzählt, er wird Enkelkinder bekommen. Aber dann redete er von etwas anderem, genau wie meine Mutter. Schließlich sagte ich, ich müsse nach Hause, und ging. Als ich zu Hause unter der Dusche stand, rief er an und ließ mir durch H. ausrichten, dass er total überrascht gewesen sei und erst nicht gewusst habe, wie er reagieren solle, aber er freue sich riesig. Irgendwie ist es süß, dass alle so durcheinander sind.
Donnerstag
Heute habe ich beim «Mütterzentrum» angerufen und einen Termin vereinbart. Ich musste eine Weile im Telefonbuch suchen, ehe ich das richtige Stichwort fand. Ich wusste nicht, zu welchem Bezirk ich gehöre, und landete ein paar Mal an der falschen Stelle. Und als ich endlich an der richtigen war, wusste ich nicht, was ich sagen soll. Es kam mir irgendwie bescheuert vor, zu sagen, dass ich ein Kind bekomme, aber mir fiel nichts Besseres ein. Ich dachte schon, nun sagen sie womöglich: «Ja, und was erwarten Sie jetzt von uns?» Aber das geschah nicht. Ich habe erst für nächste Woche einen Termin bekommen. Sie wollen wohl abwarten, bis die Gefahr einer Fehlgeburt einigermaßen vorbei ist, damit sie nicht unnötig Zeit verlieren, denke ich.
Mir ist immer noch ständig übel. Ich fahre mit der U-Bahn zur Arbeit, zur Hauptverkehrszeit bekommt man selten einen Sitzplatz. Es ist so unangenehm, in einer U-Bahn zu stehen, die schaukelt und ruckelt, man wird hin und her geschleudert. Heute Morgen war ich ziemlich wackelig auf den Beinen und hatte Angst, es nicht bis nach draußen zu schaffen, falls ich mich übergeben müsste. Ich wäre fast zwischendurch ausgestiegen, um mich über einen Papierkorb zu beugen, aber ich habe dann doch durchgehalten.
Freitag
Ich bin total geschockt! Heute hat H. in seiner Schule erzählt, dass er Vater wird. Seine Kollegen waren jedoch von unseren Plänen, den Elternurlaub zu teilen, überhaupt nicht begeistert. Ein richtiger Mann nimmt offenbar keinen Elternurlaub. Einer hat sogar zu H. gesagt, er solle die Hosen anziehen. Wo sind wir eigentlich – im Mittelalter? Nicht einmal die Frauen haben ihn unterstützt. Eine meinte, er solle mir nicht «den innigen Kontakt, den nur Mütter zu ihren Neugeborenen haben», abspenstig machen. Daran glaube ich keine Sekunde. Warum sollten nur Mütter Nähe zu ihren Kindern empfinden können? Wenn Väter dies nicht können, liegt es daran, dass sie früher keine Möglichkeit bekamen, sich um sie zu kümmern, und nicht daran, dass sie nicht dazu in der Lage sind! Ich war stinksauer. Und das in einem schwedischen Gymnasium – geäußert von denjenigen, die unsere Erwachsenen von morgen erziehen. Kein Wunder, dass die Gleichstellung in einer Krise ist! H. war natürlich auch enttäuscht, er hatte gedacht, die Leute würden seine Entscheidung positiv aufnehmen, und dann das ... Im Übrigen ist mir nur noch schlecht. Wann ist das endlich vorbei?
11. Woche
Der Embryo wird jetzt Fötus genannt. Der Kopf ist genauso groß wie der Körper. Das Gesicht hat deutlich menschliche Züge. Die werdende Mutter kann die Gebärmutter im Liegen direkt über dem Schambein ertasten.
Dienstag
Hilfe! Was tue ich, wenn nicht «Nestbauen»! Ich pussele zu Hause herum! Gestern habe ich überlegt, ob ich stricken soll und ob ich mir vielleicht Großmutters alte Nähmaschine bei meinem Vater abholen soll und die Tischtücher säumen, die schon so lange im Schrank liegen ... Ich habe in den Schwangerschaftsbüchern gelesen, dass es ganz normal ist, ans «Nestbauen» zu denken. Wieder sind es die Hormone, die angeblich für das Verhalten verantwortlich sind und die Frau auf die Mutterschaft vorbereiten, indem sie sich mehr auf das Zuhause konzentriert. Aber ich glaube, es gibt eine einfachere Erklärung. Mir ist ständig übel, und ich werde schnell müde, deshalb kann ich nicht so viel mit H. unternehmen. Ich muss also zu Hause bleiben, und damit ich nicht vor Langeweile und vor dem Fernseher vergehe, beschäftige ich mich eben auch mit solchen Dingen. Aber ganz egal, was die Ursache ist, das Resultat ist das gleiche – die Frauenfalle schnappt bald über mir zu, und in drei Jahren stehe ich verbittert und mit rissigen Händen in der Waschküche, die Kinder zerren am Rockzipfel, und ich frage mich, wie es so weit kommen konnte, während H. sonnengebräunt, durchtrainiert und frei mit den anderen Vätern über den Fußballplatz läuft. So einfach ist das.
Mittwoch
Ich war zum ersten Mal im Mütterzentrum. Etwas aufgeregt. Ich war vor ein paar Jahren schon einmal dort, wegen einer Untersuchung, aber jetzt war ich «so richtig» da. Als werdende Mutter im Mütterzentrum. Ein Wartezimmer mit einigen Stühlen und Sofas. An den Wänden jede Menge Plakate über alles vom Stillen bis zur Misshandlung von Frauen, Reklame für alle möglichen Babysachen – Spielzeug, Stoffwindeln, Kinderwagen, Stillkissen ... man muss offensichtlich Unmengen von Zeug kaufen, wenn man ein Kind bekommt. Ich schaute mir heimlich auch die anderen Frauen an. Einige waren ganz offensichtlich schwanger, andere sahen ungefähr so aus wie ich. Niemand sagte etwas, nur eine Frau flüsterte in einer Ecke mit ihrem Mann. Ich stürzte mich auf die Berge von Elternzeitschriften und las über Fernsehinnen, die gerade ein Kind bekommen hatten und soooo glücklich waren. Schließlich war ich an der Reihe. Ich musste auf die Toilette gehen und in einen Becher pinkeln, den ich dann der Schwester gab. Es war fast so ein Gefühl, wie eine Prüfungsarbeit abzugeben. Nach ein paar Minuten war die Schwester wieder da und sagte: «Ja, Sie sind schwanger.» Ich hatte also bestanden. Es war ein bisschen albern. Warum mussten sie testen, ob ich schwanger bin? Trauen sie mir nicht? Vielleicht gibt es Frauen, die vorgeben, schwanger zu sein, um ins Mütterzentrum kommen zu dürfen und sich ein paar nette Stunden zu machen? Ich habe keine Ahnung. Die Hebamme war eine farblose ältere Frau, die nicht sehr fröhlich dreinsah und auch nicht besonders freundlich war. Zuerst wurde ich auf einer Waage im Flur gewogen – 63 Kilo –, dann gingen wir in ihr Zimmer, wo ich mich auf einen Stuhl setzte. Mit Hilfe einer kleinen drehbaren Pappscheibe, die mit lauter Daten bedruckt war, rechnete sie den Geburtstermin aus. 26. März kommenden Jahres. Das war ungefähr der Termin, den H. und ich errechnet hatten, indem wir vom Tag der Zeugung ausgingen. Dann bekam ich jede Menge Broschüren über Ernährung – man darf offenbar doch Fisch aus der Ostsee essen, aber möglichst nur einmal im Monat. Ich bekam auch eine Broschüre über die Elternversicherung und andere langweilige Dinge, mit denen ich mich wohl oder
übel beschäftigen muss. Die Hebamme fragte mich noch alles Mögliche, was nicht unbedingt etwas mit meiner Schwangerschaft zu tun hatte – zum Beispiel, wo H. und ich arbeiten, wo wir wohnen usw. Das schrieb sie alles in eine Krankenakte mit meinem Namen und meiner Versicherungsnummer. Dann fragte sie nach Dingen, die sich auf die Schwangerschaft bezogen, nach eventuellen Krankheiten in unseren Familien, und ich erzählte ihr von meinem Cousin mit dem Down-Syndrom. Da legte sie aber los! Ich sagte ihr sofort, dass H. und ich uns bereits entschieden hätten, keine Fruchtwasseruntersuchung machen zu lassen. Trotzdem sprach sie weiter darüber, gab mir Broschüren mit Tabellen und Risikostatistiken und was nicht noch alles. Ich versuchte noch einmal, ihr zu sagen, dass wir uns über jedes Kind freuen würden, aber sie hörte überhaupt nicht zu. Sie redete immer weiter, dass ich eigentlich noch nicht weit genug sei für eine Fruchtwasseruntersuchung und dass sie nicht wisse, bei welchem Verwandtschaftsgrad ein erhöhtes Risiko bestehe und so weiter. Sie redete ohne Punkt und Komma. Mir sind diese Fruchtwasseruntersuchungen höchst suspekt. Eine Freundin hat es machen lassen, und sie erzählte, es sei furchtbar gewesen. Sie stachen ihr mit einer riesigen Nadel direkt in den Bauch, und danach hatte sie so heftige Krämpfe, dass sie Angst hatte, die Geburt würde beginnen. Offenbar ist die Gefahr einer Fehlgeburt bei dieser Untersuchung ziemlich hoch. Sie wird ja relativ spät gemacht, sodass der Fötus schon recht groß ist, meine Freundin hatte bereits einen ziemlich dicken Bauch und sogar schon Tritte gespürt. Sie fand den Gedanken an eine Abtreibung schrecklich, sie hatte ja fast schon ein kleines Baby im Bauch. Natürlich wollen wir ein gesundes Kind, alle wollen das, aber das heißt doch nicht, dass alle, die nicht ganz gesund sind, nicht verdienen zu leben? Eine Gesellschaft, in der alle gleich sind, alle gleich prachtvoll, macht mir Angst. Es ist natürlich etwas anderes, wenn das Kind kein Großhirn hat oder sonst eine Schädigung, die kein normales Leben ermöglicht, aber Kinder mit dem DownSyndrom können heute doch ein recht gutes Leben haben. Natürlich würde mich das belasten, und natürlich habe ich Angst. Aber ich traue mich trotzdem nicht, die Verantwortung zu übernehmen, diese Fruchtwasseruntersuchung machen zu lassen, und dann entscheiden zu müssen, ob der Fötus leben oder sterben soll. Das ist zu viel für mich. Doch die
Hebamme wollte mich scheinbar zu dieser Untersuchung drängen. Warum hat sie mir sonst so viel Informationsmaterial gegeben? Ich fühlte mich schlecht und war verunsichert. Als ich nach Hause kam, rief ich im Mütterzentrum an und sagte, dass ich nicht mehr von dieser Hebamme betreut werden möchte. Sie hatte mir nicht zugehört, und ich hatte kein Vertrauen zu ihr.
Donnerstag
Wie ich diesen Zustand satt habe! Wann hört das mit der Übelkeit endlich auf? Ich habe keine Zeit dafür! Ich habe so viel zu tun – neben der Doktorarbeit muss ich einen Vortrag vorbereiten, und der muss gut werden. Aber man kann sich nicht konzentrieren, wenn man ständig das Gefühl hat, sich übergeben zu müssen. Ich kann nichts essen, ich fühle mich schwach, fast schwindelig. Mir ist im Institut genauso übel wie zu Hause. Damit ich nicht total im Chaos versinke, habe ich einen Zeitplan gemacht mit allem, was ich vor der Geburt noch erledigen will. Ich muss mir ein wenig Druck machen, denn am liebsten würde ich im Bett bleiben und mich den ganzen Tag nur bemitleiden.
12. Woche
Der Fötus ist etwa 9 Zentimeter groß und wiegt 15 Gramm. Manche lutschen jetzt schon am Daumen. Das Gehirn ist in einem sehr kritischen Entwicklungsstadium. Die werdende Mutter kann aus zwei Gründen einen Seufzer der Erleichterung ausstoßen – einerseits nimmt das Risiko einer Fehlgeburt jetzt drastisch ab, andererseits ist für die meisten die Zeit des Unwohlseins vorbei.
Montag
Mir ist übel, und ich will nur schlafen. Ich esse so wenig, dass ich mich frage, ob das Kind genügend Nährstoffe bekommt. Heute habe ich meinem Doktorvater erzählt, dass ich ein Kind bekomme. Er gratulierte mir, und dann haben wir gemeinsam den Fortgang der Doktorarbeit und den Elternurlaub geplant. Ich werde es jetzt auch den anderen sagen. Ich bin froh, wenn die Geheimniskrämerei endlich aufhört.
Mittwoch
Ich will immer noch keinen Sex, mir ist bloß schlecht, es ist irgendwie nicht aktuell. Ich weiß nicht, ob H. will, er sagt jedenfalls nichts. Er findet es vielleicht
immer noch komisch, oder begehrt er mich vielleicht nicht mehr? Ich fühle mich schließlich auch nicht sonderlich attraktiv und will nur schlafen, wenn ich nach Hause komme. Was, wenn er mich jetzt verlässt?
Freitag
Ich habe das kleine Lis zum ersten Mal gesehen! Hurra! Es war so groß wie eine Erdnuss und hat in all dem Schwarzen gestrampelt. Ich war heute zum ersten Mal beim Arzt. Er fragte mich alles Mögliche und schaute in seine Papiere. Und dann wollte er tasten, wie groß die Gebärmutter ist, ich musste mich also auf den Stuhl legen. Er stellte fest, dass der errechnete Geburtstermin 26. März im großen Ganzen stimmt. Und dann fragte er, ob wir auch einen Ultraschall machen sollen. Als ob jemand das ablehnen würde! In einem so frühen Stadium der Schwangerschaft muss man einen vaginalen Ultraschall machen, um etwas zu sehen, er führte also einen Stab in meine Scheide. Nach einem bisschen Hin- und Herbewegen (mir war es schon ein wenig peinlich, ich versuchte aber, mir nichts anmerken zu lassen) fand er offenbar, was er suchte. Er zeigte mir auf dem graukörnigen, flimmrigen Bildschirm eine kleine weiße Wurst, von der Form her so ähnlich wie eine Erdnuss in der Schale. Und mit Armen und Beinen, sagte der Doktor, sogar mit Füßen und Händen. Ich konnte nur die Erdnuss erkennen, die sich da drinnen drehte und wendete, aber ich glaubte ihm. Ich durfte sogar ein Bild von der Erdnuss mit nach Hause nehmen. Das war mein bisher schönster Arztbesuch. Trällernd und mit einem Foto in der Hand kam ich zu H. nach Hause, der es bitter bereute, nicht mitgekommen zu sein. Als er das Bild gesehen hatte, beugte er sich zum Bauch hinunter und rief: «Hallo, hier ist dein Papa!» Da wurde mir tatsächlich ganz warm ums Herz, und ich dachte, ich habe mir einen entzückenden Vater für mein Kind ausgesucht. Es heißt, die Ultraschalluntersuchung wird gemacht, damit man endlich begreift, was vor sich geht, aber ich verstehe immer noch nichts, obwohl ich mich riesig freue.
13. Woche
Der Fötus kann lächeln. Die werdende Mutter stellt jetzt fest, dass die Taille verschwindet.
Dienstag
Lotta hat eine kleine Iris bekommen! Sie hat aus dem Krankenhaus angerufen und beinah high geklungen. Sie erzählte stolz, dass sie das süßeste Baby der Welt habe und die glücklichste Mutter der Welt sei. Als ich sie fragte, wie die Geburt war, meinte sie, es war, wie einen Fußball zu kacken, aber das sei es wert gewesen. H. sagt, er habe furchtbare Angst vor der Geburt. Am Anfang wusste er nicht, ob er dabei sein will. Ich habe überhaupt keine Angst. Mein Gott, fast alle Frauen der Welt haben es geschafft, viele sogar mehrmals, davor braucht man doch keine Angst zu haben! Oder will ich nur nicht kapieren, wie schrecklich es ist, weil ich sonst den Verstand verliere?
Mittwoch
Verfluchter Körper! Muss er sich wirklich so anstellen? Als ob die ständige Übelkeit nicht schlimm genug wäre, habe ich auch noch Verstopfung. Es hat ja in Griechenland schon ein bisschen angefangen, aber seither ist es immer
schlimmer geworden. Ich habe auch sonst noch alle möglichen Wehwehchen. Schmerzen im unteren Teil des Rückens, das ist doch nicht etwa schon die Lockerung des Beckens? Ich mache Übungen, kneife die Pobacken zusammen, bewege den Rücken, weil ich gelesen habe, das wäre gut gegen die Schmerzen. Sie sind ganz schön früh eingetreten, finde ich und hoffe nur, dass es nicht so schlimm wird, dass ich liegen muss. Die Übelkeit ist auch nicht vorbei, obwohl ich jetzt schon manchmal aufwache und mich richtig gut fühle. Ich hoffe dann immer, dass es endlich anfängt. Das mit den hundert glücklichen Tagen. Aber es kommt immer wieder ein Rückschlag, und bevor es Abend wird, ist es mir schlechter gegangen als je zuvor. Und ich bin so müde. Am Sonntag bin ich abends um acht eingeschlafen und am Montagmorgen mit Kopfschmerzen aufgewacht, mir war den ganzen Tag kotzübel, und ich habe nichts hingekriegt. Das ist so gemein. Ich habe ja nichts davon! Die Leute fassen mir zwar hin und wieder an den Bauch, aber noch sieht man absolut nichts. Ich spüre bloß ein Ziehen und Spannen. Dabei wird behauptet, Schwangerschaft sei keine Krankheit. Ha! Verstopfung. Schmerzen. Übelkeit. Müdigkeit, die nicht vergeht, egal wie viel man schläft. Sind das keine Krankheitszustände? Und dabei muss man die Zähne zusammenbeißen und so tun, als wäre nichts, kämpfen, um nicht zurückzubleiben. Weil die Leute sonst denken könnten, dass man einen Körper hat, einen weiblichen Körper noch dazu, und dass der manchmal Beschwerden macht – und das wäre ja schlecht für den Frauenkampf.
Donnerstag
Vielleicht doch ein wenig besser. Meine Tante Elsie bekommt hin und wieder Karten für die Generalprobe im Dramaten-Theater, sie hatte welche für «Der gute Mensch von Sezuan». Ich bekam zwei und ging mit einer Freundin in die Vorstellung. In der Pause haben wir in der Herbstsonne auf der Theatertreppe gesessen und
über gut und böse geredet, wie man gut in einer bösen Gesellschaft sein kann, und da wurde mir plötzlich bewusst, wie ewig es her ist, dass ich über meinen eigenen Nabel hinausgedacht habe. Ich hatte nur mein eigenes Wohlbefinden im Kopf, wie es mir geht, erst in der Schwangerschaft und wenn das Kind dann da ist. Und dabei werde ich bald einen neuen Menschen in die Welt setzen und sollte mich dafür interessieren, wie es in dieser Welt zugeht. Ich sollte ein guter Mensch und dem Kind eine gute Mutter sein. Aber nein. Ich, ich, ich! Kein Wunder, dass einem das Leben manchmal so leer vorkommt. Das Stück hat mich endlich wieder von mir weggebracht. Als ich nach Hause kam, bin ich nicht wie gewöhnlich sofort ins Bett gegangen. Ich war zwar todmüde, bekam aber plötzlich Schädelbrummen, wenn ich an Schlafen dachte. Schlafen, immer nur schlafen. Ich habe mich also in den Sessel gesetzt und gelesen und Briefe geschrieben. Vielleicht nähere ich mich ja doch den hundert glücklichen Tagen, wer weiß? Es ist schon so: Wenn ich die Schwangerschaft spüre, jammere ich. Aber wenn es ein bisschen besser ist und ich nichts spüre, bekomme ich Angst, dass etwas nicht stimmt... Nie ist man zufrieden. (Und schon war ich wieder bei der Nabelschau!)
14. Woche
Der Bauch wächst, die werdende Mutter spürt ein Ziehen und Spannen.
Montag
Ich will einen Bauch! Noch sieht man keine Kugel, aber die Taille ist verschwunden. Lotta nennt es das Seehundstadium, weil der Körper wirklich rund wie bei einem Seehund ist. Nicht besonders schön. Manchmal tut es weh, es spannt und zieht. Das hat mich schrecklich beunruhigt, ich habe jedes Mal gedacht, jetzt ist es eine Fehlgeburt. Ich habe im Mütterzentrum angerufen, und die Hebamme dort sagte, es seien die Bänder, die sich dehnten. Obwohl ich die Angst vor einer Fehlgeburt noch nicht ganz überwunden habe, sagen wir es jetzt allen. Am Wochenende habe ich es meinen Großeltern erzählt. Ich habe mich darauf gefreut, ich wollte es so gern erzählen, besonders meiner Großmutter, sie wartet schon so lange darauf. Sie hat angefangen zu weinen, sagte, sie hätte Angst, die Geburt des Kindes nicht mehr zu erleben. Ich sagte, sie solle sich keine Sorgen machen, sie hätte nun schon so lange durchgehalten und würde es auch weiter schaffen und bald vor ihren Freundinnen mit ihrem ersten Urenkel prahlen können. Wenn es t, erzähle ich es den meisten Leuten, die ich treffe. Ich bin froh, dass es jetzt offiziell ist, ich fand das Verschweigen immer unangenehm. Es wäre vielleicht nicht so schlimm gewesen, wenn es nicht mit dieser Übelkeit einhergegangen wäre. Es war furchtbar anstrengend, sich dauernd schlecht zu fühlen und dabei so zu tun, als wäre nichts. Dasitzen und lächeln zu müssen, wenn der Magen rebelliert, und außerdem ständig Angst zu haben, dass etwas nicht in Ordnung ist.
Ich habe gedacht, ich hätte ordentlich gelächelt, aber viele haben schon früh geahnt, dass ich schwanger bin. Ich bin wohl in dem Alter, wo das Schwangerschaftsradar anspricht. Eine Kollegin sagte, sie hätte es sich gedacht, weil ich nach der Arbeit nicht mehr mit den anderen einen trinken gegangen wäre. Klar, wenn man in den letzten drei Jahren keine Kneipentour ausgelassen und bis elf dem Rotwein zugesprochen hat, dann fällt es schon auf, wenn man plötzlich ohne vernünftige Ausrede um sechs nach Hause geht. Eine andere Kollegin sagte, sie hätte es geahnt, weil ich in letzter Zeit ein bisschen dicker ausgesehen hätte. Es macht Spaß, vom Kind zu sprechen, die Leute freuen sich alle, auch wenn ich sie kaum kenne. Am Anfang habe ich mich gefragt, warum sie sich freuen, es ist ja nicht ihr Baby. Aber dann habe ich beschlossen, nicht groß darüber nachzudenken, sondern mich einfach mitzufreuen, es anzunehmen und das Abenteuer zu genießen. Denn ich sehe es als ein großes Abenteuer – ein Abenteuer in einer Welt, die sich als erstaunlich nett erweist (abgesehen von der Übelkeit natürlich). Durch die Schwangerschaft komme ich mit vielen Menschen besser in Kontakt. Auf der Arbeit ist es mehrmals vorgekommen, dass ich mit Leuten geredet habe, die ich vorher kaum grüßte. Viele Frauen, die ich nur flüchtig kannte, haben sich geöffnet und mir von eigenen Erfahrungen berichtet. Die Schwangerschaft verbindet fast alle Frauen, und man kann stundenlang darüber reden, ohne dass es einem zu viel wird. Und das Thema Kinder verbindet wiederum fast alle Frauen und Männer, und auch darüber kann man stundenlang reden. Mir gefällt es in der Mensa, in der Kaffeeküche oder bei Einladungen zum Essen jetzt viel besser, weil ich ein Interessengebiet habe, das ich mit vielen teile. Außerdem gewöhne ich mich allmählich daran, dass ich auf Festen und bei Einladungen nichts trinke. Klar, es ist nicht ganz so prickelnd, irgendwie gemütlicher und ruhiger. So weit ist es also mit mir gekommen, dabei habe ich mich noch vor einigen Jahren in meinem Tagebuch so höhnisch über das Kindergerede lustig gemacht. Ich habe die Grenze zur anderen Seite überschritten – und stelle fest, dass es hier auch ganz nett ist.
Mittwoch
Ich habe ja schon geschrieben, dass ich mich darüber wundere, dass Väter keinen Elternurlaub nehmen, und ich nicht verstehe, warum. Einen Grund kenne ich jetzt – den finanziellen. Ich habe in der U-Bahn eine Freundin aus der Schulzeit getroffen, sie befand sich im «Seehundstadium». Wir haben natürlich über dies und das geredet, und sie erzählte, dass sie den Erziehungsurlaub allein nehmen wird. Als ich fragte, warum, sagte sie, wegen des Geldes. Sie ist Lehrerin, er ist Computerspezialist und verdient natürlich mehr als sie. Man bekommt bis zu einer bestimmten Obergrenze 80 Prozent des Lohnes als Erziehungsgeld. Da büßen sie natürlich mehr ein, wenn er zu Hause bleibt, denn je höher der Lohn, umso größer ist der Verlust. Sie und ihr Computerspezialist wollen sich jetzt, wo sie ein Kind bekommen, ein Haus kaufen, sie brauchen also jede Krone. Deshalb nimmt sie den ganzen Elternurlaub. So einfach ist es, schöne Gleichstellungsabsichten platzen zu lassen. Aber ich wundere mich doch, dass Leute Kinder bekommen, wenn sie in einer derart angespannten finanziellen Lage sind, dass sie so einen Verlust nicht verkraften können. Haben sie sich das mit dem Kinderkriegen wirklich gut überlegt, wenn ihnen das zusätzliche Geld so viel wichtiger ist, als dass der Vater mit seinem Kind zusammen ist und es richtig kennen lernt? Und noch etwas ärgert mich: Das mit den finanziellen Nachteilen trifft ja nur die eine Seite, weil fast immer der Mann mehr verdient. Es ist immer noch so, dass die Männer, obwohl sie nichts gegen kluge, gut ausgebildete und hoch bezahlte Frauen haben, dennoch nicht wollen, dass sie klüger, besser ausgebildet und höher bezahlt sind als er, weil sonst die Liebeshormone nicht anschlagen. Und die meisten Frauen verlieben sich in Männer, die ein bisschen größer und ein bisschen älter sind und außerdem genug Selbstbewusstsein haben, um auch noch ein bisschen klüger zu wirken. Das macht mich wahnsinnig, dass wir uns trotz hundert Jahren Gleichstellungsarbeit geistig immer noch im Höhlenstadium befinden und am liebsten wollen, dass der Mann der Frau mit einer Keule auf den Kopf haut und sie an den Haaren in seine Höhle schleppt.
15. Woche
Der Fötus kann Arme und Beine bewegen und die Stirn runzeln. Die werdende Mutter hat ein gesteigertes Verlangen nach Milchprodukten, weil der Fötus Kalzium für den Knochenaufbau abzieht.
Dienstag
Was nicht hätte ieren dürfen, ist nun doch iert. Ich habe Blutungen. Als ich von der Arbeit nach Hause gehen wollte, bemerkte ich, wonach ich seit Juli bei jedem Toilettenbesuch geschaut habe: Blut. Ich dachte erst, ich sehe nicht richtig, aber es gab keinen Zweifel, es war ziemlich viel Blut und ganz rot. Ich habe im Krankenhaus angerufen, sie haben gesagt, ich soll kommen. Es könnte eine Fehlgeburt sein. Ich habe auch H. angerufen, wir treffen uns dort. Lieber Gott, lieber Gott, lass es keine Fehlgeburt sein. Jetzt sitze ich im Wartezimmer der gynäkologischen Ambulanz. Es sind ziemlich viele Leute da. Alle sehen unglücklich aus. Fehlgeburt, Geschlechtskrankheiten, you name it. Das privateste Elend der Welt. Wir sitzen an drei Wänden entlang, in der vierten befindet sich die Tür zur Aufnahme, wo die Krankenschwestern die Daten erfassen, Blutdruck messen und Urinproben entgegennehmen. Ich habe gerade Blut in einen Plastikbecher gepinkelt. Es war so deprimierend. Die Schwestern schauen freundlich neutral, ihr Blick macht keine Versprechen, gibt keine Informationen. Sie haben meinen blutigen Becher entgegengenommen und mich gebeten zu warten. Auf mein Urteil zu warten.
Mir gegenüber sitzt eine junge Frau, die kaum gehen konnte, als sie hereinkam, sie muss große Schmerzen haben. Sie hat gerade ihr Schwedisch-Lehrbuch herausgeholt und liest. Das Leben geht jenseits dieses traurigen Zimmers ja weiter. Ganz egal, welche Unterleibsbeschwerden man hat, die Arbeit wird morgen trotzdem geschrieben. Neben uns sitzt ein Paar, etwa um die vierzig, unmodern angezogen. Sie trägt einen langweiligen, verwaschenen beigefarbenen Pullover und einen karierten Faltenrock, er ein Polohemd und Jeans. Er hält ihre Hand. Wieder eine Fehlgeburt?, überlege ich. Sie haben es immer wieder versucht, das Ei will sich einfach nicht einnisten. Sind das H. und ich in ein paar Jahren? Da sitzen wir wieder hier und wissen, es ist gelaufen. Genauso traurig. Nichts iert, mir ist, als ob wir schon eine Ewigkeit hier warten. Als ich pinkeln musste, kam immer noch Blut, ich habe mir Unmengen Klopapier in die Hose gestopft, eine Binde wollte ich nicht nehmen. Nein, keine Binde, das würde bedeuten, das Schreckliche zu akzeptieren, aufzugeben. Ich sitze also da mit einer halben Rolle Klopapier in der Hose. Die Tür zum Schwesternzimmer ist geschlossen, seit einiger Zeit ist niemand mehr hereingerufen worden. Warum dauert es so lange? Haben die kein Personal hier?
Es blutet nicht mehr. Es ist eine Weile vergangen, und wir haben nur gewartet. Ein paar Frauen sind aufgerufen worden, die Schwestern laufen mit Papieren hin und her. Sie haben offenbar viel zu tun, wir werden lange warten müssen. Aber ich bin jetzt ruhig. Total ruhig, kann es nicht erklären. Im Wartezimmer läuft der Fernseher, ein Kinderprogramm, das ich noch nie gesehen habe. Es handelt von einer kleinen Schlittschuhläuferin. Schließlich durften wir zum Doktor hinein. Er war jung, wir redeten nicht viel. H. setzte sich auf einen Schemel, ich musste auf den Stuhl klettern und die Beine breit machen. Ultraschall – er drehte den Schirm weg und schwieg eine Ewigkeit, dabei fuhrwerkte er die ganze Zeit mit diesem Ding in meinem Unterleib herum. Ich schaltete den Verstand aus. Ich war nicht da. Nie da gewesen. Ich dachte überhaupt nichts. Endlich dreht er den Bildschirm, zeigt auf ein weißes, kleines, pulsierendes Etwas. Es ist das Herz. «Der Fötus lebt», sagt er.
Ich werde zwei Wochen krankgeschrieben. Ich weiß zwar nicht, warum, auch wenn «Risiko einer Fehlgeburt» auf dem Zettel steht. Das Kind lebt doch? Soll ich nach Hause gehen und warten, dass es stirbt? Ich habe mich nicht getraut zu fragen. Wir fuhren nach Hause, kauften uns eine Pizza und aßen sie im Bett. Haben herumgealbert, dass wir das Baby nicht mehr das kleine Lis nennen wollen, sondern das kleine Leich. Merkwürdigerweise hat der makabre Scherz uns ruhiger gemacht. Wir haben danach geschlafen wie Steine.
Samstag
Ich bin ein paar Tage zu Hause geblieben. Ich liege im Bett, wie der Doktor gesagt hat. Ich darf allein aufs Klo, viel mehr allerdings nicht. Dauernd hat das Telefon geklingelt, und alle, die einmal schwanger waren, hatten irgendwann auch Blutungen oder kennen eine Frau, die während der Schwangerschaft Blutungen hatte. Bei einer Freundin war es so schlimm gewesen, dass sie in einer Blutlache lag und Krämpfe hatte, aber während wir sprachen, hörte ich im Hintergrund ihren Sohn krähen. Eine Blutung bedeutet also nicht unbedingt eine Fehlgeburt. Das mit der Bettruhe ist merkwürdig. Der Doktor meinte, ich könne nichts tun, um eine Fehlgeburt zu verhindern – wenn etwas nicht stimmt, dann iert es, ob ich nun Bungee-Jumping mache oder reglos im Bett liege. Warum muss ich dann aber im Bett liegen? Ich weiß nicht, wieso, aber ich habe keine Angst mehr. Ich bin völlig ruhig. Ich mache mir viel mehr Sorgen, dass ich im Institut zu viel vere und meine Planungen nicht einhalten kann. H. hat mir ein paar Bücher geholt, so kann ich wenigstens ein bisschen lesen.
16. Woche
Der Fötus ist jetzt 17 Zentimeter groß und wiegt 80 Gramm. Viele Frauen gehen in dieser Woche zum Ultraschall. Einige werdende Mütter können jetzt schon spüren, wie das Kind sich bewegt.
Mittwoch
Jetzt ist das kleine Lis 16 Wochen alt, und mir geht es prima! Ich gehe arbeiten, obwohl der Arzt gesagt hat, dass ich noch eine Woche zu Hause bleiben soll. Ich habe merkwürdigerweise das Gefühl, dass es jetzt fest im Bauch liegt und dass es ihm gut geht. Ich fühle mich allerdings ein wenig schwach. Ich bin immer noch ständig müde, und mir wird schwarz vor Augen, wenn ich aufstehe. Aber das ist das Paradies, verglichen mit den Wochen davor! Sind das wohl die hundert glücklichen Tage? Ich habe sogar wieder Lust auf Sex, sogar mehr als vorher, glaube ich. Aber ich traue mich nicht, die Initiative zu ergreifen, weil ich mich mit dem Seehundkörper so komisch finde. H. hat keine Annäherungsversuche gemacht, er findet mich bestimmt total unsexy. Aber ich freue mich, dass ich wieder Lust habe, es war schon ein komisches Gefühl, so völlig desinteressiert zu sein. Und wenn H. nicht will, gibt es ja noch andere Möglichkeiten.
Donnerstag
Wenn man glaubt, dass nun alles in Ordnung ist, kommt der nächste Schlag. Ich habe einen großen roten Flecken auf der einen Pobacke. Merkwürdig, dass ich es beim Duschen nicht selbst gesehen habe, er bedeckt den halben Po. H. hat ihn bemerkt, als wir das wöchentliche Foto vom Bauch gemacht haben. Wenn es nur nicht Borreliose ist. Ich habe im Sommer ziemlich oft Zecken gehabt.
Freitag
Ich habe sofort einen Termin bei der Hausärztin bekommen. Sie brauchte sich die Rötung nur anzusehen, um festzustellen, dass es Borreliose war. Sie wusste nicht, ob eine Gefahr für den Fötus bestand, aber in der Broschüre, die wir in der Apotheke bekamen, stand, dass die Krankheit halbseitige Lähmungen auslösen könne und noch so manches Schreckliche. Wenn ich halbseitig gelähmt sein kann, dann kann das dem kleinen Lis wohl auch ieren, oder? Ich habe das Gefühl, als ob das überstandene Fehlgeburtsrisiko mir jegliche Angst genommen hätte. Das, was ich am meisten fürchtete, ist iert, und danach kann ich keine Angst mehr haben. Übersteht das kleine Lis eine drohende Fehlgeburt, dann kommt es wohl auch mit der Borreliose zurecht. Und auch halbseitig gelähmte Babys sind Babys. Ich werde ohne einen Mucks den Rollstuhl vom kleinen Lis schieben. H. ist nicht so sicher, dass es dem Baby gut geht. Im Unterschied zu mir hat er immer noch Angst, dass etwas schief gehen könnte. Heute Morgen hat er mir einen Traum erzählt: Wir steigen beide auf einen hohen Turm, es war sehr gefährlich und beängstigend. H. hatte schreckliche Angst, ich überhaupt nicht, ich kletterte immer weiter hinauf, obwohl er mich bat anzuhalten. Er hatte Angst, ich könnte herunterfallen und umkommen.
Samstag
Heute habe ich festgestellt, dass ich privilegiert bin, weil ich schwanger werden kann. H. fühlt sich ein bisschen ausgeschlossen. Mein Vater feierte seinen 60. Geburtstag, ich trug ein enges Kleid, das deutlich meinen Bauch zeigte, obwohl er eigentlich immer noch aussieht, als hätte ich Blähungen. Ich bewegte mich unter den Gästen, alle tätschelten mir den Bauch und beglückwünschten mich. H. wurde längst nicht so viel beachtet. Er sah schließlich aus wie immer – obwohl auch er ein Kind haben wird. Ja, das ist ungerecht. Aber zum Ausgleich bekommt er Wein in sein Glas und ich nur Mineralwasser, außerdem war mir zwei Monate lang übel.
Sonntag
Ich habe ein Stethoskop von meiner Mutter geliehen bekommen, wir wollen den Herzschlag vom kleinen Lis hören. Meine Mutter sagt, dass man so früh noch nichts hören kann, aber wir versuchen es trotzdem.
17. Woche
Die werdende Mutter hat jetzt ein paar Kilo zugenommen und sollte darauf achten, dass das Gewicht nicht zu sehr schwankt. Sie ist jetzt oft hungrig, weil der Fötus an Fett zulegt.
Dienstag
Wir diskutieren stundenlang über Namen, es sind immer noch fast ausschließlich Jungennamen. Mir gefällt Hugo, aber so heißen im Moment sehr viele. Das mit der Namenmode ist ein Problem. Die Namen, die mir gefallen, sind oft gerade am angesagtesten. Es wäre ja blöd für den Kleinen, wenn er im Kindergarten Hugo fünf oder Jakob vier wäre ... Namen sind offenbar in bestimmten Zyklen beliebt, sind eine Zeit lang in, dann total out und kommen dann wieder. Die Zyklen scheinen sich über vier, fünf Generationen zu erstrecken, die Namen kommen dann wieder, wenn diejenigen, die sie zuletzt trugen, richtig alt geworden sind – zum Beispiel Selma oder Simon. Es scheint schwierig zu sein, kleinen Babys Namen zu geben, die man mit Menschen mittleren Alters verbindet – Gunilla oder Gunnar zum Beispiel. Ich finde Karl-Duncan schön, ein Cousin von mir heißt so. Und wie ist es mit August, französisch ausgesprochen, mit O – vielleicht ein bisschen snobistisch? Ich blättere im Namenkalender, um Ideen zu bekommen. Vincent ist hübsch, vielleicht ein wenig merkwürdig. Enok – auch komisch. Es ist eine Gratwanderung, einerseits seine Lust auszuleben, dem Kind einen besonderen und einzigartigen Namen zu geben, und andererseits geradezu zum Mobben einzuladen. H.s Mutter gefällt Adrian sehr gut, ich bin da nicht so sicher.
Aber vielleicht sollten wir nichts entscheiden, bevor wir gesehen haben, was für eine Person im Bauch ist. Man hat schon von Eltern gehört, die beschlossen hatten, dass ihr Sohn Lukas heißen soll, aber als er dann draußen war, sah er eher aus wie ein Kim.
Donnerstag
Heute war endlich der Termin für den Ultraschall. Also die erste offizielle Ultraschalluntersuchung, obwohl schon zwei gemacht wurden. H. und ich haben uns im Mütterzentrum getroffen, ich bin direkt von der Arbeit hingefahren. Außer uns waren noch eine hochschwangere Frau hinter einer Zeitung da (werde ich wohl am Ende auch so aussehen?) und ein Paar, sie saßen ganz eng nebeneinander in einer Ecke. Ich hatte versucht, Unmengen zu trinken, weil man laut Anweisung Druck auf der Blase haben sollte, um ein gutes Bild zu bekommen – die Blase drückt das Kind irgendwie nach oben und nach vorne. Aber obwohl ich in der U-Bahn einen halben Liter Limo getrunken hatte und auf der Toilette noch ein paar Becher Wasser, musste ich überhaupt nicht, und das machte mich nervös. Würde man am Ende nichts sehen? H. war aus anderen Gründen nervös. Er war tatsächlich richtig ängstlich. Letzte Nacht ist er spät nach Hause gekommen, hat mich geweckt und wieder vom kleinen Leich geredet – er hatte wirklich Angst. Ich war so unsensibel – und müde –, dass ich mich bloß zur Wand gedreht und weitergeschlafen habe. Ich weiß nicht, warum ich keine Angst um das Kind habe. Vielleicht ist das wieder der Fehlgeburtseffekt, die Angst ist verbrannt. Ich spüre vielleicht noch ein wenig Unruhe, aber nicht mehr diese schreckliche Angst. Eine sehr kluge Freundin hat mir neulich gesagt, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. «Kinder zu bekommen heißt, dass man immer, für den Rest seines Lebens, mehr oder weniger in Sorge lebt», erklärte sie. «Erst hat man Angst, nicht schwanger zu werden, dann vor einer Fehlgeburt, dann vor Missbildungen, dann vor der Geburt – und dann kannst du dir den Rest deines Lebens Sorgen machen wegen Bauchschmerzen, Ausschlägen, Kinderkrankheiten,
Fahrradunfällen, Mobbing, Schulnoten und so weiter. Und auch wenn das Kind zu einem gesunden Zwanzigjährigen heranwächst, kann er oder sie sich unglücklich verlieben oder anfangen zu trinken. Oder den Job verlieren, wenn er oder sie fünfunddreißig ist. Eltern sein heißt, sich Sorgen zu machen.» Merkwürdigerweise hat mich das wirklich beruhigt. Denn es hat keinen Sinn, Energie darauf zu verschwenden, sich Sorgen zu machen, ehe überhaupt etwas iert ist. Aber ich will nicht verhehlen, dass mein Herz heftiger schlug, als ich schließlich mit heruntergelassener Hose und hochgerolltem Pulli auf der Pritsche lag. Die Hebamme – eine andere als sonst – hatte mir bestimmt einen Liter kaltes Gleitmittel auf den Bauch gespritzt, sie verwendete das Gerät jetzt von außen. H. und ich starrten auf den Bildschirm. Wir hatten ja schon Ultraschallbilder gesehen, meinten also das Gesehene deuten zu können. Aber auf dem Bildschirm war kein Kind zu sehen, nur merkwürdige Schatten. Die Hebamme sagte kein Wort, sie glitt nur mit dem Ultraschallgerät in der Schmiere auf meinem Bauch hin und her, als ob sie etwas suchen würde, was es nicht gab. Schließlich konnte H. sich nicht mehr zurückhalten und brachte heraus: «Lebt es?» «Doch», sagte sie und zeigte auf einen gebogenen weißen Strich. Das war das Rückgrat. Und dann sahen wir die Konturen des ganzen Kindes, es war schon richtig groß und lag umgekehrt im Bauch. Sie meinte, es sähe alles gut aus. Dann maß sie den Schenkelknochen und sagte, das Kind käme zwei Tage später, als wir, ausgehend vom Eisprung, ausgerechnet hatten. Als ob sie mit ihrer Bildschirmmessung besser wüsste als wir, wann unser Baby gemacht worden war und wann es kommt. Wir sagten jedoch nichts, die ärztliche Kunst vertraut ja mehr ihren Zahlen und Tabellen als zwei Menschen, die ein Kind gemacht haben. Dann war alles fertig, und sie warf mir einen Berg Klopapier auf den Bauch. Ich versuchte das schmierige Zeug mit dem harten Papier abzuwischen, was nicht so gut klappte. Immer noch klebrig, zog ich den Pulli herunter und die Hosen hoch, und dann gingen wir. Zwei unscharfe Bilder hatten wir bekommen. Wir waren ziemlich enttäuscht. Es war überhaupt nicht so, wie wir es uns vorgestellt hatten. Wir hatten diese Szene oft in Büchern und Broschüren gesehen. Da lächelt die Hebamme und zeigt auf den Bildschirm – sehen Sie, hier
ist Ihr Kind, ist es nicht hübsch? Und H. und ich würden uns lachend an den Händen fassen und das Wunder begreifen, und die Hebamme müsste huldvoll aussehen. Aber es war überhaupt nicht so, der Raum war dunkel und voller Instrumente, die Hebamme war gestresst, müde und blasiert, wir waren nur ein Paar in der endlosen Schlange in ihrem Kalender, unser Kind war nur ein Fötus unter all den anderen, dessen Oberschenkelknochen vermessen werden musste. Aber für uns war es nicht ein Fötus unter vielen, sondern unser einziges, unser phantastisches und wunderbares werdendes Kind. Zwischen den mürrischen und gelangweilten Äußerungen der Hebamme hatten wir auf jeden Fall aufgeschnappt, dass es ihm gut ging und alles normal war, soweit man sehen konnte. Wir kauften auf dem Heimweg eine halbe Flasche Moët & Chandon und prosteten uns zu Hause zu. Ich trank ein Glas, H. bekam den Rest. Er war so froh. Als er sich nachts neben mich legte, flüsterte er mir ins Ohr: «Das Lis lebt.»
Freitag
Der Vortrag, an dem ich in den letzten Wochen gearbeitet hatte, lief gut. Es war wunderbar, hinterher in der klaren Herbstluft zum Bahnhof zu gehen. Ich fühle mich stark und gesund. Ich werde nie vergessen, wie wunderbar es ist, wenn einem nicht übel ist.
18. Woche
Jetzt geht eine wichtige Entwicklungsphase für das Gehirn des Fötus zu Ende. Der Knorpel im Becken lockert sich im Verlauf der Schwangerschaft, was Schmerzen verursachen kann.
Montag
Es geht alles seinen Gang, der Bauch wächst, und mit der Arbeit läuft es auch gut, weil es mir besser geht. Wir machen jede Woche ein Foto vom Bauch. Dienstags versuche ich ein paar Bahnen zu schwimmen, um bis zur Geburt fit zu bleiben. Alle vier Wochen gehe ich ins Mütterzentrum. Da werden der Bauch und der Blutdruck gemessen, was ziemlich sinnlos ist, solange sich alles im normalen Bereich bewegt. Sie hören auch die Herztöne des Kindes ab. Durch den Lautsprecher kann ich hören, wie es fest und regelmäßig in meinem Bauch pocht. Das verstehe ich irgendwie nicht. Zu Hause nehmen wir hin und wieder das Stethoskop aus der Nachttischschublade, aber bisher haben wir noch nichts hören können. Im Mütterzentrum wird man jetzt nicht mehr gewogen. Aber da eine Waage im Wartezimmer steht, kontrolliere ich doch, wie viel ich zunehme, weil das alle Frauen machen und sich miteinander vergleichen. «Ich habe 20 Kilo zugenommen, stell dir vor», oder: «Ich habe nur vier Kilo zugenommen, man hat es bei mir kaum gesehen.» Wenn ich mich an dieser Art von Diskussionen beteiligen will, muss ich das Gewicht kontrollieren. Es ist ein sehr ungewohntes Gefühl, sich auf eine Waage zu stellen und zu hoffen, dass sie mehr zeigt als beim letzten Mal! Heute habe ich siebenundsechzigeinhalb gewogen, aber ich habe jetzt auch schon einen ordentlichen Bauch.
Das Seehundstadium ist also gottlob vorbei. Die Kugel ist eine Befreiung. Viele Leute machen offen ihre Bemerkungen, und die meisten finden sie toll. Ich auch. Ein Schwangerschaftsbauch ist wirklich schön, irgendwie klassisch. Es ist ein ganz neues Gefühl, mit seinem Körper rundum zufrieden zu sein. Zum ersten Mal in meinem kurzen, erbarmungswürdigen Frauenleben bin ich richtig stolz auf mein Aussehen – eigentlich traurig, dass das erst jetzt iert. Die Veränderung war besonders spürbar, als ich Umstandskleider kaufen ging. Ich wollte eine Hose, ich hatte genug vom Gummiband am Hosenbund. Ich ging in die Umstandsabteilung eines Bekleidungsgeschäfts und nahm alle Hosen mit in die Umkleidekabine. Als ich einige anprobiert hatte, tat ich etwas, was ich noch nie getan hatte – ich ging hinaus und bat eine Verkäuferin um Hilfe, fragte, ob sie ten. Ich habe mich sogar vor der Verkäuferin gedreht und gefragt, ob sie über dem Po spannt! Ich, die fast nie Hosen kauft, weil ich finde, dass sie mir nie en, zeige einer gertenschlanken und geschminkten kleinen Verkäuferin meinen Po und frage, ob ich eine Nummer größer brauche! Und die Verkäuferin verzieht nicht ihren Mund, weil ich so furchtbar aussehe, sie lächelt übers ganze Gesicht und sagt: «Was für ein schöner Bauch!», und ich lächle stolz zurück. Ich bin immer noch froh – und stolz –, sitze in meinen neuen Umstandshosen auf dem Sofa und schreibe. Das mit dem Aussehen ist schon komisch, das Gefühl, nicht zu genügen, sitzt so tief. Und wie wunderbar es ist, wenn man ausnahmsweise mal das Gefühl hat, schön zu sein. Ich hoffe, ich kann dieses Gefühl auch nach der Schwangerschaft noch behalten. Aber man kann nicht einfach beschließen, mit seinem Aussehen zufrieden zu sein. Meine Zufriedenheit rührt ja nicht daher, dass ich irgendwelche tieferen Einsichten gewonnen hätte über die Vergänglichkeit der weltlichen Dinge und Unwichtigkeit des Aussehens, sondern daher, dass schwangere Frauen für schön gehalten werden. Man muss diese Atempause im ständigen Kampf gegen das Schönheitsideal einfach genießen. Und sei es nur, weil ich nach der Schwangerschaft Hängebrüste und einen Bauch haben werde.
19. Woche
Die Nägel des Fötus wachsen, die Anlagen für die Zähne werden gebildet. Die Gebärmutter der Schwangeren wiegt nun, inklusive Fötus, Mutterkuchen und Fruchtwasser, etwa ein Kilo. Sie nimmt selbst auch zu, um ihr eigenes Überleben und das des Kindes nach der Geburt zu sichern.
Donnerstag
Heute war ich mit Freunden in einem Restaurant in der Stadt essen, es war richtig nett. Ich wundere mich immer noch, dass ich mich daran gewöhnt habe, dass man auch ohne Alkohol Spaß haben kann. Es ist ja auch unglaublich viel billiger, wenn man nichts trinkt. Einerseits sind Wein und Schnaps viel teurer, andererseits trinkt man mehr. Wenn man nur Mineralwasser trinkt, dann überspringt man den Aperitif, und auch zum Hauptgang trinkt man nicht so viel. Während wir im Restaurant saßen, fielen draußen große weiße Schneeflocken. Als wir hinaustraten, kamen wir uns vor wie im Video zu «White Christmas» – wir tobten herum und bewarfen uns mit Schneebällen. Ein weiterer Vorteil des Nichttrinkens ist, dass wir das Auto nehmen können. So viele Freunde, wie Platz hatten, quetschten sich hinein, und dann rutschten wir auf schneeglatten Straßen durch die Stadt und setzten einen nach dem anderen ab. Schließlich fuhren wir durch die Nacht nach Hause und legten eine Kassette ein. Das war ein viel netterer Abschluss des Abends als der übliche Streit, ob wir uns ein Taxi leisten sollten oder nicht.
Samstag
Und wenn es doch noch zu einer Fehlgeburt kommt, obwohl wir seit der Blutung so sicher sind? Ich spüre nämlich noch keine Bewegungen. Gunilla, die nur eine Woche weiter ist als ich, spürt schon seit einigen Wochen Tritte. Aber sie ist nicht das erste Mal schwanger, sie weiß also, wie es sich anfühlt, wie ein Fischschwanz, der im Bauch schlägt, sagt sie. Aber da ich noch keinen lebendigen Fisch im Bauch hatte, hilft diese Beschreibung nicht viel weiter. Manchmal spüre ich etwas, das Tritte sein könnten. Aber wenn ich innehalte und konzentriert in meinen Körper hineinhorche, dann ist wieder nichts. Und im Moment habe ich so viele Punkte auf meiner Erledigungsliste, dass ich keine Zeit habe, länger zu lauschen. Gestern habe ich es sogar in meinen Tagesablauf eingeplant. Ich wollte abends im Bett ein Weilchen in mich hineinhorchen. Aber ich spürte keine Bewegungen, ich schlief sofort ein. Es wäre schön, ein Lebenszeichen zu spüren – wie soll ich sonst wissen, dass es lebt und dass alles in Ordnung ist?
20. Woche
Halbzeit! Der Fötus ist jetzt 27 Zentimeter lang und wiegt etwas über 250 Gramm. Bis zu dieser Woche wachsen ungefähr alle Föten gleich schnell, ab jetzt kann es Unterschiede in Größe und Gewicht geben. Alle Angaben sind deshalb Durchschnittswerte. Man kann mit einem normalen Stethoskop das Herz des Kindes schlagen hören. Bei weiblichen Föten bildet sich die Scheide, die Eierstöcke enthalten jetzt schon Eier. Die Hoden der männlichen Föten sind noch leer. Die werdende Mutter kann unter Eisenmangel leiden, was sich durch Müdigkeit und Schwindel bemerkbar macht. Sie muss in diesem Fall ein Eisenpräparat nehmen.
Samstag
Ich habe lange nichts mehr geschrieben ... vielleicht weil es jetzt so viel einfacher ist, mir ist nicht mehr übel, und ich bin nicht mehr so müde. Das Glück schweigt, wie man so sagt. Ich spüre zwar immer noch keine Tritte, aber der Bauch wächst, und wenn das Lis tot wäre, würde es wohl herauskommen, oder? Dass mir schwarz vor Augen wurde, das war natürlich Eisenmangel. Jetzt trinke ich morgens ein Tässchen ekligen Blutsaft und habe das Gefühl, jeden Tag stärker zu werden. Ich frage mich, wie Frauen das früher geschafft haben. Ohne Eisentabletten und mit einer einseitigen Ernährung, die in Schweden hauptsächlich aus Kartoffeln und Hering bestand. Ein Kind nach dem anderen ... Wenn es mir so geht, die ich mich vollwertig und abwechslungsreich ernähre
und ausreichend schlafe – wie haben sie das bloß überlebt? Viele haben doch während der Schwangerschaft sogar körperlich schwer gearbeitet. Ich begreife das nicht. Mein Bauch ist jetzt stabiler. Obwohl er wächst, dass man fast zuschauen kann, tut es nicht mehr so weh wie am Anfang. Manches hat sich gebessert, die Verstopfung allerdings nicht. Obwohl ich mich von Vollkornbrot, Weizenkleie und Obst ernähre. Ha! Gestern hatte ich ein paar Freunde zum Essen eingeladen, und wir sprachen überhaupt nicht über Schwangerschaft und solche Dinge, vielleicht weil niemand Kinder hatte. Natürlich hat es mir ein wenig gefehlt. Da saß ich mit meinem schönen Bauch, und niemand redete darüber. Ich meine, gibt es denn ein interessanteres Gesprächsthema? Da muss ich wieder an meine alten Tagebucheintragungen denken. Sie erscheinen noch einmal in einem neuen Licht. Ich verstehe jetzt nicht nur, warum Eltern immer über Windeln und Kinder reden, ich tue es auch aus vollem Herzen. Ich habe wirklich das Gefühl, dass es kein spannenderes und wichtigeres Gesprächsthema als Kinder gibt. Es hat einfach mit dem Leben zu tun. Genau wie über Männer und Sex kann man stundenlang darüber reden. Mein jüngeres Ich hatte sich geirrt.
Sonntag
Ich habe das Kind strampeln gespürt! Es hat gestrampelt! Ich habe es ganz deutlich gespürt, viel deutlicher als die Male zuvor, als ich mir nicht sicher war. Keine Blähung und kein Fischschwanz, sondern eine Serie von kleinen Tritten, kleinen Schritten gegen den Bauch rechts vom Nabel. Das Baby läuft da drinnen herum! Bitte nochmal, mach noch ein paar Schritte! Aber gleichzeitig bricht mir der Schweiß aus, und mein Herz rast. Jetzt wird mir klar, was ich gemacht habe, was wir gemacht haben, was geschehen wird. Jetzt erst begreife ich es, weil die Wahrheit in meinem Bauch herumspaziert und kein abstrakter blauer Strich auf einem Plastikstäbchen ist, kein weißer Fleck auf
einem Bildschirm oder eine Ausbuchtung des Bauches. Ein Baby. Wir haben ein Baby gemacht. Das bald herauskommen und bleiben wird. Das schreit und kackt und kotzt. Das nachts um drei Hunger hat, wenn ich nur schlafen will. Und woher wissen wir, ob wir das Kind mögen werden? Woher wissen wir, ob seine Persönlichkeit zu unserer t? Wo nehmen wir den Mut her, ein Kind zu bekommen? In welcher anderen Situation nimmt man es freiwillig auf sich, einen wildfremden Menschen zu sich nach Hause einzuladen, einen Gast, der nicht nur zum Essen bleibt, sondern fürs ganze Leben? Der nie wieder geht. Einzieht, irgendwann ein eigenes Zimmer will und Taschengeld und ein Moped. Dumme Kuh schreit und mit den Türen schlägt. Du lieber Gott, vielleicht will ich gar keine Kinder! Und das wird mir erst klar, wo ich wirklich verstanden habe, dass ich eins bekommen werde. Und gleichzeitig sitze ich im Sessel, habe die Hände auf dem Bauch und will es strampeln spüren. Ich bin nämlich unbeschreiblich glücklich. Und auch ängstlich. Alles zusammen. Aber das ist wohl so, wenn einem das Natürlichste und zugleich Wunderbarste widerfährt, das es gibt.
21. Woche
Der Fötus wächst jetzt langsamer. Er schluckt Fruchtwasser und trainiert so sein Verdauungssystem. Viele werdende Mütter bekommen geschwollene Beine, da ist es wohltuend, die Beine hochzulegen oder einen Spaziergang zu machen. Manche haben hin und wieder Nasen- oder Zahnfleischbluten.
Mittwoch
Die Angst ist nicht weg, im Gegenteil. Mein Gott, sind Babys uninteressant! Und so was werden wir auch bald haben? So ein kleines, fades Bündel, bei dessen Anblick man sich schon zu Tode langweilt? Gestern waren wir bei einem Freund zum Essen eingeladen. Er und seine Frau haben drei Kinder, ein paar Monate alte Zwillinge und ein siebenjähriges. Es wurde also wieder eine ganze Menge über Schwangerschaften und Geburten geredet (Hilfe, das scheint eine ziemlich schmierige Angelegenheit zu sein!), ich durfte meinen Bauch vorzeigen, alle haben ihn bewundert. Aber die Babys! Klar, sie sind schon süß, okay, fünf Minuten hält man sie aus – aber den ganzen Tag, die ganze Nacht, die ganze Woche, viele Monate? Nein, danke! Sie liegen ja bloß da, kleine Fleischpäckchen, eins wie das andere. Sagen nichts, tun nichts, außer ein bisschen die Extremitäten zu spreizen, schreien und machen die Windeln voll... Und das soll interessant sein? Weggeben kann man sie auch nicht, weil man sie ständig stillen muss, nicht mal einen Spaziergang kann man ohne sie machen.
Über diese Gefühle wage ich mit niemandem zu sprechen. Alle würden denken, ich bin geistesgestört. Denn ich will doch ein Kind? Ja, natürlich will ich, aber manchmal frage ich mich, warum. Ich habe nichts gegen Kinder, ich finde nur, das Ganze wird ein bisschen hochgespielt. Man muss den ganzen Tag mit der Sonne um die Wette strahlen, nur weil man schwanger ist, und ständig sagen, wie sehr man alle Kinder liebt. Man kauft sich einen Chrysler Voyager und zieht nach Babyland. Aber ich fühle mich nicht so. Für mich ist ein Kind eine Art Fortsetzung des Lebens, das ich, auch wenn es streckenweise anstrengend ist, nicht missen will. Früher war ich Kind, bin herumgerannt und habe gebadet und gespielt, jetzt bin ich groß, und da will ich eigene Kinder, die herumrennen, baden und spielen. Damit das Leben weitergeht. Und nicht zuletzt, damit ich weiß, das Leben geht weiter, wenn ich alt bin und sterbe. Aber deswegen finde ich doch nicht alle Kinder immer und überall wunderbar. Ich fühlte mich schrecklich, wie ich da mit meinem großen Bauch beim Essen saß und solche Gedanken hatte – als ob ich nicht dazu taugen würde, Mutter zu werden. Armes kleines Lis, was hast du für eine wirre Mutter! Aber bestimmt wirst du, kleines Lis, im Unterschied zu allen anderen Babys richtig nett, schön und klug, und ich werde nie das Gefühl haben, dass es uninteressant ist, mit dir zusammen zu sein!
Freitag
Ich möchte schon eine ganze Weile wieder Sex haben, habe jedoch nicht gewagt, die Initiative zu ergreifen. Ich geniere mich nicht nur wegen des Bauches, mein ganzer Unterleib ist verändert. Alles sieht, ja, wie soll ich das erklären, irgendwie größer aus, und ich weiß nicht, ob ich stolz darauf sein oder mich schämen soll. Wie dem auch sei, es macht mich auch empfindlicher, ich bin schneller erregt. Ich beschloss also, mich über die Scham hinwegzusetzen und H. zu fragen, ob er will. Aber H. will nicht! Er sagte, er hätte Angst um das Baby. Einer Bekannten von
ihm, die fast eine Fehlgeburt gehabt hätte, hatte man empfohlen, auf Sex zu verzichten, weil ein Orgasmus die Gebärmutter zusammenzieht wie eine Wehe. So schlimm kann es nicht sein, da bin ich sicher. Man kann das mit dem Sex ja auch selbst in die Hand nehmen, und da ist nichts iert. Aber H. findet vielleicht wirklich, dass ich furchtbar aussehe, und es ist nur eine Ausrede. Und da will man ja nicht insistieren.
Sonntag
Anstrengende Nacht. Ich bin mit einem Krampf in der Seite aufgewacht. Konnte weder auf der linken Seite noch auf dem Rücken liegen. Rechts ging es einigermaßen, aber nur, wenn ich das linke Bein über das rechte legte. Schlafen konnte ich jedenfalls nicht. Als ich aufs Klo ging, merkte ich, dass es im Stehen besser war. Also bin ich bestimmt eine Stunde im Wohnzimmer herumgestanden. Wird das so weitergehen? Ich habe noch achtzehn Wochen vor mir!
22. Woche
Die Lungen des Fötus entwickeln sich. Der werdenden Mutter geht es jetzt meistens ganz gut – die Übelkeit ist vorbei, der Bauch ist eine nette Kugel, aber noch nicht so groß, dass er hinderlich wäre. Wenn der Fötus Schluckauf hat, spürt sie die Zuckungen im Bauch.
Dienstag
Gestern wollte H. die Initiative zum Sex ergreifen. Weil ich mir ein bisschen unsicher über mein Aussehen bin, sagte ich, dass ich mich wie ein Elefant fühle. Aber statt zu sagen, ich sähe wunderbar aus, was ich ja hören wollte, sagte er nichts und zog sich auf seine Bettseite zurück, um zu schlafen. H. war sehr verletzt, ich konnte es nur so deuten, dass ich wirklich wie ein Elefant aussehe. Heute Morgen sagte H., so habe er es nicht gemeint, er wolle mich nur nicht stressen, wenn ich nicht wollte. So kann es gehen.
Donnerstag
Bin heute Nacht um fünf Uhr aufgewacht und konnte nicht mehr einschlafen. Wieder ein Krampf in der Seite, aber nicht schlimm – was das wohl ist? Dann lag ich einfach wach. Das ist schon öfter vorgekommen, seit ich schwanger bin, ich lag da und starrte ins Dunkel.
Ich dachte an meine Arbeit und meine Planungen, und nach einer Weile geriet ich fast in Panik, als mir klar wurde, wie wenig Zeit ich noch hatte. Vier Monate tatsächliche Arbeitszeit, ich musste Weihnachten abziehen. Da muss ich mich wirklich dranhalten, wenn ich alles schaffen will. Wenn nur das Kind nicht zu früh kommt, sonst schaffe ich es nicht. Und was dann? Ob man wohl auch nach der Geburt zum Arbeiten kommt, wenn es schläft? Ich habe jetzt nicht mehr solche Angst, ein Kind zu bekommen. Diese Woche habe ich Lotta zu Hause besucht. Sie und ihr Freund sind in eine etwas größere Wohnung gezogen, sehr schön. Aber eigentlich bin ich hingegangen, um ihr Kind anzuschauen. Iris ist fast vier Monate alt und entzückend – sie sieht aus wie eine kleine Blume! Nachdem wir in der Küche Kaffee getrunken hatten – Lotta hatte sogar einen Kuchen gebacken –, beschlossen wir, dass sie mich mit dem Kinderwagen zur U-Bahn begleitet. Iris musste angezogen werden, eine gelbe Jacke und lange Hosen, kleine Söckchen und eine Mütze. Und da freute ich mich doch auf mein eigenes Baby. Das An- und Ausziehen macht solchen Spaß, wie als Kind mit den Puppen. Baden, füttern, Windeln wechseln. Und diese Puppe ist eine Luxusausgabe, die essen und Pipi machen kann und sogar lachen! Vielleicht wünsche ich mir wegen des An- und Ausziehens und obwohl ich weiß, dass es einem egal sein sollte, doch eher ein Mädchen. Ich werde richtig rot, während ich das hinschreibe, und das kleine Baby in meinem Bauch schaut vielleicht enttäuscht auf sein Pimmelchen und fragt sich, wie es wohl werden wird, aber ich habe nun mal so ein Gefühl. Ich weiß, dass Geschlecht eine soziale Konstruktion ist. Aber ich habe es wohl verinnerlicht und kann meine sozial konstruierten Gefühle nicht verdrängen. Trotzdem ist es schon ziemlich verantwortungslos, wenn man sich nach einem Kind sehnt, nur um ihm hübsche Kleider anziehen zu können. Hoffentlich wird die Mutterliebe im Lauf der Zeit noch etwas tiefer.
Freitag
Ich habe schon wieder Tipps bekommen, wie man das Geschlecht des Babys
voraussagen kann. Danach hängt es davon ab, wie oft man Sex hatte. Schläft man häufig miteinander, wird es eher ein Junge und seltener ein Mädchen. Das hat etwas mit den Spermien zu tun, die weiblichen Spermien überleben länger, und wenn man also seltener Sex hat, sind die männlichen Spermien schon abgestorben oder so ungefähr. Als ich das zwei Kolleginnen erzählte – die eine hatte ein Mädchen, die andere einen Jungen –, lachten beide und sagten, bei ihnen träfe das nicht zu. Oder war es umgekehrt, dass man für ein Mädchen oft Sex haben muss und seltener für einen Jungen? Oder ist der Tipp genauso wertlos wie der mit der Übelkeit?
23. Woche
Die werdende Mutter muss jetzt oft auf die Toilette. Das kommt daher, dass die Blase oberhalb der Gebärmutter hinter dem Schambein eingeklemmt liegt.
Montag
Mütterzentrum. Jetzt bin ich der große Bauch im Wartezimmer. Vor nicht allzu langer Zeit saß ich da und bewunderte die großen Bäuche, jetzt sitze ich hier und sehe aus wie aufgeblasen! Merkwürdigerweise fühlt es sich überhaupt nicht so an, wie ich es beim Anblick der anderen vermutet hatte. Eine schwangere Frau sieht irgendwie selbstzufrieden, ruhig und mütterlich aus. Als ob sie alles im Griff hätte. Als ob sie etwas wüsste, was andere nicht wissen. Jetzt habe ich einen dicken Bauch und kapiere nichts. Im Grunde bin ich immer noch die gleiche unsichere Person, bloß in eine wachsende Fleischhülle eingeschlossen. Das stimmt nicht ganz. Ein bisschen mehr weiß ich. Das habe ich spätestens letzte Woche gemerkt, als eine Freundin mir erzählte, sie sei in der siebten Woche. Sie fragte mich aus, und es war wunderbar, endlich die Expertin zu sein statt immer nur diejenige, die fragt! Ich konnte sie beruhigen, das mit der Übelkeit würde irgendwann aufhören, das Spannen käme von den Bändern, und ich konnte ihr ganz genau erzählen, wie es beim ersten Besuch im Mütterzentrum und bei der Hebamme zugehen würde. Auch wenn ich nicht immer das Gefühl habe, die Schwangerschaft und die kommende Elternschaft und das Leben überhaupt im Griff zu haben, empfinde ich dadurch, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, eine gewisse Ruhe. Das Leben hat ausnahmsweise eine eindeutige und unabänderliche Richtung bekommen, und ich kann eigentlich nur auf das Ergebnis warten.
Die Hebamme hat den Bauch gemessen, alles normal. Ich sprach sie auf das Thema Sex an und fragte, ob es wirklich gefährlich sei. Leider bekam ich keine vernünftige Antwort. «Lassen Sie es sein, wenn es unangenehm ist», sagte sie nur. Warum ich Sex haben sollte, wenn es unangenehm ist, verstehe ich nicht. Oder sprach sie von H.s Unbehagen? Sie schien auf einer ganz anderen Wellenlänge zu sein, und ich genierte mich, nach Orgasmen zu fragen. Also ließ ich es auf sich beruhen. Und es ist auch egal, wir schlafen sowieso nicht miteinander. H. hat zugegeben, dass er den Bauch ein bisschen merkwürdig findet. Es gibt ja Männer, die von großen Bäuchen erregt werden. In der Stadt traf ich einen ehemaligen Studienkollegen, er kam direkt auf mich zu, legte die Hände auf meinen Bauch und sagte: «Schwangere Bäuche sind wirklich sexy.» Ich wurde richtig verlegen. Natürlich gefällt es mir, wenn jemand, im Gegensatz zu meinem Mann, mich in meinem derzeitigen Zustand sexy findet, aber ich empfand seine Hände auf meinem Bauch doch als ziemlich intim...
Samstag
Die Schwangerschaft verursacht Verstopfung. Die Eisenpräparate verursachen Verstopfung. Als ob es in meinem Bauch nicht schon eng genug wäre! Wo andere Ballaststoffe nichts nützen, helfen Trockenpflaumen ein wenig. Ich habe eine ganze Schale neben dem Bett stehen und esse so viele, wie ich kann.
24. Woche
Der Fötus ist etwa 34 Zentimeter groß und wiegt 600–700 Gramm. Das Gehirn erreicht ein neues Entwicklungsstadium, und die Gleichgewichtsorgane sind so weit ausgebildet, dass der Fötus weiß, wo oben und unten ist. Die werdende Mutter hat jetzt mindestens 5 Kilo zugenommen, der wachsende Bauch kann ziehen und schmerzen.
Montag
Ich denke viel darüber nach, wie das Kind mein Leben verändern wird. Wenn ich morgens aufwache, stelle ich mir vor, wie das sein wird, wenn das Baby die ganze Nacht geschrien hat. Wenn ich dusche, überlege ich, was ich wohl so lange mit dem Baby mache. Wenn ich durch die Stadt gehe, überlege ich, wie ich all die Türen und Treppen mit einem sperrigen Kinderwagen bewältigen soll. Wenn H. und ich ins Kino gehen, denke ich, das werden wir nur machen können, wenn wir zuvor einen Babysitter organisiert haben. Viele Dinge werden zweifellos viel komplizierter. Der Faulpelz in mir rebelliert.
Mittwoch
Der Bauch wächst wieder ein Stückchen. Heute Nacht war er schwer wie ein Stein, und ich habe die halbe Nacht damit verbracht, ihn an Ort und Stelle zu halten.
Am Wochenende waren wir bei meiner Mutter zu einem kleinen Sonntagsessen eingeladen. Sie hatte wie immer etwas Gutes gekocht, Hühnchen in einer würzigen Soße und einen Salat mit Tomaten und Walnüssen. Bei solchen Gelegenheiten vermisse ich schon den Wein. Vor allem, weil sie immer in der Küche ein Glas Kochwein – wie sie es nennt – einschenkt, während sie die letzten Handgriffe erledigt. Ich bekam Mineralwasser mit Zitrone. Ich habe neulich geschrieben, dass ich ein Mädchen möchte. Aber das ist ein egoistischer Wunsch, den ich zurücknehmen sollte, wenn ich es gut mit meinem Kind meine. Wenn ich will, dass mein Kind nicht übersehen wird, nicht in ein unmögliches Schönheitsideal gepresst, sondern nach seinen Fähigkeiten beurteilt wird, dann sollte ich mir einen Jungen wünschen. Als ich das vorige Mal zu Hause bei meiner Mutter war, hatte ich auf ihrem neuen Videorecorder das Datum und die Uhrzeit richtig eingestellt. Und was iert? Genau, beim Essen wendet sie sich an H. und dankt ihm, dass er das letzte Mal den Videorecorder in Ordnung gebracht hat. Es sei so schön, beim Fernsehen zu wissen, wie spät es ist. Was soll man dazu sagen? Wenn nicht nur die Gesellschaft die Kompetenz von Frauen übersieht, sondern sogar die eigene Mutter sich falsch erinnert, spätestens dann kapiert man, dass die alten Vorstellungen sehr tief sitzen. Es nützt nichts, dass man als Frau all das lernt, was die Männer können, am Ende bekommen doch die Männer den Applaus. Also lasst mich bitte einen Sohn bekommen. Es ist wirklich frustrierend, ein Kind zu erwarten. Man muss nicht nur ein strampelndes kleines Etwas in seinem Bauch beherbergen, plötzlich fällt einem auch noch die ganze Gesellschaft auf den Kopf.
25. Woche
Der Fötus kann die Augen öffnen und schließen. Der werdende Vater kann am Couvade-Syndrom leiden – d. h., bei ihm treten ähnliche Symptome auf wie bei der Schwangeren, zum Beispiel Gewichtszunahme oder Übelkeit.
Montag
Jetzt werde ich bald richtig wütend. H. will seinen Elternurlaub verlegen, damit er besser zu seinem Stundenplan in der Schule t. Ich kann am Zeitpunkt meines Elternurlaubs nichts ändern, weil ich keinen Einfluss darauf habe, wann das Kind geboren wird. Ich muss mich anen. H. hingegen muss sich überhaupt nicht anen. Er nimmt den Elternurlaub, wann es ihm t, seinem Stundenplan und seinem Chef. Und ich muss mich dann auch noch ihm anen.
Freitag
Ich bin allein ins Sommerhaus nach Värmdö gefahren. Ich will über Nacht hier bleiben. Ich muss ein bisschen allein sein und nur lesen und nachdenken. Tante Harriet war auch hier draußen und hat mich zum Abendessen in ihr Häuschen eingeladen. Wir haben in ihrer hübschen neuen Küche gesessen.
Zuerst gab es Hering, dann Rinderfilet mit Knoblauchbutter und Bratkartoffeln und zum Nachtisch Obstsalat. Wunderbar. Das Feuer prasselte im Ofen, der Wind pfiff um die Ecken, und wir redeten über alles Mögliche, und obwohl sie meine Tante ist, hatte ich fast das Gefühl, jetzt groß zu sein. Sie hat drei Kinder, und beim Kaffee fragte ich sie, wie es bei der Geburt war. Ich habe angefangen, darüber nachzudenken. «Es tut weh», sagte sie, «aber die Periduralbetäubung hat geholfen, ich habe danach nicht mehr mit den Beinen gezittert.» Mir kam das mit dem Kinderkriegen unwirklich vor. Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, dass Harriet drei Geburten hinter sich hat. Sie sieht so fröhlich aus. Nach dem Essen habe ich mich mit dem Rücken am Kachelofen gewärmt, während wir eine Fernsehserie über Kreuger anschauten. Aber ich war müde und bin bald nach Hause in meine Hütte gegangen. Harriet begleitete mich bis zur Birke, dann ging ich mit der Taschenlampe allein weiter. In der Hütte schob ich das Sofa vor den Kachelofen und machte alle Lampen und Kerzen an. Dann richtete ich mein Bett und las noch lange, löschte die Lichter und schlief ein. Mitten in der Nacht bin ich wie so oft aufgewacht. Aber jetzt war es stockdunkel und ein bisschen unheimlich. Wenn nun etwas ieren würde, das Fruchtwasser abginge und das Baby viel zu früh käme? Würde es gelingen, durch den Wald rechtzeitig Hilfe herbeizuschaffen? Würden sie mit einer Trage den steinigen Waldweg entlanglaufen oder einen Hubschrauber schicken? Aber es ierte nichts, nach einer Weile bin ich wieder eingeschlafen und erwachte erst am Morgen. Der Kachelofen war ausgegangen, und es war kalt. Ich machte auf einem Benzinkocher Teewasser heiß und aß ein mitgebrachtes Brot, dann packte ich zusammen und fuhr nach Hause. Die dünne Schneeschicht glitzerte. Ich war glücklich. Es war für lange Zeit das letzte Mal, dass ich so etwas unternehmen konnte.
Samstag
Heute habe ich zusammen mit ein paar Freundinnen in unserer kleinen Wohnung
Kerzen gezogen. Wir hatten einen Riesentopf mit Stearin auf einer Kochplatte auf dem Boden stehen, zum Trocknen hängten wir die Kerzen über meine Langlaufskier. Die Katzen hatten ihren Spaß an den baumelnden Dingern. Eine Freundin hatte ihr kleines Baby dabei, sie saß auf dem Sofa und stillte, ich ging mit meinem Bauch herum. Es war schön, wir kamen uns vor wie ein lebendes Carl-Larsson-Gemälde.
26. Woche
Der Fötus nimmt jetzt Geräusche außerhalb des Mutterleibes wahr. Viele Frauen haben Probleme mit Aufstoßen und Sodbrennen, dagegen kann helfen, den Kopf beim Schlafen hochzulegen oder Milch zu trinken.
Dienstag
Die Befürchtungen, die sich ganz allmählich in mein Bewusstsein geschlichen hatten, haben sich heute wie kalte Spaghetti auf mich gelegt. Wie soll ich zustande bringen, was fast keine Frau vor mir geschafft hat? Was lässt mich glauben, dass ich es besser kann als alle anderen? Alle anderen nehmen den ganzen Elternurlaub und gehen auf eine Dreiviertelstelle und sagen: Das Kind ist das Wichtigste, und da mein Mann mehr verdient, können wir es uns nicht leisten, dass ... Natürlich werden H. und ich auch da landen. Mit jeder Woche verwandelt sich mein stolzes Neutrum langsam, aber sicher in ein hilfloses Femininum. H. hat eine neue Stelle angeboten bekommen. Sie scheint ganz toll zu sein, viel besser als seine derzeitige. H. möchte sie sehr gern annehmen. Aber es ist eine anstrengende Arbeit und erfordert zeitweise viele Überstunden. Und H. weiß nicht, was sie von Männern halten, die erst einmal in den Elternurlaub gehen, wenn sie eine neue Stelle angetreten haben. Sieh mal an, so leicht ist die Schlacht verloren.
Mittwoch
Riesenkrach mit H. Ich bin einfach ausgerastet. Warum tangiert ihn die Tatsache, dass wir ein Kind bekommen, überhaupt nicht? Warum wird sein Körper nicht aufs äußerste gefordert? Warum zerplatzen nicht seine sämtlichen Prinzipien? Warum muss er nicht sein Leben ganz neu bewerten? Nein, er lebt weiter wie bisher, er bekommt sogar Angebote für bessere Jobs, während auf meinem Bauch seit einem halben Jahr eine rote Warnlampe für alle Arbeitgeber leuchtet. H. war total überrascht, als ich zusammenbrach. Er war vollauf mit diesem neuen Job beschäftigt, ohne einen Gedanken daran, welchen Einfluss seine Entscheidung auf mich haben würde. Nein, genau das ist es! Er lebt weiter wie bisher, während mein ganzes Leben an dem kleinen Kind hängt, das in meinem Bauch ausgebrütet wird! Er bekommt ein Kind, ich bekomme ein Kind, aber ich habe die ganze Arbeit gemacht! Schließlich konnte ich keine gute Miene mehr machen, ich brach zusammen und sagte ihm, ja, vielleicht brüllte ich auch, wie ich das alles fand. Dass ich Angst hätte, alles zu verlieren. Dass ich mich kennte und wisse, dass ich das auf Dauer nicht akzeptieren könnte. Wie ich mich selbst, ihn und vielleicht sogar das Baby hassen würde, wenn ich zu sehr in die Falle tappte. Erst wurde H. sauer, richtig sauer. Er wollte nicht angeklagt werden, ehe er überhaupt etwas gemacht hatte. Aber ich fand, er hatte bereits etwas getan bzw. unterlassen, etwas zu tun. In der Theorie war er immer auf meiner Seite gewesen, aber in der Praxis muss ich mich wehren, zanken, kämpfen. Er gab zu, dass er es manchmal ziemlich anstrengend fand, wenn ich in einer Art feministischem Wahn meinte, alles um 180 Grad wenden zu müssen. Alles anders machen zu wollen. Ihn zur Frau und mich zum Mann. Wozu das gut sein solle, wollte er wissen. Ich sagte, ich sähe schon einen Sinn darin, zu zeigen, dass man es anders machen kann, ohne dabei die Liebe sterben zu lassen. Und dass der Zustand der Gleichheit schneller erreicht wird, wenn man tüchtig in die andere Richtung zieht. Es hat gut getan, miteinander zu reden. Auch wenn wir zu keinem Ergebnis
gekommen sind. Es ist, wie es ist. Ich habe immer noch den Bauch und er ein sehr verlockendes Jobangebot. Aber jetzt weiß er wenigstens, wie mir zumute ist. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir versuchen wollen, es so gut wie möglich zu machen und uns wenigstens vor den ganz großen Fallen in Acht zu nehmen. Schließlich wollen wir zusammenbleiben und uns lieben. Ich muss in Zukunft gleich sagen, wenn mir etwas nicht t, denn ganz gleich, was wir wollen, ich bin unmittelbar betroffen. Als der Sturm sich gelegt und wir uns versöhnt und so weit geeinigt hatten, gingen wir erschöpft eine Pizza kaufen und einen schlechten Film ausleihen. Streiten und Schimpfen macht schrecklich müde.
Donnerstag
Ich habe darüber nachgedacht, was es bedeutet, eine Frau zu sein und Kinder zu bekommen. Dass das in unserer Gesellschaft als Problem angesehen wird. Weil man nicht arbeiten kann und vielleicht schneller müde wird und keine so effektive Produktionseinheit mehr ist. Irgendwie ist das ungerecht, denn würden wir keine Kinder bekommen, würde die Gesellschaft zusammenbrechen und niemand mehr das Geld für die Renten von morgen verdienen. Außerdem bin ich überzeugt, dass Frauen, die zu Hause bei ihren Kindern waren, gelernt haben, effektiver zu arbeiten, sowohl zu Hause als auch am Arbeitsplatz. Frauen mit Kindern sind ihrem Arbeitgeber auch treuer. Aber trotzdem werden Frauen dafür bestraft, dass sie Kinder bekommen, mit schlechteren Karriereaussichten und schlechteren Löhnen, ganz zu schweigen davon, dass sie ihre Körper strapazieren. Ich finde, alle Frauen, die Kinder bekommen, sollten dafür bezahlt werden. Eigentlich merkwürdig, dass sie dafür nicht von der Gesellschaft belohnt werden. Sozial bekommt man ja viel Zuwendung und vielleicht auch Status, aber von der Gesellschaft bekommt man nichts, obwohl man als Schwangere unglaublich viel leistet. Aber warum geht es immer nur ums Geld? Man sollte doch meinen, dass das Kind der Lohn für die Mühe ist und ganz bestimmt jede Übelkeit und jede
Verstopfung wert. Darum geht es hier jedoch nicht. Nur weil eine Arbeit Spaß macht und an sich schon eine Belohnung ist, muss man doch auch nicht umsonst arbeiten. Meistens sind sogar die spannendsten Jobs am besten bezahlt. Aber sind Kinder nicht eine Privatangelegenheit? Ja, allerdings auch eine öffentliche. Unsere Gesellschaft braucht Kinder, um Nachwuchs an Arbeitskraft zu schaffen und eine Balance zu den Rentnern herzustellen. Jedes Kind, das geboren wird, erhöht das Bruttosozialprodukt, und dafür könnte die Gesellschaft die Frauen bezahlen. Aber wie immer arbeiten wir Frauen umsonst. Ich meine nicht den Elternurlaub! Der ist Bezahlung für die Elternschaft, nach der Geburt, und den können beide Eltern bekommen. Nein, die Frau soll bezahlt werden für ihre körperliche Anstrengung, für den Verschleiß, den sie ihrem Körper zumutet, und die Verantwortung, die eine Schwangerschaft bedeutet. In der Praxis müsste die Frau für jede Schwangerschaft – die bis zu einer bestimmten Woche gekommen ist – eine einmalige Summe bekommen. Damit sie sich nicht nur vom Kinderkriegen ernährt, müsste dieser Betrag, genau wie das Geld im Elternurlaub, an das Einkommen gekoppelt sein. Außerdem sollte es nur für zwei Kinder gelten. Ich finde, das ist ein prima Vorschlag. Wenn ich erst mal Staatsministerin bin, werde ich ihn durchsetzen.
27. Woche
Von jetzt an nennt man den Fötus Baby, weil er allein zurechtkäme, wenn er geboren würde. Das Baby kann die Augen öffnen und schließen und erkennt die Stimmen seiner Eltern. Es schläft und wacht zu bestimmen Tageszeiten. In dieser Phase der Schwangerschaft träumen viele Frauen von der Geburt. Beschwerden können Druck auf die Lungen und Blähungen sein. Außerdem zeigen sich häufig rötliche Streifen auf dem Bauch, die von der Dehnung des Unterhautfettgewebes herrühren.
Montag
Jetzt könnte das Lis überleben, wenn die Geburt zu früh einsetzen sollte. Das ist beruhigend.
Freitag
Weihnachten zu Hause bei meiner Mutter. Hering, Aal, Donald Duck und Päckchen. Ich finde es völlig in Ordnung, mit meinem dicken Bauch Weihnachten zu feiern, ich hatte mich hübsch gemacht, rotes Samtoberteil und langer Rock. Aber ich glaube, wenn das Lis geboren ist, macht es noch mehr Spaß. Weihnachten ist das Fest für Kinder, ohne Kinder ist es irgendwie nicht dasselbe. Seit meine Geschwister und ich erwachsen sind, ist Weihnachten wie jedes Familienfest, nur mit Päckchen. Wir hatten keinen Weihnachtsmann und
keinen Baum, es kommt einem irgendwie unnötig vor, wenn es keine Kinder gibt, die mit den Kerzen um die Wette glitzern können. Die Päckchen lagen unter einer Topfpflanze mit Glitter auf den Blättern. Wenn Lis erst mal da ist, können wir wieder richtig Weihnachten feiern. Ganz bestimmt mit einem Weihnachtsbaum, und vielleicht kommt dann auch wieder der Weihnachtsmann. Diese aufgeregte Spannung, die nur Kinder beim Warten auf den Weihnachtsmann spüren, fehlt mir ein bisschen.
Sonntag
Am zweiten Weihnachtstag waren wir bei meinem Vater. Er hatte einen Baum. Die Mutter der Freundin meines Bruders war auch da, von ihr bekamen wir eine ganze Kiste mit Babysachen, die sie beim Aufräumen ihrer Schränke gefunden hatte. Alles, von den allerkleinsten Babykleidern in Größe 50 bis zu Winteroveralls und Kindersportsachen. Und ein paar Latzhosen, die konnte ich gut gebrauchen, meine Umstandshosen waren am Reißverschluss kaputtgegangen. Eins ist vielleicht nicht so nett, wenn man mit Kindern Weihnachten feiert. Nur sie bekommen Geschenke. Die meisten Geschenke für mich waren eigentlich für das Kind. Man wird sich daran gewöhnen müssen, nicht mehr die Nummer eins zu sein, genau wie H.s Vater gesagt hat.
28. Woche
Jetzt wird das Baby auch offiziell Kind genannt, es ist etwa 39 Zentimeter groß und wiegt über ein Kilo. Zwar ist es jetzt schon ziemlich eng im Bauch, aber es kann sich immer noch drehen, und manchmal kann man das sogar von außen sehen. Die werdende Mutter wird jetzt ziemlich schwer, sie hat oft etwa zehn Kilo zugenommen. Es kommt häufig vor, dass einige Tropfen Vormilch aus den Brustdrüsen abgesondert werden.
Dienstag
Bevor ich schwanger wurde, habe ich mich gefragt, wie es werdende Mütter schaffen, nicht in eine totale Psychose zu fallen. Ich dachte, dass es einem nicht anders ergehen kann, wenn man etwas im Bauch hat, das ständig wächst und größer wird und eines Tages, wenn es unglaublich groß und schwer ist, durch eine sehr kleine und sehr private Körperöffnung herauskommen will. Dieser Gedanke hat mich, seit ich selbst schwanger bin, merkwürdigerweise überhaupt nicht beunruhigt, es scheint da eine Art Schutzmechanismus zu geben. Noch habe ich keine Panik, aber ich habe angefangen, ein bisschen zu lesen, um mich mit dem Thema Geburt vertraut zu machen. Ich habe gelesen, dass die ideale Stellung bei der Geburt die Hocke ist, deshalb übe ich jeden Tag eine Viertelstunde. Mir wird ganz kribbelig in den Beinen, wenn ich das länger als fünf Minuten mache, und so schnell bringt man kein Kind zur Welt. Als ich gestern Abend in der Badewanne üben wollte, versuchte ich mir vorzustellen, dass ich in weniger als drei Monaten so in einem Krankenhaus
hocken und ein Kind gebären würde. Das war schon sehr merkwürdig! Es war fast wie ein Schock, obwohl mir doch der Gedanke nicht fremd sein sollte, ich hatte schließlich schon zwanzig Wochen Zeit gehabt, mich daran zu gewöhnen. Als hätte ich immer noch nicht begriffen, dass ich ein Kind bekomme, sondern wäre vollauf damit beschäftigt, schwanger zu sein. Wie soll ich, die ich noch kein Kind geboren habe, es schaffen, ein Baby aus dem Unterleib zu pressen? Und wenn ich noch so viel lese und mich vorbereite, wie soll ich das schaffen, es ist so völlig anders als alles, was ich bisher getan habe. Woher soll ich wissen, wie man sich benimmt? Und noch dazu in einem Krankenhaus mit lauter unbekannten, gestressten und vielleicht sogar unfreundlichen Menschen, die keine Zeit für Gedöns haben, die das jeden Tag sehen und deren Schicht in einer Viertelstunde zu Ende ist. Ich überlege immer wieder, ob H. nicht lieber draußen bleiben sollte. Ich sehe die Bilder in den Büchern und wundere mich, dass die Frauen auf den Bildern eingewilligt haben, so fotografiert zu werden. Was denken deren Männer? Ich weiß, das ist oberflächlich und blöd, aber ich frage mich doch, wie ich mich aufs Gebären konzentrieren soll, wenn ich vor meinem Mann aussehe wie eine große Kuh? Wie soll man sich da trauen, richtig zu gebären? Ich habe wirklich Angst, dass ich mich so sehr geniere, dass ich mich weigern werde, irgendetwas zu tun, mich nur hinlege und einen Kaiserschnitt verlange. Aber dann ist man ja eine Versagermutter. Eine richtige Mutter gebärt in der Hocke und nimmt das Kind selbst entgegen.
29. Woche
Jungen wiegen oft mehr als Mädchen, und das zweite Kind wiegt mehr als das erste. Das Baby spürt, wenn die werdende Mutter gestresst ist, und strampelt mehr. Die werdende Mutter kann die Spitze der Gebärmutter etwa 10 Zentimeter oberhalb des Nabels tasten – es fühlt sich an wie ein weicher Ballon. Sie kann schon die ersten Vorwehen haben.
Montag
Es geht kein Weg dran vorbei. Wenn eine Frau schwanger wird, verändert sich ein für alle Mal der Blick des Partners auf die Frau. Jedenfalls wenn man wie ich mit einem Mann verheiratet ist, der glaubt, dass feine Mädchen nicht furzen. Er muss allmählich erkennen, dass dies ein Lügenmärchen ist. Nicht dass ich so schrecklich viel furzen würde, aber das größte Problem in meinem Leben ist weder der Feminismus noch die Geburtsangst – sondern Verstopfung. Ich trinke literweise Wasser und mampfe Trockenpflaumen, bis ich keine mehr sehen kann, aber nichts geht. Merkwürdigerweise fühlt es sich anders an als sonst. Alle Organe in meinem Bauch sind verschoben und haben dem Baby Platz gemacht, sodass ich mich eigentlich gar nicht verstopft fühle. Es fühlt sich nur alles steif und hart an, bis hinauf zur Brust, und ich weiß nicht, was los ist, bis ich endlich aufs Klo kann. Am Samstag waren wir zum 30. Geburtstag einer Freundin eingeladen, und der Abend endete damit, dass H. mir einen Einlauf kaufen musste. Ich konnte fast nichts von dem guten Essen herunterbekommen, sitzen konnte ich auch nicht.
Die Feier fand in einer kleinen Einzimmerwohnung statt, wir saßen alle auf Kissen auf dem Boden. Und immer dieser Druck im ganzen Bauch, von unten bis unters Kinn. Ich plauderte höflich mit einigen Gästen, aber ich konnte mich fast gar nicht konzentrieren. Schließlich musste ich aufgeben, obwohl das Fest gerade erst richtig angefangen hatte. Wir fuhren zu einer Apotheke mit Nachtdienst, und H. kaufte mir einen Minieinlauf. Ein normaler Einlauf kann offenbar eine Geburt einleiten, glücklicherweise sagte er, dass ich schwanger bin. Wir fuhren durch die Nacht nach Hause, und H. las die Gebrauchsanweisung und wie man den Einlauf einführt. Wir mussten sehr lachen, als uns klar wurde, wie stark sein romantisches Bild von Frauen dadurch beschädigt wurde. Nun, da kann man nichts machen, und vielleicht kommen wir auf diese Weise einander näher. Aber es ist wohl nicht verwunderlich, dass er im Moment nicht so scharf darauf ist wie früher, mit mir Sex zu haben.
Donnerstag
Manchmal wundert man sich, wie taktlos die Menschen sein können. Bei der Personalversammlung fing ein Kollege an, über Kinder zu reden, als er meinen Bauch sah. Was alles schief gehen könne. Er begann mit der taktvollen Frage, ob wir «das Kind auf Entwicklungsstörungen haben testen lassen», d. h. eine Fruchtwasseruntersuchung gemacht hätten. Als ich den Kopf schüttelte, sagte er unbekümmert: «Dann wisst ihr also noch nicht, was es wird.» Er fuhr fort und meinte, dass man selbst nach der Geburt des Kindes nicht ruhig sein könne, weil es am plötzlichen Kindstod sterben könnte oder an sonst etwas. «Ich kenne eine Frau, deren Kind ist an Darmverschluss gestorben, als es zwei war», sagte er. Hoffentlich hat irgendetwas tief im Innern seines Reptiliengehirns gemerkt, was für ein Idiot er ist. Ein anderer Kollege wunderte sich, dass mein Bauch so groß ist. Als ich sagte, ich sei im siebten Monat, wollte er das nicht glauben und sagte, ich sähe aus, als ob ich mindestens im achten wäre. Vermutlich wollte er zeigen, dass er Experte auf dem Gebiet ist – er hat kleine Kinder –, aber es war doch ziemlich
enervierend, weil er überhaupt nicht mehr aufhörte. Und wenn ich nun wirklich unnormal dick wäre, wenn etwas nicht stimmte? Hatte er das gar nicht bedacht?
Freitag
Arbeitswoche zu Ende. Ich finde, es läuft gut. Ich versuche, in Form zu bleiben, damit ich arbeiten kann. Ich gehe einmal in der Woche schwimmen, außerdem trainiere ich die Beckenbodenmuskeln. Bei der Arbeit achte ich darauf, nicht zu lange zu sitzen, ich mache einmal pro Stunde meine Tür zu und mache peinliche Oma-Übungen wie «Blaubeeren- und Apfelpflücken», um den Kreislauf in Schwung zu halten.
30. Woche
Das Baby kann jetzt schwitzen. Die werdende Mutter denkt vielleicht, dass das Baby ziemlich unruhig ist, wenn es sich dauernd dreht.
Donnerstag
Ich war heute mit meiner Mutter im Theater, meine Tante hatte Karten für die Generalprobe von «Ein blaues Buch» mit Örjan Ramberg und dem Schauspieler mit der komischen Stimme besorgt. Es war gut. Ich war glücklich und zufrieden. Das Lis hat mir die ganze Zeit gegen den Arm getreten. Es ist herrlich, ein Kind gemacht zu haben und schwanger zu sein, das Leben zu reproduzieren. Es ist ein Wunder und dabei ganz selbstverständlich. So selbstverständlich wie Essen, Trinken, ein Schmetterling im Frühling und ein Stein. Wie das Leben. In unserem künstlichen, kontrollierten Leben ist es das letzte Stückchen Ursprünglichkeit, das wir nicht mit Technik, Medikamenten oder Psychotherapie wegrationalisiert haben. Das letzte Wunder. Wie ich da im Dunkeln saß und die Füßchen gegen meinen Arm traten, wusste ich, dass ich es lieben würde, was immer es sein mag. Eine Zeit lang hatte ich Angst, dass ich ein behindertes, entwicklungsgestörtes oder krankes Kind nicht lieben könnte. Ich dachte, schon wenn Leute in den Wagen schauen und ein normales kleines Baby erwarten, würde mich das fertig machen. Aber als ich da saß, das kleine Leben in mir, da spürte ich plötzlich keine Angst mehr, sondern eine wachsende Spannung – eine Neugier, wer das wohl war, der
da drinnen lag und gegen die Rundung meines Bauches trampelte. Wer bist du? Wie bist du? Wie siehst du aus? Wie ich mich freue, dich kennen zu lernen! Und ganz gleich, was du bist, ich werde dich stolz der Welt zeigen! Dabei muss ich an etwas denken, was ich in Nina Lekanders Buch «Kleines Leben» gelesen habe. Nicht die Kinder sind das Besondere, sondern die Eltern werden es, wenn sie ein Kind bekommen. Die selbstlosen und schönen Gedanken lösen in mir nämlich das unglaublich angenehme Gefühl aus, etwas Besonderes zu sein.
Sonntag
Ich nehme alles zurück! Ich will überhaupt kein Baby, ob normal oder nicht! Die Gäste, eine ehemalige Kollegin, ihr Mann und ihre beiden Kinder, sind gegangen. Warum muss sich denn immer alles nach den Kindern richten? Als wir essen wollten, musste das Baby eine halbe Stunde gestillt werden, nur um hinterher alles aufs Sofa zu spucken. Das große Kind weigerte sich, etwas anderes zu essen als Spaghetti mit Ketchup. Ich glaube, wir Erwachsenen haben den ganzen Abend keinen vollständigen Satz gesagt. Entweder das Baby hat geschrien oder gekackt oder sonst was, oder das große Kind hat uns unterbrochen. Ich habe den Verdacht, alle Eltern reden nur deshalb ständig darüber, wie wunderbar es mit Kindern ist, weil es eigentlich ziemlich schrecklich ist und sie das nur nicht sagen können. Um ihre Enttäuschung zu verbergen, sagen alle, es sei so wuuunderbar, mit Kindern zu leben. Ich habe nicht den Eindruck, dass es wunderbar ist. Nur anstrengend und klebrig. Wieso sollte mein Kind eine Ausnahme machen? In ein paar Jahren werde ich meine Freunde damit terrorisieren, dass ich Spuren von Spucke auf ihrem besten Sofa hinterlasse und Extrawürste für meine Kinder verlange. Es ist natürlich schon beunruhigend, dass ich so reagiere, wo ich mit einem fast fertigen Baby im Bauch dasitze. Am liebsten würde ich meine Koffer packen und in die Welt hinausziehen, Vagabundin werden oder auf einer einsamen Insel
romantische Bücher schreiben. Mein altes Ich wegwerfen und in irgendeiner verlassenen Ecke der Welt ein neues suchen, alles und nichts werden. Aber dazu ist es jetzt zu spät. Zu spät, um die Koffer zu packen und ein neues Leben anzufangen. Der Bauch ist, wo er ist, und kommt mit, egal wohin ich fahre. Ich bin in diesem Leben gefangen, mit Wohnung und Mann und einem Kind, das unterwegs ist. Mittelklasse, Free Willy und Babybjörn sind mein Los in den nächsten 15-20 Jahren. Pfui Spinne. Mein einziger Trost ist das «An- und Ausziehen». Vielleicht stört mich auch vor allem die Fassade. Mein Haus, mein Volvo, mein Hund. Die Gäste heute Abend hatten all das und wollten wissen, wann wir aus unserer hübschen Zweizimmerwohnung mit Kochecke ausziehen. Meine ehemalige Kollegin war fast beleidigt, als ich sagte, dass wir noch eine Weile hier wohnen bleiben. Als ob wir irgendetwas falsch machen würden. Vielleicht haben wir nicht das Geld oder einfach keine Lust, umzuziehen? Warum müssen es alle gleich machen? Damit niemand ruft: «Der Kaiser hat ja gar nichts an.»?
31. Woche
Die meisten Babys liegen mit dem Kopf nach unten und können zwischen hell und dunkel unterscheiden. Die Hoden der männlichen Babys wandern in den Hodensack. Im Bauch der werdenden Mutter ist jetzt vor allem das Baby. Viele Frauen haben Wasseransammlungen in den Beinen. Es ist sicher gut, wenn man jetzt damit beginnt, sich auf die Geburt vorzubereiten.
Montag
Ich liege auf dem Sofa und schreibe, eine Hand auf dem Bauch. Ich habe mich fast an das Getrampel gegen die Handfläche gewöhnt. Nicht mehr das Wunder wie am Anfang, aber auch nicht mehr die Angst, sondern ein stilles Wohlbehagen, wie ein kleines Geheimnis und wie ein Flüstern: «Hallo, Mama, hier bin ich!» Manchmal höre ich auf zu schreiben und schaue in die Luft. Es ist schön zu wissen, dass der Körper produktiv ist, auch wenn ich nichts mache – er macht ein Kind. Ich kann einfach nur daliegen, mit einer Ruhe, die ich früher nur in der Sauna oder nach dem Schwimmen hatte. Das mit des Kaisers neuen Kleidern ist auch wieder besser. Vielleicht sollte ich endlich aufhören, mich zu wehren, und in die Welt der Säuglinge hineingleiten und sehen, was iert. Es ist schließlich auch ein Abenteuer, mindestens so spannend, wie die Koffer zu packen und einen Flug nach Kuala Lumpur zu nehmen! Vielleicht ist das mit der Spucke und der Tomatensoße weniger anstrengend, wenn es die eigenen Kinder und nicht die Bälger der anderen sind? Ich habe mit meiner ehemaligen Kollegin gesprochen, als sie anrief und sich für
den Abend bedankte, und ihr erzählt, dass ich ziemlich schockiert war. Sie sagte, in das Leben mit kleinen Kindern wachse man hinein, doch es sei zwischendurch auch heftig. Aber wenn es so anstrengend ist, warum bekommt man dann überhaupt Kinder? Sie sagte, man müsse damit rechnen, dass es ein paar anstrengende Jahre werden, aber für viele bestehe der Sinn des Lebens darin, Kinder zu haben. Wahrscheinlich hat sie Recht, es wäre schon sehr traurig, alt zu werden und keine Kinder zu haben, die man aufwachsen sehen kann. Man muss also damit rechnen, dass es eine Weile anstrengend ist. Und warum nicht? Wenn man eine gute und spannende Arbeit will, stellt ja auch niemand in Frage, dass man sich anstrengen muss, um das zu erreichen. Warum sollte es mit Kindern so viel anders sein? Sie sagte noch etwas anderes, was mich nachdenklich gemacht hat: Was alles aufwiegt, auch wenn die Kinder noch sehr klein sind und nur schreien und kacken, ist die Liebe, die man fühlt. Nicht nur die Liebe, die man von ihnen bekommt, sondern die Liebe, die man für sie empfindet. Sie sagt, diese Liebe sei stärker als alles, was man bisher gekannt hat, tausendmal stärker als die Liebe zu einem Mann. «Für meine Kinder würde ich alles tun. Wenn man mir sagte, ich solle für sie in eine Schlucht springen, würde ich keine Sekunde zögern. Und das ist ein starkes Gefühl.» Ich sagte ihr, dass das tatsächlich großartig klingt, aber was, wenn man das Kind, das man bekommt, nicht liebt? «Du wirst es lieben, ganz bestimmt», sagte sie. Ich habe nur solche Angst, von «dem kleinen Leben» aufgeschluckt und so zu werden, wie ich nie und nimmer sein wollte! Auf meine Berufswünsche zu pfeifen, auf 75 Prozent zu gehen und zu erzählen, wie wunderbar es sei, mit den Kindern zu Hause zu bleiben. Und wenn mir das nun ausgezeichnet gefiele? Der eigenen Stimme zu folgen ist schließlich wichtiger, als anders zu sein als die anderen. Ich habe nur Angst, dass diese Stimme nicht meine eigene ist, sondern dass mir die Gesellschaft das mit großer Überzeugungskraft einflüstert. Merkwürdigerweise würde ich es nicht komisch finden, wenn H. auf 75 Prozent ginge und davon redete, dass die Kinder das Wichtigste in unserem Leben seien. Ich würde ihn nicht als Versager sehen, sondern als unglaublich attraktiven und wahnsinnig modernen Mann. Aber man muss sich schon fragen, was eine einfache Umkehrung nützt – die aus mir eine hart arbeitende Karrieristin macht und aus ihm eine verbitterte Hausfrau. Wenn beides gleich schlimm ist und nur die Rollen getauscht sind.
Der Fehler ist, dass wir immer in Einsen und Nullen denken, entweder – oder. Wo wir sowohl – als auch denken müssten. Wir sollten voneinander lernen und einander helfen. Statt dass einer zu Hause alles macht und einer alles auf den Beruf setzt, sollten beide von jedem etwas tun. Und nicht nur einer sollte zu Hause bleiben und Computerspiele machen oder backen während der Elternzeit. Vielleicht kann keiner von uns beiden sich in den nächsten Jahren ganz dem Beruf widmen. Es kann nicht so sein, dass einer die ganze Zeit zu Hause alles machen muss, sondern jeder muss einen Teil übernehmen. Aber es ist schwierig, so zu denken. Schwarz oder weiß ist viel einfacher. Frau oder Mann. Ja oder nein. Dabei ist das Leben oft ein großes Vielleicht.
Donnerstag
Es ist 3.42 Uhr, und ich kann wieder einmal nicht schlafen. Ich liege seit etwa drei Uhr wach und muss mich darauf einstellen, einige Stunden so ins Dunkel zu starren, meistens schlafe ich erst wieder ein, wenn es hell wird. Ich schreibe ein bisschen, damit die Zeit vergeht. Gestern Abend war H. mit einem Freund verabredet. Ich hatte mich nachmittags hingelegt, und als ich gegen Abend aufwachte, bin ich hinuntergegangen und habe mir ein belegtes Brot gekauft und einen Film ausgeliehen. Als ich nach Hause ging, schaute der Vollmond direkt auf mich und meine Tüten herab. Alles um mich war voller Geheimnisse, und ich war glücklich. Allmählich geht es mir richtig gut in meiner Schwangerschaft. Ich habe die meisten Wehwehchen unter Kontrolle und genieße hemmungslos die besondere Aufmerksamkeit und den Status der werdenden Mutter. Mein Vater überlegt keine Sekunde, ob er mich nach dem sonntäglichen Essen nach Hause fahren soll, die Leute fragen, wie es mir geht, und hören interessiert zu, außerdem sagen viele, dass mein Bauch schön ist. Das einzig Negative ist die Verstopfung, die ich einfach nicht in den Griff kriege. Überhaupt hat die Schwangerschaft Wunderwerke mit meinem Selbstwertgefühl vollbracht. Nicht dass ich mich toll fände oder für die Beste und Schönste hielte,
ich akzeptiere einfach, wie ich bin. Und das kommt von der Ruhe, die ich empfinde, ich habe eine Wahl getroffen und muss nun das Ergebnis abwarten. Jetzt habe ich wohl die nötige Bettschwere. Vielleicht schlafe ich ein.
32. Woche
Das Baby ist etwa 32 Zentimeter groß und wiegt knapp 3 Kilo. Es kann jetzt Geschmacksrichtungen unterscheiden. Der werdenden Mutter tut es gut, wenn sie besonders viele Kohlehydrate und Eisen zu sich nimmt, damit sie Kraft bekommt für die Geburt.
Montag
Mein Bauch ist so groß. Ich frage mich, ob er tatsächlich zu groß ist, wie der Kollege behauptet hat. Ich war schon eine Weile nicht mehr im Mütterzentrum. Heute Nacht war der Bauch eine Qual. Er war so groß und tat auch weh. Es hat gespannt, wenn ich auf der Seite lag, und auf dem Rücken soll man nicht so lange liegen, weil sonst die Sauerstoffzufuhr nicht richtig funktioniert. Im Halbschlaf dachte ich, die Geburt hätte begonnen. Ich mache mir nicht etwa um das Baby Sorgen, sondern weil ich mit der Arbeit noch nicht fertig bin. Ich habe es schon einmal geschrieben, und ich schreibe es wieder – ich bin eine große Egoistin und weiß nicht, wie ich das mit dem Kind hinkriegen werde ... In den Büchern steht: Je besser man vorbereitet ist, desto leichter wird die Geburt. Ich habe gehört, dass es spezielle Entspannungskassetten für werdende Mütter gibt, die das Gebären erleichtern sollen. So eine Kassette wollte ich mir schon lange kaufen, und da der Entbindungstermin immer näher rückt, bin ich losgezogen und habe eine besorgt. Ich ging in ein privates Mütterzentrum, wo ich einen ehemaligen Kollegen mit seiner schwangeren Frau traf. Er erzählte, seine Frau habe das Band während der ersten Schwangerschaft gehört. Und wie
lief die Geburt? Akuter Kaiserschnitt. Mit diesen neuen Informationen ging ich nach Hause und hörte meine neu erworbene Kassette. Ich setzte mich bequem in einen Sessel, wickelte die Füße in eine Wolldecke und setzte die Kopfhörer auf. Auf dem Band war schöne synthetische Windmusik und eine ruhige Stimme, die sehr nah am Mikrophon sprach. Nur hörte man das Rascheln von Papier und das Rauschen vorbeifahrender Autos im Hintergrund, und außerdem hatte die Sprecherin einen Sprachfehler. Und so etwas wirkt leider nur komisch, wenn man daliegt und versucht, sich zu entspannen und zu konzentrieren. Der Text kam mir auch irgendwie sonderbar vor: «Ich bin während der Wehen ganz ruhig und entspannt. Ich bin während der Wehen ganz ruhig und entspannt.» Wie? Ich wurde überhaupt nicht ruhig, es war mir eher peinlich.
Dienstag
Heute waren wir im Geburtsvorbereitungskurs. Wir sind inzwischen beim Thema Geburt – und wo mich schon die Kassette nicht ruhiger gemacht hat, so habe ich jetzt nur noch Angst! Die Hebamme war so sanft wie immer, sie zeigte mit Hilfe einer Gebärmutter, die aus roter Wolle gestrickt war (doch, wirklich), und einer Puppe, wie das Baby herauskommt. Es sah ziemlich einfach aus, das Baby drehte sich und krabbelte gewissermaßen aus der StrumpfwolleGebärmutter. Dann bekamen wir einen Geburtsfilm gezeigt. Die Hebamme legte den Kopf schräg und sagte, es stünde uns frei, den Film anzuschauen oder hinauszugehen, wenn wir Bedenken hätten. Ich dachte, wir werden doch nicht so feige sein und uns nicht ansehen, was wir selbst bald erleben werden. Aber nachdem der Film begonnen hatte, verstand ich, was sie meinte – mir brach beim Zuschauen der kalte Schweiß aus. Es nützte überhaupt nichts, dass ich verstanden hatte, wie eine Geburt biologisch gesehen abläuft. Der geradlinige Geburtsverlauf der Theorie löste sich hier im verschwitzten Chaos der Realität auf. Statt der gestrickten Gebärmutter gab es hier keuchende, starrende und schmierige Kuhleiber in den pastellfarbenen Hemden der Kreisverwaltung.
Abgesehen davon, dass das Gebären ziemlich schrecklich aussah, fragte ich eitles Huhn mich natürlich, wie H. mich da noch lieben sollte, wenn er mich so sehen würde. Die Väter im Film lachten gezwungen und sagten, es sei ganz toll und wunderbar gewesen, obwohl man ihnen deutlich ansah, dass sie noch nie etwas so Schreckliches erlebt hatten. Vor der Kamera machen sie gute Miene, aber danach ist Schluss mit dem Sexleben, davon bin ich überzeugt.
Mittwoch
Ich gehe jede Woche einmal schwimmen, heute war ich wieder im Schwimmbad. Der Badeanzug war zum Glück billig, er ist um den Bauch herum schon ganz ausgeleiert. Das letzte Mal bin ich beim Schwimmen ziemlich außer Atem gekommen und musste dauernd an den Rand schwimmen und mich ausruhen. Nach zwanzig Minuten Schwimmen bin ich völlig fertig, und wenn ich dann die Treppen zu den Umkleidekabinen hinaufgehe, spüre ich wirklich meine zusätzlichen Pfunde. Ich wiege jetzt 73 Kilo. Heute stand ich außer Atem und ziemlich zufrieden eine Weile am Geländer und schaute auf die Badenden hinunter. Ich holte tief Luft, durch die Nase, immer tiefer atmete ich ein. Es roch so gut! Der Geruch von Feuchtigkeit, Chlor und Putzmitteln war so intensiv und appetitlich, dass ich nicht genug davon bekommen konnte. Seit etwa einer Woche registriere ich, dass alles viel stärker und prägnanter riecht. Außerdem gibt es bestimmte Gerüche, die ich besonders gern mag, nach denen ich beinah süchtig bin. Und diese Gerüche haben alle etwas mit Reinigungsmitteln zu tun – Chlor, Waschpulver, Zahnpasta ... Ich bin so verrückt nach den Gerüchen, dass ich am Wochenende den ganzen Herd mit Putzmitteln sauber gemacht habe, sogar die eingebrannten Kochplatten. Ich bürste mir stundenlang die Zähne, weil mir der Schaum so gut schmeckt, und als ich heute bei der Arbeit für einen Moment abgeschaltet hatte, ertappte ich mich dabei, dass ich davon träumte, die Badewanne zu schrubben. Andere Sachen will ich nicht nur riechen, ich muss sie kauen, nur das befriedigt mich. Es fing damit an, dass ich unter der Dusche stand und dabei meine Strumpfhosen auswusch. Als ich sie spülte, verspürte ich den unwiderstehlichen Drang, sie in den Mund zu stecken. Ich tat es und begann zu kauen. Ich konnte
einfach nicht aufhören. Ich stand unter der Dusche und kaute auf meinen Strumpfhosen herum. Ich weiß nicht, warum, aber es war wunderbar. Strumpfhosen sind ziemlich teuer, und ich habe herausgefunden, dass normale Schwämme genauso gut, wenn nicht noch besser sind. Nicht die luftigen Badeschwämme, sondern die Scotch Brite oder Duschschwämme, die haben mehr Kauwiderstand und schmecken so gut. Das muss so ein Schwangerschaftsgelüst sein. Es ist ja bekannt, dass viele Schwangere Heißhunger auf bestimmte Lebensmittel haben – die einen essen saure Gurken oder kiloweise Orangen, und andere stopfen Sahnetorte in sich hinein. Ich hatte bisher keine besonderen Gelüste. Aber jetzt hat es mich erwischt. Morgen werde ich mir einen möglichst großen Duschschwamm kaufen, der hält dann vielleicht eine Weile, die kleinen sind nach ein paar Tagen kaputt.
Donnerstag
Im Wartezimmer des Mütterzentrums liegen alle möglichen Zeitschriften über Kinder aus. Heute habe ich einen Artikel über eine Prominente und deren Tochter gelesen. Sie hatte in Polen einen Film gedreht und ihr dreijähriges Kind mitgenommen, das von der Luftverschmutzung so krank wurde, dass es ins Krankenhaus musste. Und nun frage ich mich – warum in aller Welt hat sie ihre Tochter mitgenommen? Wenn doch der Vater des Kindes zu Hause war? Sie war schließlich nicht im Urlaub, nein, sie hat gearbeitet, genau wie er. Ist es umgekehrt überhaupt vorstellbar? Dass ein Vater, der in einem gefährlichen Land arbeitet, seine Tochter mitnimmt, während die Mutter zu Hause bleibt? Eben nicht. Aber dass die Mutter es tut, findet niemand merkwürdig. Die Prominente in dem Bericht schien nicht darüber nachzudenken, und der Reporter fragte auch nicht – denn es ist ja das Normale. Es ist so normal, dass das Kind bei der Mutter bleibt, dass man nicht einmal reagiert, wenn es gesundheitsgefährdend ist. Warum ist das so? Als ich bei der Hebamme war, hat sie meinen Bauch gemessen, nach der Kurve war ich perfekt. Ich bin also nicht zu dick. Sie tastete auch, dass der Kopf des
Kindes im Becken fixiert war. Prima. Das Baby meiner Cousine, das vor einigen Wochen auf die Welt kam, lag quer und musste per Kaiserschnitt geholt werden. Vom Mütterzentrum aus ging ich in die Bibliothek und lieh einige Bücher über Geburten aus. Seit dem Film letzte Woche hatte ich den Wunsch, mehr zu lesen, um mich an den Gedanken zu gewöhnen. Vor dem Regal mit den Schwangerschaftsbüchern stand schon eine Frau. Ich stellte mich neben sie und begann in den Büchern zu blättern – «Schmerzfreie Geburt», «Kreative Geburt» und «Wie man ohne Schmerzen entbindet». Ich schaute verstohlen zu der Frau, sie hatte keinen Bauch. Und dann sah ich, welches Buch sie in der Hand hatte – das über Fehlgeburten! War es eine Frau, die keine Kinder bekommen konnte – die eine Fehlgeburt nach der anderen hatte? Oder war sie – wie ich vor etwa fünfundzwanzig Wochen – gerade schwanger geworden und voller Ängste, das Kind zu verlieren? Kaum vorstellbar, dass ich das vor so kurzer Zeit gewesen sein soll. Wenn ich mich da hätte sehen können, wie ich jetzt bin. Wenn diese Frau in nur fünf Monaten mit einem Riesenbauch herumläuft, schiebe ich schon ein Baby durch die Gegend! Zu Hause habe ich dann die Bücher gelesen. Ich bin immer mehr von den Vorzügen der Hocke überzeugt, in allen Büchern steht, dass das die beste Stellung ist. Ich übe immer noch eine Viertelstunde am Tag, es kribbelt nicht mehr so sehr in den Beinen.
33. Woche
Das Baby lagert jetzt Unterhautfett ein, und da es größer wird, braucht es mehr Eisen. Die werdende Mutter ist möglicherweise wieder müde, so wie am Beginn der Schwangerschaft, und sollte sich hin und wieder ein Mittagsschläfchen gönnen.
Montag
Als ich nach Hause kam, lag H. im Bett und las in einem der Geburtsbücher. Ich wollte ihn nicht drängen, hatte die Bücher jedoch herumliegen lassen, um ihn neugierig zu machen. Er hatte sich schon halb durch den Stapel hindurchgearbeitet. Ich legte mich neben ihn, und wir lasen beide, und bei besonders heftigen Stellen lasen wir uns gegenseitig vor und lachten erschrocken. Genau wie in dem Geburtsfilm sind die Berichte der Frauen völlig anders als die Beschreibung des Verlaufs vom medizinischen Standpunkt aus. Die verschiedenen Phasen und das allmähliche Öffnen des Gebärmutterhalses werden ersetzt durch grenzenlose Schmerzen, Verwirrung und den ständigen Kampf gegen das Krankenhauspersonal. In den meisten Geschichten, die wir gehört oder gelesen haben, scheint das Krankenhauspersonal nämlich auf Kollisionskurs mit der gebärenden Frau zu stehen und weiß immer besser, in welchem Stadium sie sich gerade befindet und was getan werden muss. Die aufgeregten Frauen und ihre hippeligen Männer wollen meistens genau das Gegenteil. Wenn sie ins Krankenhaus fahren will, besteht das Personal darauf, dass sie zu Hause bleibt und sich noch einen halben Tag in die Badewanne legt.
Wenn sie zu Hause bleiben wollen, schickt das Krankenhaus einen Notarztwagen. Wenn sie eine Betäubung möchte, findet das Krankenhauspersonal, es sei zu früh, zu spät oder die falsche Schmerzlinderung, und wenn sie ohne Schmerzlinderung gebären will, geben die Ärzte ihr eine Narkose wegen akuten Kaiserschnitts. Ich möchte gut informiert sein, um optimal parieren zu können und selber zu wissen, in welcher Phase ich bin und welche Schmerzlinderung angewendet werden kann. Aber die Bücher helfen eigentlich nicht weiter, weil das Verlaufsstadium meistens danach bestimmt wird, wie weit der Muttermund geöffnet ist, und das kann nur die Hebamme feststellen. Woher soll ich da wissen, in welcher Phase ich bin? Man soll zum Beispiel erst ins Krankenhaus, wenn der Muttermund etwa 4 Zentimeter geöffnet ist, aber um das feststellen zu lassen, muss ich ins Krankenhaus fahren. Ich will nicht wissen, wie die Phasen sich aus medizinischer Sicht unterscheiden, sondern woran ich, die gebärende Frau, mich orientieren kann. Wann wird darüber ein Buch geschrieben? Und ich merke, wie sehr ich mir wünsche, dass meine Geburt «perfekt» wird, ohne Schmerzlinderung, in der Hocke und ohne zu reißen. Man muss es einfach zugeben, Gebären bedeutet auch Prestige. Die heroischste Frau gewinnt. Und das ist schließlich kein Wunder, das Gebären definiert im Grunde, was wir «Weiblichkeit» nennen. Die Frau, die am besten Kinder gebiert, ist die Beste. Die Superfrau gebiert im Stehen und ohne Betäubung. Die ängstliche Frau bringt ihr Kind durch akuten Kaiserschnitt zur Welt und muss sich den Rest ihres Lebens dafür entschuldigen. Man kann natürlich über diese Bewertungen lachen, aber sie sind für jede werdende Mutter real und wirklich, das kann man in jeder Geburtsgeschichte hören. Es gibt sogar Selbsthilfegruppen für Kaiserschnittfrauen. Das Schlimmste ist, dass einige von diesen Frauen, die so toll gebären, sich auch noch erdreisten, Bücher zu schreiben, und anderen Frauen weismachen, dass sie genauso gut gebären können, wenn sie nur richtig atmen, richtig knien oder richtig «im Schmerz leben», dann sei das Ganze ein Tanz. Aber ich glaube, es ist sehr unterschiedlich. Frauen sind verschieden, sie sind verschieden im Schmerzempfinden und gebären verschieden leicht. Die Natur ist einfach ungerecht, manche sind schmalhüftig und haben eine schwache Muskulatur, andere können problemlos einen Basketball herauspressen. Als wir so im Bett lagen und lasen, brach draußen ein heftiges Gewitter los. Es
war direkt über uns, mehrmals blitzte und donnerte es fast gleichzeitig. Wir legten die Bücher weg, und H. legte seine Hand auf meinen Bauch. Der wogt jetzt meistens hin und her. Dann zog das Gewitter ab, und es wurde ganz still. In die große Stille begannen riesengroße Schneeflocken zu fallen. Wir blieben lange so liegen und schauten in die Nacht und dachten an das, was bald geschehen würde, während das Lis unbekümmert weiter im Bauch herumtobte.
Dienstag
In den Büchern steht zwar, dass man viel träumt, doch das trifft bei mir nicht zu. Aber heute Nacht hatte ich einen Traum, einen Traum vom Baby. Ich saß bei meiner Mutter in der Küche, mein Vater war auch da. Plötzlich spürte ich etwas Unangenehmes – einen heftigen Tritt. Ich schaute hinunter und sah, wie das Baby im Bauch rotierte, es drehte sich mit gestrecktem Körper seitlich um den Nabel. Ich sah die Konturen des Körpers ganz deutlich unter der Haut – das ganze Baby lag quer. Auf der einen Seite die Beine und auf der anderen die Arme und der Kopf, wie unter einer Decke. Dann drehte das Baby sich noch eine Vierteldrehung, und ich wusste, dass es jetzt mit dem Kopf nach oben lag, nicht mehr fixiert im Becken. Als ich aufwachte, habe ich den Bauch abgetastet, aber ich weiß nicht, ob ich die Füße oder den Kopf oder etwas anderes oberhalb des Nabels fühlte. Ich habe oft Senkwehen, besonders abends. Ich habe Angst, dass das Kind zu früh kommt. Es soll ja Frauen geben, die ihre Kinder geboren haben, fast ohne es zu merken. Und wenn das Baby nachts ins Klo fällt, ohne dass ich es sehe?
Donnerstag
Habe gerade ein Neugeborenes gesehen. Es war vier Wochen alt und hieß Gustav und war vermutlich auf seinem ersten 30. Geburtstagsfest. (Gustav ist ein hübscher Name, darüber müssen wir nachdenken.) Zum ersten Mal bin ich nicht
in Panik geraten. H. und ich saßen mit der frisch gebackenen Mutter auf dem Boden und unterhielten uns über Geburten und Windeln. Neben uns saß das Baby im Autositz, es trug eine Mütze und einen grauen Strampelanzug. Manchmal verzerrte Gustav sein kleines Gesichtchen, als ob er etwas Schreckliches träumen würde, aber die meiste Zeit schnaufte er ruhig, die Hände auf dem Buch übereinander gelegt. Während wir sprachen, fasste H. vorsichtig das Strumpffüßchen des Babys an, als ob er sehen wollte, wie sich das in Wirklichkeit anfühlt. Ich fand, das Baby war nett anzuschauen, und es war auch angenehm, neben ihm zu sitzen. Beginne ich etwa, mich an den Gedanken zu gewöhnen, ein Kind zu bekommen? Es wäre wohl höchste Zeit. Außerdem weiß ich, dass ich Kinder mag. Ich bin Kindermädchen gewesen und habe diese Kinder geliebt. Nach dem Schulabschluss bin ich gleich nach Kanada gegangen, ich musste auf zwei kleine Jungen aufen, drei und vier Jahre alt. Ich erinnere mich, dass es anstrengend war, aber es hat auch großen Spaß gemacht. Es war spannend, mitzubekommen, wie sie dachten und die Welt sahen, außerdem bekam ich von ihnen jede Menge Bestätigung. Für sie war ich die beste Geschichtenerzählerin, eine phantastische Sängerin, und so schöne Legoschlösser wie meine hatten sie noch nie gesehen. Wie muss es dann erst sein, wenn man als Mutter Bestätigung und unbegrenzte Liebe bekommt? Das muss ein richtiger Kick sein. Ich erinnere mich auch, wie glücklich ich war, wenn sie mal mit ihren Eltern übers Wochenende wegfuhren und ich allein zu Hause bleiben durfte. Ich konnte machen, was ich wollte! Aber schon nach einem halben Tag Schokoladeessen im Bett und Fernsehen in der Badewanne war ich zutiefst einsam und sehnte mich unglaublich nach ihnen. So ist das wohl mit Kindern – anstrengend, aber trotzdem das Schönste, was es gibt.
Freitag
Ich war mit ein paar Freundinnen aus und fühlte mich ziemlich ausgeschlossen. Wir waren in einem Ess- und Tanzlokal, junge Männer in Hemd und Krawatte
drängelten sich an der Bar neben fröhlichen Frauen mit Zickzackscheitel. Nicht gerade der richtige Ort für eine Hochschwangere. Die Männer starrten mich zwar an, aber ich weiß, dass sie eigentlich nicht mich anstarrten, sondern meinen Bauch. Ich kann nur ahnen, was sie denken: «Iihh, wie sieht die denn aus?» oder: «Hilfe, die platzt gleich!» Während des Essens haben wir mal wieder über alles Mögliche gesprochen, leider nicht viel über Kinder. Beim Nachtisch lehnte ich mich auf der Sitzbank zurück und legte die Hand auf den Bauch, das ist so wohltuend, wenn einem der Rücken wehtut, und da sagte eine der Frauen lachend: «Wie gemütlich das aussieht; du hast immer jemanden dabei.» Ich fand es überhaupt nicht gemütlich. Das Lis schlief, und ich fühlte mich einsam. Einsam mit einem riesigen Bauch unter lauter schlanken, beweglichen Frauen, die Wein getrunken hatten und tanzen wollten. Aber werdende Mütter müssen strahlen. Ich klopfte mir also auf den Bauch und hoffte, dass ich so glücklich aussah, wie es in der dreiunddreißigsten Woche von einem erwartet wird. Und ging nach Hause, ehe sie zu tanzen anfingen.
Samstag
Wie soll das weitergehen? Ich habe solche Schmerzen zwischen den Beinen, wenn ich nachts aufstehe, um aufs Klo zu gehen, oder mich auch nur umdrehe. Wenn ich aufstehe, kommt es mir vor, als würden mir sämtliche Innereien herausrutschen. Obwohl ich jeden Morgen und jeden Abend Zusammenkneifübungen mache. Und dabei sind es noch ganze sechs Wochen, eineinhalb Monate! Ich habe festgestellt, dass es schlimmer wird, wenn ich lange stillsitze, es geht mir besser, wenn ich aufstehe und ein bisschen hinund hergehe. Aber trotzdem. Ich bin auch unruhig und habe Angst, dass das Baby zu früh kommt und ich nicht mit der Arbeit fertig bin. Ich habe noch viele Punkte auf meiner Liste, und ich muss auch noch im Institut zusammenpacken. Außerdem bekomme ich allmählich Angst vor der Geburt. Ich versuche mir einzureden, dass ich es schaffen werde. Ich habe Angst, dass alles irgendwie schief geht. Dabei möchte
ich es so gern schaffen, so gern eine Superfrau sein.
Sonntag
Gestern schon wieder ausgegangen. Ich gehe ziemlich viel aus – man muss es ausnützen, solange man noch kann! Vorvorgestern Geburtstagsfest, vorgestern Frauenrunde und gestern Einzugsparty ... bei Freunden, die ein Haus gekauft haben. H. und ich sind mit dem Auto hingefahren und fühlten uns wie damals, als wir 18 waren und Papis Auto bekamen und auf ein EF-Fest fuhren. Mit dem Unterschied, dass das Auto uns gehört, das Haus unseren Freunden und das Fest KF – kinderfrei – ist. Ich stand die meiste Zeit in der Küche und ließ mich nur allzu gern auf die vielen Kindergespräche ein. Fast alle hatten Kinder. Aber es ist schon merkwürdig, dass ich fast nur mit den Müttern über Schwangerschaft und Geburt geredet habe. Die heutzutage so engagierten Väter hätten mir doch sicher auch einiges zu geben. Aber irgendwie kommt das ganz selten vor. Vielleicht habe ich Scheu, mit ihnen zu reden, es ist irgendwie zu intim, mit einem Mann über Gebärmutter, Mutterkuchen und Schleimpfropfen zu reden. Und die beiden, mit denen ich gesprochen habe, hatten den merkwürdigen Drang, mich belehren zu wollen. Anstatt sich wie die Mütter darüber zu unterhalten – jede berichtet über ihre Erfahrungen –, sagen die Männer dass.Dass es so und so ist, schwanger zu sein und Kinder zu gebären. Sie haben nicht gefragt, wie es mir geht, sie wollten nur selber reden. Der eine hat mir erzählt, wie anstrengend es war, wenn das Baby am Abend strampelte – mein Baby strampelt um die Zeit eher nicht, aber danach fragte er nicht. Und der andere war der Arbeitskollege, der immer wieder behauptet hat, ich sei unnormal dick. Aber ich entspreche ganz genau der Kurve. Nur weil sie eine Schwangerschaft miterlebt haben, bilden sie sich ein, alle zu kennen. Der Bauch ist jetzt wirklich dick, und alle Leute strecken instinktiv die Hände aus und fassen ihn an. Das macht mir nichts aus, ich finde es nett. Das Baby bewegt sich ziemlich viel. Als der Gastgeber, der auf Hard Rock steht, die Anlage aufdrehte, strampelte das Lis tüchtig los. Die Frage ist nur, ob es begeistert war von dem Gedröhne oder ob es ein verzweifelter Versuch war,
herauszukommen und die Anlage abzustellen?
34. Woche
Die Haut des Babys ist von einer dicken Fettschicht bedeckt, der so genannten Käseschmiere. Alle inneren Organe, außer der Lunge, sind fertig ausgebildet. Die werdende Mutter hat jetzt oft einen so großen Bauch, dass sie bei der geringsten Anstrengung außer Atem gerät. Die Senkwehen können sehr unangenehm sein, obwohl es nicht richtig wehtut. Vielleicht zeigt sich vom Nabel abwärts eine dunkle Linie, die linea nigra.
Dienstag
Der Bauch wächst immer noch ein bisschen. Nachts spüre ich ein Ziehen. Wenn ich davon aufwache, tut es zwischen den Rippen weh, so als würde jemand an den Muskelansätzen ziehen. Aber trotz des Bauches, oder vielleicht seinetwegen, kann ich jetzt besser arbeiten. Weil ich nicht in Versuchung komme, mich unnötig viel zu bewegen, sitze ich brav an meinem Schreibtisch und arbeite den ganzen Tag. Eine kleine Wolke am Himmel ist nur, dass mir immer wieder ein wenig übel ist. Natürlich nicht so sehr wie zu Beginn der Schwangerschaft, aber doch ein wenig. Ich muss darauf achten, nicht zu hungrig zu werden. Auch wenn es einem abwegig vorkommt, etwas zu essen, wenn man eigentlich kotzen möchte, hilft es jetzt viel besser als am Anfang. Ich muss allerdings aufen, dass ich nicht zu viel esse – ich wiege jetzt 76 Kilo. Heute beim Schwimmen war ich schon nach einer Bahnlänge ganz außer Atem. Ich musste ins Kinderbecken gehen, hing am Beckenrand und radelte mit den Beinen. Ich bin jetzt schon sehr dick. Der Bauch erregt überall Aufsehen. Im Schwimmbad lächeln mich alle an. In der
Umkleidekabine hat mich eine Ex-Ministerin gefragt, ob ihre Tochter mal meinen Bauch anfassen dürfe. Das werde ich dem Lis erzählen! In der Sauna hat mir eine Frau erzählt, dass ihr mit neunzehn die Ärzte gesagt hätten, sie könne keine Kinder bekommen, und sie habe es deshalb auch nie versucht. Aber dann, letztes Jahr, als sie schon über vierzig war und nicht mehr verhütete, wurde sie sofort schwanger. Jetzt hat sie ein acht Monate altes Baby. Das war schon toll. Sie sagte, die Periduralspritze sei eine Gottesgabe und dass ich nicht auf die hören soll, die mich dazu anstacheln wollen, keine Schmerzmittel zu nehmen. Die Schmerzen seien ganz weg gewesen, und sie hätte richtig gut pressen können. «Und ich fühle mich trotzdem wie eine Superfrau», sagte sie. Irgendwie läuft der Countdown – noch knapp sechs Wochen bis zum «shoot out». Und man höre und staune, ich bin ganz ruhig und zuversichtlich. Gestern hatte ich endlich auch einen Geburtstraum, wunderbar, wenn man normal ist. Leider war die Geburt nicht normal – es war ein Kalb.
Donnerstag
Das Lis liegt da drinnen, hängt mit dem Kopf nach unten in der Schwerelosigkeit der Gebärmutter, tritt ab und zu ein bisschen, damit ich weiß, dass es lebt. Es schreit noch nicht, schluckt jedoch ab und zu ein wenig Fruchtwasser. Und wächst, wächst langsam und stetig. Und wieder fahren meine Muttergefühle Achterbahn. Im Moment will ich wieder mal überhaupt nicht, dass es herauskommt – es geht uns doch gut so, oder?
Gestern war ich wieder eingeladen. Dieses Mal aufs Land, Tante Harriet feierte ihren 50. Geburtstag. H. hatte keine Zeit, ich bin deshalb mit meinen Eltern gefahren. Wir haben im Sommerhäuschen meiner Tante auf der Insel Värmdö gefeiert, der Weg dorthin ist schlecht befahrbar, und zum Schluss kommt noch der steinige Waldweg. Den bin ich vor ein paar Monaten noch ohne weiteres gegangen, aber diesmal war es richtig anstrengend. Außerdem war es dunkel. Aber alle waren nett zu mir und haben sogar meinen Rucksack getragen. Meine Mutter hatte Skistöcke dabei, auf die ich mich beim Gehen stützen konnte, das
war sehr angenehm, ich bin jetzt schon schwerfällig wie eine Kuh. Jemand sagte, ich solle es genießen, dass alle sich um mich kümmern, wenn das Baby erst mal da ist, bekommt es alle Aufmerksamkeit, und ich muss sehen, wie ich zurechtkomme. Im Häuschen war es warm, überall brannten Kerzen. Harriet servierte Lachs, den sie selbst gefangen hatte, dazu Suppe und selbst gebackene Schokoladentörtchen. Außer meinem Vater waren wir nur Frauen. Wir saßen um den Tisch in der Mitte des Zimmers, lachten, tranken Wein und aßen. Jemand stellte fest, dass alle außer einer geschieden waren. Ich saß mit meiner Patentochter auf dem Bett und dachte, wie merkwürdig das Leben doch ist. In diesem Häuschen sind schon viele Feste gefeiert worden. Das Zimmer, der Tisch, das Tischtuch, das Geschirr und die Kerzenhalter, alles war auf seinem gewohnten Platz. Nur die Menschen, die wechseln. Vor nicht allzu langer Zeit war ich wie mein Patenkind im Niemandsland der Pubertät, und sie war das Baby in meinen Armen. Und die Familie und die Freunde um den Tisch, die waren wie ich jetzt, in Beziehungen, mit Kindern im Bauch oder um die Beine. In ein paar Jahrzehnten sitze wohl ich am Tisch, frisch geschieden, mit meinen frisch geschiedenen Freunden. Während meine schwangere Patentochter in glücklicher Zweisamkeit mit meinem pickeligen Pubertätskind auf dem Bett sitzt und redet. So geht es immer weiter mit uns, wir glauben, einen eigenen Willen und ein einzigartiges Leben zu haben, dabei ist es immer wieder das gleiche Stück, nur in neuer Besetzung.
35. Woche
Das Baby bekommt von der Mutter eine Immunität, die es nach der Geburt für einige Monate vor bestimmten Krankheiten schützt. Die werdende Mutter kann Probleme mit Wasseransammlungen im Körper haben, dann en ihre Schuhe nicht mehr. Die Menge des Fruchtwassers ist jetzt am größten, etwa ein Liter.
Donnerstag
Was für eine Nacht. Ich war wie so oft ab drei Uhr wach. Und dann bin ich im Morgengrauen nicht wieder eingeschlafen, mir war so übel, dass ich aufstehen musste und frühstückte – um fünf Uhr morgens! Danach bin ich gottlob wieder eingeschlafen. Als ich schließlich aufstehen wollte, kam ich kaum aus dem Bett, das Ziehen zwischen den Rippen war besonders stark, außerdem war mir, als hätten sie einen Zehnlitereimer Wasser an meinem Hintern festgebunden. Dazu noch ständige Kontraktionen. Und mir war schon wieder übel. Das pure Elend. Ich stand gekrümmt in der Dusche – soweit das mit dem Bauch überhaupt ging – und keuchte. Mein Gott, wie soll das nur weitergehen? Ich wollte H. nichts von meinen Beschwerden erzählen, er macht sich schon genug Sorgen und besteht darauf, dass ich in die Ambulanz fahre, wenn ich von Problemen spreche, und das strengt mich mehr an, als dass es mir hilft. Aber mit dem Schreiben lief es prima, ich konnte mehrere Stunden
hintereinander konzentriert arbeiten. Der Bauch ist weicher geworden. Ich habe bei der Bank angerufen und erfahren, dass mein Lohn auf dem Konto ist. Auf dem Heimweg habe ich ein Kochbuch zum Sonderpreis gekauft und eine Toblerone für das Lis, damit es wachsen kann. Zu Hause erwartete mich H. mit einer Pizza und einem Video. Er hat den Job bekommen.
36. Woche
Das Baby ist jetzt etwa 36 Zentimeter groß und wiegt etwa 2750 Gramm. Es bewegt sich weniger, weil so wenig Platz im Bauch ist. Das Gehirn ist fertig ausgebildet, und das Baby hätte keine Probleme zu überleben, wenn es jetzt geboren würde. Wenn die werdende Mutter das erste Kind bekommt, ist der Kopf des Babys nun normalerweise ins Becken eingetreten. Dadurch senkt sich der Bauch, was sehr angenehm ist.
Montag
Wenn ich Kontraktionen habe, bildet sich rechts vom Nabel ein Knoten. Ich habe gedacht, es sei das Bein vom Lis, aber die Hebamme hat gesagt, dass an dieser Stelle die Kontraktion beginnt. Die Kontraktionen fangen am Nachmittag an und treten den ganzen Abend über auf. Es ist, als würde einem jemand eine Schreibtischschublade in den Bauch stoßen, immer wieder. Es tut nicht richtig weh – im Gegensatz zu einer Schublade –, aber es ist unangenehm. Ich habe auch Angst, dass die Geburt zu früh beginnen könnte.
Dienstag
Ich schlafe wieder viel, aber ganz leicht, und ausgeschlafener bin ich auch nicht, egal wie oft ich mich nachmittags hinlege. Aber ich bin stolz auf mich, weil ich
den Rat befolge, viel auszuruhen. Wenn ich nun auch noch das Entspannungsband hören könnte – aber das ist mir zu blöd. Manchmal döse ich die ganze Nacht hindurch, habe ständig Kontraktionen. Einmal habe ich geträumt, dass die Geburt angefangen hatte und H. mir mittendrin eine Halskette schenken wollte. Ich war wütend, weil er sie schenkte, bevor die Geburt vorbei war, und da war er enttäuscht. Vielleicht soll das für mich ein Signal sein, mehr an H.s Gefühle zu denken und nicht immer nur an mich. Es ist schließlich auch sein Kind. Am Morgen habe ich dann lange geschlafen, war aber nachher noch genauso müde wie beim Einschlafen. Der Weg zur Arbeit ist ziemlich anstrengend. In der U-Bahn ist es um diese Zeit immer sehr voll, und auch heute musste ich die ganze Zeit stehen. Ich hätte gedacht, dass die Leute einer schwangeren Frau einen Sitzplatz anbieten, aber das ist nicht oft vorgekommen. Vielleicht sieht man nicht, dass ich schwanger bin, wenn ich eine Jacke anhabe. Ein paar Mal habe ich um einen Platz gebeten, aber meistens versuche ich blöderweise, die Heldin zu spielen, und bleibe stehen. Als ich ankam, war ich völlig außer Atem, mir war übel, und ich japste wie ein Hund. Ich fühlte mich auch schwach. Ich konnte mir weder vorstellen, wie ich noch eineinhalb Wochen Arbeit schaffen, noch, wie ich etwas Vernünftiges zu Papier bringen sollte. Aber als ich auf meinem Stuhl saß, einen Kaffee mit heißer Milch und ein paar Gläser Wasser getrunken hatte und auf der Toilette gewesen war, fühlte ich mich bereits viel besser. Die Konzentration ist Spitze, immer mehr Text füllt den Bildschirm. Ich bin stolz auf mich und sehr zufrieden mit mir. Auf dem Heimweg in der Bahn versuchte ich mir wieder mal vorzustellen, dass bald ein Baby aus meinem Bauch kommt, aber es geht immer noch nicht. Es gelingt mir einfach nicht, zwischen dem Gewoge in meinem Bauch und einem lebendigen Kind einen Zusammenhang zu finden. Mein Bauch ist zwar dick, aber dass ein ganzes Kind da drinnen Platz hat, nein, das kann nicht sein.
Donnerstag
Warum ist es so schwierig zu verstehen, dass man Eltern wird? Vielleicht, weil man es eines Tages einfach ist und es da nichts zu verstehen gibt. Ich kann es zwar auch nicht begreifen, aber es macht mir großen Spaß, ich bin nämlich kindisch begeistert von all den Sachen, die man so braucht. Heute sind wir zu einem Kollegen gefahren, der einen gebrauchten Kinderwagen und ein Gitterbettchen verkaufen wollte. Wir bekamen auch Bettzeug und eine Badewanne. Nach einem Kaffee und Babygesprächen luden wir alles ins Auto und fuhren heim. H. hatte noch etwas vor, und ich war allein zu Hause. Ich bin mit dem Wagen in der Wohnung herumgefahren und habe schon mal geübt, ihn um die Ecken und über Schwellen zu dirigieren. Dann habe ich das Bett zusammengeschraubt und bezogen. Es hat riesigen Spaß gemacht. Es war, wie neue Puppensachen zu bekommen: für eine Puppe in natürlicher Größe. Beim Einschlafen habe ich immer wieder das Bett angeschaut, das ich in eine Ecke des Schlafzimmers gestellt hatte. Es ist weiß und hat einen blau-weiß karierten Gitterbezug und ist bildschön. Die vielen Puppenspiele der Kindheit haben mich wohl hierauf vorbereitet...
Freitag
Hör mal, kleines Lis, was denkst du dir denn da drinnen? Du bist jetzt sehr lebendig, ich kann dich fast immer strampeln spüren, wenn ich die Hand auf den oberen Teil des Bauches lege. Ich gleite mit den Fingern über deine Fußsohlen, glaube ich. Es fühlt sich vertraut an und ein wenig geheimnisvoll, weil niemand weiß, was ich da mache. Merkwürdig, dass unser erster Kontakt eine Fußmassage ist. Ich sehne mich jetzt danach, dass du herauskommst – ich werde dir dann die Welt zeigen! Jeden Morgen, wenn ich zur Arbeit fahre – das machen Mütter nämlich, verstehst du, kleines Lis? –, schaue ich aus dem Fenster und denke: Ich freue mich darauf, dir das alles zu zeigen. Besonders die Aussicht über die Årstabucht im Frühlingslicht. Eines Tages wirst du mit mir in der Bahn fahren, und dann zeige ich auf die Sonne, den Himmel, das Wasser, die Schrebergärten ... Alles bekommt einen neuen Sinn, wenn ich daran denke, dass du es eines Tages sehen wirst. Wie wenn man verliebt ist.
Bald kommst du heraus, und ich werde dich in meinen Armen halten. Bis dahin muss ich mich mit deinen Fußsohlen begnügen.
Sonntag
Dass meine Gefühle sich nicht entscheiden können! Vorgestern überschwänglich glücklich, dass das Baby bald kommt, und heute wieder voller Ängste, wie es werden soll. Ich habe einen langen Spaziergang gemacht, von zu Hause bis nach Östermalm. Ich genoss das Licht nach der langen Dunkelheit und all die Gerüche. In der Sturegalleria kaufte ich eine Tüte Badekugeln – ich bade jetzt fast jeden Tag – und auch einen neuen Schwamm zum Kauen. Dann schleppte ich mich den Hügel hinauf bis zur Konditorei Sturekatten, bestellte Apfelkuchen mit Vanillesoße und einen Tee und setzte mich an einen freien Tisch in dem Raum mit dem offenen Kamin. Der Apfelkuchen ist wunderbar – es ist herrlich zu essen, wenn man so einen tollen Appetit hat, und mein intensivierter Geruchssinn verstärkt zudem jeden Geschmack. Ich lausche heimlich all den Gesprächen um mich herum und stelle mir vor, was es für Menschen sind. Die einfache Frau hinter mir hat von jemandem erzählt, mit dem sie den ganzen Morgen im Bett verbracht hat – war es der Liebhaber oder das Baby? Kann die Mutter sich das grüne Seidenkleid wirklich leisten, das die halbwüchsige Tochter begeistert aus ihrer Einkaufstüte holt? Oder rührt die Unruhe, die ich in ihrem Gesicht zu sehen glaube, daher, dass sie sich Sorgen macht, was wohl auf dem Fest geschehen wird, zu dem das Kleid getragen werden soll? Als ich mich dabei ertappte, wie unverschämt ich mein Alleinsein genoss, habe ich wieder Angst bekommen. Denn damit ist in drei Wochen Schluss. Meine Tante hat an ihrem Geburtstag gesagt, das Schönste an Kindern sei, dass sie einem überallhin folgen. In den Ohren von jemandem, der das Alleinsein liebt, klingt das allerdings nicht besonders verlockend! Die einfache Frau hinter mir sagt, dass er ihr fehlt und dass er gerade Krabbeln
gelernt hat. Mutter und Tochter sind aufgestanden und zwängen sich mit der großen Tüte vorbei. Die Mutter hört der Tochter aufmerksam zu, die von einem Film erzählt, den sie gerade gesehen hat. Werde ich mich auch immer danach sehnen, mit meinem Baby zusammen zu sein? Werde ich es auch wunderbar finden, all mein Geld für die Kleider meiner Tochter anstatt für mich auszugeben? Ich esse den Apfelkuchen auf und fahre mit der Bahn nach Hause.
37. Woche
Die Runzeln des Babys verschwinden, weil es Fett einlagert. Die werdende Mutter hat inzwischen bis zu 12 Kilo oder sogar mehr zugenommen, oft verändert sich das Gewicht bis zur Geburt nicht mehr. Sie braucht viel Ruhe.
Montag
Ja, die Puppenspiele haben mich auf das Leben als Mutter vorbereitet. H. hat mit Autos gespielt, und es wird noch so weit kommen, dass er sich um ein Baby nicht zu kümmern braucht! Er hat also die Stelle bekommen. Eine bessere Arbeit, in jeder Beziehung interessanter, besser bezahlt. Warum freue ich mich nicht? Weil es eine Karrierestelle ist, mit häufigen Reisen und Überstunden. Weil es ein Job ist, bei dem er sich zu hundert Prozent einsetzen muss, um etwas zu erreichen. Weil die Probezeit sechs Monate beträgt, erst dann wird er fest angestellt. Wenn er eine interessante Arbeit hat, in die er sich vertiefen muss, wer wird dann wohl die Windeln wechseln und abends das Geschirr spülen? Bei einer Probezeit von sechs Monaten, wer wird die Erziehungszeit nehmen? Und wenn er Karriere macht, wer bleibt dann wohl zu Hause, wenn das Kind krank wird? Ich möchte H. seine Freude nicht zu sehr mit meinen Sorgen vermiesen. Es ist seine Chance für einen tollen Job. Ich weiß, dass er mich unterstützt hätte, wenn ich die Chance bekommen hätte. Aber so ist es nun mal nicht. Hat man je gehört, dass eine schwangere Frau eine
bessere Stelle angeboten bekommt? Das Umgekehrte hingegen hört man oft, dass nämlich ein Mann, der bald Vater wird, eine Stelle angeboten bekommt. Irgendwie vermute ich schon eine Konspiration der Männergesellschaft dahinter. Sobald ein Mann sich auch nur andeutungsweise für das «kleine Leben» interessiert, werden Angriffskräfte in Form von Karrieresprüngen, Unternehmenskultur und finanzieller Angstmache ausgeschickt. H. hat gesagt, dass er Erziehungsurlaub nehmen und die Stelle dennoch bekommen wird. Aber beruhigen tut mich das nicht.
Freitag
Die letzte Arbeitswoche verging wie im Flug, und heute Morgen habe ich die Kuchen abgeholt, die ich in einer Konditorei bestellt hatte. Obwohl ich alles gut vorbereitet hatte, wurde der Tag stressig. Obendrein habe ich einen wissenschaftlichen Artikel mit ziemlich vielen Änderungen zurückbekommen, die muss ich so bald wie möglich bearbeiten, damit er veröffentlicht werden kann. Ich habe eine schnelle Antwort gemailt und versprochen, es in den nächsten beiden Wochen zu Hause zu machen. Dann bin ich herumgesaust, habe noch etwas kopiert, die Regale und Tische abgestaubt, Bücher zurückgegeben und den Computer aufgeräumt – so gut es eben mit dem dicken Bauch ging. Ich hatte die Kollegen zum Abschiedskaffee eingeladen und stellte um drei, als die ersten kamen, die Kaffeemaschine an. Alle waren so nett, ich bekam sogar Geschenke, ein Buch und eine Flasche Kognak (die ich noch lange nicht trinken darf, leider). Dann saßen wir zusammen und aßen Torte, und ich wurde von all der Aufmerksamkeit ganz nervös. Das Gespräch drehte sich natürlich hauptsächlich um Geburten, und das macht mich neuerdings auch nervös. Gegen vier brachen wir auf, die Kollegen wollten noch ein paar Stunden weiterarbeiten. Ich wollte mit H. die letzten Sachen nach Hause schaffen. Ich war aufgeregt und froh, als wir schließlich meine Tüten zum Auto brachten.
Samstag
Ich habe die ganze Nacht über heftige Senkwehen gehabt, oder habe es vielleicht auch nur geträumt. Sie kamen mir stärker vor als sonst und weiter unten. Im Halbschlaf war ich mir sicher, dass es die Latenzphase war, der Beginn der Geburt, wenn die Wehen noch nicht so stark sind. Das war nicht der Fall, denn jetzt ist Samstag, und ich sitze immer noch mit meinem Bauch im Sessel. Wir haben heute mit dem Stethoskop gehorcht und endlich den Herzschlag vom kleinen Lis gehört – wie haben wir darauf gewartet! Ich denke viel an die Geburt und bin nervöser, als ich zugebe – aber es ist wohl ratsam, die Angst zu verdrängen, es geht ja nicht besser, wenn ich nervös bin. Wenn es doch nur anfinge – damit es bald vorbei ist. Heute Abend kommen ein paar Freundinnen zum Essen. Auch das macht mich ein bisschen nervös, denn es sind Frauen, die sich nicht kennen. Was, wenn sie nicht zusammenen?
Sonntag
Ich bin gerade aus dem Mittagsschlaf erwacht. Der ist mit das Beste an der Schwangerschaft – er ist herrlich und dabei nicht nur erlaubt, sondern geradezu geboten. Das Essen war sehr gelungen. Mit zwei Schwangeren und einer Stillenden drehte sich das Gespräch natürlich meist um Kinder. Die stillende Mutter – die zum ersten Mal ohne Baby ausgegangen war – musste alles erzählen: wie sich richtige Wehen anfühlen, was man mit wunden Brustwarzen macht und was, wenn das Baby nachts schreit. Ich sog alle Informationen gierig auf.
38. Woche
Das Baby ist jetzt bereit, geboren zu werden. Wann genau, hängt von der genetischen Veranlagung ab, aber 92 Prozent aller Kinder werden in einem Zeitraum von zwei Wochen vor bzw. zwei Wochen nach dem errechneten Termin geboren. Die werdende Mutter ist jetzt ziemlich dick und unbeweglich, und es ist schwierig für sie, eine bequeme Schlafstellung zu finden.
Dienstag
Obwohl ich freihabe, bin ich den ganzen Tag beschäftigt. Ich habe einerseits eine Liste – ich liebe Listen – mit allem, was noch erledigt werden muss, bevor das Baby kommt, wie den Artikel überarbeiten, einen Kindersitz fürs Auto kaufen und die Kamera reparieren lassen. Und ich habe eine zweite Liste mit schönen Sachen, die ich noch machen kann, wie Bücher lesen und ins Kino gehen. Ich lese hauptsächlich, ich schaffe es nicht, die Muss-Liste anzugehen, und ins Kino gehen ist eher anstrengend. Gestern hat es geschneit. Heute ist es nur bewölkt. Ich sehne mich nach dem Frühling. H. sagt, der Frühling kommt mit dem Lis. Das wäre was.
Mittwoch
Der Artikel, den ich bearbeiten muss, liegt nun schon eine Weile auf meinem Schreibtisch. Nachts träume ich davon und bekomme Schweißausbrüche, tagsüber kann ich ihn nicht mal anschauen. Heute habe ich meinen inneren Schweinehund überwunden und mich rangesetzt, um wenigstens eine gewisse Ordnung in die Kommentare des Redakteurs zu bringen. Ich habe sie von eins bis sechs nummeriert. Heute Morgen bin ich um acht aufgestanden, habe mich mit einer Tasse Tee an den Computer gesetzt und angefangen. Ich bin trotzdem noch gestresst. Einige Änderungen sind ziemlich umfangreich. Auf der anderen Seite ist dieser Artikel ziemlich wichtig für mich, und ich wäre froh, wenn er publiziert würde. Was, wenn die Geburt losgeht, bevor ich damit fertig bin? Soll ich etwa mit dem Laptop auf dem Bauch im Kreißsaal liegen und zwischen den Wehen schreiben?
Donnerstag
Heute Nacht hatte ich einen merkwürdigen Traum von meiner kleinen Schwester, die zurzeit eine Ausbildung zur Schreinerin macht. Im Traum rief meine Mutter an und erzählte, dass meine Schwester mit der Hand in eine Maschine geraten sei. Sie sagte, die Hand sei so kaputt, dass sie nicht wiederzuerkennen sei. Es war schrecklich. Auch noch die linke Hand – ihre Arbeitshand. Ohne die würde sie nicht mehr machen können, was ihr am meisten lag – schreinern, zeichnen, malen. Ich wachte schweißgebadet auf, und mir war übel. Ich habe solche Angst, dass ihr oder jemand anderem, den ich mag, etwas Schlimmes iert. Vielleicht habe ich auch Angst, dass dem kleinen Lis etwas iert, und mein Traum war die Vorbereitung auf die Mutterliebe, die Liebe der ständigen Sorge.
Freitag
Heute war ich mit Lotta draußen, wir sind um die ganze Årstabucht gewandert.
Iris hatte gerade ihren Sportwagen bekommen. Obwohl ich das Gesicht nicht in die Sonne gehalten habe (man bekommt Flecken von der Sonne, wenn man schwanger ist), kann ich deutlich einige Sommersprossen auf der Nase sehen. Vielleicht wird es jetzt endlich Frühling. Der Spaziergang hat mir gut getan, vielleicht sollte ich mich mehr bewegen und nicht weniger mit meinem schweren Bauch. In einem Café am Skanstull tranken wir Kaffee. Iris durfte in einem Kinderstuhl sitzen. Ich aß ein Schokoladentörtchen dazu – es hat irgendwie keinen Sinn, sich zurückzuhalten, wenn man ohnehin 81 Kilo wiegt. Wir sprachen über Periduralspritzen, Kindererziehung und Windeln – wie immer unerschöpfliche Themen. Lotta erzählte, dass es viel mehr im Haushalt zu tun gibt, wenn man ein Baby hat, mehr Wäsche, weil Iris sich ständig bekleckert, und dann putzt man auch mehr, wenn das Baby zu krabbeln anfängt. Lotta sagt, dass sie bestimmt jeden Tag einmal Staub saugt. Das klang nicht verlockend, ich finde es anstrengend genug, einmal pro Woche zu putzen. Als ich mit rosigen Wangen nach Hause kam und H. von unseren Gesprächen erzählte, stellte er fest, dass ich schon so viel über Geburten und Kinder weiß, weil ich mit meinen Freundinnen darüber geredet habe. H. dagegen spricht mit seinen Freunden viel weniger darüber, selbst wenn sie Kinder haben. Vielleicht kein Wunder, dass die Frau schließlich die Verantwortung für Haus und Familie übernimmt – wenn es losgeht, hat sie einen tüchtigen Wissensvorsprung, den der Mann zwischen dem Windelwechseln schwerlich aufholen kann.
Samstag
Ich habe heute Nacht schlecht geschlafen. Wenn ich mich im Bett drehe, muss ich den Bauch auf beiden Seiten festhalten, damit das ganze Lis-Paket mitkommt. Außerdem habe ich Stressträume wegen des Artikels. Mehrere Kommentare sind noch unbearbeitet.
Sonntag
Gestern Abend bin ich total ausgerastet. Ich hatte solchen Schiss vor dem Artikel. Es fing schon im Lauf des Tages an, H. und ich waren in der Stadt im Kino. Ich war merkwürdig aufgedreht, eine Stimmung, die ich überhaupt nicht kannte. Am Abend wurde diese Aufgedrehtheit immer abgehobener, und als ich mich schlafen legen wollte, ging es mir ganz komisch. Ich verhedderte mich in den Gedanken an den Artikel und bekam sie nicht aus dem Kopf. Ich lag im Bett und machte mir Sorgen, dass es anfangen würde, ehe ich mit den letzten beiden Kommentaren fertig war. Dann dachte ich, diese merkwürdige Stimmung ist bestimmt ein Zeichen, dass die Geburt einsetzt, und wurde noch unruhiger. Schließlich schwitzte ich und hatte Herzklopfen und stand auf. H. saß im Wohnzimmer vor dem Fernseher und versuchte vergeblich, mich zu trösten und zu beruhigen, aber dann meinte er, es wäre am besten, ich schriebe den Artikel sofort zu Ende, auch wenn es die ganze Nacht dauern würde. Er versprach, mit mir aufzubleiben. Dann machte er heißen Saft, und ich setzte mich an den Computer. Ich weiß nicht, ob die Änderungen gut wurden, es ging nämlich ziemlich schnell. Aber als ich ein paar Stunden später den Artikel ausdruckte und in einen Umschlag steckte, war ich auf einmal ganz ruhig. Ich ging ins Bett und dachte: Jetzt kann das Baby endlich kommen, wenn es will.
39. Woche
Das Baby versorgt sich vor der anstehenden Geburt mit möglichst viel Nahrung, und jetzt reifen auch die Lungen. Die werdende Mutter wartet mit wachsender Ungeduld, dass die Geburt einsetzt und das Baby kommt.
Dienstag
Es kann kommen, wenn es will, ja. Aber es wollte bisher nicht. Die Nächte sind anstrengend. Der Bauch ist wie ein Sack Wasser, und sobald ich mich auch nur ein bisschen im Schlaf bewege oder versuche, die Stellung zu ändern, tut es im Bauch, in den Schenkeln und im Becken weh. Gestern war ich beim Aufwachen hundemüde. Ich stand auf und machte einen langsamen und langen Spaziergang am Årstaviken. Als ich bei der U-BahnStation ankam, musste ich dringend pinkeln und fuhr nach Hause. Zu Hause schlief ich wie ein Stein mehrere Stunden, war danach aber nicht ausgeschlafener. Der Bauch war den ganzen Abend wie Beton, groß, unbeweglich, hart. Ob ich lag, saß oder stand – alles war unerträglich. Was soll ich bloß mit mir machen? In der Nacht habe ich geträumt, dass ich auf der Entbindungsstation war und alle Frauen richtige Wehen hatten, nur ich nicht. Heute geht es mir etwas besser. Ich werde zum Mütterzentrum gehen und den Bauch messen lassen – und fragen, ob es normal ist, dass ich so müde bin.
Mittwoch
Jetzt kann das kleine Lis von mir aus kommen. Der Betonbauch nagt an meiner Laune – außerdem sind wir auch neugierig, was wohl da drinnen ist. Ansonsten ist mir langweilig. Ich bin zu unbeweglich und zu schwer, um etwas anderes zu machen als Spazierengehen und Lesen. Am Donnerstag treffe ich mich mit der Redakteurin des Artikels – die noch weitere Änderungsvorschläge hat –, und komischerweise ist mir diese Abwechslung richtig willkommen! Im Mütterzentrum hat mir eine Praktikantin den Bauch gemessen. Ich spürte, dass sie es falsch machte – sie maß zu weit oben und fühlte nicht richtig den oberen Rand der Gebärmutter, aber ich hatte keine Lust, sie zu korrigieren. Jetzt sieht meine Funduskurve, die zeigt, wie mein Bauch wächst, ziemlich merkwürdig aus. Offenbar war nun auch der Moment gekommen, auf der Krankenakte die Schwangerschaft zusammenzufassen, und mir fiel nichts anderes ein, als zu sagen, dass sie wohl okay war, ohne größere Beschwerden. Also, ich habe mich nie übergeben und hatte keine Schwangerschaftsvergiftung oder so etwas. Ich sah, wie sie ganz unten aufschrieb, was ich gesagt hatte: «O. K. o. gr. Beschw.» Schon lustig, alles, was bisher geschehen ist, lässt sich mit diesen wenigen Kürzeln zusammenfassen. Was bedeuten sie eigentlich – «okay, ohne größere Beschwerden»? Hinter den Worten verbirgt sich so viel – Übelkeit, sternenklare, schlaflose Nächte und Gedanken, Trockenpflaumen, Streit und wiedergewonnene Vertrautheit, Stethoskop, Unruhe und Freude. Und vieles davon hat den Weg in dieses Tagebuch gefunden. Meine Schwangerschaft lässt sich also auf zweierlei Weise beschreiben – einerseits mit einem einfachen Okay, andererseits mit einem fast voll geschriebenen Tagebuch.
Donnerstag
Wieder eine Betonbauch-Nacht – aber ich überlebe es. Es ist schon erstaunlich, was man aushält, wenn man muss. Vor neun Monaten konnte ich ausschließlich auf dem Bauch und mit einem Kissen auf dem Kopf schlafen – jetzt kann ich halb im Sitzen schlafen, wenn es sein muss. Die Schwangerschaft hat mich auch noch andere Dinge gelehrt als ungewohnte Schlafstellungen – sie hat mich gelehrt, selbstbewusster aufzutreten. Seit wir vor fast acht Jahren in diese Wohnung eingezogen sind, wollen wir einen Schlüssel für den Fahrradkeller, und seit über einem Jahr wollen wir zum Baden auch heißeres Wasser aus der Leitung. Ich habe mich nie getraut, den Hausbesitzer anzurufen, ich wollte nichts fordern und bei einer Ablehnung nicht nachhaken müssen. Aber jetzt brauchen wir einen Platz für den Kinderwagen, und ich habe gelesen, dass Wasser mit einer Temperatur unter 50 Grad zu viele Bakterien enthalten kann. Also habe ich angerufen. Jetzt traue ich mich, jetzt fordere ich etwas für mein Baby, nicht für mich. Und natürlich hat der Verwalter nicht abgelehnt, den Schlüssel habe ich gestern bekommen, und um das Wasser kümmert er sich am Wochenende. Das ist doch wirklich klassisch, dass man für sein Kind zu einer neuen Stärke findet. Ich habe das schon öfter beobachtet – eine sehr schüchterne Freundin, die normalerweise nie den Mund aufmacht, hat eine Frau beschimpft, die ihrem Sohn auf den Fuß getreten war. Hoffentlich lerne ich durch diese Erfahrung, sowohl für mein Kind als auch für mich selbstbewusst aufzutreten.
Samstag
Noch ein Tag bis zum Tag X nach H.s und meiner Berechnung. Ich habe den Artikel mit allen Änderungen, die die Redakteurin haben wollte, schon gestern fertig bekommen – es ist wunderbar, zu Hause zu sitzen und zu schreiben! Ich denke viel an die Geburt. Ich wünschte, ich hätte etwas mehr Erfahrung, zum Beispiel, dass ich schon einmal dabei gewesen wäre. Aber das ist ja nicht möglich, wenn man nicht schon ein Kind geboren hat, Vater oder Hebamme ist.
Das ist schade, finde ich. Wie viel Angst und Unruhe könnten vermieden werden, wenn alle Frauen, die ein Kind bekommen, die Möglichkeit hätten, bei einer anderen Geburt dabei zu sein. Man könnte sich eine eigene Meinung bilden und wäre all diesen Theorien nicht so hilflos ausgeliefert. Ansonsten iert nicht sehr viel. Ich hatte einige Senkwehen, die etwas wehtaten. Das war spannend. Vielleicht geht es jetzt los. Ich werde duschen und an den Brustwarzen zupfen – das stimuliert angeblich das Hormon Oxytoxin und fördert die Wehenarbeit.
Sonntag
Offenbar nicht ausreichend. Der Tag X kam und ging.
40. Woche
Jetzt sind wir am Ende angekommen, oder besser vielleicht, am Anfang. Das Baby ist 50 Zentimeter groß und wiegt zwischen 3,5 und vier Kilo. Es kann sich fast nicht mehr bewegen, weil im Bauch kein Platz mehr ist. Der Bauch kann sich noch ein Stückchen gesenkt haben. Jetzt ist es Zeit, die Tasche zu packen.
Dienstag
Heute war der Tag X nach der Berechnung des Mütterzentrums. Ich war dort und habe den Bauch messen lassen. Ich wiege 83 Kilo. Und mein Bauch wächst immer noch ein Stückchen, obwohl ich das kaum für möglich gehalten hätte. Die Hebamme hat mir einen neuen Ultraschalltermin in sieben Tagen gegeben, falls bis dahin nichts iert ist, und in vierzehn Tagen für eine ärztliche Untersuchung – auch, wenn bis dahin nichts iert ist. Was wir allerdings nicht hoffen wollen. Mir ist ziemlich langweilig. Gestern habe ich mit H. das Auto gewaschen, das hat Spaß gemacht. Heute war ich nur drinnen und habe Fotos in ein Album geklebt – und kann noch einen Punkt auf meiner Liste streichen.
41. Woche
Wenn man eine Woche über dem errechneten Termin ist, wird meistens ein Ultraschall gemacht, um zu prüfen, ob es dem Baby gut geht.
Donnerstag
Elf Tage über den Termin. Ich mache nicht viel. Die Nächte hindurch habe ich regelmäßig Senkwehen. Aber ich wache jeden Morgen in meinem Bett auf und nicht auf der Entbindungsstation. Ich habe heute Nacht von einem süßen kleinen Jungen und gestern von einem süßen kleinen Mädchen geträumt. Ich freue mich, was es auch wird – wenn es nur endlich was wird! Im Mütterzentrum stellte die Ärztin fest, dass es ein normal großes Baby ist, zwischen 3,5 und 3,9 Kilo, und dass die Fruchtwassermenge ebenfalls normal ist. Das bedeutet, die Geburt wird nicht eingeleitet, sondern sie warten noch ab, ob ich von allein Wehen bekomme. Nett, das Baby wieder mal zu sehen. Meine Kollegin Gunilla hat ihres schon, die Glückliche. Einen kleinen Jungen. Sie hatte eine leichte Geburt – im Stehen, ohne Periduralspritze, und sie ist auch nicht gerissen. Eine Superfrau also. Ich habe ihr gesagt, dass ich neidisch auf sie bin, da hat sie gelacht und versprochen, alle Daumen für mich zu drücken. Alle rufen an und fragen, das regt mich fast ein bisschen auf, weil ich das Gefühl habe, die Leute zu enttäuschen.
Freitag
Es ist Morgen, und auch heute Nacht war nichts, obwohl ich seit zwölf Uhr alle halbe Stunde Kontraktionen hatte. Ich starrte im Halbschlaf auf die Radiouhr und dachte, jetzt, jetzt geht es los. Aber als die Sonne aufging, war alles vorbei, und nichts war iert. Ich plane nicht mehr mit Rücksicht darauf, dass das Baby jederzeit kommen kann. Deshalb sind wir gestern aufs Land gefahren und haben Ostern gefeiert, ganz egal wie umständlich es sein würde, wenn ich mitten im Wald, weit weg von der Autostraße, Wehen bekäme. Es war Frühling, die Sonne schien, und wir verlebten einen wunderbaren Tag – Hering und Eierbrote vor dem Häuschen, Bier und Schnaps für die, die durften. Der Tag verging, ohne dass das kleinste Baby auf die Welt gekommen wäre. Bin ich etwa nicht normal? Das mit dem Baby fängt an, irgendwie unwirklich zu werden. Ich glaube einfach nicht, dass etwas daraus wird. Der Geburtstermin kam und verstrich, ohne Ergebnis. Das kleine Lis hat die Deadline vert, und nun schrumpelt es zusammen und verschwindet langsam wieder in meinem Bauch. Das scheint mir logisch. Obwohl alle anderen um mich herum etwas anderes zu glauben scheinen. Sie rufen an und fragen und fragen, und ich weiß nicht mehr, was ich ihnen sagen soll.
Samstag
Geburtstagsfest. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen dreißigsten Geburtstag mitfeiern würde – ich habe gedacht, ich würde mit einem neugeborenen Baby zu Hause sitzen und vollauf damit beschäftigt sein, Windeln zu wechseln und zu stillen. Aber nix da. In Birkenstocksandalen zum Ausgehrock – das sind die einzigen Schuhe, in die meine geschwollenen Füße noch reinen – habe ich mich hinters Steuer gezwängt und bin zum Fest gefahren. Ich war nicht in Form, saß hauptsächlich nur da und keuchte, während die Leute
um mich herum lachten, tranken und immer fröhlicher wurden. Ich bekam immer häufiger Kontraktionen und fuhr ziemlich bald mit H. nach Hause.
42. Woche
Auch wenn normalerweise keine Gefahr für das Kind besteht, muss die werdende Mutter darauf achten, dass es sich regelmäßig bewegt. Wenn sie den Termin so lange überschritten hat, muss sie auch Ultraschalluntersuchungen machen lassen. Dabei wird der Durchfluss in der Nabelschnur kontrolliert und ob genug Fruchtwasser vorhanden ist. Mit einem so genannten CTG kann man feststellen, ob es dem Kind gut geht.
Dienstag
Jetzt werde ich alle drei Tage von der Ärztin untersucht. Wenn es in einer Woche nicht da ist, wird die Geburt eingeleitet. Sie scheinen immer noch zu glauben, dass es wirklich ein Baby wird. Heute war der erste Termin. Fruchtwasser normal. Warum leiten sie die Geburt nicht ein? Stimmt etwas nicht mit mir, dass ich kein Kind gebären kann?
Donnerstag
Ärztliche Untersuchung im Krankenhaus. Oben auf der Entbindungsstation herrschte Panik, H. und ich mussten lange warten, ehe wir drankamen. Die frisch gebackene Ärztin fand kein Fruchtwasser, aber ihre erfahrenere Kollegin konnte gerade so viel messen, dass sie nicht einleiten mussten. Angesichts der voll
belegten Entbindungsstation schienen sie sehr erleichtert zu sein.
Freitag
Das Warten ist so langweilig. H. und ich haben irgendwie nichts zu tun. Heute waren wir in einem Restaurant essen. Ich dachte, soll doch alles der Teufel holen, und wir teilten uns eine kleine Flasche Sekt. Jetzt kann doch wohl nichts mehr ieren? Es wäre natürlich peinlich, wenn sie jetzt die Geburt einleiten würden und ich käme mit einer Alkoholfahne auf die Entbindungsstation. Ich merke fast nichts vom Alkohol, ein halbes Fläschchen ist vielleicht auch nicht viel, wenn man wie ich 86 Kilo wiegt.
Samstag
Wieder bei der Ärztin, diesmal auf der Entbindungsstation. Wir saßen in einem Zimmer, in dem normalerweise die Geburt stattfindet. Im Zimmer nebenan schrie eine gebärende Frau um ihr Leben. Es war schrecklich, H. und ich fassten uns nur an den Händen. Wie weh muss es tun, wenn man so brüllt? Einen solchen Schmerz kann ich mir nicht vorstellen. Aber dann verstummte die Frau, und kurz darauf hörten wir ein Baby. Da hatten wir beide Tränen in den Augen. Mein Baby hat immer noch genug Fruchtwasser, das CTG hat gezeigt, dass es ihm gut geht, aber jetzt warten sie nicht mehr lange. Am Dienstag, übermorgen, wird eingeleitet. «Da verlassen Sie das Krankenhaus nicht mehr ohne Ihr Kind», sagte die Ärztin, und da mussten wir wieder weinen.
43. Woche
Bei den wenigen Frauen, bei denen die Geburt nicht vor der 43. Woche von allein beginnt, wird sie mit Hilfe verschiedener Methoden eingeleitet.
Montag
Morgen ist es so weit. Morgen wird die Geburt eingeleitet. Es sieht nämlich nicht so aus, als könnte ich von allein gebären. Ich habe alles versucht – bin spazieren gegangen, Treppen gestiegen, habe an den Brustwarzen gezogen. Am Samstag waren wir so verzweifelt, dass wir sogar Sex hatten. Es war nicht sehr erregend, wir haben mehr gekichert, denn jetzt bin ich wirklich wie ein Kühlschrank. Aber kein Baby kam. Eine Geburt künstlich einzuleiten scheint eine komplizierte Prozedur zu sein. Erst spritzt man ein Gel, das den Gebärmutterpfropf aufweichen soll. Das machen sie zweimal im Abstand von acht Stunden, und wenn das nicht hilft, greifen sie zu härteren Maßnahmen und stechen die Fruchtblase auf. Wenn jetzt immer noch nichts iert, hängen sie einen an den Wehentropf. Das klingt sehr langwierig und ermüdend. Zwar werden wir nicht ohne unser Baby nach Hause kommen, aber ich glaube, wir müssen uns darauf einrichten, länger fort zu sein. Morgen um acht geht es los. Jetzt werde ich endlich ins Kino gehen. Obwohl es auf meiner Liste stand, habe ich es in den fünf Wochen, die ich zu Hause war, nicht geschafft, aber jetzt ist es so weit. Ich gehe in «e-m@il für Dich».
Mittwoch, der 20. April 1999 Im Kino, mitten im Film, hatte ich endlich meine erste richtige Wehe, ja, wirklich. Meine ersten richtigen Wehen. Sie waren stark und ganz anders als diese ewigen Senkwehen, die ich seit so vielen Wochen hatte. Vor allem die menstruationsähnlichen Kontraktionen dazwischen machten mir klar, dass es jetzt endlich losging. Merkwürdigerweise war ich völlig ruhig. Ich war ganz vom Film gefangen, und weil ich die beiden Frauen vor mir nicht stören wollte, keuchte ich so leise wie möglich. Nach dem Film überlegte ich, ob ich H. anrufen oder gleich ein Taxi nehmen soll. Aber da hörten die Wehen wieder auf. Genauso plötzlich, wie sie gekommen waren, hörten sie wieder auf. Weg, vorbei. Ich fuhr mit der U-Bahn nach Hause und war ziemlich enttäuscht. Ich lieh für alle Fälle noch ein schlechtes Video aus, zum Zeitvertreib, falls es wieder losgehen würde. Um ein Uhr in der Nacht fing es wirklich wieder an. H. war gerade eingeschlafen, als es im Bauch spannte. Ich ließ ihn schlafen, stand selbst jedoch auf, weil ich spürte, dass ich nicht mehr einschlafen würde. Ich setzte mich aufs Sofa und machte den Fernseher an. Die Wehen kamen im Abstand von zehn Minuten. Ich schaute mir erst den Spätthriller im Dritten an, und als der zu Ende war, den im Vierten. Danach legte ich das Video ein. An der Uhr des Videorecorders sah ich, dass der Abstand zwischen den Wehen kürzer wurde. Ich keuchte mich auch durch diesen Film. H. schlief und ahnte nichts, aber Ackra, meine Katze, saß auf meinem Schoß, die Wange an meinem steinharten Bauch, und erwartete mit mir zusammen die Wehen. Es tat nicht sehr weh, aber ich wurde allmählich müde. Trotzdem konnte ich nicht schlafen, jetzt hatte es angefangen, und bevor das Baby draußen war, würde ich nicht mehr ausruhen können. Um fünf Uhr morgens hatte ich alle Filme gesehen und war bereit, ins Krankenhaus zu fahren – es waren jetzt fünf Minuten zwischen den Wehen, und sie taten auch ziemlich weh. Ich ging zu H., der friedlich schlief, und weckte ihn. Er schaute auf die Uhr, stöhnte und sagte, wir müssten noch nicht fahren, wenn wir um acht im Krankenhaus sein sollten. Gerade da packte mich eine Wehe, ich keuchte mühsam, und jetzt kapierte er. Ohne viel zu reden, stand er auf und duschte rasch. Ich stolperte zum Schrank, zog mich an und kontrollierte, ob alles in der Tasche war. Ich war müde und durcheinander, die Wehen kamen
regelmäßig. H. rief ein Taxi. Der Taxifahrer wurde leicht nervös, als ich ihn bat, am Videoladen vorbeizufahren, damit wir den Film zurückgeben konnten. Dann fuhr er viel schneller als nötig ins Krankenhaus. Er fuhr nicht sehr gut, und ich musste mich mit aller Kraft mit den Armen abstützen, als er mitten in einer Wehe um die Ecke bog. Dann standen wir endlich da, obwohl es sich nicht wie endlich anfühlte, standen vor der Tür zur Entbindungsstation und klingelten. Während wir warteten, kam eine Wehe, ich stand sie, an ein Blumengefäß aus Zement gelehnt, durch, und ich weiß noch, dass ich überlegte, ob das Blumengefäß wohl da stand, damit leidende Frauen etwas zum Festhalten hatten. Als wir oben in der Abteilung waren, machten sie erst ein CTG, um zu sehen, ob es dem Baby gut ging. Das dauerte schon mal eine Stunde. Als die Hebamme wieder hereinkam, fragte ich, wann ich die Periduralbetäubung bekommen würde. «Wir sehen auf Ihrem Zettel, dass Sie natürliche Schmerzlinderung bevorzugen», sagte sie (verdammt, wie haben sie das erfahren!). «Wollen Sie nicht zuerst einmal duschen?» Es war sehr angenehm. Ich hatte ja die ganze Nacht nicht geschlafen, ich war müde und durchgefroren. Ich bekam zwei Becher heißen Saft – Frühstück – und stand unter dem heißen Wasser und trank. Es war so ein Gefühl, wie wenn man nach einer anstrengenden Pfadfinderwanderung endlich duschen darf. Nur dass die Pfadfinderwanderung nach der Dusche nicht vorbei war. Sie hatte noch gar nicht richtig angefangen. Die Wehen waren inzwischen richtig teuflisch. Als ich kurz darauf in die nächste Phase der «natürlichen Schmerzlinderung» kam und im Whirlpool lag, wurden sie furchtbar anstrengend. Ich musste mich auf etwas konzentrieren, was ich im Blickfeld hatte, um es zu ertragen. Auf dem Rand der Badewanne stand eine Flasche mit Reinigungsmittel, und ich starrte wie blöd auf den Text. «Badfrisch, Badfrisch, Badfrisch», murmelte ich mit zusammengebissenen Zähnen. H. saß neben der Wanne in der Hocke und hielt meine Hand, wenn die Wehen kamen, und wenn sie am schlimmsten waren, sagte er: «Jetzt ist es vorbei, jetzt ist es vorbei», und ich bewunderte ihn, weil er immer die Schmerzspitze erwischte. Das heiße Wasser machte mich müde und schläfrig, aber die Wehen ließen mir
keine Ruhe. Und jetzt überschlugen sich die Ereignisse. Denn als die Hebamme nach dem Bad kontrollierte, wie weit der Muttermund sich geöffnet hatte, waren es nur vier Zentimeter, offenbar zu wenig nach all der Mühe, und sie sagte, sie müsse die Fruchtblase aufstechen. Das klang schlimmer, als es war, es war angenehm, und dann wurde es nass unterm Hintern. Aber wenn ich geglaubt hatte, dass die Wehen davor heftig waren, dann wusste ich nicht, was mir jetzt blühte. Sie kamen jetzt ganz kurz hintereinander. Ich war müde nach der durchwachten Nacht und dem heißen Bad. Ich verlor den Kontakt mit der Umwelt, mit H. und der Hebamme. Es gab nur noch mich und meine Schmerzen. Der CTG-Apparat zeigte plötzlich, dass der Herzschlag des Babys schwächer wurde. Ach ja, das Baby, das hatte ich völlig vergessen. Aber ich konnte mich auch jetzt nicht mehr damit befassen. Eine Ärztin wurde gerufen, und sie sagte, es sei so ernst, dass man einen Kaiserschnitt in Betracht ziehen müsse, und da dachte ich mit keinem Gedanken an das Baby, ich dachte nur, das wäre wunderbar, betäubt zu werden und nichts mehr zu spüren. Der mögliche Kaiserschnitt ließ mich aufgeben. Die ganzen Wehen, alles, was ich durchgemacht hatte, ließ den Herzschlag des Kindes schwächer werden. Ich schaffte es offensichtlich nicht, ein Kind zu gebären, ich fand, es hatte keinen Sinn mehr, die Heldin zu spielen. Ich bat also noch einmal – nein, ich schrie nach einer Periduralbetäubung. Sofort! Während die Narkoseärztin gerufen wurde, griff ich nach dem Lachgas und sog es ein. Warum habe ich das nicht schon lange genommen, dachte ich, als das Lachgas mir in den Kopf stieg. Das Leben wurde sofort wieder schöner. Ich war total aufgekratzt und fand alles prima, wenn auch ein wenig verschwommen. Dass die Herztöne des Babys schwächer wurden, war mir egal, ich kümmerte mich nur um mich. Das Baby – um das sollte sich die ärztliche Kunst kümmern, dachte ich und inhalierte gierig das Gas. Ich fragte sogar H., ob er nicht auch etwas wolle, es sei so toll! Die Periduralspritze (PDA) wurde von einem jungen, mageren Arzt gesetzt und wirkte eine Stunde. Der Schmerz hörte ganz auf. Das Leben war lustig, fand ich und bat H., die Spielkarten rauszuholen und mit mir zu spielen. Aber da wurden die Herztöne des Babys noch schwächer, und jetzt rollten sie mich zur Operation – es würde auf jeden Fall ein Kaiserschnitt werden. Aber dort stellten sie fest, dass mein Muttermund sich innerhalb von einer Stunde ganz geöffnet hatte.
Dann nahm die Wirkung der PDA ab, ich spürte deutlich, wie die Presswehen ganz anders zuschlugen. Im Gegensatz zu den anderen Wehen, die nur wehtaten, konnte ich jetzt folgen und selbst pressen. Endlich konnte ich etwas tun, ich presste also aus Leibeskräften. Es war fast angenehm. Aber der Kopf des Kindes lag immer noch zu hoch, er wollte nicht richtig nach unten kommen, sie sagten mir, ich solle die Kräfte sparen und die Presswehen durchatmen, was mir unmöglich erschien. Die PDA klang immer mehr ab, die Wehen schmerzten sehr. Zum zweiten Mal verlor ich die Fassung und benahm mich wie ein Idiot. Das Geburtshilfepersonal kontrollierte und machte alles Mögliche, sie warteten und holten den Oberarzt, sie kamen und gingen, sie zogen und zerrten an mir, sie maßen, tasteten, justierten und halfen, ich kapierte überhaupt nichts mehr. Warum holten sie das Kind nicht heraus, wenn es ihm da drinnen nicht gut ging? Warum liefen sie dauernd raus, sollte ich etwas nicht erfahren? Manchmal waren fast zwanzig Leute im Zimmer, manchmal nur ich, H. und eine Praktikantin, die treu neben mir stand und meinen Arm streichelte. Dabei fuhren die Werte des Babys Achterbahn, und sein Kopf steckte viel zu weit oben und konnte nicht herausgepresst werden. Ich schrie und brüllte inzwischen bei jeder Presswehe, ich konnte nicht mehr, ich wollte sterben. H. stand hilflos hinter mir, streichelte meine Haare und wiederholte beinah mechanisch, wie toll ich es machte. Was zum Teufel meint er damit, dachte ich, ich liege doch bloß da wie ein Koffer und will sterben, ich mache überhaupt nichts toll, denn dem Baby geht es schlecht, und ich schaffe es nicht, es herunterzudrücken, damit es herauskommen kann. Auch die Ärztin sprach dauernd davon, wie schön ich presste, aber auch sie war eine Heuchlerin, es half nämlich überhaupt nicht! Helft mir, ich kann nicht mehr, ich kann es nicht, ich will nicht mehr! Schließlich hörte ich die Ärztin sagen, dass sie die Saugglocke nehmen müssten, und da wusste ich, dass diese Hölle in zwanzig Minuten vorüber sein würde. Ich erinnerte mich nämlich plötzlich an einen Artikel, den ich im Wartezimmer des Mütterzentrums gelesen hatte, und danach muss ein Kaiserschnitt eingeleitet werden, wenn nach zwanzig Minuten mit der Saugglocke das Baby nicht da ist. Das gab mir einen zeitlichen Rahmen, ein Licht am Ende des Tunnels, einen Rettungsring, an den ich mich klammern konnte. Zwanzig Minuten, zwanzig Minuten – das würde ich schaffen. Zwanzig Minuten ...
Und dann kamen die schlimmsten Minuten meines Lebens: Das Zimmer ist voller Leute. H. steht hinter mir, neben mir die Praktikantin, außerdem noch die Hebamme, die Ärztin, eine Oberärztin und alle Schwestern. Die Ärztin steht zwischen meinen Beinen und befestigt etwas da unten. Als die nächste Presswehe kommt, drücke ich aus Leibeskräften, und die Ärztin zieht. Es tut weh. Dann tut es nicht mehr weh. Es brennt. Eine Schweißflamme direkt in den Unterleib. Ich schreie wie am Spieß und hoffe, dass alle verängstigten Erstgebärenden im Flur vor der CTG-Untersuchung zittern! Wie kann das nur so wehtun? Und wie ist es außerdem möglich, dass der Schmerz ständig größer wird? Es gibt kein Zurück, das weiß ich, deshalb presse ich um mein Leben, die blöde Ärztin da unten zieht, und es tut so wahnsinnig weh. Als ob man sich vom Nabel bis zum Steißbein mit einem stumpfen Messer aufschlitzen würde. Ich schreie aus vollem Hals die allerschlimmsten Schimpfwörter, es ist herrlich, so hemmungslos brüllen zu können. Wenn ich denke, jetzt kann es nicht mehr schlimmer werden, wird es trotzdem noch schlimmer. Ich weiß nicht, was los ist, aber plötzlich öffne ich die Augen, die ich die ganze Zeit geschlossen hatte. Ich schaue nach unten, und kurz darauf macht es flutsch, und ein warmes, schleimiges Baby wird mir mit dem Po nach oben auf die Hüfte gelegt. Es ist groß. Und ziemlich lila. Es gurgelt. Ich höre, wie H. mit schwacher Stimme sagt, es sei wohl ein Mädchen, aber obwohl ich keinen Pimmel sehen kann, bin ich nicht sicher, ich sehe bloß den Po. Sie durchtrennen die Nabelschnur, die Hebamme macht es falsch, das Blut spritzt. Schließlich bekommen sie das Kind los und laufen mit ihm aus dem Zimmer. H. verschwindet mit den Ärzten und dem Baby. Ich weiß, dass er es schwer hatte in den letzten Stunden, er hat zusehen müssen, wie ich mich gequält habe, und konnte nichts tun, ich denke verschwommen, er hat es verdient, als Erster das Baby zu halten. Ich kann nicht darüber nachdenken, dass das Kind nicht geschrien und sich nicht bewegt hat und dass ich es nicht auf den Bauch gelegt bekommen habe, so wie ich es in allen Geburtsfilmen gesehen habe, sondern dass sie stattdessen mit dem Kind weglaufen. Ich muss noch den Mutterkuchen herauspressen, und das wird noch einmal wehtun. Es erfordert meine ganze Aufmerksamkeit, und ich tue mir grenzenlos Leid. Sie drücken mir auf den Bauch. Ich erinnere mich nicht, dass es sehr wehtat, es war eher unangenehm, wie eine riesige Monatsblutung, die in
einem Schwall herauskam. Es war gut, dass ich mir keine Sorgen um das Kind gemacht habe, denn jetzt kommt H. mit ihm zurück, es ist in eine Decke gewickelt. Sie mussten die Lungen absaugen, um die Atmung in Gang zu bekommen. Jetzt ist alles gut. Es ist ein Mädchen. Ein großes Mädchen von vier Kilo mit H.s Nase, Schleim auf dem ganzen Körper und in den Haaren. Es sieht genau richtig aus – ich bin überhaupt nicht erstaunt, das Merkwürdige ist eher, dass ich auch nur einen Moment an ihm gezweifelt habe. Ein dunkler Haarschopf, große, dunkle Augen, zerknautschtes Gesichtchen. Ganz selbstverständlich.
Ich habe es geschafft. Auch wenn ich an manchen Tagen daran gezweifelt habe, habe ich doch die Übelkeit, die Verstopfung, die vielen schlaflosen Nächte durchgestanden, und alles andere, was der Körper veranstaltet hat, um dieses neue Leben zu beherbergen und zu erschaffen. Und auch wenn es gedauert hat, ich habe es geschafft, meine Tochter zu gebären. Ich habe zwar nicht in der Hocke entbunden, ich war zu feige und habe eine PDA verlangt, sie mussten mir mit der Saugglocke helfen, und ich hatte auch einen Dammriss. Aber das ist doch im Grunde alles eins, sie kam heraus, und es geht ihr gut. Und das ist der Anfang einer ganz neuen Geschichte. Einer Geschichte, wie ich die Mutterrolle mit all den anderen Rollen, die ich spielen will, vereinbaren kann. Wie H. und ich es schaffen, Eltern zu sein, ohne die Liebe zueinander zu verlieren. Und das Wichtigste: wie man ein kleines Mädchen zu einer starken Frau erzieht, die ihr Leben in dieser komplizierten Gesellschaft im Griff hat. Es wird schwer werden. Aber der Blick aus den dunkelblauen Augen meiner neugeborenen Tochter sagt mir, dass es den Kampf lohnt.
Nachwort
Freitag, 20. Oktober 2000 Es ist ein bewölkter und grauer Oktobertag, H. bringt Lis gerade in den Kindergarten. Lis, ja, wir nennen sie immer noch so, im Geburtsschein steht allerdings Elisabet. Heute ist es genau eineinhalb Jahre her, dass sie geboren wurde, und wenn ich es schon aufregend fand, ein Kind zu erwarten, so war es doch nichts im Vergleich damit, ein Kind zu haben.Es wäre ein neues Buch, wenn ich das alles erzählen wollte, was seither iert ist und was ich gedacht habe. Ich glaube, ich habe in dieser kurzen Zeit mehr gelernt als in den dreißig Jahren vor ihrer Geburt. Erstens muss ich feststellen, dass einige Befürchtungen, die ich in Bezug auf die Mutterschaft hatte, berechtigt waren. Es ist kompliziert, Elternschaft und Berufstätigkeit unter einen Hut zu bringen, es ist ein ständiges Puzzle, damit alles zusamment. Und natürlich war das Leben als Hausfrau manchmal ziemlich langweilig. Außerdem ist es anstrengend, sich um jemanden kümmern zu müssen, der total von einem abhängig ist. Und natürlich haben H. und ich uns ziemlich viel gestritten in den letzten anderthalb Jahren, besonders darüber, wer mit dem Schlafen an der Reihe ist. Aber wir sind noch verheiratet, und ich glaube, unsere Probleme haben uns einander eher näher gebracht. Aber ich habe mir auch viele Sorgen gemacht, die sich inzwischen als unnötig erwiesen haben. Ich fühle mich im Babyland ziemlich wohl. Die Schwestern im Kinderzentrum sind nicht gefährlich, und es ist tatsächlich interessant, sich über Posalben zu unterhalten, jetzt, wo man sich auskennt. Und ich finde sogar, dass die ganzen Kindersachen, die man so braucht und die mit Stoffen mit hellblauen Teddys bezogen sind, unserer Wohnung einen hübschen Farbakzent geben. Aber vor allem ist es wunderbar, mit Lis unter einem Dach leben zu dürfen. Es gibt kein großartigeres Kind, und genau wie meine Freundin einmal gesagt hat,
ist es ein gewaltiges Gefühl, jemanden so sehr zu lieben. Ich sehne mich schon danach, Lis heute Nachmittag abholen zu dürfen.
Ende
Über Mamma Mia
Karin Milles beschreibt in diesem einfühlsamen Tagebuch auf spannende und humorvolle Weise die neun Monate ihrer Schwangerschaft, die alles auf den Kopf stellt. Fragen über Fragen, Sorgen und Ängste. Doch die Erzählerin bewahrt bei all den Höhen und Tiefen einen kühlen Kopf und macht Schwangeren oder jenen, die es werden wollen, Mut. Auch für werdende Väter lesenswert!